Erfolg und Werte in China
Als Exportnation kommt Deutschland nicht umhin, sich mit der schnell wachsenden Wirtschaftsmacht China intensiv auseinanderzusetzen. Nicole Roesler begleitet die Positionierung und Profilierung deutscher Marken im Reich der Mitte. Was dabei wichtig ist, erklärt sie hier.
Text Nicole Roesler
Nicole Roesler ist Marketing Expertin im Luxury und Lifestyle Segment. Als Gründerin von „German Wunderwerk“ etabliert sie europäische Marken in China und chinesische Marken in Europa.
Es herrscht Goldgräberstimmung in China – vergleichbar mit Deutschland zu Zeiten des Wirtschaftswunders. Wer Armut und Not erlebt hat, der sehnt sich nach einem Leben voller Ruhm und Reichtum. Die Chinesen lieben es, sich mit Statussymbolen zu schmücken. Die Straßen sind gepflastert von deutschen Autos der Premiummarken. Diese sind hier öfter zu sehen als in Europa. Das Label „Made in Germany“ ist werthaltig und erweckt große Begehrlichkeit.
Es ist also keine Frage: Das Business deutscher Markenunternehmen in China hat Boom-Potenzial. Es bedarf allerdings eines guten Verständnisses der kulturellen und mentalen Gepflogenheiten, um im Land der Mitte nachhaltig erfolgreich zu sein.
Während meiner langjährigen Tätigkeit als Marketing-„Guru“ für international erfolgreich agierende Marken habe ich schon frühzeitig erfahren dürfen, wie zahlreich und tückisch die Fallstricke sind, an denen wir „Langnasen“ im Business mit den Chinesen scheitern können. Hier ein kleiner persönlicher Einblick.
Wie alles begann
2016, an Neujahr, erhielt ich meinen „Wake-up Call“ nach China. Ich sollte in Nanjing eine Möbelmesse um einen „German Pavillon“ bereichern. Ganze 12.000 Quadratmeter seien mit den besten deutschen Lifestyle & Living-Marken zu bestücken. „Frau Roesler, das können nur Sie schaffen!“, ermutigte mich mein ehemaliger chinesischer Geschäftskollege, der diese Anfrage von einem Distributionspartner in China erhalten hatte. Eine Herkulesaufgabe. Die Messe sollte bereits im August desselben Jahres stattfinden.
Relevante Messebudgets werden im Vorjahr geplant, zudem war mir bewusst, dass es massiver Überzeugungsarbeit bedurfte, Mittelstandsunternehmer zur Teilnahme an einer nicht vorhergesehenen Messe zu bewegen. Zumal wenn diese in einer Stadt im fernen China stattfindet, die ich bislang selbst nicht kannte.
Andere Länder, andere Sitten
In Nanjing, einer historischen Metropole der heutigen Provinz Jiangsu, vormals Hauptstadt der Republik China, angekommen, erwarteten mich mein chinesischer Geschäftspartner und der Handelspartner in Nanjing. Direkt vom Flieger aus ging es zum Lunch ins 5-Sterne-Hotel. Die Gastfreundschaft der Chinesen ist legendär. Die Bewirtung der Geschäftspartner stellt ein wichtiges Ritual dar, bei dem der eigene Wohlstand zum Ausdruck gebracht wird.
Doch Vorsicht: Anders als in Deutschland ist es hier nicht empfehlenswert, die zahlreich gereichte Speisenvielfalt aufzuessen. Denn sonst wäre es eine Beleidigung für die Chinesen, weil sie es als Vorwurf verstehen, dass sie nicht genügend Essen geordert haben, und keine guten Gastgeber sind. – Ein erster von vielen Fauxpas, die es zu vermeiden gilt.
Durchhaltevermögen ist gefragt
Im Anschluss ging es, ohne Rücksicht auf Jetlag nach dem langen Flug, umgehend in die Verhandlungen. Auch das ist Usus im Business mit China. Im Office der Trading Company saß ich vier Chinesen gegenüber, mit denen ich hart verhandeln musste. Mein chinesischer Geschäftspartner übersetzte für beide Parteien, wobei er dreimal so lange für die Übersetzung meiner englischen Argumente ins Chinesische brauchte.
