DAS SINNTERVIEW: Blumen sind mehr als Blumen
Der Kunsthistoriker Roger Diederen ist Direktor der Kunsthalle München. Bis zum 27. August 2023 ist dort die Ausstellung „Flowers Forever – Blumen in Kunst und Kultur“ zu sehen.
Hier erfahren Sie mehr über
- Blumen als Projektionsfläche
- Kunstvolle Blumen
- Mörderische Blumen
Interview Hans Christian Meiser
Roger Diederen, geb. in Heerlen (Niederlande), promovierte an der Universität von Amsterdam in Kunstgeschichte und arbeitete an vielen renommierten Museen in Amerika. Seit 2013 ist er Direktor der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung.
Herr Diederen, eine Ausstellung über Blumen klingt zunächst nicht sonderlich aufregend. Was ist das Besondere an dieser Show?
Ich weiß, viele erwarten eine eher uninspirierte Aneinanderreihung von Stillleben, doch ich kann beruhigen, davon sind wir weit entfernt geblieben. Wir zeigen verschiedene Themenräume, die die unglaublich wichtige Rolle der Blume in Kunst und Kultur durch die Jahrtausende erhellend darstellen. Dass das noch nie in so einem Umfang und in dieser Vielfalt passiert ist, hat uns selbst sehr überrascht.
Denkt man an Blumen in der Malerei, kommen einem sofort Werke von Hobbykünstlern in den Sinn. Es sei denn man hat die Serie „Sonnenblumen“ von Van Gogh vor dem inneren Auge. Was hat Künstler zu allen Zeiten bewegt, sich diesem Thema zuzuwenden?
Blumen bilden eine ideale Projektionsfläche, um die großen Themen der conditio humana zu reflektieren: Leben und Tod, Schönheit und Vergänglichkeit. Alle Künstler, die sich dafür interessieren, landen ganz schnell bei Blumen, nicht nur in der Malerei, sondern auch in der Literatur und Musik.
Sicher war auch die Naturwissenschaft zunächst einmal Ideengeber, die Werke der Natur künstlerisch nachzubilden. Ab wann machte sich die Kunst von der Wissenschaft unabhängig?
In der frühen Botanik, zum Beispiel in Klostergärten, ging es auch häufig um medizinisches Wissen und die Erforschung der heilenden Kraft der Pflanzen. Eine Pflanze nur mit Wörtern zu beschreiben ist fast unmöglich. Daher gab es schon sehr früh Abbildungen von Blumen, gerade auch in Kombination mit wissenschaftlichen Abhandlungen.
Doch Kunst und Naturwissenschaft haben sich immer gegenseitig beeinflusst. Bilder aus der Kunst inspirierten Botaniker bei ihren Illustrationen. Die Erforschung und Erfassung von Blumen wiederum machte Künstlern deren vielfältige Erscheinungsformen leichter zugänglich und regte sie an, Blumen in symbolischer oder auch manchmal rein dekorativer Manier darzustellen.
Blumen sind mehr als Blumen, wenn man das so sagen kann. Sie sind vor allem, das weiß z.B. ein jeder am „Valentinstag“, auch und vor allem ein Symbol für die Liebe. Für welche weiteren Metaphern stehen Blumen noch?
Begriffe wie Liebe und Schönheit sind natürlich engstens verbunden mit der Blume, aber auch die Vergänglichkeit gehört eindeutig dazu. Vanitas-Darstellungen zeigen meist auch Blumen, um uns mahnend an unsere eigene Sterblichkeit zu erinnern.
Sie stammen aus Holland, das nicht nur für seine Blumen bekannt ist, sondern auch für den ersten Börsenauswuchs, als im 17. Jahrhundert der Tulpenhandel absurde Züge annahm. Ist „Flowers Forever“ biographisch geprägt?
Das kann ich natürlich nicht mit Sicherheit behaupten, aber ich glaube es eigentlich nicht. Ich denke, wenn ich in Japan aufgewachsen wäre, wäre ich genauso der verführerischen Kraft der Blume unterlegen.
Ich selbst wurde von der „Flower Power“ Bewegung der späten 60er Jahre sehr beeinflusst. Welche Spuren hat diese Zeit bei Ihnen hinterlassen bzw. wie beurteilen Sie sie heute?
Um die Flower Power Zeit bewusst mitzuerleben, war ich noch ein wenig zu jung. Aber das Rebellische dieser Bewegung, Normen und Konventionen nicht blind zu folgen und auch mal etwas zu hinterfragen, das schätze ich auch heute noch sehr.
„Wer mit Blumen lebt, hat die Chance, das Leben zu verstehen“, sagt die taiwanesische Schriftstellerin Chao-Hsiu Chen. Mit wie vielen Blumen leben Sie?
