Gesicht einer steinernen Statue.

Denkmalpflege und die Zeit

Ein kleiner Gang durch die Historie, ein Blick auf Sinn volles und nicht Notwendiges, auf die Geschichte und was sie für uns heute bedeutet. „Regen wir uns nicht auf, geschichtlich gesehen wird alles gut,“ sagt Mathias Pfeil.

Schwarz-Weiß-Portrait von Prof. Dr. Mathias Pfeil.

Prof. Dr. Mathias Pfeil ist Architekt, Honorarprofessor an der TU München und seit 2014 Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege.

Was sind „Denkmäler“?

Denkmalpflege ist nicht zwingend notwendig. Zum Überleben braucht es sie nicht. Zwar gibt es in allen deutschen Bundesländern und in fast allen europäischen Ländern Gesetzte, wie man Denkmäler zu behandeln hat, aber schon die Begriffe „Denkmal“ oder „Denkmalpflege“ werden sehr unterschiedlich gesehen.

So bezeichnet das Bayerische Denkmalschutzgesetz Denkmäler als von „von Menschen geschaffene Sachen aus vergangener Zeit“ und schließt damit eindeutig Naturdenkmäler sowie prähistorische oder anthropologische Funde aus. Es müssen „Sachen“ sein, die von Menschenhand gefertigt worden sind.

„Sachen“ aus unserer Kulturgeschichte

Und diese „Sachen“ haben es in sich. In der Bau- und Kunstdenkmalpflege überblicken wir einen zeitlichen Horizont von ca. 100 bis maximal 1500 Jahren, älter sind die klassischen Denkmäler nur selten, egal ob Gebäude, bildhafte Darstellungen oder Schriften.

In der Bodendenkmalpflege allerdings, reicht der Zeitraum noch wesentlich weiter in die Vergangenheit zurück. Bis zu 100.000 Jahren sind dann möglich. Und nur daraus, aus den archäologischen Funden, lässt sich unsere Vergangenheit rekonstruieren, Archäologie beinhaltet die Primärquellen der Menschheitsgeschichte und wenn ich über Zeit rede, dann gerne über Archäologie.

Braucht man Denkmäler?

Denkmalpflege ist nicht zwingend nötig. In der Welt nicht und auch nicht in Europa. Über das Bedürfnis „Altes zu bewahren“ ist man sich nicht einig. So gibt es viele Staaten, die über keine rechtlichen Bestimmungen zum Schutz von Denkmälern verfügen und auch der Begriff „Denkmalpflege“ wird nicht überall gleich verstanden. Manchmal verfügt er über keine, oder nur über eine recht geringe Wertschätzung. Verständlich ist dies bei Ländern, die noch im Aufbruch sind, warum auch soll man alte Sachen schützen, sie bewahren und vielleicht sogar mit großem Aufwand wieder erneuern?

  • Drei Hammer auf steinigem Untergrund.
  • Ägyptische Statue.

Lieber neue alte Tempel?

Wozu braucht man ein Gesetz, das Eigentümer dazu verpflichtet, ihre oft heruntergekommenen Häuser unter großem Aufwand zu sanieren? Ja natürlich, solche Fragen muss man beantworten können und auch die in Deutschland übliche, „substanzbezogene“ Denkmalpflege ist keine Selbstverständlichkeit.

Bei uns in Mitteleuropa heißt Denkmalpflege, dass der Erhalt der „originalen Bauteile“ das Ziel ist, gleichsam wie ein „authentisches Zeugnis“. Dieses Verständnis ist historisch bedingt und ein typisch mitteleuropäisches Phänomen, das vor allem im deutschen Sprachraum üblich ist. Schon in Italien, Frankreich oder in Griechenland versteht man Denkmalpflege anders. Da bastelt man sich auch schon mal gerne aus alten Bauteilen wieder einen neuen Tempel, und freut sich über den so gewonnenen „neuen Zustand!“

Denkschmalschutz in Deutschland

Auch haben profane Zeugnisse eine oft ungewisse Zukunft, wenn sie denn überhaupt eine haben. Vor allem in Deutschland ist dies anders, hier gilt auch der historische Bundwerkstadel etwas. Und in Bayern haben die Verfassungsväter bereits kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, im Jahre 1946, in ihrem Artikel 141 der Verfassung den Schutz von Denkmälern zum Verfassungsziel gemacht. 1973 kam dann sogar noch ein eigenes Denkmalschutzgesetz hinzu, das als erstes in Deutschland diesem Ziel eine rechtliche Grundlage gegeben hat.

Also hat in Bayern der Denkmalschutz Verfassungsrang und verfügt über ein eigenes Gesetz, obwohl er – zum Überleben – eigentlich gar nicht notwendig ist. Das war vor einigen Jahrzehnten und wie sehen wir das heute?

