Strand bei Kapstadt

AUF DER SUCHE NACH EINER VERLORENEN WELT, TEIL 4: Namibia

Namib ist die älteste Wüste der Welt. Und unser ältester Autor war schon im Jahr 1988 dort. Sein Bericht lädt Sie ein, diese Zeit wiederzuentdecken.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Hochwasser und Wüste
  • Kolonialismus und SWAPO
  • Schlangen, Kudus, Wüstenkäfer

Text Wolfgang Eckstein

Schwarz-weiß-Porträt von Wolfgang Eckstein

Wolfgang Eckstein ist 97 Jahre jung. Der Jurist war u.a. Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Bekleidungsindustrie, gründete den Verband deut­scher Mo­de­desig­ner, den Mo­de­kreis München und eine Stif­tung für die Modeindustrie. Für PURPOSE schreibt er exklusiv.

Endlich geht mein lang gehegter Wunsch in Erfüllung, einmal ins südliche Afrika zu reisen und die älteste Wüste der Welt, die Namib, zu durchstreifen und ihre unwirklichen Landschaften zu erleben.

Es geht Richtung Südafrika via Italien, Griechenland, Ägypten, Äthiopien, Sudan nach Kenia, mit Zwischenlandung in Nairobi. Weitere sechs Stunden später Landung in Johannesburg. Nach insgesamt 44 Stunden falle ich in Kapstadt unrasiert, verschwitzt und total fertig aus der Maschine.

Wer hat eigentlich den Spruch erfunden „Nur fliegen ist schöner“? Diesmal stimmt es nicht. Heinz, mein Gastgeber, und Mike, mein aufmerksamer Begleiter bei meinem letzten hiesigen Besuch, lassen mich die Anstrengungen des Fluges mit ihrem herzlichen Empfang schnell vergessen. Das Reiseprogramm liegt schon fertig in der Schublade. Jetzt bin ich gespannt, was mein Freund sich ausgedacht hat.

Afrikanische Frauen vor einer gelben Wand

Ein verstecktes Paradies voll farbiger Fauna

Vergessen ist jedenfalls das kühle, regnerische Wetter in München, angesichts eines wolkenlosen Himmels über Kapstadt und dem Hauch einer milden Brise bei wohligen 25 Grad. Ein verlockender Swimmingpool lockt in dem kleinen versteckten Paradies, das sich mir hinter der Einfahrt öffnet.

Junge, stürmisch wachsende Palmen, in denen der Wind spielt. Bananenstauden, deren breite Blätter die durchscheinende Sonne in gläserne, zartgrüne Bänder verwandelt. Ein lustig aussehender Springbrunnen mit glitzerndem Strahl. Geranien, die wie ein Wasserfall vom Balkon zur Erde streben. Buschige Oleander, leuchtende Bougainvillea, silbergraues Geißblatt, duftender Lavendel, edle Rosen, zitronengelbe Spireen, haariger Hibiskus, blütenbepackte Erika, spiralige, dunkelrosane Protea, zartblütige Amaryllis, Aloe und Levkojen … sie sind eine kleine, zusammenspielende Auswahl aus dem Blumenschatz des Kaplandes in diesem, voller Liebe angelegten Garten.

Über all der verschwenderischen Pracht breitet sich wie ein feingesponnenes Netz der klare Zauber eines einschmeichelnden Klavierkonzerts aus.

Nur der kastenförmige Tafelberg zeigt Melancholie

Mit tief in die Augengezogener Wolkenkappe träumt er vor sich hin. Dieser Wolkenball am rundum glasklaren Himmel bleibt für mich ein ewiges Phänomen. In den Wellenbergen des grünen Atlantiks schießen Surfer wie bunte Libellen hin und her. Springen in eleganten, kraftvollen Sätzen über die brodelnden Gischtkämme hinaus. Verwandeln die weite Bucht in ein unruhiges Kaleidoskop.

Flamingos in einem See mit Wüste im Hintergrund

Hochwasser im Kapland und ein neuer Plan

Wir rüsten zu einer Fahrt über 2000 Kilometer nach Namibia. Unsere Reisepläne sind allerdings in Frage gestellt. Die größte Überschwemmung seit über hundert Jahren versetzt Land und Leute in Angst und Schrecken. Zehntausende sind obdachlos geworden. Das Schlimmste ist aber: Es regnet in unverminderter Stärke weiter.

