Ein Mann wirft sein Smartphone in einen See.

HEY SIRI, WIE GEHT’S MEINER SEELE?

Lockdown, Social Distancing, Home Office – und explodierende Bildschirmzeiten: Mit der von Covid-19 geht noch eine andere Pandemie einher: Smartphonesucht. Diese psychische Erkrankung müssen wir endlich ernst nehmen. Warum eine gesunde Seele in digitalen Zeiten von unbezahlbarem Wert ist, sagt Daniela Otto.

Schwarz-Weiß-Portrait von Dr. Daniela Otto.

Dr. Daniela Otto promovierte über „Vernetzung“ und ist Deutschlands Expertin für Digital Detox. Ihr Buch „Digital Detox“  ist das erste deutschsprachige Buch zum Thema. Auf Instagram teilt sie regelmäßig Tipps für eine bewusste Smartphone-Nutzung.

Wie lange sind Sie zur Zeit täglich online? Seit Corona liegt die durchschnittliche Bildschirmzeit bei bis zu acht Stunden. Das kommt auch schnell zusammen, wenn man sich einen normalen Tag anschaut: Morgens klingelt der Handywecker und wenn man das Smartphone schon einmal in der Hand hat, kann man gleich Mails checken. Und den Social Media Feed durchscrollen. Dann das Frühstück. Zeitung lesen? Lieber die News auf dem Tablet überfliegen. Danach Rechner an, arbeiten. Mittagspause? Ist mit ein bisschen YouTube schnell vorbei.

Und abends geht’s weiter mit Binge Watching auf Netflix. Ein Leben in Zeiten der globalen Pandemie ist ein Leben vor vielen Bildschirmen – häufig nutzen wir diese sogar gleichzeitig. Wie oft müssen Sie Ihre Lieblingsserie zurückspulen, weil Sie nebenher aufs Handy geschaut haben? Eben.

Der Sog dieser leuchtenden Bildschirme ist enorm. Sie ziehen uns förmlich an. Mehr noch: Sie machen süchtig. Es ist an der Zeit, diese Sucht ernstzunehmen, denn viel zu oft wird sie noch relativiert, bagatellisiert, abgetan als bloße, leicht in den Griff zu bekommende Spielerei. Das ist fatal. Die Wahrheit ist: Wer sein Handy nicht mehr weglegen kann, ist krank. Und da immer mehr Menschen vom Smartphone abhängig sind, können wir ohne Übertreibung sagen: Die digitalisierte Gesellschaft hat das größte kollektive Suchtproblem aller Zeiten.

Unser neuroplastisches Gehirn

Wie immer steckt unser Gehirn dahinter. Dieses ist neuroplastisch, das heißt, es kann das, was wir ihm beibringen, es passt sich unseren Gewohnheiten an. Wir können unser Gehirn trainieren, je nachdem, welche Bereiche wir besonders beanspruchen. Derzeit geben wir uns ganz der narzisstischen Gier nach Aufmerksamkeit hin. Jedes kleine Handysignal, jedes Like, jeder neue Follower, gibt uns zu verstehen, dass wir wichtig sind. Es ist ein Ego-Booster.

In unserem Gehirn wird dadurch das Belohnungszentrum aktiviert, das sogenannte „Glückshormon“, der Neurotransmitter Dopamin, wird ausgeschüttet und das fühlt sich zunächst gut an. Wir wollen dieses Gefühl wieder und wieder spüren – der Suchtkreislauf beginnt.

  • Mann vor Computer.
  • Lightbox mit dem Schriftzug "Digital Detox".

Digital Detox für seelische Gesundheit

Die seelischen Folgen dieser Onlinesucht sind nicht zu überschätzen. Immer mehr Studien belegen den Zusammenhang von psychischen Krankheiten und intensiver Smartphonenutzung. Die Depressionsraten steigen, sogar die Suizidalität nimmt zu, insbesondere bei jungen Menschen. Unter dem Phänomen „Snapchat-Dysmorphia“ versteht man die traurige Tatsache, dass immer mehr Menschen, vor allem Frauen im Teenageralter, so aussehen wollen wie ihr mit einem Beauty-Op-Filter bearbeitetes Selfie. Im Internet tobt, das muss uns klar werden, ein eiserner Konkurrenzkampf, der emotionale Folgeschäden von enormem Ausmaß verursacht.

