Bild einer Wildkatze in den Dünen von Namibia

DIE GROSSE WEITE

In Namibia haben lokale Gemeinden zum Erhalt der unberührten Natur, zum Schutz seltener Arten und zum Wohl der Farmer, ein einzigartiges Modell geschaffen: „Conservancies“

Text Gerd Giesler

Porträt Tammy Hoth-Hanssen, Gründerin des Namibian Lion Trust

Tammy Hoth-Hanssen ist Gründerin des Namibian Lion Trust und kämpft für eine friedliche Ko-Existenz von Löwen, Farmern und Touristen.

Bei Möwe Bay ist Schluss. Drei, vier Wellblechhütten, ein Sendemast, die Forschungsstation von Löwen-Experte Philip Stander und ein Sonnensegel für eingestaubte Gäste-Fahrzeuge. Zur Shipwreck Lodge führt keine Straße, nur Sand, so weit das Auge reicht.

Doch da taucht Guide Bravo auf: ein Mariachi mit verspiegelter Sonnenbrille wie aus einem Dennis-Hopper-Film. Nach Häppchen und Savannah Dry aus der Kühlbox geht es im Lodge-Jeep weiter. Düne auf, Düne ab, eine Stunde lang, den Steinmarkierungen folgend. Bis sie endlich auftauchen: Wie gestrandete Schiffswracks überschauen die zehn Tiny Houses die Dünenkuppen bis hin zur zwei Kilometer entfernten Brandung an der Skeleton Coast.

  • Skelettküste Namibia
  • Ruhender Löwe in Namibia
    Wüstenlöwe an der Skelettküste

LUXUSGUT EINSAME NATUR

Auf einem 30 bis 40 Kilometer breiten Streifen erstreckt sich einer der bizarrsten Nationalparks der Welt über eine Länge von 500 Kilometern; vom Kunene, dem Grenzfluss zu Angola, bis zum Ugab im Süden. Die Portugiesen nannten den unwirtlichen Küstenstreifen das Tor zur Hölle.

Die fünf Grad kalte Benguela-Strömung aus der Antarktis, die küstennah durch den Atlantik verläuft, sorgt immer wieder urplötzlich für dichten Nebel. Schiffskapitäne werden davon noch heute kalt erwischt, Piloten unterschätzen die Sicht und stürzen ab, aber auch Wale stranden immer wieder. Und da in dem trockenen Wüstenklima jahrzehntelang nichts verwittert, zieren noch heute zahllose Wrackteile und bleiche Walknochen die menschenleeren Strände – ihnen verdankt die Küste ihren Gänsehautnamen.

GÄNSEHAUT-SPEKTAKEL AM ENDE DER WELT

Ein bisschen erinnert die Lodge schon an eine weltentrückte Forschungsstation aus einer Jules Vernes Erzählung, so gottverlassen abgeschieden wie sie liegt: Fernab jeglicher Zivilisation inmitten einer lebensfeindlichen Gegend, aber voll bizarrer Magie.

32 Quadratkilometer groß ist die Konzession. Die Lodge wurde 2018 so gebaut, dass sie keinerlei Einfluss auf die sensible Umgebung hat. Aber die „Conservancy“, bestehend aus den Gemeinden Purros und Sesfontein, profitiert von den Tourismus-Einnahmen. Und wenn nach 25 Jahren die Konzession erlischt und an die Gemeinden zurückfällt, bleibt von der Lodge keine Spur im Sand zurück.

DENZEL WASHINGTON UND DIE SHIPWRECK LODGE

Aber auch operativ wurde ein nachhaltiges Konzept verwirklicht. Das Wasser stammt aus einem Grundwasser-Reservoir, die Energie liefert die Sonne, auf Plastik wird verzichtet. Nur die Verpflegung für die maximal 20 Gäste bringt ein Truck wöchentlich aus dem 440 Kilometer entfernten Swakopmund.

Denzel Washington ist Chefkoch und zaubert abends leckere Menüs auf die wenigen Tische im Panorama-Restaurant. Er ist übrigens der einzige im Team, in dessen Adern kein Stammesblut der hier ansässigen Herero oder Damara fließt. Dafür ist der Südafrikaner ein Charmeur, was ihm auch den Hollywood-Spitznamen eingebracht hat.

Während draußen dichter Nebel einfällt und die Temperaturen von 30 auf acht Grad fallen, labt man sich drinnen an krossem Kudusteak und Cabernet Sauvignon und hofft insgeheim, dass die Stromaggregate hier, am Ende der Welt, nicht ausfallen mögen.