Auf unserem Weg nach Namibia müssen wir über den überschwemmten Oranje-Fluss. Uns bleibt nur die Hoffnung, dass die einzige Brücke nicht, wie an vielen anderen Stellen, weggeschwemmt wurde. Wir warten fast stündlich auf Meldungen von einer eilig eingerichteten Polizeistation direkt am Fluss. So wie das Wasser steigt, sinkt unsere Hoffnung, fahren zu können.

Auf Risiko loszubrausen ist zu gewagt, denn 700 Kilometer durch die Wüste, um festzustellen, dass es nicht weitergeht, ist nicht gerade lustig.
So bleibt nur das Flugzeug nach Walvisbay.

Um den letzten Stand der Hochwasserkatastrophe zu erfahren, sehe ich mir noch die Abendnachrichten an. Hätte ich es doch besser nicht getan. Zwei Stunden zuvor ist bei Johannesburg eine Maschine gleichen Typs, mit der wir fliegen werden, abgestürzt – 17 Tote – auch aus Deutschland und Österreich.

Der gegenseitige Gute-Nacht-Wunsch wirkt wenig beruhigend, und die Frage, ob überhaupt geflogen werden soll, wird hinuntergeschluckt. Doch die Abenteuerlust und Neugierde überwindet die Furcht. Die Sonne ist kaum aufgegangen, und wir sitzen schon in der Maschine.

Vorbei an der Gefangeneninsel, auf der Nelson Mandela viele Jahre verbrachte. Das einzige Atomkraftwerk Südafrikas steht verloren in der Landschaft. Die übervölkerte Robbeninsel grüßt flüchtig aus dem fahlen Morgendunst. Dann stundenlang endlose, pflanzenlose Wüste. Erste Landung in Alexander Bay. Ein winziges Gebäude inmitten von Stille und Einsamkeit.

Der nächste Stopp in Lüderitz Bay. Das gleiche Bild. Doch hinter dem Namen, der von einem deutschen Großkaufmann stammt, verbirgt sich das größte Diamanten-Fundgebiet der Welt. Hermetisch abgeschirmt, streng bewacht – Zutritt strengstens verboten. Das Städtchen liegt zwischen den ausgedörrten Dünen der zeitlosen Wüste und dem oft stürmischen Atlantik mit seinen reichen Langusten-Gründen und hat den Zauber vergangener Zeiten.

Dünen direkt am Meer

Walvisbay und die erbarmungslose Knochenküste

Entlang der Küste geht es Richtung Walvisbay. Wie ein riesiger, ausgeblichener Mammutknochen liegt nördlich davon die Skelettwüste. Wer hier strandet, kommt, um jämmerlich zu sterben. Ihn erwartet ein tödlicher Landstreifen ohne Wasser, der mit der alles versengenden Sonnenhölle eine teuflische Ehe eingegangen ist. Diese erbarmungslose Knochenküste hat mehr Menschenleben und Schiffe gefordert als jede andere Küste der Welt.

Der Strand ist mit zerschlagenen Schiffsresten und gebleichten menschlichen Knochen bedeckt. Hier spielten sich unbeschreibliche und nie geschilderte grausame Schicksale ab. 40 Jahre lang wurde kein einziger Mensch aus der Umklammerung dieser Todesküste gerettet. Ganz deutlich zu sehen ist die überflutete Brücke, über die wir hätten fahren müssen. Im Fluss winzige Inseln, auf denen verängstigte Tiere verzweifelt durcheinander rennen. Das Wasser wird bei ihnen bald über Leben und Tod entscheiden.

Swakopmund in Namibia

Landung in Walvisbay. Mit einem Bus des Hansahotels geht es in Richtung Swakopmund. Am Stadtrand überfahren wir die Grenze zu Namibia, früher bekannt als ehemalige deutsche Kolonie Südwestafrika (in der Zeit von 1884 – 1915). Der erste Eindruck der Stadt ist bereits verblüffend. 18.000 Kilometer von Deutschland entfernt eine deutsche Stadt. Breit angelegte Straßen, damit die damals mit 20 Ochsen bespannten Wagen befahren werden konnten. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein.