Die digitalisierte Gesellschaft bedarf der Heilung. Und der neue Schlüssel zur seelischen Gesundheit ist Digital Detox. „Digitale Entgiftung“, so die deutsche Übersetzung, ist das neue Mindset, das wir brauchen, um das richtige Maß zwischen online und offline zu finden. Denn die Dosis macht das Gift. Das gilt auch für Smartphones & Co.

Digital Detox ist Selbstermächtigung

Digital Detox heißt nicht, dass wir nicht mehr online sein dürfen, sondern es sensibilisiert uns dafür, bewusst online zu gehen. Die simple Frage: „Warum bin ich gerade online?“ erinnert uns daran, dass wir die meiste Zeit ziellos im Internet umhersurfen und damit wertvolle Lebenszeit vergeuden. Zeit ohne Handy aber ist Zeit, die wir uns selbst schenken.

Digital Detox ist ein achtsamer Lebensstil, der die Selbstfürsorge wieder an erste Stelle setzt und uns bewusst macht, dass, wenn dem Internet unsere Seele schon egal ist, wir gut selbst darauf aufpassen müssen.

Digital abnabeln

Mit Digital Detox ermächtigen wir uns gegenüber all der digitalen Versuchungen und erobern damit eine der derzeit wichtigsten Freiheiten überhaupt zurück: die der digitalen Selbstbestimmung. Denn die Klage über Apps, die uns absichtlich süchtig machen, ist leider wenig hilfreich. Keine App der Welt kann uns ans Handy fesseln, wenn wir uns nicht fesseln lassen.

Die Verantwortung liegt bei uns, in unserem Umgang mit der modernen Technologie, die inzwischen doch auch schon so lange existiert, dass wir uns durchaus abverlangen können, endlich zu lernen, richtig mit ihr umzugehen. Anders formuliert: Wir müssen erwachsen werden, uns endlich digital abnabeln.

Jemand stellt einen Regler von "Digital" auf "Analog".

Digital Detox fördert die Selbstliebe

Mit Digital Detox kehren Sie zurück zum echten Leben und damit zu sich selbst. Haben Sie Siri schon mal gefragt, wie es Ihrer Seele geht? Konnte Ihnen Alexa die Frage nach Ihrer ganz persönlichen Berufung beantworten? Na also. Die wissen nur Sie selbst. Hören Sie wieder auf sich, spüren Sie sich wieder.

Den wohltuenden Effekt von Digital Detox erfahren Sie unmittelbar und Sie können jederzeit damit anfangen. Beginnen Sie gleich morgen Ihren Tag offline. Checken Sie erst sich selbst, dann das Handy. Gehen Sie mittags ohne Smartphone spazieren und lassen Sie die Natur wieder auf sich wirken. Digital Detox hat transformative Kraft: Erkennen Sie das Wunderbare um sich herum, schauen Sie wieder genau hin.

Legen Sie das nächste Mal, wenn Sie sich mit jemandem unterhalten, das Handy außer Sichtweite und nehmen Sie die Intensität eines wirklich guten Gesprächs wahr. Kultivieren Sie eine neue, selbstliebende innere Haltung.

Echtes Leben statt Social Media

Denn wenn wir von Werten sprechen, müssen wir auch von Selbstwert sprechen. Das Digital Detox Mantra für Social Media lautet: Sie sind gewollt, Sie sind geliebt, egal, wie viele Likes oder Follower Sie haben. Überhaupt: Es ist nur Social Media. Nicht das echte Leben. Schalten wir öfter ab und kümmern wir uns um unser Wohlergehen. Im digitalen Zeitalter müssen wir den unbezahlbarsten Wert überhaupt verteidigen: den Wert einer gesunden Seele. Mit Digital Detox gelingt uns das.

Fotos: iStock

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