Mutter Teresa mit Straßenkindern.

MUTTER TERESA – EIN VORBILD MIT WIDERSPRÜCHEN

Ein Gespräch mit Jacqueline Fritschi-Cornaz, die die Friedensnobelpreisträgerin in all ihren Zweifeln und Gewissheiten in dem Spielfilm Kavita & Teresa verkörpert hat. Doch das Ideal der Nächstenliebe stand immer im Vordergrund.

Interview Dr. Hans Christian Meiser

Schwarz-Weiß-Portrait von Jacqueline Fritschi-Cornaz.

Jacqueline Fritschi-Cornaz ist eine Schweizer Schauspielerin und Produzentin mit über 30 Jahren Bühnen- und Film-Erfahrung. Auf ihrer ersten Indienreise war sie von der Armut so schockiert, dass sie einen Charity-Film initiierte.

Die Schweizer Theater- und Filmschauspielerin Jacqueline Fritschi-Cornaz und ihr Mann Richard Fritschi haben im Jahr 2010 den humanitären Spielfilm Kavita & Teresa initiiert. Er zeigt in einer spannenden Parallelgeschichte Mutter Teresa, die «Frau hinter der Heiligen» und Kavita, eine heutige, junge Inderin, und inspiriert ein internationales Publikum aller Alters- und Bevölkerungsgruppen, sich im persönlichen Umfeld für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen.

Die gesamten Filmeinnahmen kommen Institutionen zugute, welche sich für die Bildung/Gesundheit von armen, kranken, behinderten und verlassenen Kindern – speziell in Indien – engagieren. Die Filmpremiere ist für den Sommer 2021 im Rahmen eines internationalen A-Filmfestivals geplant (z.B. Venedig).

Jacqueline Fritschi-Cornaz, können Sie uns etwas über den Ursprung und die Entwicklung Ihres 100% Non-Profit-Films Kavita & Teresa berichten?
Fritschi-Cornaz: Vor elf Jahren besuchte ich zum ersten Mal Mumbai und genoss es, als Schauspielerin einen Blick hinter die Bollywood-Kulissen zu werfen. Ich war im Taxi unterwegs zu den Studios – ein schrittweises Gedränge und Wetteifern mit Autos, Lastwagen, Fahrrädern und Fußgängern. Zeit, sich umzusehen und zu staunen. Und zum ersten Mal begegnete ich inmitten dieses Durcheinanders auch den Blicken von Straßenkindern, welche an die Autoscheibe klopften, und Magazine, Spielzeug oder Blumen anboten. Ihr sichtbares Elend hat mich total schockiert und mir wurde bewusst, dass ich jetzt genau zwei Möglichkeiten hatte: Entweder versuchte ich, die Bilder und Emotionen zu verdrängen – oder ich würde aktiv werden.

Für mich war augenblicklich klar, dass ich etwas tun musste, dass es mir ein Anliegen ist, einen Beitrag zur Gerechtigkeit und im Speziellen für die Kinder dieser Welt zu leisten (laut UNESCO haben heute 264 Mio. Kinder weltweit noch immer keinen Zugang zur Schulbildung; in Indien ist es nach wie vor jedes zweite Kind. Nach der Corona-Krise sind es weitere Millionen, welche dazukommen, weil ihre Eltern kein Schulgeld mehr aufbringen können). Das Bild von Mutter Teresa in einem der Filmstudios bildete die „Initialzündung“ für den humanitären Spielfilm Kavita & Teresa. Beim Betrachten des Ölporträts der Ordensfrau erinnerte ich mich an ihr berühmtes Zitat: „Don’t wait for leaders, do it alone, person to person“.

Spontan fragte ich den Produzenten, ob er interessiert wäre, einen Spielfilm über die berühmte Friedenspionierin zu drehen. Für mich wäre es eine große Freude und Motivation, in und mit einem solchen Film über die reine Unterhaltung hinaus auch etwas bewirken zu können. Der Produzent war von der Idee begeistert. Einige Wochen später teilte er mir mit, er könne in Bollywood keine Investoren finden, er hätte aber aufgrund eines Fotos der jungen Mutter Teresa gesehen, dass ich ihr sehr gleiche.

