Modernes Haus in den Bäumen

BAUHAUS ODER BAUMHAUS? THE HUMAN PURPOSE VILLAGE PROJECT (TEIL 4)

Klimakrise, Erdüberlastungstag, Dammbrüche, Waldbrände – die Katastrophennachrichten scheinen nicht enden zu wollen. Zeit für einen Reset und eine Neubewertung unserer Lebensgrundlage.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Den Erdüberlastungstag
  • Grundideen des Human Purpose Village Project
  • Warum Bauhaus und Baumhaus etwas gemein haben

Text Giò von Beust

Gio von Beust

Giò von Beust ist Visionär, Künstler und Aktivist. Als Banker, Volljurist und Berater schöpft er aus der Berufs- und Lebenserfahrung als Autor, Übersetzer, Unternehmer, Buchverleger und Welt­reisender; sein Denken kreist um die Frage, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.

2. August 2023

Der Tag, an dem ich das aufschreibe, ist ein sogenannter „Welttag“, aber dieser hier findet in den Medien merkwürdigerweise kaum bis gar keine Beachtung. Es gibt u.a. den Welttag des Stollenwerfens (3. Januar), des arbeitslosen Duftbaums (2. Februar) und den Tag des Radiergummis (15. April), die zur allgemeinen Belustigung immer wieder einmal auch in seriösen Publikationen auftauchen.

Der jedoch wohl wichtigste Welttag unter allen Welttagen, der Erdüberlastungstag, wird, wenn er denn in der medialen Aufgeregtheit über radebrechende Politikerinnen, Rockstarfehltritte, erstaunliche Börsenkursentwicklungen, auch ausbleibende Hitzewellen und saudi-arabische Fußballgehälter Erwähnung findet, meist mit einem kollektiven Achselzucken abgetan.

Was an diesem Tag (nicht) gefeiert wird?

An diesem Tag sind alle natürlichen Ressourcen der Erde, die innerhalb eines Jahres nachwachsen könnten, für das jeweilige Jahr aufgebraucht.
In diesem Jahr ist das bereits heute der Fall.

Findet dieses Ereignis keine Beachtung, weil man es sich so schlecht merken kann, schließlich fällt es ja nicht jedes Jahr auf den gleichen Tag? Denn das Datum der Erdüberlastung ist laut Global Footprint Network in den letzten 20 Jahren um knapp zwei Monate vorgerückt, inzwischen können knapp 40 % der verbrauchten natürlichen Ressourcen in diesem Jahr nicht mehr ersetzt werden.

Liegt es daran, dass diese gemessene und errechnete ökologische Lage unseres Planeten trotz oder wegen aller Nachhaltigkeitsbeteuerungen und -initiativen, trotz Net-Zero-Zielen in ferner Zukunft, Dieselfahrverboten und Heizungsgesetzen und auch trotz drastischer Warnungen des UN-Generalsekretärs und geheimnisvoller IPCC-Szenariokürzel wie SSP1-1.9 bis SSP3-7.0 zum Klimawandel … dass all diese Informationen in unserer Lebenswahrnehmung und -erfahrung nur einen geisterhaften, schemenhaften Eindruck hinterlassen?

Oder ist das vielleicht ein grundsätzliches, inhärentes Problem der tief im kollektiven und individuellen Bewusstsein verankerten Weltbeschreibung, auf der die moderne, westliche und globale Wissenschafts- und Wirtschaftszivilisation basiert?

Große Bergbau Landschaft

Metaphysischer Materialismus

In dieser Weltbeschreibung haben gemessene Quantitäten absoluten Vorrang über wahrgenommene Qualitäten, mit der Folge einer kollektiven und individuellen kognitiven Dissonanz.

Denn die wissenschaftliche Beschreibung der lebendigen Welt nimmt das, was Sinne und Bewusstsein der menschlichen Wahrnehmung zeigen, zum Ausgangspunkt quantitativer Messungen, welche die Eigenschaften der wahrgenommenen Objekte erklären.

Die Welt, die wir als Menschen als eine der Stühle und Tische, Äpfel und Erdbeeren, von Hitze und Kälte, von Farben und Tönen erfahren, also eine Welt voller Qualitäten (auf/an Stühlen/Tischen bequem sitzen, Äpfel/Erdbeeren sauer/süß genießen, bei Hitze/Kälte schwitzen/frieren, gelbe Blumen sehen/ Bäche rauschen hören usw.) mutiert in der wissenschaftlichen Betrachtungsweise zu einer „un-wirklichen“ Welt der gemessenen Quantitäten: Tische/Stühle werden zu Abmessungen, Äpfel/Erdbeeren zu DNA-Sequenzen,  Hitze/Kälte zu Celsiusgraden, Farben/Töne zu elektromagnetischen Schwingungen.