Denkmalpflege mit Blick über die Zeiten

Zugegeben, als Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege bin ich vielleicht nicht ganz objektiv, aber ich war auch mal ein ganz normaler Mensch und versuche mir diesen Zustand weiter zu bewahren.

Denkmalschutz „bewahrt die Zeit“ und lässt uns Blicke in eine Vergangenheit werfen, die aktuelle Modeerscheinungen relativiert. Das ist wertvoll, durch den Erhalt des Vergangenen verstehen wir unser Jetzt besser. Durch Blicke in eine kürzer, oder länger zurückliegende Vergangenheit können wir sehen, was von Bedeutung war und deshalb erhalten geblieben ist.

Wir können erkennen, woher wir kommen, welche Ideen unsere Vorfahren bewegt haben. Auf einer solchen Basis haben wir heute die Möglichkeit, Blicke in die Zukunft zu werfen um zu sehen, wie dieses Erbe weiterentwickelt werden könnte. Das ist natürlich kein Blick in die Glaskugel, aber – wie gesagt – hier geht es um einen Zeitraum von immerhin 100.000 Jahren.

Antike Landkarten.

Fenster in unsere Geschichte

Sicher, von der Denkmalausweisung betroffene Grund- oder Gebäudeeigentümer mögen über die damit verbundenen Einschränkungen vielleicht nicht immer begeistert sein, so zum Beispiel, wenn ein Bodendenkmal unter Auflagen ergraben werden muss und der Eigentümer gesetzlich verpflichtet wird, dafür einige Tausend Euro auszugeben.
Aber dadurch öffnen sich auch immer wieder faszinierende Fenster zur Geschichte, die uns in unsere Vergangenheit blicken lassen, die ohne solche Erkenntnisse für immer verschlossen bleiben würden.

Welche archäologischen Funde der letzten Zeit faszinieren mich am meisten?

Da gibt es mehrere, auch wenn ich als bayerischer Generalkonservator eben nur „den bayerischen Blick“ habe, es ist aber deutschlandweit nicht viel anders. So hat mich ein Reiterkriegergrab in schwäbischen Vöhringen besonders fasziniert, dort wurden bei Ausgrabungen zwei bis zu 20 m im Durchmesser große kreisrunde Grabanlagen entdeckt, in denen immer wieder über mehrere Generationen hinweg Menschen bestattet wurden. Daraus kann man viel darüber lernen, wie unsere Vorfahren damals geehrt und gewürdigt wurden und daraus lassen sich auch Rückschlüsse auf deren tägliches Leben ziehen.

Eine junge Frau aus dem 5. Jahrhundert

Dann haben wir zum Beispiel an anderer Stelle, in der Nähe von Regensburg, das Skelett einer jungen Frau aus dem 5. Jahrhundert gefunden; sie war groß, blond, etwa 20 Jahre alt und reich geschmückt. Anhand der Grabbeigaben lässt sich vermuten, dass es sich bei ihr wohl um eine christliche Priesterin gehandelt haben muss – das ist sensationell! So etwas findet man nirgendwo anders als im Boden. Durch solche Funde schreiben wir Geschichte jedes Jahr neu fort.

Weitere besondere Entdeckungen waren der etwa zweieinhalb Meter lange Stoßzahn eines Mammuts in Riekhofen in der Oberpfalz – ziemlich cool. Jetzt ist der natürlich streng genommen kein Denkmal, denn das bayerische Gesetz spricht von Menschen gemachte Sachen. Dennoch wurde er im Zuge einer bodendenkmalrechtlichen Rettungsgrabung gefunden und gibt und wichtige Aufschlüsse über die damalige Zeit, zu der natürlich schon Menschen gelebt hatten.

Detektivisch auf den Spuren der Nomaden

Ein anderes faszinierendes Beispiel: wir fanden einen historischen offenen Lagerplatz in Kirchham, der wohl 20 000 Jahre alt ist und damit der älteste, den wir bei uns kennen. Offener Lagerplatz heißt eine Siedlung von Nomaden, im Gegensatz zu Höhlenbewohnern oder in Dörfern sesshaft gewordener Menschen.

Das war also zu einer Zeit, noch weit vor der Sesshaftwerdung unserer Vorfahren und da merkt man erst mal, wie relativ Zeit eigentlich ist. Man sieht dort noch die Löcher im Boden für die Pfosten, an denen die Zelte befestigt waren. Da ist detektivisches Arbeiten gefragt, um mehr über diese Zeit herauszufinden.

Auch die Baudenkmalpflege zeigt uns Bedeutendes aus der Vergangenheit

Natürlich erkennen wir Denkmäler zunächst am gebauten Bestand, also an Gebäuden. Da haben wir vor allem Ritterburgen, römische Tempel und vielleicht auch alte Fachwerkhäuser im Gedächtnis.

