Ärztin im Gespräch mit einem Patienten.

Purpose-Konzepte im Krankenhaus, Teil 2

Kann die Ethikstruktur eines Krankenhauses mit den wirtschaftlichen Interessen langfristig vereint werden? Der Frage geht unser Autor in der Fortsetzung seiner Untersuchung nach.

Text Thomas Kapitza

Schwarz-Weiß-Bild von Thomas Kapitza.

Thomas Kapitza ist öffentlich bestellter und vereidigter Sach­verständiger im Gesundheits­wesen und leitet das Medicine & Economics Ethics Lab an der Universität Zürich.

Eine gelungene Purpose-Festlegung eines Krankenhauses sollte überzeugend den Unterneh­menszweck, kategorisiert nach Interessengruppen innerhalb und außerhalb von Krankenhäu­sern, darstellen können. Die thematisch breiter angelegten Überlegungen der branchenüber­greifenden aktuellen Stake­holderdiskussionen zeigen ein umfassendes Zweck-Verständnis (Grove et al. 2020).

Der Zusam­menhang zwischen Purpose (Unternehmenszweck) und seiner innerbetrieblichen Umsetzung stellt, jenseits seiner wirtschaftsrechtlichen Aspekte, einen ethischen Zu­sammenhang zwi­schen Unternehmenszweck, Stakeholder-Erwartungen und den Grundsätzen der Unterneh­mensführung (Corporate Governance) her.

Ein Krankenhaus sollte mit seiner Purpose-Festle­gung innerhalb seiner Unternehmensvision (Was?), seines Leitbilds (Warum?), seines Mission Statements (Wofür?) und seinem Reputations- und Compliance-Management überzeugen können.

Wenn sich Krankenhäuser an die sich verändernden Umfeldbedingungen (u.a. rechtlicher Rah­men, Ökologische Nachhaltigkeitsparadigmen, digitaltechnologisch induzierter Sektor­wandel) anpassen müssen, ist die strukturierte interne Organisationsentwicklung eine geeignete Adap­tionsstrategie.

  • Ärztin untersucht einen Patienten im Krankenhaus.
  • Arzt hält ein Tablet in den Händen.

Purpose und Ethikstruktur des Krankenhauses

Im Krankenhaus können sich Purpose-Formulierungen nicht nur auf wirtschaftsethische As­pekte des betrieblichen Handelns beziehen. Die Patientenversor­gung steht, mit ihrem direk­ten Bezug auf den gesellschaftlich konsentierten und alles überragenden Wert menschlichen Lebens, im Vor­dergrund des Krankenhausbetriebs.

Die Purpose-Festlegungen wirken tief hin­ein in die medizinethisch-organisationsbezogene Grundstruktur von Krankenhäusern mit ih­ren jeweili­gen Konzeptebenen. In einem Bottom-Up-Konzeptansatz können dabei insbeson­dere für die ärztlichen Kranken­hausbeschäftigten die Purpose-Aspekte für drei unterschiedli­che Ethikebe­nen betrachtet werden.

Die professionsethische Ebene (Berufsethik) wird für die Ärzteschaft ethisch-inhaltlich ausge­füllt durch ihre Berufseide (Hippokratischer Eid; Schweizer Eid), Kodizes (Ärzte Codex) oder das Genfer Gelöbnis. Diese ethischen Selbstverpflichtungen der Ärzteschaft haben wichtige inhaltliche Bezüge zum Purpose bzw. Zweck des Gesamtkrankenhauses. Der Krankenhaus-Purpose muss kompatibel zu den berufsethischen Werten und Verhaltensanforderungen der Ärz­teschaft sein.

Beispielsweise wäre die Purpose-Vorgabe „Erzielung be­triebswirtschaftlicher Gewinne“ prob­lematisch, weil aus dem beruflichen Grundverständnis heraus das Patientenwohl im Mittel­punkt ärztlicher Berufsausübung steht. Für die Ärzte­schaft ist die Abwägung zwischen Patien­tenwohl und wirtschaftlicher Vorteilhaftigkeit ein zentrales normatives Spannungsfeld im Krankenhaus, und von erheblicher medizinethischer und unternehmensethischer Bedeutung.

Eine Einschränkung dieses Patientenwohls aufgrund von Gewinnmaximierungsüberlegungen hätte mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens Motivations-, Vertrauens- und reputa­tions­zerstörende Auswirkungen bei wichtigen Stakeholdern (Ärzteschaft, Patienten, Gesell­schaft) zur Folge.

Ethische Ebenen in der Klinik

Auf der versorgungsethischen Ebene (Klinische Ethik) sollte der Krankenhaus-Purpose mindes­tens eine gemeinsame Ethik-basierte Ausrichtung der im komplexen und arbeitsteiligen Ver­sorgungsprozess beteiligten Fachkräfte bzw. Berufsgruppen bewirken können. Eine gemein­same Ausrichtung aller Fachkräfte auf das Ziel der Maximierung des betriebswirtschaft­lich-monetären Unternehmenserfolgs würde wahrscheinlich in ein moralisches, gesundheitliches, haftungsrechtliches und damit dann auch unternehmerisches Desaster führen.

