Mann mit Armbanduhr.

Phönix aus der Asche: Die Uhrenmanufaktur A. Lange & Söhne

Die Uhren sind zeitlos legendär. Und das traditionsreiche Unternehmen macht nicht nur Liebhaber in aller Welt glücklich, sondern auch seine Mitarbeiter. Ein Gespräch über wechselvolle Werte, Empathie und Erfolg mit dem CEO Wilhelm Schmid.

Text & Interview Gerd Giesler

Schwarz-Weiß-Portrait von Walter Lange.

Walter Lange war der Urenkel des Firmengründers Ferdinand Adolph Lange. Er wurde 1924 in Glashütte geboren und wusste schon als Schüler, dass er Uhrmacher werden möchte. Mehr über sein Leben lesen und sehen Sie auf der Homepage von Lange Uhren.

Lange Uhren ticken anders. Wenn man ganz genau hinhört, die Augen schließt und sich erinnert, wird ein deutsch-deutsches Märchen lebendig. Es beginnt 1845 als Ferdinand Adolph Lange im Müglitztal als visionärer Uhrmacher den Grundstein legt für eine Manufaktur mit wechselvoller Familiengeschichte.

Im Jahr 1868, mit dem Eintritt von Richard Lange in den Betrieb, entsteht der Name, der bis heute Uhrenfreaks glänzende Augen beschert: „A. Lange & Söhne“. Unter Mitwirkung des jüngeren Sohnes Emil erwirbt sich die Manufaktur ihren Weltruf, damals noch für Taschenuhren.

Zeitwerke mit Herz und Hirn

Doch nach 103 Jahren Firmengeschichte ziehen dunkle Wolken auf. Die Manufaktur wird nach dem Krieg von den Sowjets enteignet und zu DDR-Zeiten verstaatlicht. Komplizierte mechanische Werke sind passé, im neu geschaffenen Glashütter Kombinat sind Quarzuhren angesagt. Der Name Lange verschwindet von den Zifferblättern.

Nach dem Mauerfall beschließt Urenkel Walter Lange die Marke neu aufzubauen. Er fängt quasi bei Null an. Es gibt keine Produktion, kein Gebäude, keine Mitarbeiter, keine Uhren, nur einen Partner: Günter Blümlein. Daraus wird ein kongeniales Duo. Ist Lange das Herz, so ist Blümlein das Hirn. Wie Phönix aus der Asche erfinden die beiden die Marke A. Lange & Söhne neu.

Handwerkskunst mit Zukunft

Schon das Bravourstück aus der ersten Kollektion von 1994, die „Lange 1“, feiern Uhrenfans als Wiedergeburt eines Mythos. Das „Wunder von Glashütte“ verbreitet sich wie ein Lauffeuer, triumphiert über die Ungerechtigkeit der DDR und erobert die Volksseele. Mit Leidenschaft und Weitblick bringt es die Ausnahme-Manufaktur weit. Heute sind Lange Uhren weltweit begehrt und die Manufaktur steht am Zenit der deutschen Uhrmacherkunst. So viel zur Vorgeschichte.

Portrait von Wilhelm Schmid.
CEO Wilhelm Schmid

Die Liebe zur Uhrenmanufaktur

Heute ist Wilhelm Schmid CEO des Unternehmens, gelernter KFZ-Mechaniker und Betriebswirt aus Jülich, der vor zehn Jahren vom Sechszylinder bei BMW zur Dreiviertelplatine bei A. Lange & Söhne wechselte. Er hat nicht nur eine starke Marken- und Produktvision.

„Herr Schmid, die Begeisterung, Passion und Liebe der Belegschaft für A. Lange & Söhne hat Sie schon kurz nach Ihrer Ankunft in der Uhrenmanufaktur tief beeindruckt. Dies zu bewahren haben Sie sich zur Aufgabe gemacht, getreu dem Motto von Aurelius Augustinus: „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst. Nur wer selbst brennt, kann Feuer in anderen entfachen.“

Schmid: „Ja, ich habe unglaublich Glück gehabt. Zwei Leidenschaften bestimmen von Jugend an mein Leben: Autos und Uhren. Und dann durfte ich für BMW in Südafrika arbeiten und dachte – hier gehst du nie wieder weg.

