Frau sitzt sichtlich demotiviert vor einer Fensterscheibe

QUIET QUITTING

Wie viel wollen wir arbeiten und vor allem wie? Das wird derzeit unter vielerlei Gesichtspunkten diskutiert. Denn innere Kündigung ist ein stummer Aufschrei nach Veränderung in der Arbeitswelt – nicht nur, aber auch der GenZ.

Hier erfahren Sie mehr über

  • #QuietQuitting
  • Berufliche Identität
  • Lebensqualität

Text Alina Giesler

Alina Giesler

Alina Giesler ist Kommunikationsspezialistin für nachhaltige Innovationen und Kreativschaffende zwischen Deutschland und Frankreich. Als klassischer Millenial lebt sie analog und digital, liebt es, Menschen und ihre Geschichten kennenzulernen und über Themen wie Identität und Gleichberechtigung zu diskutieren.

Flexibles Arbeiten, 4-Tage-Woche, Quiet Quitting – Die Arbeitswelt und die an sie gestellten Erwartungen verändern sich derzeit rasant und stellen Unternehmen und Arbeitnehmer vor völlig neue Herausforderungen. Die Frage, wie wir arbeiten wollen und wie viel Zeit wir im Alltag für die Erwerbsarbeit aufwenden sollten, wird seit Monaten sehr emotional diskutiert. Handelt es sich hierbei nur um ein Luxusproblem oder den klassischen Generationenkonflikt, bei dem die jüngere GenZ als die undankbare und faule neue Generation dargestellt wird?

Auch wenn man Konzepten wie Quiet Quitting, auf Deutsch „Dienst nach Vorschrift“, eventuell kritisch gegenübersteht, verbirgt sich dahinter weit mehr als eine arrogante Gleichgültigkeit.

Vielmehr handelt es sich um ein gesellschaftliches Phänomen, das die Beobachtungsgabe und die aktive Veränderungsbereitschaft einer neuen Generation beweist. Weshalb also wehren sich so viele gegen diese neuen Ideen, und warum sprechen wir überhaupt nur noch von der Kündigung und übersehen die eigentlichen Forderungen hinter Quiet Quitting?

Quiet Quitting: was ist das eigentlich?

Seit im Sommer 2022 ein 17-sekündiges Video mit dem Hashtag #QuietQuitting auf dem Sozialen Netzwerk TikTok viral ging, hat das Thema sowohl in Amerika, als auch in der europäischen Medienlandschaft eine große Debatte ausgelöst. In dem Video erzählt der amerikanische Ingenieur Zaid Zeppelin, wie er kürzlich auf den Begriff „Quiet Quitting“ aufmerksam geworden ist. Ähnlich dem deutschen Begriff der „Inneren Kündigung“ handelt es sich dabei um die rein psychologische Auflösung eines Arbeitsverhältnisses.

Bei der Inneren Kündigung (Quiet Quitting) fühlt sich der Arbeitnehmer aus verschiedenen Gründen in seiner Arbeit nicht mehr ausreichend wertgeschätzt und reagiert darauf, ohne seinen Arbeitsplatz zu gefährden. Das rechtliche Arbeitsverhältnis bleibt somit bestehen, auch wenn der Arbeitnehmer klare Grenzen setzt und „nur noch“ festgelegte Pflichten erfüllt, ohne Sonderprojekte oder unbezahlte Überstunden zu übernehmen. Quiet Quitting geht noch einen Schritt tiefer. Hier basiert die intrinsische Motivation vor allem auf dem Grundgedanken, dass Arbeit nicht das Leben ist und Produktivität nicht den Wert einer Person definiert. Man entzieht sich demnach der vielseits akzeptierten Übererfüllung im Job, um bewusst aus dem Hamsterrad der Leistungsgesellschaft auszusteigen.

Mensch hält einen Rucksack aus Leder in der Hand

Zwei gegensätzliche Ideen von Arbeit

In Deutschland gehören Überstunden und Mehrarbeit in den meisten Arbeitsverhältnissen zum Alltag. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben im vergangenen Jahr zwölf Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland Überstunden geleistet. Das bedeutet, dass rund 4,5 Millionen Menschen mehr gearbeitet haben, als es ihre Stellenbeschreibung vorsieht.

Dies führt zunehmend zu der weit verbreiteten Ansicht, dass sich gute Arbeit und ein hohes Arbeitspensum gegenseitig bedingen. Folglich wird Zeitmangel gerne als Zeichen des Erfolgs gewertet, und übermäßige Geschäftigkeit von vielen bereits als Statussymbol angesehen.

Dass die neuen Generationen versuchen, dieser gesellschaftlichen Norm zu entkommen, stößt jedoch bei vielen älteren Generationen auf Unverständnis. Anders als die heutigen Berufseinsteiger haben sie ihre Lebenskonzepte auf dieser Norm aufgebaut. So scheint es teilweise unbegreiflich, dass man bereits zu Beginn der Karriere eine 80%-Stelle anstrebt, Überstunden konsequent ablehnt oder für eine allgemeingültige 4-Tage-Woche eintritt.

