Robert Ketterer bei einer Auktion

Robert Ketterers Gespür für Kunst

Wie David gegen Goliath hat sich Ketterer Kunst aus dem Schatten der internationalen Auktionsriesen emporgearbeitet. Im Gespräch verrät Robert Ketterer sein Erfolgsrezept.

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  • Den Ablauf von Auktionen
  • Die Sammlung Gerlinger
  • Hochpreisige Kunst

Interview: Gerd Giesler

Robert Ketterer

Ketterer Kunst gilt als Marktführer für Kunst nach 1900 unter den Auktionshäusern Deutschlands. Seit 25 Jahren leitet Robert Ketterer die Geschicke des Münchner Familienunternehmens.

Wir leben in unruhigen Zeiten. Pandemie, Krieg in Europa, Energiekrise, Inflation, Klimakatastrophe. Warum boomt Ihrer Meinung nach der weltweite Kunstmarkt?

„Außerhalb von Krisenzeiten, wo das Geld eher locker sitzt, geht man gerne auch ins Risiko, sogar was die zeitgenössische, aufstrebende Kunst angeht. Sobald es schwieriger wird, versucht man zu diversifizieren, aber auch auf Qualität und sichere Werte zu setzen. Kunst ist im Gegensatz zu Immobilien ein sehr flexibles Medium. Man kann Kunstwerke von A nach B bringen. Das ist sehr angenehm und beruhigend für Besitzer.“

Kunst und Kultur sind Allgemeingüter. Jeder Bürger hat ein Recht auf Teilhabe am Kunstgeschehen. Bekannte Kunstwerke erzielen auf Auktionen Rekordpreise. Die Erwerber sind überwiegend private Kunstsammler. Kunstmuseen können da mangels Budget nicht mithalten. Immer mehr Werke werden so dem Blick der Öffentlichkeit entzogen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

MUSEEN CONTRA PRIVATE SAMMLER

„Grundsätzlich ist das überall gleich. Man versucht das zu erwerben, was besonders selten ist, was kein anderer hat, was einmalig ist. Aber wenn Sie hier die Hilflosigkeit der Museen ansprechen, muss ich Ihnen widersprechen. Die Museen hierzulande haben das Problem, dass sie auf zu großen Beständen sitzen und sich immer weiter füllen. Und es gibt kein Gremium das prüft, welche Werke wirklich relevant sind.

Wäre beispielsweise die Sammlung Gerlinger, eine bedeutende Privatsammlung deutscher expressionistischer Maler, an ein Museum geschenkt worden, wäre der Großteil der rund 1000 Werke im Depot verschwunden und nie wieder gezeigt worden. Ich bin der Meinung, dass es klug wäre, auch verstärkt mit Sammlern zu arbeiten und vielleicht auch einmal darüber nachzudenken, das ein oder andere Blatt, das überhaupt nicht passt, zu veräußern. Dann hätte man wieder Kapazitäten im aktuellen Kunstmarktgeschehen mitzuspielen. Es muss ja auch nicht gleich ein Picasso oder van Gogh sein.

DAS KUNST-EREIGNIS DES JAHRES

Am 9. und 10. Dezember 2022 kommt exklusiv bei Ketterer Kunst Teil II von „Die Maler der Brücke – Sammlung Hermann Gerlinger“ unter den Hammer. www.kettererkunst.de

„Und wenn Sie mich auf die Kaufbereitschaft der Museen ansprechen bezüglich der Sammlung Gerlinger – da haben sich die deutschen Museen ein gewisses Weltbild von Herrn Gerlinger geschaffen und aus diesem Konzept kommen sie nicht mehr heraus. Einerseits, so sagen sie, sind da einige Positionen dabei, die unbedingt ins Museum sollten und Geld, bzw. Fördertöpfe wären für ganz wichtige Gemälde auch da, aber im Fall Gerlinger lehnt man aus Trotz alles ab. Wir hätten es doch geschenkt bekommen sollen – und jetzt kaufen?