Gemeinsam mit meinem Mann Richard gründeten wir die Schweizerische Stiftung Zariya Foundation. Zariya ist Urdu, eine der vielen Nationalsprachen Indiens, und bedeutet „Quelle“. Unser wirkungsvoller, nachhaltiger Spielfilm soll eine Inspirations-Quelle für ein internationales Publikum aller Alters- und Bevölkerungsgruppen sein und dazu anregen, sich mit den eigenen Werten auseinanderzusetzen und sich im persönlichen Umfeld für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Der gesamte Filmerlös geht – als finanzielle Quelle – an Organisationen, welche sich für Bildung und Gesundheit von ärmsten Kindern in Indien engagieren. Dadurch wird dieses Filmprojekt zu einem wirkungsvollen Instrument und Multiplikator.

Über Empfehlungen von verschiedenen Seiten haben wir in der Folge Kamal Musale kennengelernt. Er hat in einer dreijährigen Recherchearbeit das Drehbuch erarbeitet. Der Schweizerisch-Indische Filmemacher erwarb sein Diplom für Drehbucherarbeitung und Filmregie an der renommierten National Film and Television School in England. Als erfolgreicher Filmer hat er über 30 Kurzfilme und Spielfilme und zudem Dokumentations-, Werbefilme und Musikvideos gedreht; Kamal Musale ist auch der Regisseur unseres Films.

Sie spielen in dem von Ihnen gestarteten internationalen Projekt jene Frau, die zwar als Heilige gilt, aber dennoch nicht unumstritten ist. Was hat Sie bewogen, sich über eine so lange Zeit mit dieser Ikone des Menschseins zu beschäftigen?

Es bedeutete für mich ein Privileg und eine besondere Herausforderung, die Frau hinter dem Mythos zu ergründen und sie als komplexen Menschen mit all seinen Widersprüchen darzustellen. Ich ging mit großem Respekt und ebensolcher Freude an diese Aufgabe heran. Ich bin dankbar, dass Kamal Musale mit dem spannenden Drehbuch, welches die Zweifel-Jahre von Mutter Teresa mit der Geschichte einer heutigen, jungen Inderin verwebt, die optimale Basis für einen modernen und packenden Spielfilm geschaffen hat – welcher es auch nicht scheut, die Kontroversen um Mutter Teresa zu thematisieren.

Es ist mir ein Anliegen, Mutter Teresa mit all ihren Facetten zum Ausdruck zu bringen und das Publikum zu ermutigen, trotz innerer Zweifel und Konflikte an eine Vision zu glauben und daran festzuhalten. Auch später heilig gesprochene verspürten Sehnsucht, übten sich in eisernem Willen, wurden von innerer Zerrissenheit und Verzweiflung geplagt, fühlten sich von Gott verlassen, waren vollkommen menschlich – und deshalb auch voller Widersprüche (diese machen ja einen Film resp. eine Figur im Film erst spannend). Ich identifizierte mich aus vollem Herzen mit Mutter Teresa, damit es mir als Schauspielerin gelang, sie vor der Kamera zu „sein“.

Dass ich mich in meinem Beruf immer wieder in andere, komplexe Charaktere eingeben kann, empfinde ich für mein Leben als großartige Bereicherung. Auch wenn ich persönlich ein anderer Mensch bin als jener, welchen ich darstelle, und in Manchem anders denke, fühle oder handle, ist es mir ein Anliegen, die Figur authentisch darzustellen.

Um den Film zu finanzieren, sind Sie und Ihr Mann weltweit auf der Suche nach Finanzmitteln. Wo stehen Sie heute?

