Moderner Sitzkreis in der Kirche der Stille.

DIE KIRCHE DER STILLE

Ein besonderer Ort in Hamburg zeigt, wie man einen philanthropischen Gedanken Wirklichkeit werden lassen und über 100 Jahre lang lebendig gestalten kann. Andra John im Gespräch mit Pastorin Irmgard Nauck.

Text Andra John

Schwarz-weiß-Porträt von Andra John.

Seit über 20 Jahren beschäftigt sich Andra John mit der Positionierung anspruchsvoller Marken im Dienstleistungsbereich. Erst in der Bankwelt, nun als Bereichsleiterin für Philanthropie, Partnerschaften und Kommunikation in der Hamburger BürgerStiftung.

Ein Kleinod, still und beschaulich neben der vielbefahrenen Max-Brauer-Alle in Hamburg- Altona. Ein Ort, wie aus der Zeit gefallen: das Helenenstift, ein Gebäudekomplex mit Hospiz, Schulungszentrum der DRK-Schwesternschaft und Altenheim.

In das Ensemble integriert ist ebenfalls die „Kirche der Stille“, die Ihren Ursprung 1894 als Helenenstiftskapelle feierte.
Schon der kleine Weg über den Helenenstieg versetzt einen in eine andere Welt, die ihre wesentliche Prägung in den Jahren um 1894 und 115 Jahre später, 2009, durch die Visionen zweier starker Frauen erfahren hat.

1894 – Helene von Donner legt das Fundament

Alles begann, als im Jahr 1838 die Hamburger Kaufmanntochter, Helene Schröter, den Bankier Bernhard von Donner heiratet, das war 1838. 27 Jahre später starb ihr Mann. Helene hatte acht Kinder und war nun Witwe. Ihr umfangreiches Erbe ermöglichte ihr einen äußerst großzügigen Handlungsspielraum und so gründete sie, ganz in der Tradition der preußischen Kaiserin Augusta, den Vaterländischen Frauenverein zu Altona.

Der Leitgedanke war, alleinstehende Frauen, die sich außerhalb der Familie sozial engagieren wollten, zu fördern und Ihnen eine systematische Krankenpflegeausbildung anzubieten. Die Anwärterinnen sollten somit über materielle Sicherheit verfügen und gleichzeitig Geborgenheit in der Gemeinschaft erfahren.

Hierfür stiftet Helene von Donner die Räumlichkeiten und spendet ebenfalls dem dortigen Krankenhaus hohe Summen; später wird aus dieser Institution das Altonaer Kinderkrankenhaus hervorgehen.

Ihre Gemeinwohl-Aufgabe nimmt Helene sehr ernst und begleitet den Bau der Gebäude täglich. Mit einer zusätzlichen Donners’schen Schenkung wird der Ort im Jahr 1894 um eine kleine Kirche, die Helenenstiftskapelle, ergänzt.

Das gesamte Ensemble übersteht zwei Weltkriege. Helenes Investitionen sind aus heutiger Sicht Musterbeispiele der Nachhaltigkeit für das Gemeinwohl: Sämtliche Gebäude bestehen noch immer und dienen weiterhin karitativen Zwecken.

2009 – Moderne Spiritualität erobert den Raum

Doch dann stand plötzlich die ehemalige Helenenstiftskapelle, die nun Christophorus-Kirche hieß, im Jahr 2005 vor dem Aus. Der Mitgliederschwund war dramatisch. Der Kirche drohte der Verkauf oder gar der Abriss.

Die Gemeinde entschloss sich deshalb zu einem radikalen Schritt und ließ die Backsteinkirche im neugotischen Stil komplett umbauen. Die Pastorin Irmgard Nauck entwickelte das Konzept für eine Meditationskirche und schuf damit einen bemerkenswerten Raum.

Beim Umbau wurden Kirchenbänke, Kanzel und Altar entfernt, die Besucher sollten nun auf Sitzkissen oder Fußbänken sitzen. Die „Kirche der Stille“ war geboren.

Irmgard Nauck ist es wichtig, dass die Menschen ihren persönlichen Weg zu Gott finden. Normalerweise spielt das Wort in der protestantischen Kirche eine wichtige Rolle.

Doch hier gibt man im Schweigen oder Singen die Deutungsmacht aus der Hand. Die Menschen sollen auf diese Weise den eigenen persönlichen Zugang zu Gott finden.

Dieser besondere Ort zieht auch zahlreiche junge Menschen an. Er ermöglicht es ihnen, spirituelle Erfahrungen unter dem Dach einer Institution zu sammeln, welche die Inhalte mit hoher Professionalität auswählt.

Mit ihrem Konzept knüpft Irmgard Nauck an die christliche Mystik an, wie sie u.a. Meister Eckart oder auch Edith Stein gelehrt haben. Inspirationen kommen zudem von der Zen-Mediation. Unterschiedliche Wege, um zur Stille zu gelangen, sind beispielsweise achtsames Gehen, mantrisches Singen oder mediativer Tanz.

Wichtig ist das Bewusstwerden des eigenen Körpers und der Atmung, um ganz seine Mitte zu finden und sich dadurch dem Höheren zu öffnen.