Tradition im besten Sinne des Wortes. Der Bahnhof im „wilhelminischen Stil“ mit Säulen, Portalen und Türmen, hat hundert Jahre im alten Glanz überstanden. An der Ecke Bismarck-/Kaiserstraße steht die Adlerapotheke. Hier das alte Amtsgericht, dort die Sparkasse, das Postamt, die Stadtverwaltung, das Brücken-Café. Alles mit deutschen Bezeichnungen versehen. Fachwerkgebäude und reetgedeckte Häuser. Straßennamen wie Post-Moltke und Roonstraße. Die größte Überraschung kommt aber für mich, als jedermann deutsch spricht. Kinder und Erwachsene, die Weißen wie die Schwarzen.

Ein Einheimischer reagiert auf meine offensichtliche Verblüffung mit den Worten:

„Da bist Du von den Socken, was?“

Es gibt deutsches Schwarzbrot, Wurstwaren, Zwetschgendatschi und Thüringer Klöße. Immer bin ich entsetzt, wenn deutsche Touristen in Italien, Spanien oder Brasilien Eisbein mit Sauerkraut oder Leberkäse erwarten. Jetzt erwische ich mich dabei, wie ich mich auf der anderen Hälfte der Erdkugel auf richtige Klöße freue.

Dieses Bild einer ehemaligen deutschen Kolonialstadt wäre aber nicht vollständig, ohne ihre Umgebung zu beschreiben. Geht man die Hauptstraße entlang, leuchten im Westen der glitzernde Atlantik und im Osten die rotbraune Wüste. Überall besonders große, gesund gewachsene Palmen und gepflegte Blumenbeete. Eine frische Brise schmeichelt sich durch die Straßen und hinterlässt ein prickelndes Gefühl auf der Haut. Deutschland mit Sonne, Meer, Wüste und Palmen – das wünschen sich doch die Deutschen immer, wenn sie im Ausland Urlaub machen.

Und das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen? Sie fühlen sich nicht nur durch die Sprache verbunden, sondern wissen um ihr gemeinsames Schicksal. Sie finden sich in einer Atmosphäre des Vertrauens und der Achtung voreinander. Sie sehen sich als Menschen, nicht als Rasse. Eigentlich eine echte und vorbildliche Alternative für ganz Afrika.

Verlassendes Haus mit Sanddüne im Inneren

Kolonialismus, westliche Verwaltung und die Swapo

Eine „nur“ drei Jahrzehnte dauernde deutsche Kolonialverwaltung hat über Generationen hinweg dem Land bis heute sein Gesicht gegeben. In einer Forschungsstudie der Stanford Universität in Kalifornien heißt es dazu:

 „Die Deutschen bauten in kürzester Zeit eine westliche Verwaltung auf. Sie legten die Grundsteine eines zukünftigen Staates. Die koloniale Elite erreichte, dass die deutschen Gebiete in Afrika Anschluss an die Weltwirtschaft fanden. Die Deutschen führten neue Berufe und Kunstfertigkeiten ein. Sie erweckten wirtschaftliche Bedürfnisse, gleichzeitig mit neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Deutscher Kolonialismus war eine treibende Kraft für die Neugestaltung mit durchgreifender Wirkung für die Zukunft. Die deutsche Herrschaft gab den afrikanischen Völkern neue Alternativen und Chancen.“

Wie anders klingt dagegen die „Alternative“ des Führers der Swapo Nujoma in seiner Neujahrsbotschaft für 1988:
„Alle namibischen Patrioten sollen sich der Swapo anschließen und Namibia in eine wirkliche Hölle auf Erden verwandeln.“
Was den deutschen Außenminister jedoch nicht davon abhielt, diesen Mann in Ehren zu empfangen. Ob die Kolonialzeit wirklich die bessere war? Wer mag das entscheiden? Heute sieht man sie auf jeden Fall wesentlich kritischer als früher.

Die vielfältigen Gesichter der Wüste Namib

Ein Erlebnis besonderer Art kündigt sich an. Am frühen Nachmittag, als die Sonne die Wüste in ein Zauberspiel von Licht und Schatten verwandelt, steigt unsere viersitzige Piper wie ein Kolibri in den azurfarbenen Himmel. Ihr Schatten huscht wie ein Spielball über das raue Land. Außerhalb der Stadt, wie ein Smaragd, der vom Himmel fiel, mitten in trostlose Sanddünen, ein leuchtend grüner Golfplatz. Wohl der eigenartigste, den ich je gesehen habe.