Das Budget für die Gesamtproduktion inkl. Vertrieb konnte von 4 Millionen Euro auf ca. 3,6 Millionen Euro reduziert werden. 90 Prozent dieses Budgets sind über private Spenden und Beiträge von internationalen Stiftungen abgesichert. Wir veranstalteten über die letzten zwei Jahre dazu in Europa, in Indien und den USA Fundraising-Events, präsentierten unser Film-Projekt interessierten Stiftungen und Privatpersonen und inspirierten sie, ein Teil der Kavita & Teresa-Vision zu werden und einen persönlichen und/oder finanziellen Beitrag zu leisten. Wir sind überzeugt, das Fundraising für die letzten 10 Prozent des Budgets bis zum Frühjahr 2021 abzuschließen, damit auch genügend Mittel für den Vertrieb und das Marketing zur Verfügung stehen.

Wie sieht die Verbreitung des Films aus? Wie und wo findet der Release statt?

Am Anfang standen die Recherchen im Rahmen der Drehbuch- und Rollenerarbeitung. Dazu haben wir sämtliche Biografien und Dokumentarfilme über Mutter Teresa gelesen und angesehen und ein sogenanntes Treatment geschrieben. Darauf aufbauend hat Kamal Musale das Drehbuch verfasst.

In Kalkutta habe ich bei den Missionaries of Charity mit ausgesetzten, mehrfach behinderten Kindern gearbeitet, aus persönlichem Interesse und um einen direkten Einblick in die Arbeit der „Missionarinnen der Nächstenliebe“ zu gewinnen. Ich bin für dieses berührende Erlebnis sehr dankbar. Genauso wie für die vielen Gespräche mit Menschen, welche Mutter Teresa persönlich kannten. Auch ein Besuch in ihrer Geburtsstadt Skopje und ein wöchentlicher Klosteraufenthalt bei den Franziskanerinnen im Muotatal in der Innerschweiz haben mir einen tiefen Einblick in ihr Leben vermittelt (mein Mann war dann doch froh, als ich mich entschied, nach einer Woche im Kloster wieder nach Hause zu kommen).

Im Januar 2018 drehten wir fünf Szenen aus dem finalisierten Drehbuch. Diese hat Kamal Musale zu einem 20-Minuten-Pilotfilm verarbeitet, welcher ein fantastisches Instrument bildete, Interessierten einen Einblick in den Kavita & Teresa Film zu geben.

Vor dem Lockdown 2020 konnten die Dreharbeiten in Mumbai unter der Regie von Kamal Musale wie geplant abgeschlossen werden. Im November 2020 wagten wir uns alle während des Lockdowns in London an die Umsetzung der dortigen Szenen. Im Dezember 2020 begannen unter schwierigen Umständen die Dreharbeiten in Kalkutta. Diese sollten bis Ende April abgeschlossen sein. Der Kavita & Teresa Film geht dann in die Postproduktion (Schnitt, Ton, Musik etc.). Wir planen die Filmpremiere im Sommer 2021 anlässlich eines internationalen A-Filmfestivals (z.B. Venedig). Anschließend soll der Film international gelauncht werden.

Schauspielerin Jacqueline Fritschi-Cornaz in ihrer Rolle als Mutter Teresa.

Es wird auch eine Internet-Fassung geben, die man gegen eine symbolische Gebühr sehen kann. Auf welche Weise findet diese Paywall statt?

Das Zariya Foundation Team und Kamal Musale werden über die nächsten Monate ein ausgereiftes Online-Streaming-Konzept entwickeln. Die Idee ist, dass sich alle Menschen dieser Welt den Film für einen Mindestbetrag von z.B. einem Dollar ansehen und im Anschluss eine Spende vornehmen können, falls sie dies wollen. Wir sind überzeugt, auf diese Weise einen Multiplikatoreneffekt erzielen und über Jahre Beiträge für die Bildung und Gesundheit von Kindern in Indien generieren zu können.

Zum Inhalt: Wie haben Sie den Film angelegt, so dass nicht nur ein Portrait der Hauptfigur, sondern eine ganze Geschichte entsteht, die auch 90 Minuten lang trägt?

