Blick von oben auf einem Mann auf einer Wendeltreppe.

PURPOSE AT ITS BEST: GEMEINWOHL MIT PROFITABILITÄT

„Corporate Purpose” muss der Kern einer ganzheitlichen Unternehmensstrategie werden, wenn er für Unternehmen und Gesellschaft Vorteile bringen soll.

Text Annette Bruce

Schwarz-Weiß-Bild von Dr. Annette Bruce.

Dr. Annette Bruce ist Geschäftsführerin der Unternehmensberatung und Marketing Agentur Creative Advantage, Expertin für nachhaltige Unternehmensentwicklung und Host des Podcasts: „Talking Purpose – Wirtschaft neu denken“.

Wir erleben zurzeit vielleicht den größten Wandel in den Grundwerten des Geschäftslebens seit vielen Jahrzehnten. Reines Profitstreben stellt für nachwachsende Generationen, aber auch für Kunden und Kaufentscheider immer häufiger keine ausreichende Daseinsberechtigung für Unternehmen dar.

Anspruchsgruppen erwarten von Marken und Unternehmen, dass sie die bedeutenden Themen unserer Zeit wie den Klimawandel, Nachhaltigkeit oder soziale Gerechtigkeit im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit adressieren und ihr Handeln entsprechend ausrichten.

Als der renommierte Harvard-Professor Michael Porter und sein Kollege Mark Kramer in ihrem Artikel „Creating Shared Value” im Harvard Business Review 2011 darstellten, dass sich der Kapitalismus in einer Krise befindet, merkte die Welt auf. Dies insbesondere, da Porter wie kein anderer Professor, Forscher und Berater für die Wettbewerbsdynamiken des Kapitalismus steht. Porters und Kramers Lösung für das Problem bestand in der Entwicklung von „Shared Value“ oder auch Corporate Purpose – der Verbindung von ökonomischer Wertschaffung und Förderung des Gemeinwohls.

Das folgende Zitat verdeutlicht ihr Verständnis für eine Weiterentwicklung des Kapitalismus: „Not all profit is equal. Profits involving a social purpose represent a higher form of capitalism, one that creates a positive cycle of company and community prosperity.“

  • Mehrere Personen fassen sich an den Händen und heben die Arme in die Luft.
  • Aus Holz geschnitztes Schweinchen.

Unternehmen mit Corporate Purpose entwickeln sich besser

Heute, zehn Jahre später, zeigen erste Studien, dass Unternehmen mit Corporate Purpose sich besser entwickeln als ihre vergleichbaren Wettbewerber. Unternehmen mit Purpose sind innovativer, produktiver, rekrutieren und halten die besseren Talente und überflügeln die Börsenwerte vergleichbarer Unternehmen. Dabei wirtschaften sie nachhaltiger und haben einen positiven sozialen oder ökologischen Einfluss und stärken das Ökosystem, von dem sie abhängen.

Dementsprechend ist es nicht überraschend, dass sich viele Unternehmen heute ein gut klingendes Statement ausdenken und dieses zu ihrem Corporate Purpose deklarieren, um von den Vorteilen zu profitieren. In der Regel drücken Unternehmen dabei in einem empathischen Statement aus, in welcher Art und Weise sie dazu beitragen wollen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das Problem dabei ist, dass es sich bei diesen Statements häufig sehr viel mehr um einen kommunikationswirksamen Marketing-Claim handelt als um einen ernstzunehmenden Corporate Purpose. Porters und Kramers Aufruf nach einem „fundamental re-framing on how we do business” kommt bei näherem Hinsehen zu kurz.

Aber ohne das von Porter und Kramer geforderte grundsätzliche Umdenken in Bezug auf die Wirkweise des Kapitalismus bleiben Purpose-Statements letztlich nur Statements. Was fehlt, ist das Neu-Denken und konsequente Umsetzen eines Wirtschaftens, das nicht durch Geldgeschenke wieder versucht gut zu machen, was im Vorfeld als „Kosten des Wirtschaftens“ als Schaden entstanden ist.

Denn Corporate Purpose braucht sehr viel mehr als gute Absichten. Corporate Purpose braucht ein hohes Verantwortungsbewusstsein Aller gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt und damit ein deutlich erweitertes Verständnis nachhaltigen Wirtschaftens als es heute üblicherweise gelebt wird.

INTEGRATION IN DIE WERTSCHÖPFUNG OBLIGATORISCH

Wichtig für den Erfolgsbeitrag von Corporate Purpose ist die direkte Verbindung von unternehmerischer Wertschöpfung und Gemeinwohl. Über die Verankerung von Purpose in die Wertschöpfungskette (oder in Zukunft möglichst in den Wertschöpfungskreislauf) und in das Geschäftsmodell kommen erst die businessrelevanten Vorteile des Konzeptes zum Tragen, die erfolgreiche Unternehmensentscheider überhaupt dazu veranlassen können, sich auf einen solchen Paradigmenwechsel einzulassen.

Wirtschaft und Gesellschaft unterliegen starken Abhängigkeiten. Unternehmen benötigen eine erfolgreiche Gesellschaft nicht nur als Absatzkanal, sondern auch für das entsprechende Umfeld, aus dem sie auf Ressourcen wie Arbeitskräfte, Zulieferer oder auch Kooperationspartner zurückgreifen können. Die Gesellschaft wiederum braucht erfolgreiche Unternehmen, die attraktive Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und damit die Grundvoraussetzung für sozialen Wohlstand schaffen.

