Plattenspieler nach dem Design von Dieter Rams.

Für eine Ethik des Designs

Kreatives Credo der Arbeit von Dieter Rams sind Langlebigkeit, Funktionalität und Reduktion. Damit hat er 350 nachhaltige Alltagsgegenstände gestaltet, bevor der Begriff so en vogue war.

TEXT  Antoinette Schmelter-Kaiser

Schwarz-Weiß-Bild von Dieter Rams.

Dieter Rams ist einer der bedeutendsten Industriedesigner der Moderne. Seine teils ikonischen Arbeiten wurden auf der Documenta ausgestellt und gehören zum Bestand des Museum of Modern Art, New York. Er lebt in Kronberg.

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ie Wahrscheinlichkeit ist groß, einen Gegenstand mit Dieter Rams-Design zu besitzen: Egal ob Kaffee- und Küchenmaschine, elektrische Zahnbürste, Rasierer, Lautsprecher, Blitzgerät, Stereo-Anlage, Plattenspieler, Transistorradio, Haartrockner, Feuerzeug, Fernseher, Heizlüfter, Zitruspresse, Tisch, Sessel oder Regalsystem – im Laufe seiner langen Karriere hat der 1932 in Wiesbaden Geborene unterschiedlichste Alltagsgegenstände gestaltet. Für Braun, wo Dieter Rams von 1955 bis 1995 fest angestellt war, und den Möbelhersteller Vitsœ, für den er seit Ende der 1950er Jahre frei arbeitet, summieren sich von ihm entworfene Produkte auf über 350.

Gemeinsamer Wiedererkennungswert trotz Vielfalt

Trotz aller Vielfalt haben sie einen gemeinsamen Wiedererkennungswert: Unter dem Credo „So einfach wie möglich“ sind Rams’ Entwürfe reduziert auf das Wesentliche, klar und ausgewogen. Zugrunde liegt ihnen eine stringent durchdachte Haltung, die sich nicht nur praktisch auf die Gestaltung von Dingen, sondern mit vielen Vorträgen, Aufsätzen und anderen Texten auch theoretisch auf die gesellschaftlich-soziale Verantwortung als Industriedesigner bezieht.

„Als ‚nachdenklicher Designer‘ war Dieter Rams seiner Zeit voraus“, macht Prof. Dr. Klaus Klemp klar, der ihn 1995 als Präsident des Rats für Formgebung kennenlernte und seit 2005 „intensiv mit ihm in Kontakt ist“, wenn er den weiteren Aufbau des Dieter Rams Archivs mit ihm bespricht oder Ausstellungen vorbereitet. Seine aktuellste namens „Dieter Rams. Ein Blick zurück und voraus“ läuft voraussichtlich bis Ende 2021 im Frankfurter Museum angewandte Kunst. Sie zeigt 30 Objekte sowie 100 Fotos, Reproduktion und Texte als Querschnitt durch Rams’ Arbeit.

Langlebigkeit als Merkmal für gutes Design

Schon 1978 wies Rams in der Zeitschrift „Designer“ auf zwingende Kräfte hin, „die uns unweigerlich in neue Richtungen lenken werden (…): die wachsende und genauso unwiderrufliche Knappheit unserer Ressourcen – seien es Rohmaterialien, Energie, Nahrungsmittel oder Raum.“

Folgerichtig entwickelte er die zehn wichtigsten Merkmale von gutem Design: Für ihn muss es innovativ, also keine weitere Variante bestehender Produkte sein. Ausgehend von Bedürfnissen und Wünschen der Benutzer ist es nützlich, d.h. optimal verwendbar, von ästhetischer Qualität, leicht verständlich, so unauffällig und neutral wie möglich, ebenso ehrlich wie langlebig, „um die Kreisläufe der Produkterneuerung und Wegwerfgewohnheiten zu verlangsamen“, konsequent bis ins kleinste Detail, ökologisch und reduziert, „um das Chaos, in dem wir leben, zu lichten“.

  • Elektrogeräte von Braun nach dem Design von Dieter Rams.
    Im Rahmen seiner Festanstellung bei Braun schuf Rams von 1955 bis 1995 eine Fülle an Haushaltsgeräten. 1960 entwarf er das Regalsystem 606, das von Vitsoe hergestellt wird.
  • Regalsystem 606

Einfachheit und Funktionalismus als prägende Einflüsse

Prägend für den Stil von Dieter Rams: das Vorbild des Großvaters. Als Schreinermeister war der in seiner Werkstatt vor allem auf Holzoberflächen spezialisiert und fertigte ohne Maschinen „Einfaches, Werkgerechtes“, so die Erinnerungen des Enkels. Außerdem war und ist Dieter Rams von der Schlichtheit und Zurückhaltung japanischer Ästhetik fasziniert; auch das sorgsame Stutzen und Schneiden der eigenen Bonsais bedeutet für ihn Design, wie er in dem feinfühlig-informativen Dokumentarfilm „Rams“ von Gary Hustwit verrät.