Drei Museen waren ursprünglich für eine Schenkung im Gespräch – aber die Forderungen und Vorstellungen von Prof. Gerlinger gingen zu weit. Dass sich das dann nicht realisieren ließ, ist für Herrn Gerlinger eine herbe Enttäuschung – er ist Anfang 90 und es fehlt ihm an Zeit.“

Professor Hermann Gerlinger und Robert Ketterer im Gespräch
Professor Hermann Gerlinger und Robert Ketterer im Gespräch vor dem Bild "Kinder" von Erich Heckel.

Laut Handelsblatt sind Sie Marktführer unter den Auktionshäusern in Deutschland mit 44 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2022. Dabei lagen die Erlöse fünf Mal im siebenstelligen Bereich. Womit begründen Sie Ihren Erfolg?

„Es sind eigentlich drei Punkte: Digitalisierung, Internationalisierung, persönlicher Service. Und unsere Abkehr von einer breiten Masse an Kunstobjekten hin zu einer Spezialisierung. Ich bin seit 33 Jahren in der Firma. Mein Vater hat sich vor 27 Jahren zurückgezogen und seit 25 Jahre bin ich komplett verantwortlich. Für mich gilt: Wir machen nur das, was wir können, und darum kümmern wir uns intensiv.

Sie wollten ursprünglich Skilehrer werden, bevor sie vom Vater das Auktionshaus übernahmen. Sehen Sie sich als Quereinsteiger in die Kunstszene?

„Ich bin in Kreuth geboren, der südlichsten Gemeinde im Tegernseer Tal. Da kommt auch eine Olympiasiegerin her (Anm. d. Red.: Skirennläuferin Viktoria Rebensburg). Skifahren war damals meine Leidenschaft. Ich glaube es gibt keinen, der in unserem Ort nicht Skifahren kann, und nicht wenige Burschen wollten Skilehrer werden. Heute macht mir das keinen Spaß mehr. Ich gehe lieber Skitouren. Das mag zwar nicht ganz ungefährlich sein, aber das ganze Leben ist ein Risiko. Und der Sport zieht sich durch mein Leben. Sogar in meinem Beruf ist Sportsgeist wichtig.

Als Quereinsteiger sehe ich mich nicht. Ich bin damit aufgewachsen. Mein Vater hat sein Streben der Kunst gewidmet. Als ich 12 war und wir mit meinen drei Brüdern von Kreuth nach München zogen, hat mein Vater mir erklärt: also Taschengeld gibt es keines mehr. Wenn ihr arbeiten wollt, zahle ich 6 Mark pro Stunde. Selbst während der Abiturzeit war ich bis zu 100 Stunden pro Monat in der Firma.“

Hatten Sie damals schon die Ambition, Auktionator zu werden und einmal das Familienunternehmen Ketterer Kunst zu leiten?

„Einen Betrieb dieser Größe zu übernehmen war natürlich ein Problem, da die nachfolgende Generation sieht: der Papa hat nur Sorgen, der Papa arbeitet viel zu viel und wir fahren nie in den Urlaub. Er hat mich dann aber tatsächlich gefragt und für nichts auf der Welt hätte ich angenommen. Doch dann war die Schule vorbei und er bot mir einen Job in der Firma an. Das war für mich zwar nur eine Lösung auf Zeit, aber schon mein Vater wusste, dass nichts länger hält als ein Provisorium.“

Haben Sie Kinder?

„Ja, 13 und 15 Jahre alt, und die wollen, anders als ihr Vater damals, unbedingt in die Firma. Aber man kann das jetzt noch nicht sagen. Zu viel kann noch geschehen. Daher bereite ich mich schon jetzt darauf vor, dass die Firma auch ohne meine Kinder weiterlaufen kann. Einen Plan B zu haben ist grundsätzlich nicht falsch.“

Am 10. Dezember 2021 versteigerten Sie das Gemälde „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ von Alexej von Jawlensky, das für 2,9 Millionen Euro wegging. Ein Highlight für Ketterer Kunst?

„In der Tat war das ein Highlight für Ketterer Kunst und da muss man auch verstehen wie wir ticken: Es war ein Highlight für das gesamte Team, weil es auch eine Teamleistung war. Wir arbeiten 26.000 Arbeitsstunden für eine Auktion. Da ist soviel Energie dahinter, so viel Recherche, soviel Enthusiasmus – gerade bei solch hochpreisigen Objekten. Es ist so wichtig, immer alls 100-prozentig abzusichern. Jedes Detail, jede Provenienz, jede Literaturquelle muss überprüft werden. Und ganz zum Schluss kommt dieses Ergebnis zustande. Ja, das macht mich schon stolz.“

Was fühlten Sie als dieses Bild unter Ihren Hammer kam?