Kamal Musale hat im Drehbuch zu Kavita & Teresa auf spannende Weise Mutter Teresas Zweifeljahre mit der Geschichte der jungen Inderin Kavita verflochten. Zwei Frauenleben – leidenschaftlich und kompromisslos – verwoben durch zwei Parallelgeschichten – über Generationen hinweg. Beide verwirklichen ihre individuelle Berufung trotz großer, persönlicher Zweifel.

Für die junge Mutter Teresa bedeutet ihre Liebe zu Jesus und ihr Mitgefühl für die Benachteiligten alles. Dem Ruf Gottes folgend, lässt sie ihr bisheriges Leben hinter sich und baut ihr Werk für die Ärmsten der Armen in den Slums von Kalkutta auf. Mit der Gründung ihrer Missionaries of Charity fühlt sich Mutter Teresa jedoch von Gott mehr und mehr verlassen. Jahrelange, innere Zweifel quälen sie; trotzdem schafft sie es, ihre Vision und Leidenschaft umzusetzen, Tausende von Menschen für den Frieden und ein menschenwürdiges Leben zu inspirieren und eine Organisation von heute 5000 Schwestern aufzubauen.

Für Kavita, eine in London lebende, junge Frau von heute, bedeutet Liebe eine Illusion. Sie ist in ihren inneren Konflikten zwischen einer unglücklichen Beziehung, einer ungewollten Schwangerschaft und den Heiratsplänen ihrer Eltern gefangen. Eine Reise nach Kalkutta konfrontiert Kavita mit ihren Wurzeln und der Vergangenheit ihrer Familie. Hier lernt sie durch ein Volontariat die Ziele und Werte von Mutter Teresa und ihren Ordensschwestern kennen.

Durch Kavitas Augen entdecken wir Mutter Teresas Mut, ihren tiefen Glauben und ihre Hingabe. Inspiriert durch die bescheidene Friedenspionierin aus Kalkutta beginnt Kavita die Vision Mutter Teresas in ihrem eigenen Leben umzusetzen, sich selbst zu lieben und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.

Bei «Purpose» geht es um Werte, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl. Wenn ich es richtig sehe, sind das genau die Themen, die auch in Ihrem Film eine wichtige Rolle spielen. Da ist einmal das ICH der Ordensgründerin, die ein DU als Gegenüber braucht, an dem sich ihr ICH verwirklichen kann, und das aber ein WIR benötigt, um die gesamte Arbeit überhaupt leisten zu können. Diese Thematik geht stets mit Anfeindungen etc. einher. Haben Sie das bei Ihrer Arbeit ebenfalls reflektiert?

Die Zerrissenheit von Mutter Teresa und ihr Kampf, sich trotz innerer Zweifel mit Empathie für die in unserer Gesellschaft Vergessen einzusetzen, nehmen im Film eine zentrale Bedeutung ein. In diesem Sinn ist es ein zu tiefst humanitärer Film, ein Film über einen Menschen und nicht über eine Heilige.

Wir sehen und erleben, wie Mutter Teresa sich nach der Nähe und Verbundenheit mit Gott sehnt und wie sie sich über Jahrzehnte hinweg getrennt fühlt von ihm (nachzulesen in den persönlichen Briefen von Mutter Teresa, welche dies auf sehr berührende Weise zum Ausdruck bringen; 2007 publiziert im Buch „Komm, sei mein Licht“).

Kaum ist sie dem Ruf Gottes gefolgt und hat sich in den Slums von Kalkutta auf ihre herausfordernde Arbeit im Elend eingelassen, verliert sie den Kontakt zu Gott. Sie kann weder seine Stimme hören noch seine Energie spüren und fühlt sich abgetrennt, verlassen (und verraten). Gott hat sie in „die Löcher der Armen“ gerufen. Sie hat alles zurückgelassen und ihr Leben den Ärmsten der Armen gewidmet. Sie ist verzweifelt und fühlt sich vollkommen allein. Außer mit ihren Beichtvätern kann sie mit niemandem sprechen und muss sich ihr Leid und ihre Einsamkeit in unendlich vielen Briefen nächtelang von der Seele schreiben.