Hier treffen ganz offensichtlich zwei sehr gegensätzliche Auffassungen von Arbeitsethik aufeinander. Auf der einen Seite die Auffassung, dass Arbeit im Alltag priorisiert werden sollte, Professionalität Ausdauer erfordert und Erfolg auch Opfer fordern kann. Auf der anderen Seite die klare Forderung nach mehr Lebensqualität, einer gerechteren Zeitverteilung und einem Identitätsgefühl fernab von Arbeit und Status.

Die Sehnsucht nach einem neuen Begriff von Arbeit

In den USA entstand der Begriff Quiet Quitting im Zuge der „Great Resignation“, also der anhaltenden Bereitschaft der Amerikaner, während der Pandemie ihren Arbeitsplatz zu kündigen, um eine bessere, meist von Sinn erfülltere Beschäftigung zu finden. Eine Gallup-Studie von 2021 ergab, dass sich nur etwa ein Drittel aller Arbeitnehmer in den USA in ihrem Job zufrieden und integriert fühlen.

Auch in Deutschland zeigt eine HDI Berufe-Studie, dass die Bindung an den Arbeitsplatz von Jahr zu Jahr mehr abnimmt. Im Jahr 2022 können sich „nur“ noch 58% ein Leben ohne einen Job nicht mehr vorstellen, 2020 waren es noch ganze 70%.
Seit dem letzten Jahr wird daher eine große Grundsatzdiskussion geführt: über das richtige Maß an Arbeit, ihre Verteilung im Alltag und ihren Einfluss auf die Gesellschaftsstruktur. Es scheint, dass gerade die Vielfalt und die Auswirkungen der aktuellen Krisen bei vielen Menschen den Drang nach radikalen Veränderungen auslösen. Es geht nicht mehr nur um die privilegierte Suche nach etwas Besserem, sondern um die wesentliche Grundfrage, wie wir unsere Zeit nutzen können und wollen.
Dies gilt umso mehr in einer von der Digitalisierung geprägten Welt, die durch die fortschreitende Automatisierung unseren Arbeitsmarkt und unser Verständnis von Arbeit weiterhin stark revolutionieren wird.

Nachdenklicher Mann sitzt auf dem Boden

Individuelle Zeitverhandlung

Vor diesem Hintergrund kann das Phänomen Quiet Quitting zunächst als Schutzmechanismus verstanden werden. Man bemerkt einen drohenden oder akuten Zeitmangel im eigenen Leben und beginnt daher, die eigenen Zeitprioritäten neu zu bewerten. Das Credo ist, keine unnötige Zeit für etwas aufzuwenden, das es nicht wert ist. Der Wert ist dabei ganz subjektiv zu messen. In jedem Fall dient die Quiet Quitting-Methode der Aufstockung des eigenen Zeitkontos und ermöglicht damit, den eigenen Zeitmangel zu lindern.

Nun ist der sukzessive und stille Rückzug jedoch nicht nur ein sehr passiver, sondern auch ein rein individueller Ansatz. Denn die Zeit, die eine Person durch Quiet Quitting stillschweigend zurückgewinnt, wird in vielen Fällen durch andere Menschen kompensiert, die dadurch noch mehr Arbeit auf sich nehmen müssen. Das soziale Phänomen der Inneren Kündigung verfehlt somit seine Funktion als gesellschaftlicher Aufruf zur Veränderung. Und der noble Gedanke, dass der Mensch mehr ist, als seine Arbeit, wird verdrängt durch den individuellen Drang, mehr Zeit haben zu wollen, auch wenn dies auf Kosten anderer geht.

Kollektive Bewegung für mehr Zeitgerechtigkeit

So zeigt das Fazit von Quiet Quitting auch schnell seine Grenzen auf: Zeit zu haben oder nicht zu haben ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Und ein stilles, passives Verhalten ist nicht nur keine Lösung, sondern unterstützt auch die Tatsache, dass die Diskrepanz in Sachen Zeitungerechtigkeit weiterwächst. Langfristig führt der Weg also nicht über das individuelle Aushandeln der eigenen Zeit, sondern über eine kollektive Bewegung, die auf eine strukturelle Veränderung unserer Gesellschaftsform abzielt.

Auch wenn die aktuelle Arbeitsmarktsituation und der zunehmende Fachkräftemangel derzeit Quiet Quitting begünstigen, ist dies kein nachhaltiges Modell für die Zukunft. Zeit muss heutzutage als Ganzes gesehen werden. Die freien Stunden, die man sich an einer Stelle nimmt, können an einer anderen genauso schnell wieder weggenommen werden.

Wenn wir langfristig mehr Zeit und mehr Lebensqualität fernab unserer beruflichen Identität verbringen wollen, müssen wir uns von einem Trend lösen, der sich im Hinterzimmer abspielt. Anstatt sich leise zurückzuziehen, sollte man laut und deutlich für mehr Zeitgerechtigkeit einstehen und aktiv überlegen, wie diese realisiert werden kann. Denn wer sich darauf beschränkt, nur individuell zu optimieren, kann auf Dauer schnell scheitern.

Es muss einen gemeinsamen Ansatz geben, der alle Generationen einbezieht und den Wert unserer Lebenszeit von der Erwerbsarbeit entkoppelt. Sonst bleibt Quiet Quitting, wie der Name schon sagt, eine stumme Resignation, die kurzfristig Aufsehen erregt, aber nach wenigen Monaten vergessen ist.

Fotos: Unsplash / Johnny Cohen, Borna Hrzina, Andrew Neel

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