Shipwreck-Lodge in Namibia

Shipwreck Lodge: Skelettküste

Nahaufnahme der Shipwreck-Lodge in Namibia

Shipwreck Lodge: Restaurant

Baumhaus in Namibia

Hobatere Lodge: Treehouse

Pool in der Grootberg Lodge in Namibia

Grootberg Lodge: Klip River Tal

Köche beim Outdoor-Dinner in Namibia

Shipwreck Lodge: Dream-Team

WÜSTENLÖWEN KOMMEN BIS ZUM STRAND

„Vor zwei Wochen haben wir zwei Wüstenlöwinnen gesehen, ganz dicht am Camp“, erzählt Bravo den Gästen am nächsten Morgen und entführt sie mit dem Jeep in die Mündung des im Juni fast trockenen Hoarusib-Flussbettes. Löwen werden die Gäste diesmal nicht zu Gesicht bekommen, dafür Nebeltrinkerkäfer, Oryx Antilopen, Palmenoasen, rote Canyons und tausend Jahre alte Welvitschia-Pflanzen. Am Ende der Tour gibt es ein Überraschungs-Barbecue im ausgetrockneten Fluss.

An der Skelettküste und der Namib Wüste werden heute nur noch rund 600 der selten gewordenen Wüstenlöwen gezählt. Diese faszinierenden, hochspezialisierten Raubtiere leben in kleinen Familienverbänden und haben sich den extremen Bedingungen sehr gut angepasst.

DER MENSCH-WILDTIER-KONFLIKT

Doch die natürlichen Jagdreviere werden durch den Menschen immer weiter beschnitten, um Ackerbau und Viehzucht auf kargem Boden zu betreiben. Die seit neun Jahren anhaltende Dürre im Land hat die Bedingungen noch verschärft.
Da für die Löwen das Nutzvieh mangels Alternativen einfach zu erlegen ist, kommt es deshalb seit Jahren immer wieder zu Mensch-Wildtier-Konflikten, zumeist mit tödlichem Ausgang für den Löwen. Die Tiere werden erschossen, vergiftet oder sterben qualvoll in Fallen.

Die Gesetze Namibias erlauben es, dass marodierende Elefanten oder Raubtiere, die Vieh gerissen haben, zu Problemtieren erklärt und getötet werden dürfen. Manchmal werden sie sogar freigegeben zur Trophäenjagd, für die ausländische Hobby-Jäger viel Geld bezahlen. Zwar gibt es staatliche Kommissionen, die das überwachen sollen, aber in den entlegenen Gebieten ist Kontrolle oft ein zeitliches Problem.
Und bevor Problemfälle mit Wildtieren offiziell geklärt werden, hat der Unmut der Farmer schon zugeschlagen: „Nur ein toter Löwe ist ein guter Löwe“. Für die Bauern bedeutet gerissenes Vieh nicht nur einen immensen Schaden, es entzieht ihnen manchmal sogar die Lebensgrundlage. Bis vor wenigen Jahren gab es dafür keine Entschädigung. Deswegen wird bisweilen unerbittlich Jagd auf das ganze Rudel gemacht.

Eine, die beide Seiten kennt, die der Farmer und die der Löwen, ist Tammy Hoth-Hansen. Als Unternehmerin und Gründerin des Namibian Lion Trust kämpft die Mitfünfzigerin seit vielen Jahren selbst wie eine Löwin für die Koexistenz von Löwen, Farmern und Tourismus.

  • Nashorn-Patrouille in Namibia
    Walter, Charles und Jacobus auf Nashorn-Patrouille
  • Guide mit Jeep in Namibia
    Guide Bravo kennt den Hoarusib River wie seine Westentasche

DIE LIEBE ZUR WILDNIS

Die Hobatere Lodge und Konzession, etwa sechs Fahrstunden von der Skeleton Coast entfernt beim Etosha Nationalpark, ist für sie und ihre Löwen zu einer zweiten Heimat geworden. Auch für HPL 12, besser bekannt als Sidatia. Das heißt in der Damara-Sprache „unsere Löwin“. 2017 hat Sidatia der Hobatere Lodge drei entzückende Löwenbabys geschenkt, die jetzt schon Halbstarke sind.