Noch einige Farmen, einzelne Häuser, wissenschaftliche Stationen, dann ist die Einsamkeit vollkommen. Eine Mondlandschaft mit bizarrem, zerklüftetem, graubraunem, scharfkantigem Gestein, scheint nach uns zu greifen.

Hier sollte man nicht landen müssen. Beruhigend breitet sich dahinter die Namib aus. Der Name bedeutet in der Sprache der Einwohner: „Riesige, öde Fläche“. Sie ist mit 80 Millionen Jahren die älteste Wüste der Welt.

Hier verschwimmen die harten Konturen der Wirklichkeit in der Luftspiegelung. Oryxantilopen scheinen tänzelnde Einhörner in der Einöde zu sein. Am Horizont wirken die Rössing Berge wie aus Amethyst geschaffen. Manchmal ist es, als ob der graubraune Sand glitzert. Ständig verwandelt die Wüste ihr Gesicht. Ein Wechselspiel zwischen Licht und nackter Erde ohne die verwirrende Fülle der Pflanzenwelt.

Die unüberwindliche Dünenlandschaft, deren Spitzen bis zu 300 Meter ansteigen, gleicht dem vom Orkan gepeitschten Meer. In großen pfannenförmigen Ebenen eilig davonjagende Strauße, dann Zebras und Springböcke. Nie wird ein Mensch hierher gelangen, um ihre Ruhe zu stören, es sei denn, er kommt wie wir aus der Luft.

Adler Apotheke Drogerie in Afrika

Sandzungen, Salzpfannen und Flamingowolken

Nach zwei Stunden schwenken wir ab zur Küste. Bis ins Meer hinein hat die unersättliche Wüste ihre Sandzungen vorgeschoben und lässt keinen Meter Raum für Pflanzen und Mensch. Der ewige Kampf zwischen Sand und Meer. Einer Möwe gleich schwebt unser „Vogel“ knapp 10 Meter über die Wellenberge. Riesige Schwärme von Flamingos, die an die Tausende zählen. Wie rosarote Wolken segeln sie im Aufwind davon. Große Teiche, in denen aus Meerwassersalz gewonnen wird. Je nach Reifegrad bilden die großen Salzpfannen die schönsten Farbpaletten, die man sich nur vorstellen kann.

Mitten im Meer eine künstliche Insel, auf der Guano, ein Naturdüngemittel, „geerntet“ wird. Es stammt aus den Exkrementen von Seevögeln. Nebenan eine Austernfarm, in der sich sandkorngroße Brut in einem Jahr zu einer tausendfachen Größe und damit zu begehrten Leckerbissen entwickeln.

Benommen von den überwältigenden Eindrücken, von der Vielfalt der Formen, von den Farben der Natur, steige ich aus der Maschine.

Vielleicht bin ich auch nur erschreckt durch die hautnah erlebte Winzigkeit meines eigenen Ich im Anblick dieser unberührten majestätischen Wüste, die mehr dem unendlichen Universum ähnlich ist als einem Teil der Erdkugel.

Neben deren Millionen Jahren mein Leben nur eine Sekunde ist.

Ein bleichfarbener Vollmond steigt aus dem schwarzen Samt des Meeres. Greift mit langen unsicheren Fingern durch wiegende Palmenkronen. Sein Licht füllt mein Zimmer wie überkochende Milch. Zurücklehnendes Schweigen verschließt mir die Lippen.

Ich fühle mich eingebettet in eine Welt, die mir wahrscheinlich fremd bleiben wird. Vielleicht muss man erst zu sich selbst finden, um Afrika zu verstehen oder mit ihm leben zu können.

Auf dem Weg nach Windhoek

Die Hauptstadt Windhoek steht auf dem Plan. Dorthin sind es immerhin fast 400 Kilometer quer durch das Land. Die Wüste liegt noch im fahlen Dunst. Später überzieht dichter Nebel die Einöde. Doch die Sonne bleibt bald Sieger über diese Tristesse und bietet den ganzen Charme einer Metamorphose der Landschaft.

Erst sind die Sandflächen nur mit einzelnen Büschen durchsetzt, die sich aber dann verdichten. Bald tauchen einige hingekuschte Bäume auf, oft mit luftigen Webervögelnestern reich behängt. Dazwischen hohe kegelförmige Termitenbauten. Windmühlen rattern leise vor sich hin und versorgen einsame Farmen mit Strom. Silbrig glänzendes Steppengras überzieht fast schamvoll das nackte Land. Ein treuer Begleiter auf der ganzen Strecke ist die Eisenbahnschiene, auf der uns der einzige Zug des Tages begegnet.

