Glaskugel mit Eiskristallen

Der Mythos vom Glück

Seit jeher versucht der Mensch zu ergründen, was denn „Glück“ sei. Auch unsere Autorin fragt: Was ist Glück, wie können wir es einfangen und Glückskiller wie Eifersucht vergessen?

Hier erfahren Sie mehr über

  • verschiedene Vorstellungen von Glück
  • die Problematik des Glücks
  • Geniale Träume

TEXT VIRGINIA NEUMANN

Virginia Neuman

Virginia Neuman ist Wissenschaftsjournalistin und US-Diplomatin. Sie studierte in Washington DC. Ihre Forschungsfelder sind Humanismus, Transhumanismus sowie ganzheitliche Gesundheitskonzepte.

Als Karl Lagerfeld einmal gefragt wurde, ob er glücklich sei, antwortete er schnell: „Ich bin nicht so ehrgeizig!“
Wenn Prominente, Leistungsträger und die Intellektuellen, die wir am meisten bewundern, nicht zugeben können, glücklich zu sein, wer in aller Welt ist dann glücklich? Mit den Fortschritten der Technologie und den Annehmlichkeiten des modernen Lebens scheinen die Gesellschaften in den entwickelten Ländern über alles zu verfügen, was sie für eine hervorragende Existenz benötigen. Aber niemand kann sicher sein, was uns dauerhaft glücklich macht – Liebe, sozialer Erfolg, Wissen, Geld – alles, was uns Glück bringen mag, kann auch ins Gegenteil umschlagen. Der Materialismus scheint das heutige Leben in eine extrem schnelllebige Gesellschaft verwandelt zu haben und lässt wenig Raum, um in die intensive Schönheit dieser Welt einzutauchen.

Was ist Glück?

Das erste Problem ist dabei folgendes: Wie können wir Glück definieren? Laut Immanuel Kant ist Glück subjektiv, ein Produkt der eigenen Vorstellungskraft, nicht unserer Vernunft. Wenn Gott gewollt hätte, dass wir glücklich sind, hätte er uns keine Intelligenz gegeben. Wie geht man dann mit einem Ideal um, dass uns ständig entflieht und vielleicht nur eine Illusion ist?

Die Interpretationen variieren im Laufe der Jahrhunderte und im Laufe der Zeit ändern sich die Lebensgewohnheiten. Glück wird oft als das Ziel des menschlichen Lebens angesehen, und die höchste Weisheit besteht darin, es zu erreichen. Nach Ansicht antiker Philosophen wie der Epikureer und Stoiker oder im Judentum, Buddhismus und Taoismus nimmt die Idee des Glücks eine zentrale Stellung in der Bedeutung der menschlichen Existenz ein.

Erst mit der Ankunft des Christentums, insbesondere seiner katholischen Variante, wurde Glück zu etwas, das nicht für diese Welt bestimmt war, sondern nur im Himmel, nach dem Leben, erreicht werden kann. Die zeitgenössische Werte haben in der Neuzeit das christliche Dogma überholt, aber inhaltlich haben sie nicht viel verändert, da sie auch das Leiden als Tugend bei der Arbeit, in der Schule, im Sport sowie bei allen Formen spirituellen Wachstums fördern.

Der Zen-Buddhismus vertritt die Ansicht, dass das Glück im Inneren liegt, wenn der Einzelne nicht mit anderen und der Außenwelt verbunden ist. Aber es gibt ein Problem mit der asiatischen Interpretation, da uns das Schicksal derer, die wir lieben, und der Zustand der Welt am Herzen liegen. Vielleicht kommt der von dem Philosophen Baruch Spinoza (1632 – 1677) vorgeschlagene Ansatz der tatsächlichen Bedeutung von Glück näher. Der Weg dorthin liegt für ihn darin, in der Gegenwart zu leben. Er argumentiert, dass unsere emotionalen Reaktionen auf vergangenen Erfahrungen basieren und nicht auf dem, was jetzt geschieht. Wir müssen lernen, in der Gegenwart zu leben, weit weg von den Traditionen der Vergangenheit und den Trugbildern der Zukunft.

