Bild eines Fernrohrs

DIE ÜBERBEWERTUNG DES „MORGEN“

Leben entsteht beim Gehen, aber wie kommen wir zu den „richtigen“ Entscheidungen, einem energiegeladenen Flow und in eine wünschenswerte Zukunft? Wie der Blick auf das Übermorgen das Heute verändert.

Text Carsten Fuchs

Porträt des Autors von „Überbewertung des Morgen“

Carsten Fuchs, Gründer und Inhaber der Fuchs von Morgen GmbH, war viele Jahre in der Geschäftsführung einer großen Agentur. Heute ist er Zukunftsberater, Aufsichtsrat einer AG, Beirat in Stiftungen und Organisationen und lehrt an zwei Uni­versitäten.

Viele von uns haben gelernt, dass es wichtig ist, sich einen Plan für morgen zu machen – auch ich habe diese Erfahrung gemacht. Was kommt auf deine To Do-Liste, was willst du erledigen? Das wird dann abgearbeitet, damit wieder neue Punkte ergänzt werden können. Und so geht es weiter und weiter.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass für viele das Heute nur eine Wiederholung des Gestern, und das Morgen eine Wiederholung des Heute ist. Schritt für Schritt nach vorne. Das funktioniert und ich möchte nicht sagen, dass diese Vorgehensweise falsch ist.

EIN LEICHTERES LEBEN

Für mich kam mein persönliches ‚Aha-Erlebnis‘ im Anschluss an eine große Lebenskrise. Als ich beruflich mit Volldampf vor die Wand gefahren bin, war mir klar, dass es jetzt nur zwei Möglichkeiten gibt: entweder Kopf in den Sand stecken und weitermachen wie bisher oder alle Regler auf Null stellen und wieder ganz von vorne beginnen.

Es folgten intensive Jahre im Bereich Persönlichkeitsentwicklung. Die Arbeit in der Agentur, die ich mitgeleitet habe, hat sich dadurch zunehmend verändert: Die Frage nach dem „Wozu macht ihr das?“ „Was macht ihr eigentlich?“ und „Wo wollt ihr mit dem hin, was ihr tut?“ bestimmten mehr und mehr die Dialoge mit den Unternehmen, die ich beraten durfte. Sowohl im eigenen als auch im Berufsleben wurde mir immer bewusster: Sind diese Fragen beantwortet, wird alles im Leben leichter – es entsteht das, was wir uns alle wünschen: der Flow. Ein leichteres Leben mit Freude und Sinn.

Fasziniert von dieser Erfahrung machte ich mich auf den Weg herauszufinden, wie einzelne Menschen und Gruppen (beispielsweise Teams oder Unternehmen) dabei unterstützt werden können, diese Fragen zu beantworten. Denn das, was auf den ersten Blick so einleuchtend und logisch daherkommt, scheint doch in der Praxis für viele schwer umsetzbar: Die Zukunft so zu gestalten, dass sie zu der Zukunft wird, die man sich wünscht! Denn:

DIE ZUKUNFT IST NICHT FERTIG

Dafür gibt es meines Erachtens drei zentrale Gründe:

1. Die Vorstellung, dass alles vorstellbar ist, fällt uns schwer
Die wenigsten von uns sind mit dem Gedanken aufgewachsen: Alles, was du dir für dein Leben vorstellen kannst, ist möglich. Vielmehr wurden uns schnell die Grenzen des Daseins aufgezeigt:

„Wer hoch steigt, kann tief fallen.“
„Das Leben ist kein Wunschkonzert!“
„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“

Diese und andere Überzeugungen prägen unser Leben mehr als uns lieb ist. Sie engen unseren Denkraum ein und lassen uns manche Träume gar nicht erst denken.

Wenn es jedoch stimmt, dass die Grenzen unseres Denkens die einzigen Grenzen unserer Welt sind, dann kommt es darauf an, ob es gelingt, die eigenen Überzeugungen zu überwinden und Neues zuzulassen.

Ich bin der Überzeugung, dass die Zukunft nicht fertig ist – sie entsteht durch unser Denken und unsere Überzeugungen. Wenn das stimmt, dann ist für übermorgen alles denkbar, was du dir vorstellen kannst und wofür du dich entscheidest.

Womit wir beim Thema „Entscheidungen“ wären … dem zweiten Grund, der im Weg steht:

2. Wir versuchen stets, die „richtige“ Entscheidung zu treffen
Vielerorts wird von einer „offenen Fehlerkultur“ gesprochen. Ist das wirklich gewollt? Und erlaubt? Gestehen wir uns denn selbst zu, Fehler zu machen? Wenn ich mir das (Berufs)leben anschaue, dann entdecke ich (auch bei mir) ein ewiges Streben nach Fehlervermeidung.

