Die Macht des Geldes
Wie unterscheidet sich Geld von Geist? Oder Geist von Geld? Gehören am Ende beide zusammen?
Hier erfahren Sie mehr über
- Geistigen Ursprung
- Wirkung und Bedeutung von Geld
- Denken und lenken
Text Barbara Strohschein
Dr. Barbara Strohschein ist Philosophin und Expertin für Wertefragen. Sie ist in Forschung und Beratung tätig. Warum wir Anerkennung brauchen und wie wir mit Kränkungen umgehen können – das sind ihre Hauptthemen.
Das schmutzige Geld und der reine Geist?
Mehr Menschen als man denkt sind mit der Einstellung aufgewachsen, Geld und das Streben nach Geld sei verwerflich. Nicht nur Sprüche wie „Geld stinkt“ oder „Geld verdirbt den Charakter“ kursieren in vielen Familien. Diese Ablehnung steht in Kontrast zu der unbestrittenen Tatsache, dass Geld nicht nur die Welt regiert, sondern auch die Herzen und Köpfe.
Geld macht Macht, macht Angst, erzeugt Kriege, Streit und Gier.
Genauer betrachtet ist jedoch nicht das Geld die Ursache dafür, sondern die Menschen selbst sind es.
Geld ist an sich nicht mehr als Schein, Metall oder Papier – Material also, dem Bedeutung und Bewertung zugemessen wird. Es ist der Mensch mit seinen Licht- und Schattenseiten, der Gefahr läuft, Geld als Ding an sich zum Maßstab aller Dinge zu machen. Ohne die menschliche Fähigkeit, sich etwas auszudenken, um sich das Leben zu „erleichtern“, würde Geld nicht existieren. Statt Waren zum Tausch hin- und her zu tragen, wurde Geld in einer „Stellvertreterfunktion“ erfunden. Doch es hat sich mittlerweile als Repräsentanz realer Werte abgekoppelt und ist zum „Ding an sich“ geworden.
Die Erfindung von Geld
Geld ist eine menschliche Erfindung. Und menschliche Erfindungen kommen zustande, weil Menschen Geist haben. Oder anders gesagt: die Fähigkeit, sich etwas auszudenken, was noch nicht existiert.
Das materielle Geld entspringt, so paradox es klingen mag, einer geistigen Quelle. Der Geist ist der Ursprung der Ideen und damit auch der von Erfindungen. Unter dem Begriff „Geist“ kann man, so gesehen, die schöpferische Intelligenz verstehen, über die Menschen verfügen. Ohne Geist keine Ideen, ohne Ideen kein Erfindungsreichtum, ohne Erfindungsreichtum kein Geld.
Aus dieser „geistigen“ Quelle ist jedoch vielmehr als nur die Erfindung des Geldes entstanden. Allem, was Menschen geschaffen haben, ging eine Vorstellung von dem voraus, was dann real wurde: Von der Vorstellung des Tisches, zum Entwurf und der Herstellung des Tisches. Von der Idee der Atombombe bis zu ihrem Bau. Die Idee für ein Buch bis zum Schreiben und Veröffentlichung desselben. Die reale Welt, die vom Menschen geschaffen wurde, hat gleichwie und wofür geistige Ursprünge.
Über die Vernunft und Unvernunft im Umgang mit Geld
Wie wir in der Realität immer wieder feststellen können: Erfindungsreichtum bedeutet noch lange nicht „Vernunft“. Die Menschheitsgeschichte zeigt, dass in allen Zeitaltern keineswegs nur vernünftige Erfindungen geschaffen wurden oder ein vernünftiger Umgang damit einherging. Jeder Leserin, jedem Leser fallen sicher mehrere Beispiele dafür ein.
Doch was hieße es denn „vernünftig“ mit Geld umgehen? Es könnte heißen, Geld lediglich als eine Energie zu betrachten und zu nutzen. Als Mittel zum Zweck und nicht als Ding an sich. Verbunden mit der simplen Frage: Geld wozu? Diese Sinn- und Zielfrage könnte auf einen Weg hinweisen, zeigen, auf dem sich – mal gewagt und theoretisch gedacht – verhindern ließe, dass Geld sich „verselbständigt“ und einen humanen Zweck erfüllt, ohne zum Selbstzweck zu werden.