„Zuerst fühlt man große Freude, dass man überhaupt beauftragt wurde und das Vertrauen des Kunden im internationalen Vergleich erhalten hat. Wir waren ja mit fünf internationalen Auktionshäusern im Wettbewerb, so wie meistens. Und dann, als der Jawlensky bei uns war, kam erst einmal Druck auf. Werden wir es auch gut verkaufen?

Zu guter Letzt, wenn du es aufrufst und die Arbeit hinter dir liegt, dann ist das schon ein Meilenstein. Du hast dir bewiesen, dass du das auch im Millionenbereich kannst und das ist enorm wichtig für die Entwicklung unseres Hauses.

Christie‘s, Sotheby‘s und Philipps – das sind ja Auktionskonzerne, Kaufhäuser, die alles haben – wir dagegen sind eher eine kleine Boutique, dafür sehr spezialisiert. Wir machen nur das eine und das machen wir so gut wie wir es können. Und wir können es um vieles besser als diese großen Konzerne. Bei uns kennt man die Akteure, die Menschen, die vielen Jahren dabei sind.

Wenn wir ein außergewöhnlich wichtiges Werk eines bestimmten Künstlers im Programm haben, nehmen wir von diesem kein weiteres Objekt dieses Kalibers mehr an. Das ist bei den großen internationalen Häusern anders. Da sind dann in einer einzigen Auktion vier hochkarätige Picassos. Die machen sich doch gegenseitig Konkurrenz. Das gibt es bei uns nicht, denn wir wollen Höchstpreise erzielen.“

DIE KUNST, HÖCHSTPREISE ZU ERZIELEN

Bemisst sich analog dem Motto „immer höher, immer teurer“ der Wert eines für die Kunst bedeutenden Werkes am erzielten Preis? Was war bisher ihr wichtigstes Los, dass Sie aufgerufen haben?

„Wir haben sehr viel mit deutschem Expressionismus und der deutschen Geschichte zu tun und das ist enorm spannend, weil in vielen Fällen die Geschichte zum Bild nicht vorhanden ist. Wir müssen der Sache erst auf den Grund gehen. Dazu sind wir nach dem deutschen Kulturgutschutzgesetz auch verpflichtet: Alle Provenienzen herauszufinden, auch die während der NS-Zeit.
Ist das Werk irgendwo abhanden gekommen, gibt es einen dunklen Fleck bezüglich der Herkunft? Und dabei kommen manchmal irrsinnige Geschichten heraus, auch belastende, die keine Freude machen. Aber der Käufer will ein aufgearbeitetes Objekt ersteigern.

Das bedeutendste Los war zugleich mein erster Millionenzuschlag. Ein Bild von Emil Nolde, die Nadja (2019 verkauft – Schätzpreis 1,2 Millionen Euro, Ergebnis 2.537.000 Euro). Auch dieses Bild hat eine sehr bewegte Geschichte. Es wurde gestohlen, dann tauchte es wieder auf; es sollte zu Christie’s, kam aber zu uns. Das Bild war auf 500.000 Euro taxiert, wir schätzten es auf 1,2 Millionen. Und dann kam der Hammer: so eine phänomenale Steigerung bei dieser Schätzung war schon ein Meilenstein!“

War „Nadja“ von Nolde gar die Kehrtwende für Ketterer Kunst?

„Als ich anfing hieß es immer: Internationale Sachen müssen zu Sotheby‘s und Christie’s. Mit Werken über 100.000 Euro geht man zu Grisebach und bei über 10.000 zu Lempertz. Tja und alles unter 10.000 Euro kann man dann zu Ketterer geben. Wir standen im Schatten der anderen und wer Millionenzuschläge im Kopf hatte, ging nach London oder Paris. Weil wir nie die Chance bekommen hatten – aber einmaleben doch. Es war kein kunsthistorisch wichtiges Bild, aber es war für uns ein wichtiges Signal, und in den Jahren darauf haben wir viele wichtige Objekte bekommen.“

Kaum etwas hat den Kunstmarkt in Deutschland so in Aufregung versetzt wie die Meldung über den Verkauf der Sammlung „Die Maler der Brücke“ des Würzburger Unternehmers Hermann Gerlinger. Die Benefiz-Auktionen werden exklusiv über Ketterer Kunst orchestriert und abgewickelt. Wie verschaffen Sie sich Zugang zu solchen Sahnestücken?