Die organisationsethische Ebene des Krankenhauses (Krankenhausethik), wird durch die wirt­schaftsethische Perspektive (Corporate Governance) und die medizinethisch-ärztliche Per­spek­tive (Medical Corporate Governance) geprägt. Eine verbindliche Purpose-Beschreibung könnte auf dieser Ethikebene insbesondere den Führungskräften in der Unternehmensleitung und in den medizinischen Klinikleitungen helfen.

Sie könnten idealerweise ihre interdisziplinär erarbeite­ten Managemententscheidungen stets vor dem Hintergrund des gemeinsamen, und damit für alle Beteiligten verbindlichen Krankenhauszwecks reflektieren. Im Management-All­tag könn­ten dann die medizinethischen Überlegungen, über die berufsethische und versor­gungs­ethische Aspekte hinaus, in die Entscheidungsprozesse der Krankenhausleitung einge­bracht werden.

Die Qualität der Managemententscheidungen des Krankenhausunternehmens würde durch eine solche, stärker holistisch orientierte Entscheidungsvorbereitung gestärkt werden. Der Purpose-Ansatz würde damit zu einem Optimierungsansatz bezüglich der Sichtbarkeit und Wirksamkeit medi­zinethischer Aspekte auch für diejenigen Betriebs- und Steuerungsbereiche des Krankenhau­ses, welche nicht unmittelbar an der medizinisch-pflegerischen Patientenver­sorgung teilneh­men.

Die komplexe und vielschich­tige Stakeholder-Struktur innerhalb und ausserhalb der Kranken­häuser könnte mit Purpose-Argumenten in einen stärker ethisch orientierten Dialog einge­bunden werden.

Ökologische Bewegungen zeigen in anderen Wirtschaftssektoren und gesell­schaftlichen Themenfeldern schon jetzt auf, welche Dynamik und welchen Veränderungs­druck solche Entwicklungen erzeugen können (Bundesverfassungsgericht 29.04.2021).

Ärztin umarmt ein Kind.

Purpose als Kultur-Booster

Wird der Purpose-Ansatz als ein Instrument zur Weiterentwicklung von Krankenhausunter­nehmen nach Innen, und nach Außen gegenüber ihrem gesellschaftlichen Umfeld verstanden, steht seine Wirksamkeit im Zusammenhang mit der ethischen Bewusstheit der beteiligten Führungskräfte (u.a. Krankenhausmanagement, ärztliche Klinik- und Bereichsleitungen usw.).

In diesem Sinn ist die Krankenhausethik in Teilen auch immer Geschäftsethik. Gegenüber dem gesellschaftli­chen Gemeinwohl wird sie zur Tugendethik, abhängig von ihrer Präsenz in den Herzen und Köpfen der Führungskräfte (Sison et al. 2018).

Purpose-Konzepte können dabei helfen, bei Kommerzialisierungs- und Ökonomisierungsdis­kussionen die Frage nach der Balance zwischen Krankenhausethik und Krankenhausökonomie genauer zu beantworten. Jeweilige Unternehmensentscheidungen in Krankenhäusern könn­ten aus den unterschiedlichen Perspektiven der Medizinethik und Wirtschaftsethik heraus überlegt, und in ihren jeweiligen Wechselwirkungen zueinander analysiert werden.

Ihr gut be­schriebener übergeordneter gemeinsamer Zweck würde die ethische Qualität von Manage­mentent­schei­dungen im Krankenhaus verbessern können.

Krankenhausethisches window dressing

Oder um es in Managementspeak zu formulieren: Purpose wäre dann kein kranken­hausethisches window dressing, sondern intrinsisch wirksames Empowerment, insbesondere be­züglich der Ärzteschaft in Krankenhäusern. Die Zusammenhänge zwischen Krankenhaus-Pur­pose und dem Ge­meinwohl sind offensichtlich. So betrachtet kann auch vermieden wer­den, dass Purpose-Ansätze als ethischer Off-label Use durch einzelne Interessengruppen im Kran­kenhaus und bzw. oder in seinem Umfeld entwer­tet werden.

Als der Business Roundtable 2019 das Purpose-Memo veröffentlichte, geschah dieses nicht vor dem harmonischen Hintergrund einer perfekten Wirtschafts- und Lebenswelt. Aus heuti­ger Sicht war das Memo ein mutiger Anfang, das damalige und teilweise noch andauernde wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Dilemma zu überwinden.

Es spricht viel dafür, die Themen und Erfahrungen aus diesem global kommunizierten wirt­schaftspolitischen und wirtschaftsethischen Impuls, nun auch im Gesundheitssektor für eine ernsthafte ethische Weiterentwicklung von Krankenhäusern zu nut­zen.

Fotos: iStock

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