Aber echte „Zeitreisen“ sind vor allem mit der Archäologie möglich, denn gebaute Denkmäler sind selten älter als tausend Jahre. Besondere Denkmäler finden wir aber natürlich nicht nur im Boden, sondern – wie erst kürzlich – auch an Gebäuden. Im Zuge einer Restaurierung haben wir zum Beispiel im Augsburger Dom einen kunsthistorischen Schatz entdeckt: 1000 Jahre alte Wandmalereien zum Leben und Sterben Johannes des Täufers. Umwerfend, das sind die Höhepunkte unserer Arbeit.

Macht es Sinn nach Schätzen zu graben?

Schätze zu finden ist zunächst einmal kein Ziel der Denkmalpflege und das ist auch nicht wirklich planbar. Man kann den Zufall eingrenzen, mehr aber auch nicht. Und natürlich kündigen wir als staatliche Denkmalpfleger nicht groß an, wo die nächste Grabung ansteht. Sonst hat man sofort Sondengänger auf der Matte, die schauen, ob für sie etwas zu holen ist.

Sondengänger sind tatsächlich ein Problem für den Denkmalschutz. Auch wenn ich den Wunsch zur Erkundung verstehen kann, wird durch Sondengänger häufig elementares Wissen zerstört. Alles, was man nicht sehen kann, ist natürlich faszinierend. Aber bevor man mit der Sonde loszieht, muss man sich informieren und wissen: Wenn man etwas findet, gehört es auf jeden Fall zur Hälfte dem Grundbesitzer. Und wer tatsächlich etwas Besonderes findet, zerstört dabei möglicherweise Wissen.

Das hat uns zum Beispiel beim Sonden-Fund der „Enigma“-Chiffriermaschine in Aying geärgert. Wir wissen bis heute nicht, was da vielleicht noch im Boden gelegen hat – oft verraten die Fundumstände genauso viel wie der Fund selbst.

Der Schutz von Gebäuden

Zum Denkmalschutz gehört nicht nur die Grabung im Boden, sondern auch der Schutz historischer Gebäude – und der sorgt immer wieder auch für Streit. Wenn wir gut erklären und gelungene Beispiele geben, klappt das in der Regel sehr gut. Gewisse Fördermittel schaden natürlich auch nicht.

Ein Beispiel ist der Schnitzer-Stadl in Bernbeuren; der steht auf der Denkmalliste. Es gab ein Bürgerbegehren für den Abriss des Gebäudes, um dort einen Supermarkt hinzustellen. Jetzt haben wir gemeinsam mit der Gemeinde ein kommunales Denkmalkonzept auf den Weg gebracht, um den Einzelhandel in das Gebäude zu integrieren. Wenn so etwas gelingt, macht mir das besonders viel Freude.

Die Würdigung neuer Denkmäler

Es gibt natürlich auch „neue Denkmäler“, aber allzu nah an unsere Zeit dürfen sie dennoch nicht heranrücken. In der Bodendenkmalpflege kann man das ausschließen, aber auch bei der Baudenkmalpflege sprechen wir von einem Abstand von mindestens einer Generation.

Zuletzt wurden mehrere historische Bauten auf der Zugspitze oder das Passionsspielhaus in Oberammergau unter Denkmalschutz gestellt. Und gerade Gebäude wie etwa die historische Wetterwarte von 1900 auf der Zugspitze sind in der Bevölkerung als „etwas Besonderes“ anerkannt und es besteht aktuell auch keine Gefahr, dass sie abgerissen werden. Hier geht es also weniger um den Schutz der Bauwerke, sondern um eine Würdigung.

Pro Monat kommen 20 neue dazu …

In Bayern stehen etwa 110 000 Bau- und ca. 50.000 Bodendenkmäler auf der Liste, pro Monat kommen etwa 20 neue dazu. Es fallen aber auch ungefähr genauso viele Denkmäler wieder weg, etwa wenn so viel an einem Gebäude verändert wurde, dass der Denkmalcharakter verloren gegangen ist. Natürlich ist das dann schade. Aber das muss man professionell sehen. Wenn man sich ständig ärgert, hat man ja auch keinen Spaß im Leben. Ich schlafe deswegen nicht schlechter.

… und weniger relevantes verschwindet

Und wenn man sich mit Zeugen menschlicher Geschichte aus 100.000 Jahren beschäftigt, dann werden Streitereien der heutigen Zeit weniger relevant: architekturkritische Diskussionen verlieren viel von ihrer Bedeutung. Eitelkeiten werden bloßgestellt als das, was sie sind. Im geschichtlichen Kontext sind es unerhebliche, aber immer wiederkehrende Nebensächlichkeiten, deren Wert durch die wahre Bedeutung „erkannter Denkmäler“ verschwindet.

Der Blick über die Zeiten beruhigt und relativiert Vieles.

Fotos: iStock, Unsplash / Andreas Haslinger, Andrew Neel, Daniel Tong

Sie möchten nichts mehr verpassen? Hier erhalten Sie spannende Nachrichten zu Finanzen und vielen weiteren Themen.