Illustration einer Waage, die auf einer Seite einen Notfallkoffer, auf der anderen Seite Münze ausgewogen hält.

Purpose-Konzepte im Krankenhaus, Teil 1

Die Unternehmenskultur von Krankenhäusern wird nicht erst seit der Corona-Pandemie kritisch beäugt. Geht es um Profit oder um die Gesundheit der Patienten?

Text Thomas Kapitza

Schwarz-Weiß-Bild von Thomas Kapitza.

Thomas Kapitza ist öffentlich bestellter und vereidigter Sach­verständiger im Gesundheits­wesen und leitet das Medicine & Economics Ethics Lab an der Universität Zürich.

Im August 2019 veröffentlichte der Business Roundtable, eine nordamerikanische Wirtschafts­lobby-Organisation von fast 200 der grössten Unternehmen in den USA, ein Memo mit dem Titel „Erklärung zum Zweck eines Unternehmens“ (Statement on the Purpose of a Corpo­ration) (BRT 2019). Damit kam der Management-Anglizismus „Purpose“ endgültig auf die The­menlis­ten der globalen wirtschaftspolitischen Debatten.

Im Rahmen wirt­schaftssystemischer Kon­zepte wird darüber diskutiert, welche ethisch positi­ven oder problematischen Zusammen­hänge zwischen Wirtschaftsunternehmen und ihrem Umfeld, wie beispielsweise der sie umgebenden Gesellschaft, bestehen. Das Purpose-Konzept des Business Roundtable sollte hierzu, aus der Perspektive vor allem großer und multinational agierender Unternehmen, eine Themenbrücke bauen.

Wie die Liste der Unterzeichne­rInnen des Business Roundtable-Memos zeigt, konsen­tierten vor allem gewinnorientierte, also er­werbswirtschaftlich im marktlichen Wettbewerb aktive Unterneh­men das Dokument.

Unternehmenszweck und Unternehmensprofit

Bereits 1970 hatte Milton Friedman verkündet, dass die einzige soziale Verantwortung von Unternehmen die Gewinnmaximierung für ihre Eigentümer und Aktionäre sei (Shareholder-Ansatz) (Friedman 1970). Edward Freeman führte 2007 mit dem „Stakeholder-Ansatz“ den Gedanken ein, dass das oberste Unternehmensziel die Maximierung der Wertschöpfung für diejenigen Interessengruppen sei, die für die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens zentral wichtig sind (Freeman 2007).

Nun bot der Business Roundtable in seinem Statement eine neue wirtschaftsethische Entwick­lungsperspektive an. Die unterzeichnenden Führungskräfte erklärten, dass jede Interessen­gruppe wichtig sei, und dass sie sich dazu verpflichten, für alle Werte zu schaffen: Für den zukünftigen Erfolg ihrer Unternehmen, das Gemeinwesen und ihr Heimatland USA.

Damit er­weiterten sie kon­zep­tionell-inhaltlich den Unternehmenszweck, über eine allein gewinnorien­tierte Sichtweise hinaus, auf die Verantwortung von Unternehmen, Werte für das Unter­neh­men selbst, die Interessengruppen des Unternehmens, und die gesamte Ge­sellschaft zu schaf­fen. Das Weltwirtschaftsforum nahm den Themenkreis „Stakeholder-Kapi­talismus“ auf seine Davos Agenda (Schwab und Vanham 2021).

  • Krankenhausszene, mit Spielfigürchen dargestellt.
  • Aus dem Schlauch eines Stethoskops wurde ein Dollar-Zeichen gebildet.

Die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Unternehmenszielen

Die Purpose-Diskussion ist inzwischen in vielen Wirtschaftsbranchen angekommen. Ihr Inhalt besteht vordergründig in der Betrachtung des Zwecks eines Unternehmens. Wichtig ist aber auch die daraus abgeleitete Frage nach der Sinnhaftigkeit von Unternehmenszielen und Ge­schäfts­aktivitäten für relevante Interessengruppen.