Der Schmerz muss sie körperlich und seelisch gebrochen haben. In ihrer Enttäuschung fühlt sie sich auch immer wieder schuldig. Sie zweifelt an sich und versucht, über noch härtere Arbeit, Verzicht und Gehorsam Gottes Nähe zu finden. In mehreren Briefen ist zu lesen, dass sie den Glauben verloren hat. Und trotzdem bleibt sie dabei, steht jeden Morgen auf und opfert sich für jene Verlorenen und Vergessenen auf, diejenigen also, um die sich niemand mehr kümmert. In dieser Aufgabe findet sie schlussendlich eine gewisse Akzeptanz. Eine Versöhnung ist nicht möglich. Aber sie kann ihr Leid, welches sie als „tiefe Dunkelheit“ beschreibt, nach Jahrzehnten als Geschenk Gottes anerkennen. Scheinbar muss sie dieselbe Dunkelheit erleben wie ihre Schützlinge, um deren Schicksal zu verstehen, Empathie zu entwickeln und echtes Mitgefühl zu leben.

Kavita entdeckt in ihrem Volontariat bei den Schwestern in Kalkutta dieses Mitgefühl und ist zutiefst bewegt. Sie trifft neue Entscheidungen für ihr Leben, kehrt nach London zurück und übernimmt für sich und ihre Umgebung Verantwortung. Über Kavita und ihre heutige Geschichte kann sich auch ein junges Publikum mit dem Film identifizieren und wird inspiriert, das eigene Leben zu reflektieren, eine Vision zu entwickeln und diese auch in schwierigen Lebenssituationen zu verfolgen. Das Publikum kann also den Prozess vom ICH zum DU zum WIR über beide Charaktere im Film erleben und wird angeregt, sich mit den eigenen Werten auseinanderzusetzen und sich im persönlichen Umfeld für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen.

Mutter Teresa hat zwar den Friedensnobelpreis erhalten und wird von der Katholischen Kirche als Heilige verehrt, dennoch gibt es verschiedenen Kritiker, die ihr alles Mögliche vorwerfen. Haben Sie diese Widersprüche in Ihren Film miteingearbeitet?

Wie erwähnt, ist es uns wichtig, diese Kontroversen zu thematisieren und das Publikum anzuregen, sich Gedanken über die eigenen und die humanitären Werte zu machen. Über Kavita und ihre Geschichte wird beispielsweise das Thema „Abtreibung“ offen angesprochen. Und wir sehen Mutter Teresa, die ihren Schülerinnen im Loreto Convent klar zum Ausdruck bringt, dass sie gegen die Abtreibung ist. Das Filmteam nimmt dazu jedoch keine Stellung. Es ist uns wichtig, die Situationen der Hauptfiguren darzustellen und dadurch zum individuellen Denken anzuregen.

Jaqueline Fritschi-Cornaz als Mutter Teresa in Gebetshaltung.

Wie sehr hat Sie selbst die Thematik der Armut und der Nächstenliebe geprägt? Oder anders gefragt: Sind Sie durch die Beschäftigung mit dem Leben und dem Wirken von Mutter Teresa ein anderer Mensch geworden?

Die Betroffenheit hat auf all den vielen Indienreisen in diesen elf Jahren nicht abgenommen. Auch heute empfinde ich im Kontakt mit armen Menschen Trauer, Wut und Frustration. Aber durch die Mitarbeit in diesem Filmprojekt fühle ich mich nicht mehr ohnmächtig. Ich kann über meine Arbeit und mein Menschsein tatkräftig einen Beitrag leisten – und dies gemeinsam mit einem fantastischen Team von kreativen, engagierten und innovativen Menschen.

Die gemeinsame Vision trägt uns und gibt uns die Kraft und den „langen Atem“, dieses umfassende, humanitäre Projekt zu erschaffen und in die Welt hinauszugeben – und hoffentlich vielen Menschen Mut und Inspiration zu schenken. In dieser Hinsicht übe ich mich wie Mutter Teresa in Demut und Hingabe und erfahre, dass das, „was wir bewirken, kaum mehr ist als ein Tropfen im Ozean. Aber wenn wir tatenlos blieben, fehlte dem Ozean gerade dieser Tropfen“ (Mutter Teresa).