Weitere wichtige Einflüsse kamen von der Hochschule für Gestaltung in Ulm, die in den 1950er und 1960er Jahren in der am Anfang gesuchten Nachfolge des Bauhauses für Avantgarde, Formstrenge und Funktionalismus stand. Mit Hans Gugelot, einem ihrer führenden Köpfe, gelang Dieter Rams 1956 sein erster großer Coup bei Braun: „SK4“ oder auch „Schneewittchensarg“ (s. großes Bild ganz oben).

3-teilige Musikanlage für die Wand.

Wandanlage von 1962

Jedes Gerät des Baukastensystems könnte auch waagerecht auf einem Tisch oder im Regal stehen.

Modulares Regalsystem 606 an einer blauen Wand.

Regalsystem 606

Modular gestaltet passt sich das System verschiedenen Anforderungen an. Tablare oder Kästen können ohne Werkzeug angehängt werden.

Sessel 620 mit dem Beistelltisch 621.

Sesselprogramm 620

Die Teile des flexiblen Bausatzes können einzeln stehen oder auch ein Sofa bilden. Den Tisch 621 gestaltete Rams ebenfalls 1962.

Kleines Radio Travel 1000.

Travel 1000

Diesen Vorschlag für einen miniaturisierten Weltempfänger machte Rams Braun, er ging aber nicht in Serie.

Diskrete, anpassungsfähige und verlässliche Produkte

Diese Radio-Phono-Kombination versteckte die Technik nicht wie zuvor in einem hölzernen Tonmöbel. Stattdessen lag sie inklusive aller Bedienknöpfe auf einem Korpus aus Metall. „Wir versuchen nicht, die Funktion zu verdecken oder zu verdrängen, sondern wir sind im Gegenteil sehr froh, wenn es uns gelingt, die Funktion durch eine zurückhaltende, selbstverständliche und harmonische Form sichtbar zu machen“, beschrieb Dieter Rams seine Bestrebungen 1965 in Heft 1 von „form“.

Diese Gestaltungs-Prinzipien waren nicht nur bei der Braun AG sein Markenzeichen, wo er nach dem Abschluss der Werkkunstschule Wiesbaden und einer zweijährigen Tätigkeit als Architekt im Büro von Otto Apel 1955 anfing und 1961 Leiter der Abteilung Produktgestaltung wurde – sondern auch bei seinen Entwürfen für Vitsœ. Bis heute verkauft die Firma ausschließlich Rams‘ Regalsystem 606, sein Sesselprogramm 620 und den Tisch 621: „Produkte ohne eingebautes Verfallsdatum“, die laut Vitsœ „diskret, anpassungsfähig und verlässlich“ sind und „Auswirkungen auf die Umwelt auf ein Minimum reduzieren“.

Dieter Rams sieht an seinem Arbeitsplatz Unterlagen durch.
Seit 1971 wohnt und arbeitet Dieter Rams in einem Bungalow in Kronberg, den er nach seinen Vorstellungen gestaltet und eingerichtet hat.

Sehnsucht nach Signifikanz und Haltbarkeit

„Wir sollten uns mit weniger, aber besseren Dingen umgeben. Das ist keine Einschränkung, sondern das ist ein Gewinn, der dem wirklichen Leben mehr Raum lässt“, fordert Dieter Rams, der mit seinen 89 Jahren keine Interviews mehr gibt, aber immer noch für Vitsœ arbeitet, im Vorwort zu seinem umfassenden und gerade bei Phaidon erschienenen Werkverzeichnis.

Er sei fest davon überzeugt, dass es eine Ethik des Designs gibt, ja geben müsse – von der Produktunkultur des Überflusses, der Verschwendung hin zu Produkten, die leisten, was Käufer und Benutzer von ihnen erhofften: Erleichterung, Erweiterung, Intensivierung des Lebens. Denn Design bestimme das Leben jedes Einzelnen und das Leben miteinander. Dieses könne es befördern, aber auch beschädigen.

Rams‘ persönliches Resümee: „Der Wille zur Ordnung, zur einfachen ruhigen Form, mit einer verhaltenen Sehnsucht nach Signifikanz und langer, auch ästhetischer Haltbarkeit, scheint mir daher viel dringlicher zu sein, als ständig neue Aufgeregtheiten zu erfinden.

Fotos: Dieter und Ingeborg Rams Archiv, Braun Werbeabteilung, Vitsoe, Oliver Hess, Andreas Kugel, Marlene Schnelle-Schneyder

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