Algen for Future!
Das Berliner Startup Solaga arbeitet im Spannungsfeld zwischen Natur und Technik und hat „Alwe“ erfunden: ein sattgrünes Element, das mit Mikroalgenbiofilmen Schadstoffe aus der Raumluft filtert.
TEXT Antoinette Schmelter-Kaiser
Benjamin Herzog (RA/M.Sc.Biologie) und Johann Bauerfeind (M.Sc. Life Science Engineering) gründeten Solaga 2017. Heute arbeitet ein Team aus leidenschaftlich und visionär Forschenden und Gestaltenden an nachhaltigen Lösungen gegen Luftverschmutzung.
Jedes Exemplar von „Alwe“ ist ein Unikat
Hauptbestandteil des sattgrünen Wandelements ist ein natürlicher Biofilm aus Mikroalgen, der bei jedem etwas anders aussieht. Aber immer ist er in der Lage, gesundheitsgefährdende Schadstoffe wie Stickoxide, Feinstaub und Chemikalien aus der vorbeiströmenden Luft herauszufiltern und abzubauen; außerdem verwandelt er per Photosynthese CO2 effizienter und schneller als andere Pflanzen CO2 in Sauerstoff. Alles, was Alwe dazu braucht, ist Feuchtigkeit aus einem kleinen Wassertank auf der Rückseite des Rahmens.
Praktischerweise können die verwendeten Mikroalgen von Natur aus unter schwierigen Lichtbedingungen – also auch in Innenräumen – überleben. Deshalb ist der Name „Alwe“ aus der Abkürzung von “Algenwand” und dem englischen Wort “to awe” zusammengesetzt, das Staunen und Bewundern ausdrückt.
Algengarten für die Wand
Käufer eines „Alwe“-Unikats haben ihren 50 mal 50 Zentimeter großen „Garten für die Wand“ an den Wänden von Arztpraxen, Büros oder privaten Wohn- und Schlafzimmern aufgehängt. Dort sorgt er mit minimalistischem Design platzsparend für wohltuendes Raumklima und funktioniert im Unterschied zu konventionellen Luftfiltern ohne Strom und Geräusche.
Für diese clevere Kombination wurde „Alwe“ für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design 2021 nominiert – eine begehrte Auszeichnung in der Gestaltungs-Branche. Algen als Luftreiniger können aber auch der Allgemeinheit zu Gute kommen: Zwei Meter hoch, 1,20 Meter breit und 80 Zentimetern tief soll der Prototyp eines „urbanen Biofilters“ an Straßenkreuzungen oder Bushaltestellen für saubere Luft sorgen. 50 Prozent der Arbeit bei Solaga bestehen daraus, nach weiteren Applikationen für Algen zu forschen. Dabei profitiert das Startup von vielen eigenen Erfahrungen und „Learning by doing“.
Algen haben Superkräfte
Der „Vollblut-Biotechnologe“ Johann Bauerfeind lernte als Life Science Engineering-Student Benjamin Herzog kennen, der nach seinem Jura-Studium einen Master in Molecular Life Science machte. Das war im Jahr 2015 an der Technischen Universität Berlin in einer Forschungsgruppe, die das Ziel hatte, im Rahmen eines Wettbewerbs gentechnisch veränderte Mikroorganismen zum Abbau von Mikroplastik zu nutzen. Anschließend fokussierten sich die beiden in ihrem ersten eigenen Projekt auf den Versuch, mit Hilfe von Cyanobakterien Biogas herzustellen.
Ebenso faszinierend fanden Bauernfeind und Herzog die Eigenschaft des natürlichen Materials, Luftschadstoffe aufzunehmen und abzubauen. Auch mit Unterstützung von Innoenergy, einem der größten Clean-Tech-Investoren Europas, und einer Crowdfunding-Kampagne gelang die Gründung des Startups Solaga.
Als nächster Schritt folgten die Entwicklung und weltweit erste Kultivierung standardisierter Mikroalgenbiofilme. Denn als Verbund wachsen Algen mit weniger Energieaufwand und sind widerstandfähiger.
Zwei Visionäre, ein Ziel
„Die Herausforderung war, einen Laborprozess zu skalieren und in einen rentablen Produktionsmaßstab zu bringen“, blickt Johann Bauerfeind auf einen Weg mit „Ups and Downs“ zurück. Mittlerweile sei eine Kapazität von sechs Quadratmetern Algenfilm pro Monat erreicht, die auf der Algenfarm von Solaga in Berlin Adlershof kultiviert werden; die Algen sind „maßgeschneidert“ und stammen zum größten Teil aus eigener Züchtung, zum anderen aus Stammdatenbanken. Herstellen würde Solaga gerne die zwanzigfache Menge. Am jetzigen Standort ist das Startup aber schon in einer Sackgasse. „Unsere Räume reichen nicht aus, um im größeren Maßstab produzieren zu können“, stellt Johann Bauerfeind fest.
„Mehr Platz in Berlin wäre zu teuer. Deshalb denken wir über einen Umzug in die neuen Bundesländer oder ins Berliner Umland nach. Wir hoffen, dass es dort durch den Strukturwandel im Osten zukünftig mehr Unterstützung für junge Biotechnologie-Firmen geben wird. Mehrere durch gezielte Clusterbildung an einem Expertenstandort zusammen zu bringen, würde Sinn machen.“ Das übrige Team – Mitgründer und CEO Benjamin Herzog, vier feste Mitarbeiter und vier Helfer – wäre mit von der Partie.
„Wir sind alle Überzeugungstäter“, freut sich Johann Bauerfeind. „Uns verbindet die gleiche Vision, Algen auf verschiedene Weise für den Menschen nutzbar zu machen. Für uns ist das eine sehr sinnstiftende Aufgabe.“
Die Welt gesünder und sauberer machen
Gerne würde Johann Bauerfeind ganze Tage im Labor verbringen. Doch dafür bleibt dem CTO (Chief Technical Officer) von Solaga selten Zeit. Stattdessen kümmert er sich um Management, Marketing und Vertrieb oder knüpft Kontakte – lauter Notwendigkeiten, um das Startup weiter wachsen zu lassen.
Für den nötigen finanziellen Anschub hat Johann Bauerfeind in den letzten Jahren auch gelernt, sich um Mittelbeschaffung zu kümmern – egal ob mit Hilfe eines EXIST-Gründerstipendiums des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Stiftungen, Sponsoren, strategischen Partnerschaften, Bankkrediten, Schwarmfinanzierung oder anderen Fundraising-Ideen.
Die große Kraft der Mikroorganismen
„Marketing gehörte schon bei dem Wettbewerb mit dazu, bei dem ich Benjamin vor sechs Jahren kennengelernt habe. Als Teamleiter musste ich an viele Türen klopfen, um Gelder zu beschaffen und total interdisziplinär unterschiedlichste Leute mit ins Boot zu holen“, resümiert Johann Bauerfeind. Der Spaß daran, sich im Spannungsfeld von Natur und Technik zu engagieren, ist ihm geblieben.
„Mich fasziniert nach wie vor, welche unentdeckten Fähigkeiten in der Natur und insbesondere Mikroorganismen schlummern“, begeistert er sich. „Mit unserem nachhaltigen Geschäftsmodell möchte ich mit Solaga einen kleinen Teil im Puzzle beitragen, damit die Welt gesünder und sauberer wird. Da kann noch viel passieren.“
Fotos: Solaga, HTW Berlin, Eric Kemnitz