Am Ende war (mehr oder weniger) klar, was meine Aufgabe war, und ich unterbreitete eine grobe Aufwandsschätzung an Zeit und sonstigen Ressourcen. Es wurde endlos diskutiert. Vorerst ohne Einigung.
Eine weitere Eigenheit der Chinesen ist es, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, um den Geschäftspartner mürbe zu machen. Nach Stunden des zähen „Ping-Pong-Marathons“ wurde das Meeting abgebrochen. Doch das war nicht etwa ein Zeichen für das Scheitern der Business-Anbahnung. Der gesellschaftliche Teil des Abends wurde eingeleitet. Es ging, natürlich per deutscher Luxuslimousine und mit Chauffeur, in ein traditionelles chinesisches Restaurant.
Trinkfestigkeit und andere Versuchungen
Usus beim Geschäftsdinner in China: Reisschnaps. Der chinesische Kunde brachte mehrere Flaschen Moutai, eine chinesischen Reisschnaps-Spezialität, in das wohnzimmerähnliche Restaurantabteil. Das scharfe, 56%ige Getränk ist kostspielig: 299 Euro für 0,5 Liter. Der Umgang damit ist ebenso großzügig wie mit dem Essen. Die Bedienungen brachten eine Fülle von Fleisch, Gemüse und nicht näher zu identifizierenden Speisen. Mir war klar: meine No- Carbs-/Pescetarier-Diät würde ich hier nicht durchziehen können.
Es ist ein Zeichen von Respekt, die kredenzten Spezialitäten zumindest zu probieren. Ebenso wie beim Moutai-Ritual mitzuspielen. Alle fünf Minuten stehen die Chinesen auf und stoßen an: „Gānbēi!“ Es gebietet sich, ebenfalls aufzustehen und den Inhalt des Schnapsglases auf ex zu trinken. Ebenso üblich: Die Familie des Gastgebers nimmt am Geschäftsessen teil. Die Chinesen sind sehr familienorientiert. Da die meisten unter Alkoholintoleranz leiden, sind die Geschäftsessen in der Regel früh zu Ende.
Das Reich der Mitte ist gleichzeitig Reich der Männer. Frauen sind hier weniger wert und in der Minderzahl. Über das, was chinesischen Frauen in der Vergangenheit angetan wurde, möchte ich an dieser Stelle jedoch weder berichten, noch darüber urteilen. Hier geht es ums Business. Und nun steigt der Stellenwert der Frauen allmählich. Wer mit China Geschäfte machen will, muss die andersartige Kultur respektieren. Das Gute ist, dass wir Frauen nach dem Dinner ausruhen können, während es bei den Männern nicht unüblich ist, dass der Abend eine Fortführung in einer Bar oder anderen Etablissements findet.
Konflikte vermeiden
Am nächsten Morgen ging es mit der Verhandlung weiter. Schließlich wurden wir handelseinig. Konfliktsituationen wurden von meinem chinesischen Geschäftspartner behutsam beschwichtigt. Ein Chinese scheut Konflikte. Es gilt dringlich zu vermeiden, dass es zu einem Gesichtsverlust kommt.
Nun wurde mir die große Ehre zuteil, die Vertreter der lokalen Regierung kennenzulernen, deren Interesse es war, dass die Messe ein voller Erfolg würde. Anders als in Deutschland hat die Regierung der jeweiligen Provinz großen Einfluss. China ist ein sehr heterogener Markt mit mehr als 600 Städten in 200 Provinzen. Der Erfolg des Landes besteht im Prinzip aus Wettbewerb. So konkurrieren nicht nur Unternehmen miteinander, sondern auch die Provinzen. Für ein erfolgreiches Business ist die Unterstützung der jeweiligen Regierung kriegsentscheidend.
Ich stellte unser Unternehmen mithilfe der Übersetzung einem Stab aus ranghohen Regierungsmitgliedern vor. Die Sprachbarriere ist eine massive Herausforderung und längst nicht alle gebildeten Chinesen und Unternehmer sprechen fließend Englisch. Schon gar nicht die älteren Generationen. So ist ein vertrauenswürdiger Übersetzer Grundvoraussetzung für den Erfolg. Schließlich bekamen wir den Zuschlag der Regierung. Der Deal war abgeschlossen. Ich war als vertrauenswürdige „Langnasen-Geschäftspartnerin“ akzeptiert und offiziell beauftragt.