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Glück und Achtsamkeit

Ein anderer Philosoph, Blaise Pascal (1623 – 1662), schrieb, dass Menschen nicht wirklich leben, sondern „hoffen zu leben“, wobei sie zwischen Sehnsucht und Erwartung schwanken und die einzige Zeit, die sie haben, die Gegenwart, vergessen. Im Jetzt zu leben ist eine einfache Möglichkeit, Gelassenheit zu erlangen und unnötigen Kummer zu vermeiden. Achtsamkeit bedeutet, im Augenblick zu leben.

Unser Geist ist fast vollständig mit Erinnerungen und Erwartungen beschäftigt, weshalb wir die meiste Zeit über keinen Bezug zur Realität haben.

Die Gegenwart ist alles, was wir besitzen, denn die Vergangenheit ist bereits vorbei und die Zukunft steht noch bevor. Die meisten von uns verbringen zu viel Zeit damit, mit Erinnerungen zu flirten oder sich über die Zukunft Sorgen zu machen. Der französische Philosoph Luc Ferry (geb. 1951) sagt, dass Erinnerungen zu Nostalgie führen. Der Rückblick auf die Vergangenheit ist schmerzhaft, uns selbst schöne Erinnerungen führen zu Melancholie. Ebenso ist die Fokussierung auf die Zukunft nicht nachhaltig, da die vor uns liegende Zeit noch nicht existiert, sondern eine Fata Morgana ist. Er fügt hinzu, dass Hoffnung Angst macht, weil sie uns an etwas erinnert, das in unserer gegenwärtigen Zeit fehlt.

Sobald die Vergangenheit und die Zukunft aus unserem Geist verbannt sind, können wir in den großen Plan des Lebens eintauchen, in die höchste Schönheit des gegenwärtigen Augenblicks. Wir können dann den tiefen spirituellen Frieden erfahren, der sich einstellt, wenn wir im Einklang mit der Natur leben, eins sind mit der Schöpfung und mit dem größeren Universum harmonieren, dessen Teil wir alle sind. Wenn Sie außerdem ganz in der Gegenwart leben, ist für die Zukunft bestens vorgesorgt.

Das Leben der anderen

Eine häufige Ursache für Leid ist das Gefühl der Minderwertigkeit. Dieses spirituelle Unbehagen wird oft durch den Selbstvergleich einer Person mit anderen, Gleichaltrigen, ausgelöst, die erfolgreicher und gesellschaftlich akzeptierter zu sein scheinen. Eifersucht ist eine negative Kraft. Es wird immer jemanden geben, der klüger, reicher oder attraktiver ist. Vergleiche führen zu Depressionen und Traurigkeit.

Aber auch das Gegenteil ist der Fall: Es gibt immer Menschen, die weniger begabt sind, sich in einer schlechten finanziellen Situation befinden und alle möglichen körperlichen Behinderungen haben, was im Vergleich zu einem fehlgeleiteten Gefühl der Überlegenheit führen kann. Beide Gefühlslagen erzeugen einen negativen Gemütszustand. Es gibt keinen Grund, sich schlecht zu fühlen, weil es jemandem besser geht, oder sich aufgrund des Unglücks anderer als privilegiert anzusehen.
Echte Zufriedenheit ergibt sich aus der Selbstentwicklung, da man sich ständig selbst herausfordert, sich spirituell zu verbessern. Wenn man sich mit sich selbst misst, ist jeder Gewinn mit großer Freude und Zufriedenheit verbunden.

„Es ist verrückt, mit anderen zu konkurrieren“, sagte der amerikanische Schriftsteller Arthur Miller einmal in einem Interview. Er empfahl, eine Methode zu entwickeln, mit der man seine Freunde, seine Kollegen und diejenigen, mit denen man zusammenlebt, unterstützen kann, während man gleichzeitig sehr hart arbeitet, um sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern und die wichtigste Aufgabe, die man hat: sich selbst so gut wie möglich zu verbessern, um sich seinen Platz in seinem Land zu verdienen. „Die Welt wird immer versuchen, Sie dazu zu bringen, darüber nachzudenken, wie Sie im Vergleich mit anderen abschneiden, aber ignorieren Sie das. Sie müssen die Arbeit tun – und Sie müssen sie tun -, für die Sie hierhergebracht wurden.“