„Professor Gerlinger hatte eigentlich zu jedem Haus einen guten Draht, wenn er auch einige bedeutende Stücke bei meinem Vater ersteigert hatte. Aber seit es uns gibt, halten wir am deutschen Expressionismus fest und das gab den Ausschlag. Für sein Lebenswerk will er natürlich die Bestätigung, dass er damals die richtigen Werke ausgesucht hat, die heute immer noch begehrt sind.“

Haben Sie eine bestimmte Strategie beim Versteigern?

„Wenn ich merke, dass der Käufer an seinem Limit angekommen ist, versuche ich ihn nochmals zu überzeugen. Ich weiß, dass sein Limit subjektiv ist, und er will das Objekt seiner Begierde ja auch haben. Sonst wäre er nach Hause gegangen und hätte sich wahrscheinlich geärgert den einen, entscheidenden Schritt nicht gegangen zu sein.“

Der Star-Auktionator Simon de Pury pflegte vor seinen Auftritten immer einen Apfel zu verspeisen. Wie bereiten Sie sich auf eine Auktion mit kapitalen Kunstwerken vor?

„Eigentlich ist am Auktionstag die Arbeit gemacht. Ich muss exakt wissen, welche Bieter an welchen Objekten interessiert sind. Ich muss wissen, welche Einlieferer im Saal sind, welcher Bieter am Telefon, wer übers Internet bietet. Wer den Finger am Drücker hat, sehe ich über meinen Monitor.

Wenn ich aufrufe, muss ich voll im Bilde sein. Das ist entscheidend für die Geschwindigkeit, die Dramaturgie, einfach alles. Die Auktion ist ein Ort, wo in Sekunden immens hohe Beträge ausgegeben werden und da muss etwas Menschlichkeit hinein, weg von diesem reinen Monetären. Eine Auktion ist eine Veranstaltung, an die man sich erinnern sollte und das Persönliche halte ich dabei für sehr wichtig.

Manche Bieter sind so nervös, dass ihnen die Halsschlagader pocht, das kann ich von meinem Pult aus sehen. Ich bin, glaube ich, der einzige Auktionator, der durchmacht.

Unsere Auktionen dauern immer 3 bis 4 Stunden, so lange wie ein richtiger Marathon. Das ist für den Auktionator ein immenser Kraftakt. Ich esse deshalb drei Stunden vorher Nudeln, nie Fleisch, nichts Schweres und der Wasserhaushalt muss stimmen. Jetzt kommt meine 500. Auktion.“

Wer sind hauptsächlich Ihre Kunden?

„Connaisseure aus dem In-und Ausland, vor allem Asien und USA. Das hat etwas mit der Pandemie und digitaler Akzeptanz zu tun.“

Digitale Kunst hat mittlerweile auch den Kunstmarkt fest im Griff. Wird es schon bald keine physischen Saalveranstaltungen mehr geben? Und last but not least – wo sehen Sie Ihr Unternehmen in 10 Jahren?

„Hoffentlich wird es in 10 Jahren noch physische Auktionen geben! Ich glaube an die Spezialisierung, das Marketing spielt eine Riesenrolle, und Auktionen wie unsere Evening Sales, ein bis zweimal im Jahr mit 50 oder 100 Nummern, wird es dann wohl noch geben. Aber der ganze Rest wird digital online ablaufen über Portale, die es heute so noch nicht gibt – eine Art Ebay, nur spezialisiert für abgesicherte Kunst.

Kunst kaufen wird immer Freude bereiten. Und das müssen wir transferieren aufs Digitale. Spannend werden die NFTs, die non-fungible Token. Wenn ich ein Stück eines sündteuren Unikats besitze, und dieses dann handeln kann, wird das den ganzen Kunstmarkt revolutionieren.“

Fotos: Ketterer

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