Am Wasserloch der Lodge, wo Zebras und Springböcke und auch Löwen zusammenkommen, erzählt Tammy von ihrer Liebe zu den Großkatzen:
„Ich bin im Khomas Hochland auf einer Rinderfarm groß geworden, und meine Schwestern und ich mussten jeden Abend als Cowgirls die Herde zusammentreiben.
Meine Eltern waren sehr naturverbunden. Die Liebe zu den wilden Tieren kam durch meine Mutter, die Biologin war. Dennoch habe ich erlebt, wie das ist, aus Verzweiflung einen Löwen abzuschießen, weil er immer und immer wieder Kälber reißt. Der Drang hier schützend einzugreifen, kam also aus meiner ganz persönlichen Erfahrung mit dem Human-Wildlife-Conflict.“

Tammy liebt den Busch: Die Freiheit und Weite Namibias. Oft stundenlang unterwegs zu sein, durch atemberaubende Natur und keiner Menschenseele zu begegnen. „Höchstens einer Horde Elefanten“, lacht sie. „Vor den Dickhäutern hat man Respekt, vor Löwen Angst“.

WO LÖWEN HALSBÄNDER TRAGEN

Auf Hobatere verpassen Tammy und ihr Team aus zwölf Rangern den Alpha-Löwen im Rudel Sendehalsbänder, die Guides der Lodge übernehmen das Sammeln von Daten. „Der Lion Trust muss sich nach Covid neu erfinden. Die Überwachung ist wichtig, denn wenn man nichts über das Verhalten der Rudel weiß, kann man sie auch nicht schützen.“

In der Northwest Lion Arbeitsgruppe ist Tammy mit bekannten Forschern und Buchautoren wie Flip Stander („Wüstenkönige– die Löwen der Namib“) im Austausch, aber auch mit der TU München. Es geht um flächendeckendes Monitoring, um Frühwarnsysteme für die Farmer, kommunale Schutzgehege für das Vieh und um mobile Einsatztrupps, die bei Löwen-Annäherung vermitteln sollen. Denn: „Löwe bleibt Löwe, das wird sich nie ändern“.

MODEL-HONORAR FÜR WILDE KATZEN

Dem Tourismus kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Wenn es gelingt, dass möglichst viele Safari-Unternehmen nach einer erfolgreichen Löwensichtung eine Art „Model-Honorar“ von ihren Gäste-Einnahmen in einen Fond einzahlen. Daraus sollen Farmer entschädigt werden, wenn eines ihrer Schafe gerissen wurde, damit das Löwentöten aufhört.

Hobatere ist eine Bilderbuch-Lodge. Sie könnte dem Filmepos „Jenseits von Afrika“ entliehen sein: Das reetgedeckte, offene Hauptgebäude mit Pool, die romantischen Gästechalets, das abgelegene Baumhaus für Honeymooners. Und vor allem das liebenswerte Betreuungsteam, von Guide Kanu bis zu Cornelia mit ihrem göttlichen Apfelstrudel oder Barkeeperin Lydia, die als Mitglied der lokalen Gemeinde #Khoadi//Hoas einfach stolz ist, hier zu arbeiten. Der Hashtag vor dem Namen steht übrigens für einen Klicklaut in der Klicksprache.

Karte von Namibia

TOURISMUS UNTERSTÜTZT GEMEINWOHL

In Namibia gibt es 83 solcher kommunalen Schutzgebiete, die von Staats wegen den einheimischen Stämmen zur Selbstverwaltung übergeben wurden. #Khoadi//Hoas, als erste Conservancy 1998 gegründet, ist ein Musterbeispiel für die Wiederansiedlung von Elefanten, Löwen und Nashörnern. Es zählt heute zu den 100 Top-Destinationen der Welt für nachhaltigen Tourismus. Das Gebiet umfasst 364 Quadratkilometer und 2.500 registrierte kommunale Mitglieder.

Einmal im Jahr wird das Haushaltsbudget vom Ministerium für Umwelt und Tourismus verabschiedet. Lorna, die eigentlich in Windhuk Tourismus studiert hat, ist seit sechs Jahren bei der Conservancy als Managerin angestellt. „Die Haupteinnahmequelle der Conservancy sind die beiden nachhaltigen Lodges Hobatere und Grootberg“, erzählt sie. Das Kommunalbüro liegt mitten auf dem Land neben einem Bauernhof mit Hühnern und einem Mechanik-Betrieb.

„Wir haben zwar die lokale Managementfirma Journeys Namibia als Lodge-Betreiber angeheuert, aber 90 Prozent der Angestellten sind Conservancy-Mitglieder. Auch der Löwenanteil der Einnahmen bleibt in der Kommune.“ Auf diese Weise wird nicht nur die Schulausbildung der Dorfkinder finanziert und Arbeitslosigkeit abgebaut, sondern langfristig auch der Mensch-Wildtier-Konflikt entschärft.