In diese Betrachtun­gen sind vor allem die Ei­gentümer, die Kun­den, die Gesamtgesellschaft und die Unternehmensbeschäftigten einzu­beziehen. Die Frage nach dem Unternehmenszweck kann im Zusammenhang mit Corporate Social Responsibility (CSR)-Überlegungen, also der gesellschaftlichen Verantwor­tung bzw. Nicht-Verantwortung von Unterneh­men, gestellt werden (Chandler 2017; Lange und Washburn 2012).

In einer erweiterten Sichtweise stellt sich die ordnungsethi­sche Frage, ob gewinnorientierte Unternehmen die wirtschafts- und unternehmensethischen Erwartungen ihrer Interessen­gruppen erfüllen. Unter Anreiz-As­pekten ist es für die Beschäf­tigten von Bedeutung, die Ab­sichten und Ziele Ihres Unternehmens als ökonomisch und ethisch sinnvoll anzusehen (Schnebel 2017).

Diese Sinnhaftigkeit kann bei den Beschäf­tigten die Entwicklung einer intrin­sischen Motivation unterstützen (White 2016). Die festgelegten Un­ternehmensziele werden dann, gegebenenfalls sogar über die arbeitsvertraglich formulierten Pflichten hinaus, durch den ei­genen Arbeitsbeitrag motiviert im Arbeitsalltag angestrebt.

Purpose zielt somit in seiner betriebsinternen Wirkung ab auf die Erzeugung persönlicher Übereinstimmung mit dem Unternehmenszweck, und die gemeinsame verbindliche Ausrich­tung der Beschäf­tigten auf die vorgegebenen Un­ternehmensziele.

Krankenhäuser und die Purpose-Diskussionen

Wenn erkrankte Menschen ein Krankenhaus aufsuchen, vertrauen sie sich zumeist dem me­dizi­nisch-pflegerischen Fachpersonal in der Hoffnung an, dass ihre gesundheitlichen Ein­schränkungen durch eine wirksame Behandlung geheilt oder abgemildert bzw. gelindert wer­den können.

Dabei ist die Fürsorge für die Patientinnen und Patienten der Kerngedanke der Medizin (Biller-Andorno und Kesseli 2015). Der primäre Zweck eines Krankenhauses ist die Patientenversor­gung. Damit erscheinen managementthe­o­retische Purpose-Überlegungen als über­flüssig. So einfach ist es jedoch nicht.

Zwar sind der Zweck und die Ziele ärztlicher Berufsausübung an sich schon eine große Moti­vation für die Ärzteschaft. Gleiches gilt für die Pflegekräfte im Kranken­haus. Was Ärzte und Ärztinnen berufsethisch im Klinikalltag antreibt, hat erheblichen Einfluss auf die meist sehr komplexen und arbeitsteiligen Behandlungspro­zesse.

Die Etablierung der Klinischen Ethik in der Krankenhausorganisation hat einen maßgeb­lichen Beitrag dazu geleistet, dass das Patien­tenwohl und die ihm zugrunde liegenden medi­zinethischen Prinzipien „Respekt vor der (Pati­enten-)Autonomie“, „Nicht schaden“, „Gutes (für die Patienten) tun“ und „Gerechtigkeit“ (Beauchamp und Childress 2009) im Vordergrund der Versorgungsbemühungen stehen.

Der klinische Alltag in Krankenhäusern ist aber mitnichten eine ausschließlich auf Patienten­heilung ausgerichtete heile Welt. Das medizinisch-pflegerische Fachpersonal ist nicht nur auf­gefordert, mit der verfügbaren Personalmenge, vorhandenen klinischen Infrastruktur und ih­rem Fachwissen möglichst viele Patienten zu versorgen (Produktivitätsdruck).

Zusätzlich ist der Behand­lungsaufwand für den einzelnen Patient bzw. Patientin, in Bezug auf die vorgege­benen Leis­tungserlöse des DRG-Abrechnungssystems, möglichst unterhalb der vo­raussichtli­chen Planer­löse zu halten (Wirtschaftlichkeitsdruck, Deckungsbeitragsdruck).

  • Operation in einem Operationssaal.
  • Mitarbeiterinnen eines Krankenhauses laufen einen Gang entlang.