Nein, wir wollen keine Fehler machen. Wir wollen uns keine blutige Nase holen, in eine Sackgasse laufen oder nochmals von vorne anfangen. Fehler zu machen, heißt zu scheitern. Und das ist bei uns noch lange nicht akzeptiert. Die Folge: Wir versuchen alles, um uns nur nicht „falsch“ zu entscheiden. Wie viele Diskussionen habe ich schon erleben müssen, die ausschließlich das Thema „Fehlervermeidung“ zum Inhalt hatten.

Und so suchen wir ständig nach „der richtigen Entscheidung“ – auch im Hinblick auf unsere Zukunft. Welche Ausbildung, welches Studium, welche/r Partner/in, welcher Karriereschritt, welcher Titel auf der Visitenkarte, welches Projekt, welcher Entwicklungsschritt … ist „richtig“? Und was ist, wenn ich mich falsch entscheide?

Die Konsequenz: Stillstand. Minimale Entscheidungstragweite. Maximale Risikovermeidung. Am liebsten hätten wir eine Garantie auf unsere Zukunft – und darauf, dass wir alles richtig machen. Doch: So funktioniert das Leben leider nicht. Es entsteht beim Gehen. Und es gibt im Heute keine richtigen oder falschen Entscheidungen – diese gibt es immer nur in der Rückschau. Heute gelten nur die Entscheidungen, die du triffst – und die, die du nicht triffst.

  • Bild eines Glückskekses mit einem Sinnspruch zum „Morgen“
  • Bild des Augeninneren, mit dem wir ins Morgen blicken

Und so kommen wir automatisch zum dritten Grund:

3. Wir trauen uns nicht, ein konkretes Bild von Zukunft zuhaben
Der einzige Moment, in dem wir entscheiden und gestalten können, ist das Hier und Jetzt. Das Gestern ist vergangen und das Morgen noch nicht da. Doch ohne ein klares Bild von unserem Übermorgen fehlen die Entscheidungsparameter, die uns leiten können.

Mit einem solchen Bild ändert sich jedoch alles – für heute und morgen. Viele Menschen wünschen sich Veränderungen für ihr Leben: „Ein wenig mehr Geld verdienen, etwas mehr Zeit zur freien Verfügung und ein wenig mehr Zufriedenheit.“ Doch mit diesem Bild der Zukunft wird dein Leben vielleicht „ein wenig“ besser, vielleicht aber auch nicht.

Ein unklares Bild von dem, was du dir wünschst, hat ein unklares Leben zur Folge. Warum? Weil du nicht die Energie aufbringst, diese Zukunft zu gestalten und zu erleben.

Niemand hat uns gesagt und erlaubt, dass das, was wir als Kinder automatisch getan haben, auch später noch getan werden darf: ein wunderbares, begeisterndes Bild von Zukunft zu haben. So etwas macht man nicht. Das Leben ist kein Kindergeburtstag.

Wir sind hier nicht bei „Wünsch dir was!“ Und was ist, wenn doch?

Du brauchst ein konkretes, emotionales Bild von Zukunft, um die Kraft aufzubringen, auf dieses Bild zuzugehen und dranzubleiben. Dies gilt übrigens für Teams und Unternehmen fast noch mehr als für Einzelpersonen. Wenn es kein erstrebenswertes, klares Bild von dem gibt, wo es hingehen soll, dann machen alle das, was sie immer schon getan haben: „Hoffentlich wird es morgen nicht schlimmer als gestern!“

Bild einer Jeansjacke mit Stickerei „The Future“

PROBIER. ES. AUS!

Als ich mit der Idee, an Zukunft heranzugehen, erstmals in Berührung kam, fielen mir spontan 487 Gründe ein, warum es so (einfach) garantiert nicht geht! Meine innere Stimme rebellierte, denn es hörte sich so anders an als das, was ich bisher über mein Übermorgen gedacht habe.

Was ich gelernt habe: Nachdenken und Diskutieren bringt hier überhaupt nichts. Die einzige Vorgehensweise, die dir Gewissheit verschafft: Probier es aus! Durch Nachdenken wirst du nicht herausfinden, was im Leben alles möglich ist.

Egal, ob du an dein eigenes Leben, dein Team oder dein Unternehmen denkst: Nimm dir eine Stunde Zeit und schreibe konkret auf, wie das Leben heute in fünf oder sieben Jahren aussehen soll. Ganz konkret. Ganz emotional. Und wenn du dann dranbleibst, wirst du feststellen, wie der Blick auf dein Übermorgen dein Heute verändert.

Wir fokussieren uns oftmals nahezu vollständig auf das Morgen und den Plan, der uns den Erfolg bringen soll. Und trauen uns nicht, ein begeisterndes Zukunftsbild zu schaffen, das zum Magneten für unser Handeln und Denken wird.

Dabei ist das Übermorgen zu gestalten leichter als gedacht – es erfordert nur eine Portion Mut, eine Scheibe Entschiedenheit und eine dicke Portion Loslegen.

Viel Vergnügen in der Zukunft, die du dir wünschst!

Fotos: iStock, Unsplash / Elena Koycheva, Jikun Li, Mikita Yo

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