#Khoadi//Hoas ist damit zu einem weltweiten Vorzeigeobjekt für Gemeinwohl und nachhaltigen Tourismus geworden.

ABENTEUER NASHORN-SAFARIS

Die Grootberg Lodge mit ihren 16 Chalets auf dem gleichnamigen Pass überschaut auf 1.600 Meter Höhe ein riesiges verwunschenes Tal. Die letzten zwei Kilometer zur Lodge sind schweißtreibend steil. Und wer nicht über ein Allradfahrzeug und abgebrühte Fahrkünste verfügt, tut gut daran, sich von einem der Guides hochkutschieren zu lassen. Oben angekommen entschädigen die Poolterrasse und der Sonnenuntergang, der in Äquatornähe exakt eine Gin Tonic-Länge dauert.

Die Lodge hat sich dem Regierungsprogramm zum Erhalt der Spitzmaulnashörner angeschlossen. Die beiden Bullen Alex, Nawalda sowie das Weibchen Sweetie und drei Jungtiere leben auf den 12.000 Hektar der Lodge. In Vietnam und China gilt das Horn der „black Rhinos“ noch immer als Statussymbol und Aphrodisiakum, das Marktpreise von einer halben Million Dollar erzielt. „Die Wilderer bestechen Einheimische, die wissen, wo sich die Nashörner aufhalten, mit lächerlichen 2.000 Dollar. Dann fliegen sie mit dem Helikopter ein und töten die Tiere“, erzählt Guide Charles.

Noch im Morgengrauen ist er mit Walter und Jacobus im Landrover zur Nashornpatrouille aufgebrochen. Auf diesen Streifzügen nehmen sie auch Lodge-Gäste mit. Auf Holperpisten taucht der Trupp in das erwachende Klip River Tal mit seinen Akazien-und Mopane-Wäldern, rauscht durch kühlerhohes Gras und Schwärme von Heuschrecken, während die ersten Sonnenstrahlen die Tafelberge in rotes Licht färben.

Nashorn in Namibia
Auf Tuchfühlung mit Nashornbulle Alex

AUG IN AUG MIT ALEX

Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Das Trio folgt unzähligen Nashornspuren. Zwei Stunden Rüttelei, bis der Jeep abrupt stoppt: Diese Spur ist frisch. Die feinen Linien zwischen den klobigen Nashornzeh-Abdrücken sind noch nicht vom Wind verwischt. Zu Fuß geht es weiter. Eine halbe Stunde lang durch steiniges Terrain, bevor in einer Entfernung von 50 bis 60 Metern ein Nashorn zwischen Büschen auftaucht. Es ist Alex. Eine Tonne Lebendgewicht dreht seinen schweren Schädel in Richtung der Gruppe.

Anstelle des spitzen Horns trägt er allerdings nur einen Stummel. „So ist er für die Wildtöter-Mafia wertlos“, flüstert Charles.

Auge in Auge einem ausgewachsenen Nashorn gegenüberzustehen bringt Adrenalin pur. Auch ohne Horn. Und hier schließt sich der Kreis im Conservancy-Tourismus. Die Begegnung wird zur „Win-win-Situation“ für alle: für Alex und den Erhalt seiner Art, für die einheimische Bevölkerung und für Touristen, denen solch eine denkwürdige Begegnung zuteil wurde.

Um Farmer abzusichern und den Bestand an Wildtieren zu erhalten, wurde in Namibia die einzigartige „Gemeinschaftliche Natur- und Ressourcen-Planung“ (CBNRM) ins Leben gerufen. Namibia ist eines der wenigen Länder, das Schutz und Erhalt von Lebensräumen und natürlichen Ressourcen in seiner Verfassung verankert hat. Dieses Zusammenarbeiten des Staates mit den lokalen Stämmen hat weltweit für Aufsehen gesorgt; es wird als Vorbild für das Leben von Mensch und Wild im Einklang mit der Natur gepriesen und ist Basis der Conservancies – der lokal verwalteten Schutzregionen, wo bedrohte Tierarten mit Menschen zusammen leben. Weitere Informationen erhalten Sie hier: www.communityconservationnamibia.com

Sie möchten auch dorthin?

Das sind die Kontakte zu den Lodges:

Journeys Namibia in Windhuk arbeitet seit Jahren eng mit den Conservancies zusammen und betreibt als Managementfirma die Shipwreck Lodge (Reservierung: res6@journeysnamibia.com), die Grootberg Lodge (res3@journeysnamibia.com) und die Hobatere Lodge (res5@journeysnamibia.com).

Fotos: Gerd Giesler, iStock

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