Anfangs war es der Glaube, der Mutter Teresa trug, später konnte sie nicht umhin, an allem zu zweifeln. Auch sie zweifelten manches Mal an dem, was Sie vorhatten und haben. Was hilft Ihnen, den Zweifel zu besiegen?

Weil wir Mutter Teresa als Menschen mit all ihren Zweifeln zeigen, bedeutet dies hoffentlich auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer eine Ermutigung. Zweifel gehören zum Leben und wir schaffen es trotz dieser inneren Zerrissenheit, weiterzugehen und dabei stärker zu werden.

Auch im Projekt gab es Momente des Zweifelns. Schaffen wir es, andere zu begeistern? Reicht es, ein visionäres Projekt zu initiieren, selbst einen großen Beitrag zu investieren und andere davon zu überzeugen? Bringen wir das Produktionsbudget von 3.6 Millionen Euro über Spenden zusammen? Können wir auf Co-Produzenten und Investoren verzichten, um bei unserer Vision des 100%-Non-Profit-Films zu bleiben und den gesamten Filmerlös an Institutionen geben zu können, welche sich für die Bildung und die Gesundheit von Kindern in Indien engagieren? Diese Fragen und Risiken haben uns immer wieder beschäftigt.

Aber auch in der Rollenarbeit gab es Momente, in denen mich die Angst überfiel oder das Gefühl, nicht zu genügen. In diesen Augenblicken bin ich unendlich dankbar, in einer großartigen Partnerschaft mit meinem Mann, in einer unterstützenden Familie und im Kreis von wahren Freunden leben zu dürfen. Dieser „Boden“ gibt mir die Kraft und den Mut, diesen Weg zu gehen, zu meinen Unzulänglichkeiten zu stehen und meinen Traum zu leben.

Es gibt ja verschiedene Modelle, die Armut in der Welt zu beseitigen, die Bekämpfung der Ursachen ist das wohl beste. Was würden Sie – nach der intensiven Beschäftigung mit Mutter Teresa – vorschlagen?

Mutter Teresas schon erwähntes Zitat „Don’t wait for leaders, do it alone, person to person”, ist heute aktueller denn je. Wir sind alle aufgefordert, hinzusehen, zu reflektieren und zu handeln. Wir haben alle die Möglichkeit, in unserem eigenen Wirkungskreis (und darüber hinaus) mehr Verantwortung zu übernehmen, um ein friedliches und gerechtes Miteinander kreieren zu können. Ich kann mir diese Aufgabe ja auch äusserst kreativ, inspirierend und bereichernd gestalten.

Wenn es mir gelingt, andere für die «gute Sache» zu begeistern und gemeinsam am selben Strick zu ziehen, macht es auch unglaublich Spaß, gibt solidarische Energie und Verbundenheit. Zudem kann ich mich durch alle Herausforderungen, welche sich auf dem Weg stellen, weiterentwickeln. Es gibt so viele Möglichkeiten, konkret zu handeln und sich für eine «bessere Welt» einzusetzen. Es liegt mir fern, hier irgendwelche Rezepte empfehlen und andere belehren zu wollen, jeder kann das finden, was er für richtig hält.

Egal, wie arm ein Land ist, für Waffen scheint es immer genügend Geld zu geben. Wie kann der Gedanke der Nächstenliebe hier fruchtbar werden? Oder ist das letztlich ganz und gar unmöglich, weil der Mensch seine Nächsten eben nicht als Bruder sieht, sondern als Konkurrenten, egal auf welchem Gebiet?

Es ist leider eine Tatsache, dass immer noch sehr viele Menschen von Machtanspruch, Gier und Egoismus getrieben sind und nicht das Wohl aller ins Zentrum ihres Handelns stellen. Sie sprechen die Waffen an. Selbst die Schweiz, auf welche ich sonst in Vielem stolz bin, verkauft Waffen an Kriegsparteien und wähnt sich sonst als neutrales Land ¬ – was für ein unglaublicher Widerspruch!