Der Geheimtipp: Ein Bäcker namens Müller

Für Karibib, einen kleinen blitzsauberen Ort, durch den wir kommen, gibt es einen Geheimtipp. Ein „Herr Müller“ hat dort eine Bäckerei, die weit und breit die besten Brötchen bäckt neben Hörnchen, Schnecken und Berlinern. Diese Chance für ein herrliches Frühstück lassen wir uns nicht entgehen. Die restlichen 20 Brötchen nehmen wir gleich auch noch mit.

Kurz vor Windhoek geht es zur Tierfarm von Wolfgang Delfs, einem der größten Tierfänger von Afrika. Ein Mann, der mit ganzem Herzen an diesem Land, seiner Natur und seinen Tieren hängt. Rings um sein Haus finden sich die verschiedensten Tiersorten. Krokodile ebenso wie Geparden, Tiger, Schakale, Elefanten, Strauße, Kudus, Springböcke usw. In einer Ecke tummeln sich äußerst seltene Elandantilopen, von denen jedes Tier 25.000 DM wert ist.

Abends wilde Schlangengeschichten zum Wein

Als der Abend den Tag zur Ruhe schickt und der Wein die Zunge löst, kommt Wolfgang Delfs ins Erzählen. Noch nie schilderte mir jemand so interessante, spannende und unglaubliche Erlebnisse mit und über Tiere. Es würde wahrscheinlich Tage dauern, um alles anzuhören, was dieser Mann erlebte. Kein Jägerlatein, denn das liegt ihm nicht und hat er auch nicht nötig. Sein Leben ist neben harter Arbeit eine ununterbrochene Kette von Abenteuern.

Seine Schlangengeschichten jagen mir Schauer über den Rücken, besonders dann, wenn er von einer mehrere Meter langen schwarzen Mamba erzählt.
Auf dem Dachboden des eigenen Hauses musste er sie auf dramatische Art erschießen, um sein eigenes Leben und das seines Kindes zu retten. Er landete mit der Schlange durch die einbrechende Decke im Schlafzimmer.

Weiter ging es um Pythons, Puffottern, die ihn gebissen haben, und die grüne Baumschlange, deren Gift langsam, aber absolut tödlich wirkt. Oder er erzählte von seinem schwarzen Arbeiter, bei dem sich eine Schlange in seinem Wuschelhaar verbissen hatte und ihr ganzes Gift verspritzte. Man rasierte ihm sofort den Kopf und stellte fest, dass er unverletzt war. Unwillkürlich greife ich mir auf den Kopf. Bei mir liefe das nicht so glimpflich ab.

Es gibt aber auch ungefährlichere Geschichten. Von zwei Japanern, die von ihm zu jedem Preis einen sonst unverkäuflichen riesigen Kudu kauften. In Tokio konnten sich dann die Besucher in einem immer überfüllten Vergnügungspark vor dem gewaltigen Tier fotografieren lassen. Für die klein gewachsenen Japaner natürlich besonders beeindruckend. Der Umsatz, sprich Gewinn, mit diesen Tierfotos betrug blanke 500.000 DM jährlich.

Dünen im Abendlicht

Bäume, die mit Christus geboren wurden

Das Kreuz des Südens steht wie ein Mahnmal am sternenübersäten Himmel.

Der knorrige Kameldornbaum im Garten erlebt diese Nächte schon 1900 Jahre lang, denn so alt ist er inzwischen geworden. Er wurde demnach mit Christus „geboren“. Zikaden zirpen ihr grelles Lied. Friede über einem vom Terrorismus gepeinigten Land.

Erst vor wenigen Tagen ist in Oshakati in einer Bank eine Bombe explodiert, 27 Menschen, Schwarze und Weiße, starben, andere wurden schwer verletzt. Ein fanatischer Vertreter der SWAPO hält sich gerade mit seiner Familie im Hansahotel auf. Seine lakonische Meinung zu diesem grauenvollen Massaker: „Nachdem die Regierung nicht einlenkt, müssen eben solche Mittel zur Anwendung kommen.“

Vor dem Schlafengehen schaue ich doch noch mal unters Bett, ob sich vielleicht eine Schlange versteckt hat. Schließe sorgfältig die Fenster und denke zur Beruhigung an die Heimat, wo es bestimmt keine Kobras gibt.