Ökonomisierungsdiskussion im Gesundheitswesen

Hierbei geht es nicht mehr al­lein um eine Bewältigung des ökonomischen Knappheitsprob­lems, welchem sich (zumindest theore­tisch) alle ökonomisch-rational agierenden Unterneh­men stel­len müssen. Es geht auch um die Optimierung der unternehmerisch-betriebswirt­schaftli­chen Er­gebnisse von Krankenhäusern, insbesondere um positive Umsatz- und Kapital­renditen auf­grund entsprechender Jahresüberschüsse oder Bilanzgewinne.

In den Ökonomi­sierungs- und Kommerzialisie­rungsdiskussionen im Gesundheitswesen wird gefordert, dass der be­triebs­wirtschaftliche Er­folg des Krankenhauses nicht das Hauptziel in der Krankenver­sorgung sein sollte (Mann et al. 2019; Biller-Andorno 2015).

Die betriebswirtschaftliche Rahmensetzung für Krankenhäuser bewirkt bei ihrer betriebsin­ternen Umsetzung, einen konkreten Verhaltens- und Handlungsdruck auf die in der Patien­ten­versorgung tätigen Beschäftigten.

Zuallererst für die Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus, die mit ihren Behandlungsent­scheidungen in Diagnostik und Therapie nicht nur die Gesund­heit der Patientinnen und Patienten, sondern auch die betriebswirtschaftliche Erfolgskennzahlen ihres Kran­kenhau­ses maßgeblich mitbeeinflus­sen. Innerbetriebliche Leistungsplanungen zu Fallmen­gen, um­fangreiche Budgetierungsprozesse, Medizincontrolling-Analysen oder auch monetäre An­reizsysteme für ärztliche Führungskräfte (mit ihrer Kopplung an betriebswirt­schaftliche Er­folgskriterien) gehören zu den Standardelementen eines „moder­nen“ Krankenhausmanage­ments.

Diese ökonomische Rahmensetzung hinterlässt ihre Spuren bei den Betroffenen. Burnout-Si­tuationen (Hartzband und Groopman 2020), Fachkräftemangel und nachlassende Identifika­tion mit den Unternehmenszielen, sind Hinweise auf ein erhebliches Spannungs­feld. Aus Sicht der Ärzteschaft wird dieses Themenfeld abgesteckt durch eine am Patientenwohl orientierte ärztliche Berufsausübung einerseits und den öko­nomischen Anforderungen und Rahmenset­zungen der betriebswirtschaftlichen Lei­tungsgremien andererseits.

Ein Arzt spricht mit einer Patientin im Krankenbett.

Purpose-Definition als Chance zur Ziele-Reflektion

Vor dem Hintergrund dieses wirkmächtigen Spannungsverhältnisses „Versorgungs­ziele vs. Ökonomische Ziele“, wird „Purpose“ in Krankenhäusern zu einer inhaltlich auszufüllenden Be­grifflichkeit. Der funktionale Betriebszweck eines Krankenhauses im Allgemeinen ist die Pro­duktion von gesundheitlicher Versorgungssicherheit für die Bevölkerung.

Dieses geschieht vor allem durch die Vorhaltung von klinisch-stationären Versorgungsmöglichkeiten, und durch die Herstellung bzw. Abgabe von Versorgungsleistungen an gesundheitlich versorgungsbedürftige Patientin­nen und Patienten.

Der Betriebszweck des Krankenhauses hat, dem Sozialstaatsprinzip folgend, seine ethischen Wurzeln im Gemein­wohl-orientierten und damit normativen Auftrag des Staates und seiner Gebietskörperschaf­ten an die Versorgungseinrichtungen (Obst 2009). Im Rahmen der gesund­heitlichen Daseins­vorsorge, und des Sicherstellungsauftrags für die relevanten Versorgungs­anbieter gemäß Sozialge­setzgebung, sollen Krankenhäuser für die Bürgerinnen und Bürger und die Be­völ­kerung verfügbar sein.