Die alte – aus Sicht von Porter und Kramer zu eng gedachte – Welt des Kapitalismus akzeptiert als ausreichenden Unternehmensbeitrag, dass Unternehmen die Verantwortung tragen für Beschäftigung, Löhne und Gehälter sowie für Investitionen und Steuern. Wirtschaften mit Ziel des Shareholder Values an sich reicht als Existenzberechtigung für ein Unternehmen. Ein Beitrag zur Gesellschaft und zum Gemeinwohl wird darüber hinaus nicht erwartet.

Unternehmen fokussieren seit Jahrzehnten darauf einen Wettbewerbsvorteil zu erringen, indem sie Kunden und Konsumenten die besten Produkte zu attraktiven Preisen in der gewünschten Qualität zur Verfügung zu stellen. Dabei haben sie häufig Möglichkeiten übersehen, ihre Wertschöpfung so aufzustellen, dass sie gleichzeitig einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten konnten.

Der Blick auf die Wertschöpfung war schlicht zu eng.

Frau mit Tablet an Schreibtisch mit vielen Pflanzen.

STARKE MARKEN AUF BASIS VON CORPORATE PURPOSE

Immer mehr Unternehmen und Marken setzen einen solchen Paradigmenwechsel in die Tat um –  unterschiedlich schnell, unterschiedlich konsequent. Social Business Gründungen wie Lemonaid oder Viva con Agua haben es in diesem Sinne einfacher, da sie sich von Anfang an purpose-orientiert ausrichten können.

Für etablierte Marken ist der Weg das Ziel. Denn dies wird von der großen Mehrheit an Stakeholdern honoriert, da den meisten klar ist, dass effektive Veränderungen in den seltensten Fällen von heute auf morgen zu realisieren sind.

Auch die deutsche Outdoor-Marke VAUDE hat ihre erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategie erst 2009 intensiviert – 35 Jahre nach Unternehmensgründung. Das Ziel der Strategie lautete, Europas nachhaltigster Outdoor-Ausrüster zu werden. Im Gespräch zur Recherche unseres aktuellen Buches „Corporate Purpose – das Erfolgskonzept der Zukunft“ berichtete mir Geschäftsführerin Dr. Antje von Dewitz von den verschiedenen Nutzendimensionen, die die Umsetzung der Strategie mit sich bringt.

Die Marke hat sich selbst sehr hohe Standards zur ressourcenschonenden Herstellung seiner Textilien gesetzt, um die Externalitäten – die in der Textilindustrie sehr hoch sind – so weit wie möglich zu reduzieren. Neben dieser Förderung des Gemeinwohls stimmen auch die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. VAUDE wächst in den letzten Jahren über dem Marktdurchschnitt und gewinnt kontinuierlich Neukunden. Daneben ist VAUDE auch als Arbeitgeber attraktiv, weist eine geringe Personalfluktuation auf und hat – trotz eines dezentralen Firmenstandortes – keine Probleme Fachkräfte für sich zu gewinnen.

Das Beispiel VAUDE zeigt deutlich, dass sich für Unternehmen, die ihren Erfolg mit einem sozialen und gesellschaftlichen Beitrag verbinden, häufig neue Ideen für bahnbrechende Innovationen, die Erschließung neuer Märkte oder neuer Zielgruppen sowie Einsparpotentiale ergeben, die ohne die Definition des Corporate Purpose unentdeckt geblieben wären.

JEDE MARKE KANN DEN ERSTEN SCHRITT MACHEN

Vor diesen zugegebenermaßen harten Konsequenzen schrecken viele Unternehmensentscheider zurück. Oft ist Marketing innerhalb des Unternehmens auch nicht so stark aufgestellt, dass es so weitreichende Entscheidungen treffen kann. Viele Entscheider haben zudem Angst davor, dass gerade mit der Kommunikation eines Purpose „herauskommt“, dass sie in vielen anderen Bereichen durchaus noch offene Flanken haben.

Doch in Sachen Purpose ist man nicht gezwungen, nach Perfektion und Unfehlbarkeit zu streben. Der Weg ist das Ziel. Aus unserer Sicht ist es wichtiger, dass viele Unternehmen sich auf den Weg machen und kleine (und gerne wachsende) Beiträge zum Gemeinwohl leisten, als dass ein schwindend geringer Teil perfekte 100 Prozent realisiert.

Wir sollten großzügig sein, mit denen, die versuchen, Wirtschaft neu zu denken und die Erfolge mit ihnen feiern, anstatt vielen den Weg dorthin grundsätzlich abzusprechen. Auch VAUDE ging seinen Weg schrittweise – mit hoher Konsequenz.

BRAVE HEART: WER WAGT, GEWINNT

Es braucht Mut, Entschlossenheit und visionäres Denken, um sich mit Corporate Purpose auseinanderzusetzen. Die Abkürzung über Purpose als Kommunikationsidee wird über kurz oder lang scheitern und nicht den gewünschten Erfolg bringen.

Wer aber sein Unternehmen als integralen Bestandteil einer funktionierenden Gesellschaft verstehen kann, hat alle Chancen, über das Konstrukt Corporate Purpose die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern.

Denn am Ende des Tages stellt sich nicht so sehr die Frage, ob es sich lohnt, in Purpose zu investieren, sondern wer es sich überhaupt noch leisten kann, ohne Purpose am Markt zu agieren.

Fotos: iStock, Unsplash / Brooke Lark, Danist Soh

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