Der friedliche Reigen, kein Rassenhass

Am Morgen blitzt die neugierige Sonne durch den Vorhang und zeichnet mit dem Moskitonetz ein feines Gittermuster an die Wand. Vor dem Fenster schmusen zwei Geparden wie ein verliebtes Paar zärtlich miteinander. Ein junger Kudu, einem Bambi gleich, stakst ohne Furcht in ihrer Nähe herum, obwohl er am Tag vorher beinahe ihr Opfer geworden ist. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, in einer paradiesischen Welt zu sein. All diese ursprüngliche Natur und der friedliche Reigen der Tiere.

Bei den Delfs fühlt man sich auf jede Weise gut aufgehoben und liebevoll umsorgt. Und das nicht nur, wenn das selbstgebackene Brot, die hausgemachte Marmelade, Wurst, Butter und Sahne auf den Tisch kommen, oder weil ich ein Namensbruder des Hausherrn bin. Es ist nur ein kurzer Besuch. Kaum lang genug, um sich kennenzulernen. Aber ich spüre, ich gehe weg wie ein alter Freund. Mein „auf baldiges Wiedersehen“ und sein „kommen Sie bald wieder“ kommen aus ehrlichem Herzen.

Es bleibt noch Zeit für eine Fahrt durch Windhoek, das einer romantischen Stadt am Rhein ähnelt. Die Kaiserstraße lädt ein zu einem gemütlichen Plausch im Café Schneider. In der Vorstadt Katutura wohnen 29.000 Schwarze und 13.000 Farbige. Seit Jahren ist aber der Zuzug ins Zentrum für alle Rassen frei. Es gibt keine Rassentrennung. Alle Besucher und Kritiker Afrikas sollten ihr europäisches Urteil und Vorurteil vergessen. Afrika lebt und betet anders.

Altes Schiffswrack am Strand

Die Spitzkoppe über der Wüstenebene und klettern in der Hitze

Einen Jodler am „Matterhorn“ Namibias auszustoßen, ist ein lohnendes Ziel. Die Spitzkoppe, wegen ihrer Form so genannt, erhebt sich 1829 Meter über die Wüstenebene. Am Weg dorthin Besuch auf einem Soldatenfriedhof aus dem Ersten Weltkrieg. Erst waren sie Feinde, jetzt haben sei hier eine gemeinsame Ruhestätte in der von ihnen heiß umkämpften Erde gefunden. Der trockene, glühende Wüstenwind singt für sie alle die gleiche ewige Melodie.

Hinter dem Wagen bildet sich wie eine Heckwelle eine undurchsichtige, langsam zerfließende Staubwolke. Immer näher kommt das Bergmassiv. Die Jahrmillionen haben die Felsformationen abgeschliffen und geformt. Massige, abgerundete Steinblöcke, in die man die verschiedensten Tierformen hineinlesen kann. Einmal ist es ein Elefant, dann ein Löwe, eine Schildkröte, ein Pferd oder ein Adler.

Wir hangeln uns in der Gluthitze an einer Eisenkette den Berg hinauf zu dem ehemaligen Wohnplatz der Buschmänner. An den Höhlenwänden ockerfarbige Felszeichnungen mit fast ägyptischem Charakter. Die Farben, über 2000 Jahre alt, sind erstaunlicherweise erhalten geblieben. Lähmende Stille liegt über den Felswänden, in den Schluchten und den buschbedeckten Tälern. Kolebäume bilden kräftig grüne Tupfer auf graubrauner Erde. Aus ihren Ästen fertigten die Buschmänner Köcher für ihre Giftpfeile.

Kaum wage ich zu atmen. Jedes Wort trägt die trockene Luft viele Meter weiter. Jeder Schritt wird hundertfach verstärkt und stört die bleierne Stille. Was muss es für ein unvergessliches Erlebnis sein, eine Nacht in dieser Umgebung zu verbringen. Ihren geheimnisvollen Geräuschen zu lauschen und eins zu sein mit Himmel und Erde, mit Natur und Tier.

Reifenpanne im Nirgendwo

Herr Mertens, der Chefkoch des Hotels, hat sich uns nicht nur angeschlossen, sondern auch einen gefüllten Picknick-Koffer mitgebracht, dessen Schmankerl umwerfend sind.