Ich habe gerne einen Blumenstrauß zu Hause, aber ich kann nicht behaupten, einen grünen Daumen zu haben. Doch ich bin vor Kurzem umgezogen und habe nun zum ersten Mal einen eigenen Balkon. Ich bin gespannt, wie es mir gelingen wird, den mit buntem Leben zu erwecken.
Blumen wachsen auch in von Menschen domestizierten Gärten. Der schönste aller Gärten ist natürlich der Garten Eden. Welche Maler haben dort welchen Blumen den Vorzug gegeben?
Da gibt es glücklicherweise überhaupt keine Konvention – jeder Mensch gestaltet das Paradies nach eigener Vorstellung. In der Ausstellung gibt es eine herrliche, teils ironische Darstellung des Paradieses vom dänischen Maler Kristian Zahrtmann, der darin mit der herkömmlichen christlichen Bildtradition des Themas bricht. Er malt nämlich lediglich einen idealschönen Adam umgeben von Blumen und lässt Eva einfach weg. Den weiblichen Körper darzustellen, hat ihn überhaupt nicht interessiert.
„Denn alles Fleisch, es ist wie Gras, und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume“, heißt es in der Bibel und demzufolge auch im „Requiem“ von Johannes Brahms. Die Blume – mehr als ein Symbol für Schönheit?
Ja, leider kommt es nach der Blüte zum unvermeidlichen Tod. Doch Blumen künden auch oft von Wiederkehr, mit ihren Samen oder Zwiebeln. Daher kennt fast jede große Weltreligion eine Blumensymbolik. Im interreligiösen Kapitel der Ausstellung fokussieren wir auf die Lotusblume im Alten Ägypten und Buddhismus sowie auf die Rose, die im Christentum und im Islam eine zentrale Rolle spielt. Wie man es auch nennt, Reinkarnation oder Auferstehung, Blumen bieten Trost und die Hoffnung, dass ein Neuanfang möglich ist.
Es gibt ja auch Bundes- und Landesgartenschauen, um die Flora und Fauna zu erleben. Was ist bei der künstlerischen Darstellung anders?
Solche groß angelegten Park-Schauen sind einerseits natürlich extrem künstlich, andererseits unterliegen sie aber immer noch bestimmten Naturgesetzen. In der bildenden Kunst, die sich mit Blumen beschäftigt, ist die einzige Einschränkung das menschliche Vorstellungsvermögen.
Nicht nur in Deutschland, sondern beinahe weltweit gibt es den Gartenzwerg, der einen Großteil seiner Zeit dem Einpflanzen von Blumen widmet. Was macht das Faszinosum dieses Gesellen aus?
Sie stellen Fragen! Mit dem Gartenzwerg habe ich mich noch nicht intensiv auseinandergesetzt. Aber letztendlich ist es doch eigentlich ein Fabelwesen, dass unsere Sehnsucht nach einem Zaubergarten einen kleinen Zwergschritt näherbringt.
Wie wichtig sind Blumen bzw. deren künstlerische Abbildungen gerade in einer Welt, die immer schneller und lauter wird?
Essentiell. Daher wundert es nicht, dass sich auch zahllose zeitgenössische Künstler mit Blumen auseinandersetzen. In der Ausstellung gibt es einen atemberaubenden Raum von Miguel Chevalier. Er hat mit Künstlicher Intelligenz Blumenformen kreiert, die vollkommen neuartig sind, aber klare Referenzen zu natürlichen Wachstumsabläufen bieten. Man kann diesen raumhohen Projektionen endlos zuschauen und wird verzaubert. Aber letztendlich weist Chevalier daraufhin, dass es nicht ausschließlich zu einer virtuellen künstlichen Welt kommen darf, worin es nur noch aus Pixeln zusammengestellte Blumen gibt.
Zum Abschluss dürfen zwei Fragen nicht fehlen, erstens die nach ihrer Lieblingsblume und dann natürlich die nach ihrem Lieblingsblumenbild.
Das sind leider zwei Fragen, die ich unmöglich beantworten kann. Warum sich so einschränken?
Während ich diese Antwort formuliere, steht ein herrlicher Geburtstagsstrauß vor meinen Augen. Die Vielfalt der Blumen ist betörend schön: love ‘em all! So ist es auch in der Kunst. Aber wenn es dennoch sein muss: Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, Lawrence Alma-Tademas „Die Rosen des Heliogabalus“ (1888) aus einer Privatsammlung für die Ausstellung zu sichern. Darin geht es um die Ermordung der Gäste des römischen Kaisers durch tausende Rosenblätter, unter denen sie ersticken. Trotz der absurd morbiden Thematik vor diesem Original stehen zu dürfen, macht glücklich.
Fotos: Miguel Chevalier / Nicolas Gaudelet, Patricia Kaersenhout, Dante Gabriel Rossetti, Lawrence Alma-Tadema / Studio Sébert Photographes, Kehinde Wiley, Olga Wisinger-Florian / Johannes Stoll, Kristian Zahrtmann / Den Hirschsprunaske Samlina