Die Gegeneinladung
Mit dem definierten Auftrag, per Handy vom Flipchart abfotografiert, flog ich zurück nach Deutschland. Hier lief ich mir die Hacken ab, um die deutschen Lifestyle-Labels vom Business-Potenzial auf der Messe in Nanjing zu überzeugen.
Die Barriere des Misstrauens, das manch deutscher Mittelstandunternehmer gegen die chinesische Business-Kultur hegte, war schwer zu überwinden. Ebenso war die mangelnde Bereitschaft, sich kurzfristig zu einer ungeplanten, noch nicht budgetierten Messe zu committen, eine große Hürde.
Köln, Frankfurt, Mailand … Nach einem sehr steinigen Weg über sämtliche relevanten Messen und hartnäckigem Klinkenputzen hatte ich einige interessierte Unternehmer am Start. Jetzt galt es, den Sack zuzumachen. Ich lud die Regierungsvertreter von Nanjing, den chinesischen Kunden und die relevanten deutschen Mittelstandsunternehmer in den Frankfurter Messeturm. Ein zweitägiger Summit überzeugte zwanzig Markenunternehmen, die in China ihr Potenzial erkannten!
Natürlich erwartete die chinesische Delegation nun ebenfalls beste Bewirtung. Wir unterhielten sie in der traditionellen deutschen Apfelweingastronomie. Da viel Fleisch und gerne auch Fettiges sehr beliebt ist in China, stieß das auf Begeisterung. Weniger allerdings der Apfelwein. Aber das machte nichts, schließlich hatte man reichlich Moutai dabei. Die Messe wurde dann ein voller Erfolg.
Erfolgsfaktoren, die die rocky road zur seidigen Straße machen
Zeit & Nähe
Die Chinesen misstrauen den Europäern. Die Europäer misstrauen den Chinesen. Wer Vertrauen aufbauen will, braucht Zeit. Viel Kontakt. Gemeinsame Erlebnisse. Einfühlungsvermögen sowie Akzeptanz der Andersartigkeit der Mentalitäten und Rituale.
Verständnis & Offenheit
Wir lernen mit jeder Erfahrung, die andere Kultur zu erkennen und zu verstehen. Dazu braucht es Neugier, Offenheit, Respekt und Mut. Bewertung oder sogar Abwertung von „befremdlichen“ (Ver-)Handelsweisen gilt es zu vermeiden. Die chinesische Kultur ist geprägt von unterschiedlichen Einflüssen: Konfuzianismus, Taoismus, Buddhismus im Zusammenhang mit „PRC first“: Das Wohl der Public Republic of China ist und wird immer im Fokus sein. Das gilt es zu respektieren und zu verstehen!
Menschlichkeit & wahre Werte
„Vertraue der Wahrheit Deines Herzen, denn da sitzt Dein Glück!“, wusste bereits Johann Wolfgang von Goethe.
Es sind die Momente gemeinsamer Menschlichkeit, zum Beispiel beim Wining und Dining, die Geschäftsbeziehungen in nachhaltige Geschäftsfreundschaften verwandeln.
Anstatt nur dem monetären Erfolg hinterherzujagen, gilt es, sich dem Geschäftspartner zu öffnen. Familieneinladungen, persönliche Erzählungen und Ehrlichkeit führen nachhaltig zu freundschaftlichen und vertrauensvollen Geschäftsbeziehungen mit Freude und gegenseitigem Erfolg.
Bei allen Stolpersteinen auf dem Weg ist die Zusammenarbeit mit den beiden sehr unterschiedlichen, komplexen Kulturen eine Herausforderung, die sehr erfüllend und erfolgreich sein kann, wenn wir achtsam und respektvoll miteinander umgehen!
Trotz der vielfältigen Differenzen sind wir doch alle Menschen. Gleich welche Hautfarbe, Heredität, Historie: Wir alle werden von Werten getrieben und wollen zeitlebens glücklich sein! Um es mit Friedrich Schiller zu sagen: „Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben. Willst du die andern verstehen, blick in dein eigenes Herz.“
Herz und Hirn zu öffnen – das ist das beste Rezept für den Erfolg! Zwischenmenschlich, interkulturell und in jedem Business!
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