Das Witzige dabei ist, dass sich die Wissenschaft gerne auf ihre Faktizität beruft, in Wahrheit jedoch „meta“-physisch ist, in einem abstrakten Jenseits der Messungen operiert.

Aus den mit den Sinnen wahrgenommenen physischen Objekten in der Natur macht der metaphysische Materialismus ein statistisch aufbereitetes und heute durch elektronische Intelligenz digital abgebildetes Mentalgebilde aus „Zahlen und Fakten“, das Materialität suggeriert, in Wahrheit jedoch nur ein Abbild ist, das sich dem körperlichen Sein und menschlichen Erleben entzieht und zudem eine artifizielle und scharf gezogene Trennlinie zwischen Subjekt und Objekt zieht.

DIE FLUT DER DATEN UND STATISTIKEN

Der Gipfel: Die Objekte dieser Messungen – die natürliche Umwelt, samt der Wesen (einschließlich uns Menschen), die sie bevölkern und alle Lebensqualitäten – werden zu einem Epiphänomen dieser Beschreibungen, zu Schimären, zu Fabelwesen. Gesundheit wird zum Produktivitätsfaktor; Krankheit zur Krankenhaus- oder Impfstatistik – bzw., je nach Sichtweise, zum Renditefaktor –, Bildung und Kreativität zum nationalen Bruttosozialproduktfaktor usw., Wälder zu Festmetern. Und die Umrechnung erfolgt in Geldwert.

Herauskommt: eine ungeheure Flut an Daten und Statistiken, die immer mehr an Informationsgehalt verlieren und immer weniger Orientierung und Handlungsanleitung für das menschliche Leben in der realen Welt bieten. Selbst die Künstlichen Intelligenzen, das neueste Wunderwerk des metaphysischen Materialismus, kennen sich darin nicht mehr aus, erfinden Dinge oder wissen nichts von Dingen, die der realen menschliche Kognition selbstverständlich sind.

Zudem stehen KIs und das von ihnen für die digital-metaphysische Beschreibung immer perfekter kopierte Datenabbild der Welt zunehmend vor einem Problem, der grundsätzlichen entropischen Desorientierung oder: leiden unter der Model Autophagy Disorder, MAD. Denn beim Trainieren von KI-Modellen mit Daten, die von KIs selbst generiert wurden, stellte sich heraus, dass dies zu einer „autophagischen“ (sich selbst verzehrenden) Schleife führt und die KIs „MAD“ (verrückt) wurden, sich buchstäblich „auflösten“ (z.B. hochauflösende Bilder zu Pixelrauschen wurden).

Die Autoren der Studie folgerten denn auch:

Unsere wichtigste Schlussfolgerung für alle Szenarien ist, dass künftige generative Modelle ohne genügend neue reale Daten in jeder Generation dazu verdammt sind, in ihrer Qualität oder Vielfalt immer weiter abzunehmen.“

Mit anderen Worten: Ohne die reale Welterfahrung, ohne ein Leben und Sterben, ohne originäres biologisches Bewusstsein/Erleben/Denken/Fühlen, das die digitale Matrix (wie im Film) immer wieder aufs Neue füttert, löst sich nicht nur dieses Trugbild auf, sondern auch dem biologischen Leben selbst wird der „negative entropische“ Impuls, wie es Erwin Schrödinger (der Quantenphysiker mit Katze) nannte, entzogen.

  • Mensch hält einen Globus in der Hand
  • Kind liest ein Buch "Where world ends"

Zerstörung der Biosphäre

In der „meta-physischen“ Statistik des Erdüberlastungstags – die aus oben genannten Gründen niemanden hinter dem Ofen hervorzulocken scheint – ist jedoch die gesamte Problematik unserer globalen Zivilisation auf einen Punkt gebracht: Diese zerstört die biologische Grundlage unserer physischen menschlichen Existenz, durch eine nicht nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen.

Das Ergebnis ist bekannt: Vergiftung und Zerstörung der überlebensnotwendigen biologischen Umwelt, Abnahme der Biodiversität/Artensterben, Unterbrechung der Wasserkreisläufe, Armut/Ausbeutung, Korruption usw. und, daraus folgt: Klimawandel.

Die Vorstellungswelt des globalen technisierten Materialismus hat durch beständige Selbstreferenzierung auf abstrakte ökonomische Statistiken und Zahlen einen ebenfalls (wie in seiner Ausgeburt der Künstlichen Intelligenz gespiegelt) sich selbst verzehrenden, heuschreckenartigen Prozess in Gang gesetzt.

Um die Dimensionen dieses Prozesses deutlich zu machen, traf sich gut, dass am diesjährigen 2. August 2023 das Fortune Magazine seine neue Liste der weltweit 500 größten Unternehmen bekannt gegeben hat, die jährlich zusammengerechnet 41 Billionen US-Dollar Umsatz machen und weltweit 70 Millionen Menschen beschäftigen.