So sitzen wir an der gleichen Stelle, wie vor Jahrtausenden die Buschmänner.  Tun das gleiche wie sie damals, nur die Speisen und Getränke haben sich sicher etwas geändert. So ganz sicher bin ich mir doch nicht, denn getrocknete Bullenzunge und Quellwasser hat man auch damals schon genossen. Leider ist die Stimmung etwas getrübt durch eine Reifenpanne. Sonst kein Problem, aber bei 40 Grad Hitze mitten in der Wüste ein schier unlösbares Problem.

Mit „letzter Luft“ erreichen wir eine winzige Station. Eine Fußluftpumpe ist die Rettung. So kann wenigstens die Tour fortgesetzt werden.

Vorsorglich wird ein Junge mitgenommen, der im Notfall Hilfe herbeiholen könnte. Es geht aber alles gut und der Helfer steigt später wieder aus. Das Hotel erreichen wir mit Müh und Not, die Luft im linken Vorderreifen aber war tot.

Der Trick der Wüstenkäfer gegen heiße Füße

Der letzte Tag des namibischen Abenteuers ist gekommen, doch die Wüste lässt mich nicht los. Nachdem die ersten Dünen direkt am Stadtrand ihre Finger ausstrecken, will ich ihr noch einen Abschiedsbesuch machen. Ein letzter Blick über Dünenkämme mit ihren scharfgeschnittenen Kanten.

Ein großer, schwarzer Wüstenkäfer trägt einen anderen im Huckepack eilig davon. Meine Vermutung, es handle sich um einen Paarungsakt, ist völlig falsch. So ist es, wenn man in seiner Jugend nicht richtig aufgeklärt wurde. Diese Käfer tragen sich wechselseitig auf dem Rücken, um jeweils den anderen eine Zeitlang vor der glühenden Hitze zu schützen und um ein Austrocknen zu verhindern. Eine echte Zweckehe.

Einige Zweige mit roten Bändern auf einem Haufen Steine. Hier ist ein Deutscher vor einiger Zeit gestorben. Weil es kein Gras gibt, um es ausnahmsweise respektlos auszudrücken, hat er in den Sand gebissen. Mir ergeht es wie der Fahrerin meines Safariwagens. Fast täglich fährt sie durch diese Sandlandschaft und jeden Tag bringt sie neue Eindrücke mit nach Hause. Immer andere, sich ständig verändernde Silhouetten, wechselnde Farben, Schatten und Stimmungen.

Die Namib ist eine Welt für sich. Eine Bühne für Fata Morganas. Ihr Architekt ist der Wind. Er baut die Dünen auf, bläst sie weg, schiebt sie hin und her und verwandelt ihre Formen je nach Belieben. Man vergisst hier Hitze und Trockenheit. Die Sinne fühlen mehr als sie wahrnehmen. Vielleicht liegt darin das faszinierende Geheimnis der unsterblichen Wüste.

Regen oder Wüste?

Rückflug entlang der Küste über Kapstadt und Johannesburg. Die Überschwemmungen sind nicht zurückgegangen. Im Gegenteil, weitere schwere Regenfälle verstärken die Gefahr für das Land.

Als ich in München eintreffe, kann ich meinen Augen nicht trauen. Genau das gleiche unfreundliche Wetter, wie vor zwei Wochen beim Abflug.

Zurück in die Wüste wäre jetzt der einzige Ausweg.

Wolfgang Eckstein frühes Foto
Seit seiner Kindheit ist unser Autor vom Reisen fasziniert. Er malte sich aus, wohin die Wolken wohl hinzögen und wünschte sich, er könnte mit ihnen davonsegeln. Er war erfüllt von einer grenzenlosen Sehnsucht, Kontinente zu überspringen und die Erde zu umkreisen. Eines Tages, nach all den Wirren des Zweiten Weltkriegs, war es endlich soweit. Ein glücklicher Zufall gab ihm die Möglichkeit, in 40 Tagen die Erdkugel zu umrunden. Damit war für ihn das Tor zur großen, weiten Welt aufgestoßen, und er trat hindurch. Was er dort erlebte, berichtet er nun monatlich in seinen Reiseberichten.

Fotos: Gerd Giesler, iStock, Shutterstock, Unsplash / Bernd Dittrich, Erik, Sergi Ferrete, Kyle from the North, Jean Wimmerlin, Taylor Wright

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