Doch dann hat sich mir als passioniertem Uhrensammler die Möglichkeit geboten, A. Lange & Söhne als CEO zu leiten. Am 3. Dezember 2010 stieg ich bei 35 Grad in Pretoria in die Maschine und kam bei minus 17 Grad in Dresden an.“

Die Uhrenmanufaktur von A. Lange & Söhne in Glashütte, Sachsen.
Die Uhrenmanufaktur von A. Lange & Söhne in Glashütte, Sachsen

Uhrenbetrieb mit Ökosystem

Bereits am Abend des 6. Dezembers durfte der frisch gebackene Uhren-Chef während eines Empfangs im Schloß zu Dresden alle Wegbegleiter und Konzessionäre der ersten Stunde kennenlernen – das bescherte ihm ein Schlüsselerlebnis:

„Ich habe noch nie erlebt, dass eine Marke so viele Gönner und Beschützer hat. Eigentlich alle, mit denen ich an diesem Abend ins Gespräch kam, bekannten sich als Hüter und Bewahrer dieser kleinen Glashütter Uhrenmanufaktur. Dass eine Marke so ein Ökosystem besitzt und so geliebt wird, das war für mich unfassbar. Um zwei Uhr nachts fiel ich total geflasht in mein Bett.“

Sie produzieren bis zu 7.000 Uhren pro Jahr (im Vgl. Rolex ca. 800.000 Stück) zu einem Verkaufspreis von 16.000 Euro aufwärts. In der Evolution der Dinge sind mechanische Uhren Dinosaurier. Die Welt braucht sie schlichtweg nicht. Was macht feine, mechanische Luxusuhren in Ihren Augen so begehrlich?

„Zeit ist heute überall sichtbar. Auf jedem Handy, jedem Computer, in jedem Auto. Die Armbanduhr in ihrer Funktion als Zeitmesser hat an Bedeutung verloren und an Aussage gewonnen. In der feinmechanischen Uhr reflektiert sich heute viel mehr die Persönlichkeit ihres Besitzers.“

Unter einer Ikone (Englisch icon) versteht man im übertragenen Sinne eine Person oder Sache, die in idealer Weise Werte oder ein bestimmtes Lebensgefühl verkörpert. Was trifft davon auf Lange Uhren zu?

„Man kann das schlecht von sich selbst sagen, das müssen andere beurteilen, aber wir stehen ganz klar für gelebte Werte. Für etwas, das Bestand hat, paradoxerweise zeitlos ist. Das war auch das Sympathische an Walter Lange. Er hätte das Wort „Ikone“ nicht in den Mund genommen. Sein Herz schlug zuallererst für die Manufaktur, und dann dafür, dass es den Mitarbeitern gut ergehe, aber auch für das Wohl von Glashütte als Ort.“

Die „Lange 1“ bezeichnen viele Kenner als ikonisch …

„Das war und ist eine Uhr wie ein Paukenschlag, die immer ein Leuchten in die Augen bringt. Ich glaube, dass die Lange 1 so etwas ist wie der 911er von Porsche. Obwohl es die Lange 1 in verschiedenen Ausführungen und Komplikationen gibt bis hin zum Tourbillon Ewiger Kalender, es sind immer klare Lange 1 Modelle. 27 Jahre nach dem Launch ist sie immer noch unser Bestseller, während sich Produktzyklen anderer Hersteller in Monaten bemessen. Das findet man nicht mehr so oft in der heutigen Zeit.

Die Lange 1 ist auch eine Uhr, die keinerlei Verbindung zu einer Uhr hatte, die wir jemals gebaut hatten oder einer anderen Uhr, die es zu diesem Zeitpunkt auf dem Markt gab – das war schon ein mutiger Neuanfang. Und trotzdem vereint sie das Wissen und das Können einer ganzen Uhrmacherdynastie sowie die gute Tradition. Schließlich hat sie als erste ihrer Art das Thema Großdatum aufgegriffen und umgesetzt – eine Inspiration der berühmten Fünf-Minuten-Uhr in der Semperoper, vom damaligen Dresdner Hofuhrmacher Gutkaes und seinem Gesellen und Schwiegersohn Ferdinand Adolph Lange.“

Der Uhrmacher Ferdinand Adolph Lange.
Gründervater: Die einzige Fotografie von Ferdinand Adolph Lange

Neugründung für verarmte Bewohner

Im Jahr 1845 erhielt selbiger Ferdinand Adolph Lange für seine Idee, einen neuen Erwerbszweig für die völlig verarmten Bewohner des Erzgebirges zu erschaffen, vom Königlich Sächsischen Innenministerium ein rückzahlbares Darlehen von 7.820 Talern. Er legte damit den Grundstein zur sächsischen Uhrenindustrie.

Deren weitere Entwicklung förderte Lange, indem er qualifizierte Mitarbeiter zum eigenen Unternehmertum ermunterte. Liebe und Leidenschaft zum Handwerk ließ so manchen Uhrmacher über sich hinaus wachsen. Julius Assmann oder Carl Moritz Großmann waren solche Zeitgenossen.

Wie wichtig ist Empathie in der Manufaktur heute?