Ich versuche, mit meinen eigenen Fähigkeiten und Talenten etwas Konstruktives zum Weltfrieden beizutragen. Der Kavita & Teresa Film ist ein wunderbares Instrument, weil ein Film generell ein Medium ist, welches die Menschen in ihren Herzen trifft und emotional bewegt. Dafür lohnt es sich, zu „kämpfen“. Und es gibt so viele Möglichkeiten, wenn wir uns auf die positive Energie fokussieren und diese stärken. Sie kreieren mit „Purpose“ auch eine großartige Inspirationsquelle, welche ihre Leserinnen und Leser im täglichen Leben ermutigt und sie zum Mitdenken anregt.

Danke für das Kompliment. Ich hoffe, dass wir diese Aufgabe erfüllen. Können Sie sich ein friedliches Miteinander der Kulturen, oder gar eine gemeinsame Weltkultur vorstellen, oder ist der Traum eines dauerhaften Friedens unter den Menschen ein vollkommen unrealistischer?

Unsere Gedanken haben eine unglaubliche Kraft, und ich glaube daran, dass es Sinn macht und Sinn stiftet, sich als Teil einer gemeinsamen Weltkultur wahrzunehmen und sich für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen. John Lennon sagte einmal, “A dream you dream alone is only a dream. A dream you dream together is reality”.

Wenn es uns gelingt, andere mit diesem Gedanken anzustecken, haben wir bereits in unserer eigenen Umgebung eine Welt mit gegenseitigem Respekt, Toleranz und Mitgefühl geschaffen. Unabhängig von meinem Beruf ist es mir als Mensch wichtig, mich dafür zu engagieren und daran zu glauben, dass es möglich ist, in Frieden zu leben. «Wenn wir keinen Frieden haben, ist es, weil wir vergessen haben, dass wir zusammengehören» (Mutter Teresa).

Viele Lichtgestalten, die der Welt das Gute bringen wollen, scheitern, werden ermordet oder mundtot gemacht, wohingegen Potentaten und Diktatoren sich immer wieder (und selbst nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges) der Zustimmung großer Teile der Bevölkerung sicher sein können. Haben Sie hierfür eine Erklärung?

Es macht mich immer wieder traurig und wütend, die von ihnen genannten „Persönlichkeiten“ zu sehen und zu hören, und es ist absolut verheerend, welche negative Macht ein einzelner Mensch ausüben kann. Für viele Menschen scheint es einfacher zu sein, sich sogenannten „Siegern“ anzuschließen und ein Teil dieser Energie zu sein. Aber wenn es möglich ist, als einzelner Mensch so viel negative Macht zu entwickeln, ist es andersherum genauso möglich.

Nehmen Sie z.B. Nelson Mandela, Malala Yousafzai oder Mahatma Gandhi. Sie alle haben wie Mutter Teresa gegen widerlichste Umstände gekämpft, eine unglaublich positive, innere Kraft entwickelt und anderen weitergegeben. Ich glaube an diese positive Energie und dass es uns mit Geduld und Liebe gelingt, sie in uns selbst zu kreieren und auf andere zu übertragen, uns vom ICH zum DU und zum WIR zu bewegen. Es ist ein täglicher Versuch wert.

Mutter Teresa und viele andere Helfer der Menschheit haben gezeigt, dass vieles möglich ist, wenn man nur einmal damit beginnt. Karl-Heinz Böhm und sein Engagement in Äthiopien, das mit einem Auftritt bei „Wetten, dass“ begann, ist hierfür nur ein Beispiel. Und das, wofür Mutter Teresa steht, wird heute von den Missionarinnen der Nächstenliebe in 710 Häusern in 133 Ländern der Erde fortgesetzt. Brauchen wir weniger selbstherrliche Politiker und mehr „Heilige“?