Mit Geld kann man Frieden als auch Krieg stiften. Mit Geld kann man sowohl helfen, Gutes tun, die Umsetzung von Ideen finanzieren, als auch Katastrophen oder Crashs hervorrufen und Krankheiten erzeugen. Die Probleme im Umgang mit Geld rühren daher, dass die übergeordnete und vernünftige Frage, „wozu Geld?“, in konkreten Fällen sehr oft gar nicht oder viel zu selten gestellt wird. Der Trieb vieler Menschen, Geld anzuhäufen und zu horten, es zu verprassen oder aus dem Fenster zu werfen, scheint viel stärker zu wirken als der Drang zur Vernunft, mit Geld sinnvoll umzugehen. Geld wird damit zum Schauplatz des Unbewussten.
Welche Wirkung das Geld hat, hängt dementsprechend von den Zielen ab, die – bewusst oder unbewusst – verfolgt werden. Geld scheint sehr viel mehr mit den destruktiven Trieben zu korrelieren als mit Bewusstsein und Intelligenz. Denn der kluge Umgang mit Geld setzt zuallererst Bewusstwerdung, Bewusstheit, Bewusstsein und dann Meisterschaft und Klugheit voraus, sowie Wertmaßstäbe zur Orientierung.
Der Zauberlehrling, der die Geister rief, ohne sie zu beherrschen, schafft Chaos, bis der Meister kommt und wieder die Ordnung herstellt. Nur – wer ist in diesem Geldsystem – heute oder seit jeher – der „Meister“? Ich bezweifle, dass es die Philosophen sind, die sich heute wie früher weit mehr mit dem Geist als mit dem Geld befassen. Und ich befürchte, die Weisen, welcher Provenienz auch immer, werden – heute wie früher – nicht angehört, weil sie sich nicht auf den Märkten der Macht tummeln, sondern in den höheren Sphären des gepflegten Nachdenkens.
Geld regiert die Welt?
Gibt es heute einen Grund, zu hoffen, dass nicht nur das Geld allein die Welt regiert? Es sieht nicht da-nach aus.
„Die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung ist ein ungeheurer Kosmos, in den der Einzelne hineingeboren wird und der für ihn, wenigstens als Einzelnen als faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist.“ Mit diesem Satz meint der berühmte Soziologe Max Weber jeden Menschen. Keiner kann diesem System und seinen Institutionen entrinnen, gleich, ob reich oder arm. Diese Unabänderlichkeit – Max Weber ist hier leider nicht zu widersprechen -, ist eine menschengemachte Tatsache, über die mindestens so viel spekuliert wie über das Thema Liebe.
Nun fragt sich, warum Menschen sich Systeme schaffen, die sich von selbst ausbreiten und sich mäandernd in allen Lebens- und Gefühlsbereiche eine Macht verschaffen, der niemand gewachsen ist und die niemand letztlich lenken kann. Dieser Macht gewachsen zu sein und sie lenken zu können, hieße schließlich, die Geldflüsse so steuern, dass es nicht zur sozialen Spaltung zwischen Arm und Reich, zu Aktienabstürzen und Kriegen kommt. Die Vertreter der Großfinanz sind trotz ihrer vermeintlichen Macht auch hier hilflos, wie es in den bitteren Zeiten der Inflationen und den heutigen Gefährdungen des Weltmarktes unübersehbar ist.
Die berühmte Frage Lenins liegt in Anbetracht dieser Fakten dauernd und mit mangelhaften Antworten in der Luft: Was tun – damit der ganze Laden nicht wieder mal zusammenkracht und Milliarden Menschen darunter leiden?
Wer wirkt und wer entscheidet eigentlich in solchen sich wiederholenden Fällen? Es ist weit verbreitet, zu vergessen, dass das Geld nicht vom Himmel fällt oder vom „Teufel“ gemacht ist (Teufel als Symbol für die „bösen Kapitalisten“, für die die Vernunft keine Rolle spielt). Damit meine ich keine kalte, von Herz und Kontext abgekoppelte Vernunft. Ich meine eine Vernunft, die auf Gewissen basiert, die sich an humanen Maßstäben orientiert, mit Sachkenntnis die Widersprüchlichkeit des Menschen zur Kenntnis nimmt. Und natürlich die Fähigkeit, vorauszuschauen und die Folgen des Handelns vorher und nicht hinterher reflektieren zu können.