Unzählige Schmetterlinge in einem Zimmer

Lass es sein – vergeben und vergessen

Die Welt gehört denen, die loslassen, sagte Lao Tse. Wenn wir uns für jeden Aggression, die wir für ungerechtfertigt halten, rächen würden, wäre die Welt in ständigem Konflikt. Sich für einen Kampf zu entscheiden, mag notwendig sein, aber noch wichtiger ist es, ihn zu vergessen. Oft endet eine gute Freundschaft aufgrund einer ungewollten Aggression. Wenn wir etwas bedauern oder jemanden hassen, hat diese negative Kraft eine schädliche Wirkung auf unsere geistige Harmonie. Es ist sinnlos, sich über eine Situation aufzuregen, die man nicht kontrollieren kann; besser ist es, sie zu vergessen und sich auf positive Ideen zu konzentrieren. Der Akt des Verzeihens ist sehr wohltuend, denn er befreit die Seele von den negativen Kräften des Hasses.

Es ist klüger, für unsere Erfolge dankbar zu sein, denn Dankbarkeit ist ein wesentlicher Bestandteil des Glücks. Eine gute Übung besteht daher darin, jeden Tag eine List der Dinge zu schreiben, für die man dankbar ist. Sie werden überrascht sein, mit wie viel Sie gesegnet sind. Und bedanken Sie sich immer für die Freundlichkeit der Menschen, die Ihnen begegnen, und sei es nur dafür, dass man Ihnen die Tür aufhält. „Weise sind diejenigen“, sagte der französische Philosoph André Comte-Sponville (geb. 1952), „die ein wenig weniger bedauern, ein wenig weniger hoffen und ein wenig mehr lieben.“

Ein gutes Leben

Wenn es kein dauerhaftes Glück gibt, was ist dann ein gutes Leben? Der schon erwähnte Luc Ferry behauptet, dass es in dieser Welt noch viel Freude und Zufriedenheit geben kann. Zu lieben, zu bewundern und zu lernen, sind nur einige der unendlichen Quellen von Vergnügen, Zufriedenheit und Gelassenheit, sagt er. Die leidenschaftliche Liebe natürlich, aber auch die Bindung an unsere Kinder und die unvergleichliche Freude an einer dauerhaften Freundschaft, die weniger leidenschaftlich ist als die glühende Liebe, aber oft fester und gelassener, verschaffen uns große Befriedigung. Der Verlust eines geliebten Menschen, aus welchem Grund auch immer – Scheidung, Trennung, Tod – löst tiefe Traurigkeit aus. Die beweist auch, dass die Befürworter eines selbstbestimmten Glücks falsch liegen.

Doch der Umgang mit anderen ist nicht immer einfach. Die von Arthur Schopenhauer geschaffene Stachelschwein-Theorie ist eine Metapher zur Beschreibung menschlicher Beziehungen. Schopenhauer verdeutlicht das Dilemma menschlicher Nähe, indem er sich eine Gruppe Stachelschweine in einem kalten Winter vorstellt. Um sich warm zu halten, drängen sie sich zusammen, aber wenn sie sich zu nahekommen, stechen sie sich gegenseitig und verursachen Schmerzen.
Wenn sie sich trennen, wird ihnen kalt, sie schließen sich wieder zusammen und werden erneut verletzt, was zu einem kontinuierlichen Zyklus von Annäherung und Trennung führt. Dieser Zyklus hat kein Ende. Die gleiche Dynamik ist in der menschlichen Intimität zu beobachten. Wenn sich Menschen emotional annähern, werden sie verletzt. Für Schopenhauer gibt es leider keinen Ausweg aus dieser Sackgasse. Basierend auf diesem Konzept ist unser Glück, wenn es von denen abhängt, die uns am Herzen liegen, buchstäblich unerreichbar, weil die Intimität der Beziehung immer Unbehagen bereiten wird.

Vielleicht hatte Albert Einstein Recht, als er sagte, dass der beste Weg, Glück zu erreichen, darin bestünde, es an ein Ziel zu binden, nicht an Menschen oder Dinge. Und genau das hat er getan.

Fotos: Adobe Stock, iStock, Unsplash / Aaron Burden, Shot by Cerqueira

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