Um ein noch tieferes Verständnis dieser Institution zu erlangen, befragte ich Irmgard Nauck:

Was hat Sie zur Gründung der „Kirche der Stille“ bewogen?

Viele Menschen begleitet die Sehnsucht und das Bedürfnis, in Stille und Unmittelbarkeit die Nähe Gottes und Nähe zu sich selbst zu finden. Sie sind auf der Suche nach einem persönlichen Weg, der Kraft, Orientierung und Halt im alltäglichen Leben bietet. In der „Kirche der Stille“ können Menschen Stille erleben, meditieren, beten, Kraft schöpfen sowie sich selbst und Gott begegnen.

  • Außenansicht der Kirche der Stille
  • Porträt von Irmgard Nauck.

Welche konkreten Bedürfnisse bringen die Menschen mit?

Alle, die kommen, suchen Stille. Sie möchten im Innersten berührt werden und persönliche spirituelle Erfahrungen machen. In der Stille suchen die meisten nach „Gott“, wobei nicht wenige den Begriff scheuen, weil er mit bedrückenden Bildern oder kindlichen Vorstellungen gekoppelt ist.

Es kommen drei Gruppen zu uns. Die Meditationserfahrenen, die eine große Offenheit zu anderen Religionen mitbringen. Die christlich Entwurzelten, die in Distanz zur Kirche und zum Glauben gelebt haben und sich nun vorsichtig dem Christentum wieder annähern. Die dritte Gruppe besteht aus jüngeren Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ohne religiöse Prägung.

Nach welchen Kriterien stellen Sie Ihr Programm zusammen?

Die Kirche bietet den Besuchern unterschiedliche Wege, um zur Stille zu gelangen. Manche sitzen gern, andere brauchen Bewegung. Auch das Singen kann zur Stille führen oder das Berührtwerden durch Handauflegen.

Einen hohen Stellenwert hat die professionelle Auswahl der Lehrkräfte, die den Weg zur Stille auch persönlich verkörpern und in ihr Leben integrieren. Die meisten Themen können in einem wöchentlichen Rhythmus eingeübt werden. Durch diese unterschiedlichen Wege kommen auch ganz unterschiedliche Besucher – von Anfängern bis zu Mediations-Erfahrenen.

Menschen in Yogakleidung, die rhythmische Bewegungen ausführen.

Frage: Was macht für Sie ein gutes Leben aus?

In jeder neuen Lebenssituation stellt sich die Frage, was ein gutes Leben ist und welche Haltung man zu den Dingen hat. Es geht um die innere Haltung, es so geschehen zu lassen, wie es ist. Darin muss man seinen Platz finden. Klagen hilft nicht weiter, besser ist es, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind.

Der persönliche Freiheitsraum muss an dieses Umfeld angepasst werden. Diese hellwachen Fragen sind auch in schwierigen Situationen wichtig, Die Seele wächst an ihnen. Auch in unserer sehr belastenden Corona-Zeit bietet es sich an, sich immer wieder Gedanken zu machen, wie man trotz allem ein gutes Leben bewahren kann.

Lässt sich die „Stille“ mit Worten erklären?

Nein. Wenn ich denke, jetzt ist es still, ist es nicht mehr still. Stille ist jenseits von Worten. Ein Wortloser Raum.

Die Momente, in denen es wirklich still in mir ist, sind selten. Meist meldet sich der Körper oder die Gedanken werden mächtig. Der Fluss der Gedanken ist nie weg. Es geht darum, diesen Gedanken keine Aufmerksamkeit zu schenken.

Der Atem ist der Anker, er führt zur Stille. Auf den Atem setze ich ein Herzenswort z.B. „Ich bin da“ oder „shalom“. Dann kann es geschehen, dass man Stille erfährt; aber der Wille kann hier nicht unterstützen. Auch hier gilt es, das anzunehmen, was ist.

Was wünschen Sie sich in Zukunft für die Kirche der Stille?

Momentan suchen wir eine passende NachfolgerInn für meine Pastorenstelle. Jemand, der Respekt mitbringt für das, was schon da ist, aber auch beherzt genug ist, Neues anzugehen. Es soll einen bewussten Generationswechsel geben. Besonders freue ich mich, wenn durch neue Angebote Kinder und Jugendliche in die Kirche kommen und ein erstes Gefühl für die Stille entwickeln.

Dinge nachhaltig für alle bestehen zu lassen, bedeutet, dass sich diese wandeln dürfen. Helene von Donner legte hierfür den Grundstein. Innerhalb der Gebäude änderte sich die Nutzung, aber die Grundidee „Menschen nah zu sein“, blieb. Die heutige Pastorin wünscht sich nun den Wandel im Bestehenden.

Weitere Informationen und Termine unter www.kirche-der-stille.de

Fotos: Seitenansicht Christophoruskirche: Elinor Schües, Nauck am Kerzenständer: Irmgard Nauck, Innenraum Kirche der Stille: Niklas Janke

 

Sie möchten nichts mehr verpassen? Hier erhalten Sie spannende Nachrichten zu Finanzen und vielen weiteren Themen.