Die Macht des Geldes
Wenn Geld das Ergebnis von Geist ist und Menschen durch ihren Geist Geld erfunden haben, warum sind sie dann nicht in der Lage, Geld und sich selbst im Umgang mit Geld zu lenken, ohne dass es zu Katastrophen kommt? Eine vielleicht naiv klingende Frage, die aber meiner Ansicht nach naheliegend ist.
Der heutige Umgang mit Kapital ist so unsinnig und menschenfeindlich, ebenso wie die heutige Verteilung von Geld so hanebüchen ungerecht ist. Man könnte über das Ausbleiben einer weltweiten Revolution der Armen ins Grübeln kommen. Nicht etwa, dass ich einen blutigen Kampf um Geld für zweckmäßig hielte. Ich wundere mich jedoch immer wieder darüber, was viele Menschen sich alles gefallen lassen, durch Abzocke, Ausbeutung und unverschämter Nutznießerei weniger Zeitgenossen. Man könnte ins Staunen kommt, dass das Geldsystem sich am Rand des Wahnsinns durchaus selbst erhält.
Die Politiker und die zu Kartellparteien verkommenen Volksvertreter haben auf diese Dynamik wenig Einfluss. Zudem haben sie primär nicht die gerechte Verteilung des Kapitals im Sinn, sondern die Sicherung ihrer Pfründe und den Schulterschluss mit Finanzmächtigen. Egal, ob von links oder rechts. Das System schluckt alle.
Und ich werde den Eindruck nicht los, dass sich der Grund für diese himmelschreiende Ungerechtigkeit auf die menschlichen Schattenseiten zurückführen lässt: auf Gier, Dummheit, Egoismus und die Unfähigkeit, die Folgen des eigenen Handelns auf selbstschädigende Konsequenzen hin zu reflektieren. Dazu gesellt sich in unheilvoller Allianz von Geistlosigkeit und Ohnmacht, eine weitverbreitete Resignation und Ahnungslosigkeit. Und dieses wiederum ist einem weit verbreiteten Erziehungsziel bis heute geschuldet, das besagt: „Der Kulturphilosoph Oswald Spengler hat Individualismus, Egoismus und mangelnden Zusammenhalt als Grund für den „Untergang des Abendlandes“ beschrieben. Wobei er erklärte, dass es ihm nicht um Untergang im Sinne von Katastrophe, sondern um „Umwandlung“ ging. Man könnte beschwichtigend ergänzen, dass es immerhin Fortschritte gibt: Zu früheren Zeiten wurden – zumindest in Europa – weit mehr Menschen als heute für den Reichtum Einzelner ausgebeutet und hatten keinerlei Schutz. Bis immerhin Sicherheitssysteme wie nachts beleuchtete Städte, Sozial- und Krankenversicherungen, Polizei zum Bürgerschutz geschaffen wurden als ein Ausdruck dieses „Fortschritts“, der auch ein Ergebnis des menschlichen Erfindergeistes ist.
Jedoch weltweit gesehen, ist es heute nicht viel anders als früher. Wie viele Männer, Frauen und Kinder werden ausgenutzt, leben unterhalb der notwendigen Einkommensgrenze und sind schutzlos einem Kapitalsystem ausgeliefert.
Was tun?
Es ist weit weniger anstrengend, sich von dem Brecht’schen Satz, „die Verhältnisse, die sind halt so“ leiten zu lassen, anstatt sich auf den Weg zu machen, sie zu verändern. Aber eine Frage bleibt: Wer ist denn das Subjekt der Veränderung? Es ist ja keineswegs so, dass nicht immer wieder neu versucht wurde, Geld durch Geist lenken zu wollen. Der Sozialreformer Silvio Gesell und viele anderen haben neue Geldmodelle entwickelt. Die Schöpfer und Planer des Grundeinkommens sind am Werk. Marx und Engels haben zwar die Strukturdynamik des Kapitals analysiert und daraus neue Gesellschaftsformen entworfen, die sich aber in der Realität als unhaltbar erwiesen und korrodiert sind. Angesichts dieser bislang erfolglosen Versuche, Geld lenken, liegt die Frage nahe, wo der Turningpoint für das Umdenken und Umlenken zu finden ist.