Schmid: „Hier schließt sich der Kreis zu Walter Lange. Das hat sehr viel mit Wohlfühlen und Wertschätzung zu tun, ob jemand viele Jahre seinem Unternehmen treu bleibt. Das gilt auch für unsere Entwickler, Uhrmacher, Finisseure und Maschinenführer. Sie alle verbindet eine extrem hohe Loyalität mit dem Unternehmen. Ich glaube, die entsteht, weil man etwas baut, worauf man stolz sein kann.

Es ist aber auch wichtig, dass man in einem Umfeld produziert, das die Zufriedenheit fördert. Und das gelingt meines Erachtens nur, wenn es außer dem reinen Geschäftszweck noch einen übergeordneten Wert gibt, der die Gemeinschaft zusammen hält und nach vorne blicken lässt. Ob Empathie oder Sinnhaftigkeit – wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem.

Das sind natürlich auch die Werte, die ein Familienunternehmen ausmachen – selbst wenn wir heute durch unsere Zugehörigkeit zum Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont kein Familienunternehmen mehr sind, in vielen Bereichen verhalten wir uns nach wie vor so.

Ich bekomme es oft von Kunden widergespiegelt, die unsere Manufaktur besuchen und sagen: es ist unglaublich, wie stolz ihre Mitarbeiter auf die Uhren sind und welche Begeisterung sie für höchste Qualitätsmaßstäbe entwickelt haben. Diese Freude und Wertschätzung funktioniert natürlich nur, wenn das aus sich selbst heraus strahlt.“

Alte Aufnahme von Günter Blümlein und Walter Lange.
Dreamteam: Günter Blümlein und Walter Lange

Was haben Sie gefühlt, als das Denkmal für Walter Lange und seinen Leitspruch „Niemals stehen bleiben“ im September 2020 in Glashütte eingeweiht wurde?

„Walter Lange hatte sich vor Jahren schon aus dem aktiven Geschäft der Firma herausgenommen und trotzdem ist er bis heute präsent. Dieses Fundament von Werten in einer Gemeinschaft hat zu ganz wesentlichen Teilen er erschaffen. Ich habe viel Zeit mit ihm verbringen dürfen, um zu verstehen, was ihn bewegt hat. Er hat mir viel mitgegeben. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar. Wir hatten immerhin noch sieben gute Jahre zusammen, bis er 2017 unmittelbar zu Beginn der Genfer Uhrenmesse verstarb.

Walter Lange ist immer noch präsent in der Firma, weil die Werte, die er uns vermittelt hat, noch heute gelebt werden.“

Als Luxus-Nischenmarke haben Sie Ihre Neuheiten bislang einer ganz bestimmten Käuferschicht auf Fachmessen und Shop-Events präsentiert. Seit der Pandemie ist das anders. Letztes Jahr genügte es, eine Ihrer Neuheiten, die „Odysseus“ in Weißgold, auf der Internetplattform Watches and Wonders zu zeigen, um diese Uhr zu verkaufen – ohne dass die Erwerber sie jemals in ihren Händen gehalten hatten. Demnächst eröffnen Sie einen eigenen E-Commerce-Shop. Verliert eine Nobelmarke nicht ihren Nimbus, wenn sie auf die anonyme Welt des Internets setzt?

„Noch vor 15 Monaten hätte auch ich gesagt: das funktioniert nicht. Und wahrscheinlich hätte ich damals damit recht gehabt. Aber es sind natürlich nicht nur wir, die sich verändert haben, sondern auch die Konsumlandschaft unter Corona, auch unsere Kunden weltweit haben sich verändert.

Diesen Veränderungen zu entsprechen, halte ich für absolut richtig. So wie ich vehement proklamiere, dass wir Uhren zwei mal montieren, damit sie absolut fehlerfrei zum Kunden gelangen, weil das einfach unsere Philosophie ist, genauso werde ich dafür sorgen, dass sich da, wo der Kunde sich verändert, auch wir uns verändern, weil wir sonst nicht mehr relevant sind.

Es ist natürlich eine spannende Frage, wie das sein wird, wenn wir wieder die sozialen Wesen sein dürfen, die wir immer waren. Aber die Zeiger der Zeit lassen sich nicht zurückdrehen. Ich glaube, dass es parallel weitergeht, also digital und physisch, denn die Veränderung ist unabwendbar.

Doch wie wir künftig unsere Uhren auch präsentieren werden: dieses Erlebnis, die Uhr zum ersten Mal in den Händen zu halten, wird bleiben. – Und das ist ein unbeschreibliches Gefühl, egal, wie Sie im Vorfeld den Verkauf orchestriert haben.“

Fotos: Images provided by A. Lange & Söhne/Lange Uhren GmbH 2019

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