In aller Welt sind vermehrt wieder populistische und rassistische Tendenzen sicht-, hör- und spürbar. Egoistische Machtansprüche, fehlendes Bewusstsein und Feingefühl im Umgang mit Mitmenschen und der Wunsch nach einer kurzfristigen Gewinnmaximierung ziehen eine rücksichtslose „Hauruck-Kultur“ und eine respektlose Kommunikation nach sich.
Ich glaube nicht, dass wir für eine gerechtere Welt mehr Heilige brauchen und weniger selbstherrliche Führungspersönlichkeiten. Aber wir könnten alle, wie bereits erwähnt, als Individuen mehr Selbstinitiative und Verantwortungsbewusstsein übernehmen. Ich bin überzeugt, dass es sich lohnt, sich mit Empathie und Mitgefühl für das Wohl aller einzusetzen, andere zu inspirieren und zu begeistern, gemeinsam Verantwortung für uns UND unsere Mitmenschen wahrzunehmen. So können wir Frieden im Alltag leben und pflegen.

Und so kann auch Ihr Film dazu beitragen, eine gerechtere, eine bessere Welt zu schaffen, damit sich der Mensch wieder auf seine Grundlagen besinnt und auf das, was ihn im positiven Sinne zum Menschen macht.
Als Mutter Teresa anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises von einem Journalisten gefragt wurde, wie wir den Weltfrieden kreieren könnten, meinte sie: „Go home and love your family”.
Wir hoffen, dass Kavita & Teresa sein Publikum berührt und bewegt, und dass es sich nach dem Kinoerlebnis mit Freude und Motivation überlegt, wo man sich in der eigenen Umgebung vermehrt engagieren will. Der Film kann gewiss auf unterhaltsame Weise eine Reflektion ermöglichen und zu einer Bewusstseinserweiterung führen.

Es sind immer wieder einzelne Menschen, die trotz aller Zweifel und aller Widersprüchlichkeit in der Lage sind, uns vergessen lassen, dass es mit der Menschheit nicht zum Besten steht. Nun kann man sagen, dass wir eben wie die Dinosaurier aussterben werden – und danach irgendetwas Neues kommt (oder auch nicht). Oder man kann in einer enormen Anstrengung versuchen, das, was gut ist am Menschen, immer weiter zu entwickeln. Bedürfen wir eines neuen Humanismus und kann uns die Heilige aus Kalkutta da zum Vorbild gereichen?

Als Schauspielerin eigentlich eine spannende Vorstellung, als Dinosaurier zu sterben – mindestens im Film oder auf der Bühne… – aber zurück zu Ihrer Frage. Ich glaube nicht, dass wir den Erdball neu erfinden müssen. Eigentlich wissen wir alle, wie wir zu einer lebenswerteren Welt für ALLE beitragen können. Wir in unserer sogenannt ersten Welt müssten bereit sein, zu teilen. «Gott hat uns erschaffen und nicht die Armut, also lasst uns teilen» (Mutter Teresa). Ich sehe keine andere Möglichkeit, als sich immer wieder am Ideal zu orientieren – und dies in einer enormen Anstrengung zu versuchen.

Was wünschen Sie sich für das Jetzt und die Zukunft?

Ganz ehrlich: Ich wünschte mir eine heile Welt. Es wäre so schön. Aber es wäre wohl zu einfach und es gehört vermutlich auch zu unserer Lebensaufgabe, uns in diesem Prozess hin zum WIR zu bewegen und an Herausforderungen zu wachsen. Wir können versuchen, den vermeintlich beschwerlichen Weg, das friedliche Miteinander in jedem Moment neu und bewusst zu leben, als „Tanz durchs Leben“ zu feiern. Als langjähriger Ballettfan gefällt mir dieses Bild. Und wir können versuchen, unsere Lebensenergie aus dieser inneren und doch gemeinsamen Bewegung zu schöpfen und an andere weiterzugeben…, „person to person“…

Das gesamte PURPOSE-Team drückt die Daumen, dass Ihr Film ein Erfolg wird und nicht nur in Indien seine Spuren hinterlässt!

Fotos: Janine Guldener, Moviestills: Kavita & Teresa

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