Wege aus der Gier
Er liegt meiner Ansicht nach in einem „Bereich“, der in den bisherigen Konzepten zu wenig oder gar nicht in Augenschein genommen werden: im Menschen selbst. Auf dem Gebiet der Selbsterkenntnis des Menschen stehen wir immer noch am Anfang. Insofern ginge es nicht mehr um noch mehr neue Konzepte, wie man am besten und gerechtesten das Geld verteilt, sondern es ginge um Bewusstwerdung. Um Fragen wie: Was sind die Gründe für Gier?
Gier als eine Art Krankheit, die nicht nur den Gierigen unglücklich macht, sondern alle die, die von den Auswirkungen betroffen sind. Gier als ein tief gehender Ausdruck für Mangelempfinden. Was aber fehlt, um die Gier zu steuern? Wie könnte das Mangelempfinden anders als durch Geldanhäufung befriedigt werden? Wie können Menschen lernen, Verantwortung für sich, die Gesellschaft und die Natur im Sinne der Selbsterhaltung übernehmen? Welche Rolle spielt Bildung und Herzensbildung dabei? Warum fehlt diese weltweit? Was kann man tun, damit Menschen in Familie, Schule und Gesellschaft lernen können mit Geist und Geld besser als bisher umzugehen? Durch Denken und Lenken – zum Beispiel.
Denken hieße, sich selbst ins Visier zu nehmen, sich selbst in den eigenen Widersprüchen zu erkennen. Denken lernen, wäre ein spannendes Schulfach, ein Ziel in der Erziehung, ein Motto für Unternehmen. Das könnte bedeuten, nicht blind und triebgesteuert im Geldsystem – mit Kopf unter Wasser – herumzuschwimmen, sondern mit Kopf überm Wasser Richtung Ufer zu steuern. An das Ufer, an dem vielleicht neues Land in Sicht ist. Lenken lernen hieße, die Zweck-Mittel-Relation zu reflektieren: Geld von wem für was eigentlich? Für welche Produkte und welche Leistungen? Für welche Zwecke wird Geld eingesetzt – nicht nur in einem ökonomischen und politischen Kontext, sondern auch in einem seelischen?
Vordenken und lenken
Wie so oft ist das Nachdenken über solche Fragen natürlich nur ein sehr bescheidener Weg, der in der Regel zunächst einmal nicht sehr weit führt. Aber ohne Nach-, Hinein- und Vordenken sind Probleme überhaupt nicht zu lösen.
Geld kann ein Heilmittel sein – gegen Angst, gegen Krankheit, gegen Ungerechtigkeit. Auch wenn Geld nicht allein glücklich macht – Geldmangel macht ebenso wenig froh.
Der Geist – oder nennen wir es hier noch einmal die schöpferische Intelligenz – ist immerhin eine Quelle, aus der Bewusstwerdung und -machung fließen kann. Bewusstsein wiederum wäre dem humanen Um-gang mit Geld vorausgesetzt. Allerdings nur dann, wenn die psychische Bedürftigkeit befriedigt ist und Geld nicht, wie so oft, zum Ersatzmittel für mangelnden Selbstwert und fehlende Anerkennung geworden ist.
Fragen Sie sich einmal: Wie würde es sich anfühlen, wenn Geld einfach immer aus einer unerschöpflichen Quelle flösse und sich niemand mehr anstrengen müsste, um zu leben? Und wenn Geist als Ursprung von allem Sein und nicht als abstrakte Größe akzeptiert würde? Um das zu verstehen, braucht man keine Philosophie, sondern einen Funken Optimismus und die Überzeugung, dass Materie selbst einen immateriellen Ursprung hat. Fragen wir hier doch einmal die Physiker.
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