Unter den Top 10 der Unternehmen auf der Liste finden sich drei Unternehmen, die natürliche Rohstoffe „umsonst“ aus der Erde extrahieren und als notorische Umweltsünder bekannt sind: Saudi Aramco, Exxon Mobil und Shell.

Bei deren wirtschaftlicher Tätigkeit spielt in den meisten Fällen ESG (Environment, Social, Governance), also die Berücksichtigung der Einwirkungen des Wirtschaftens auf Umwelt, soziale Verhältnisse und faire, transparente Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen eine eher untergeordnete Rolle.

Human Purpose Village Project

Vor diesem Hintergrund und in diesem Kontext ist die Projektidee eines Lebensraums für Menschen im Dorfmaßstab entstanden, in dem auf übersichtliche und nachvollziehbare Weise die realen Bedürfnisse des Menschen, seine Wahrnehmung und seine Erlebniswelt die zentrale Rolle spielen.

Das Kernelement des Human Purpose Village-Konzepts ist daher eine grundlegende Renaturierung der Biosphäre – durchaus unter Nutzung entsprechend angepasster Technik und Technologie (und auch KI-Systemen).

Im Rahmen des Human Purpose Village soll modellhaft auf der Metaebene sowohl der ontologischen Frage nach der Verortung und Integration der Menschheit in der Biosphäre und ihrer Seinsbestimmung im Evolutionsprozess auf dem Planeten nachgegangen werden als auch auf Objektebene Dörfer realisiert werden, in denen – je nach kulturellen und äußeren Umständen – den allermeisten konkreten menschlichen Lebensbedürfnissen im Einklang mit der Natur Rechnung getragen wird.

Die Überschrift Renaturierung besagt, dass es gilt, eine menschliche Betrachtungsweise und die genaue Beobachtung natürlicher Phänomene in der „Stühle- und Tische-Welt“ und deren symbiotische, oft rhythmische Beziehungen mit den Erkenntnissen der Wissenschaft, insbesondere der Systemwissenschaften Biologie und Ökologie in Abgleich zu bringen.

  • Sonnenuntergang vor der Silhouette einer Stadt
  • Modernes Haus

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Als der Architekt Mies van der Rohe gefragt wurde, was der Kern der klassischen Bauhaus-Philosophie sein, antwortete er: „Es gibt keine Kunst und kein Design. Es gibt nur eine Kultur, in der die Kunst und Design unterschiedliche Formen annehmen.“

Auf das Village-Projekt übertragen heißt das: „Dort gibt es eine Kultur, in der Design, Architektur, Infrastruktur, Kunst und die menschliche Gemeinschaft eine mit den Prozessen der Natur abgestimmte Beziehung eingehen und unterschiedliche natürliche Formen annehmen.“

Wenn im Bauhaus Kunst, Design und Handwerk in ein gemeinsames Konzept integriert und Funktionalität in reiner, einfacher Form mit hochwertigen Materialien sowie einer eher schmucklosen Farbgebung realisiert wurde, so folgt die Form im Human Purpose Village – sozusagen „im Baumhaus“ (das Wortspiel ist zu reizvoll, um es zu unterlassen) – den gewachsenen Vorgaben und den farbenprächtigen Angeboten der natürlichen Umwelt und macht sich die hochintelligenten, oft symbiotischen und kreislaufartigen Lösungen der Biosphäre zunutze.

Die Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet hat eine Vielzahl außerordentlich ästhetischer und praktikabler Lösungen hervorgebracht, von Myzelium-Dämmstoffen, Sandziegeln und multifunktionalen Recycling-Bauelementen bis zu neuartigen, resilienten Komplettbauten aus Naturstoffen wie Holz und Bambus und ausgetüftelten raumsparenden Behausungen im Goldenen Schnitt, die hervorragend gedämmt, gekühlt und beheizt werden können.

Blick von einem Baumhaus nach unten

Von der Bauhaus- zur Baumhauskultur

Die „Baumhaus“-Architektur und Infrastruktur richtet sich nach Prinzipien wie Permakultur, Rezyklierbarkeit, Langlebigkeit, Kompostierbarkeit, bio-systemische Funktionalität, Low Impact/Use u.a.m.

Bei der Anordnung und Positionierung von Wohngebäuden und Versorgungseinrichtungen berücksichtigt das Design und das Layout der Anlagen die geomantischen, biogeometrischen und energetischen Gegebenheiten der jeweiligen Standorte.

Das Human Village Project will eine Pionierfunktion übernehmen, ein unter verschiedensten Umständen replizierbares Modell sein – damit eines Tages kein Erdüberlastungtag mehr begangen und errechnet werden muss.

Fotos: Unsplash / Kalen Emsley, Rowan Freeman, Matthew de Livera, Moritz Kindler, Jordan McGee, Annie Spratt, Sergey Vinogradov

 

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