Aus der industriell geprägten Stakeholder-Perspektive (Schwab 2021) heraus sollte der Pur­pose, also der durch das Unternehmen selbst definierte Unternehmenszweck, ein Ausdruck dafür sein, wie das Unternehmen neben seinen Gewinnzielen auch zu gesellschaftsrelevanten und Gemeinwohl-relevan­ten Themen (Meynhardt und Fröhlich 2017) beitragen will.

Für den Gesund­heitssektor als einen wichtigen Teilbereich der Volkswirtschaft, werden große Her­aus­forderungen prognostiziert. Ausweitungen des gesundheitlichen Versorgungsbedarfs durch Demographie-, Klima-, Umwelt- und Pandemien-Entwicklungen, innovative medizinische Ver­sorgungstechnologien, und die digitaltechnologische Industrialisierung der Patientenversor­gung werden eine Anpas­sung angestammter Versorgungsstrukturen und damit auch der Kran­ken­häuser im Gesundheitswesen erzwingen.

Der damit verbundene Fi­nanzierungs- und Inves­titionsbedarf für die Versorgungseinrichtungen wird sich mindestens so lange erhö­hen, bis die neuen Versor­gungstechnologien ihre versprochenen produktivitäts- und qualitäts­opti­mieren­den Wirkungen entfalten.

Krankenhäuser könnten in dieser Gesamtsituation anhand der Purpose-Frage einen internen Rückbesinnungsprozess auf ihren eigentlichen Unternehmenszweck beginnen. Der versor­gungs­ethische Blick auf das kli­nische Betriebsgeschehen würde deutlich machen, dass eine bedarfs­gerechte und humane Patientenversorgung und kaufmännisch-betriebswirtschaftli­che Ge­winnziele so lange nicht im direkten Konflikt miteinander stehen, wie unter dem medi­zinethi­schen Primat des Patien­tenwohls die betriebswirtschaftlichen Ziele als nachgeordnete Priori­tät festgelegt würden.

Gewinnziele im Krankenhaussektor

Im Krankenhaussektor richten die Unternehmen ihre Zielstrukturen an ihren zumeist regiona­len Versorgungsaufgaben, und insgesamt vor allem be­darfswirtschaftlich (Bedarfsdeckungs­ziele) aus. Eine Gewinnerzielung wie bei erwerbswirt­schaftlich ausgerichteten Unternehmen ist hier (noch) nicht der wichtigste Unternehmens­zweck. Jedenfalls solange die Eigentümer die Kliniken nicht aus der Überlegung heraus betrei­ben, das eingesetzte Kapital bestmöglich zu verzinsen (Renditemaximierung) (Augurzky 2020).

Es ist also kein Naturgesetz, dass jedes Unternehmen als wirtschaftsrechtlich definierte or­ga­nisatorische Entität automatisch das Gewinnstreben bzw. Renditestreben als Unterneh­mens­zweck aufweisen muss. Auch wenn die krankenhausbetriebswirtschaftliche Rechnungs­legung (Kaufmännische Jahresabschlüsse), die anzuwendenden Vergütungsprozesse („Leis­tungsori­entiertes“ DRG-System) und die hoheitliche nur anteilige Investitionsfinan­zierung für Kran­kenhäuser diese Ausrichtung zu rechtfertigen scheinen.

Nach betriebswirtschaftlich-kaufmännischen Strukturvorgaben arbeiten zu müssen, bedeutet für ein Klinikum nicht automatisch, damit auch umfassend kaufmännische Gewinnmaximie­rungsziele zur Maßgabe seines betrieblichen Handelns machen zu müssen. Dieser Zielirrtum ist offensichtlich, aber wohl derzeit gesundheitspolitisch und finanzpolitisch ge­wollt.

Zusätz­lich führt die nachge­lagerte Frage der angemessenen Aufteilung der generierten Unterneh­mens­gewinne zwischen Krankenhausträger, (Finanz-)Investoren, Belegschaft und Staat (Steu­ern und Abgaben) zu gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Fragen der gerech­ten Vertei­lung des monetären und immateriellen Unternehmenserfolgs.

Lesen Sie im zweiten Teil dieser Untersuchung, was „Purpose“ und die Ethikstruktur eines Krankenhauses miteinander zu tun haben.

Fotos: iStock, Unsplash / Annie Spratt

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