SINNTERVIEW MIT MORITZ MORBACH: DIE VERÄNDERUNG DER WIRKLICHKEIT
Visual Artist Moritz Morbach möchte nicht nur Hingucker kreieren, sondern anecken, z. B. mit Legos. Ein Gespräch über künstlerische Prozesse und Wahrheit.
Hier erfahren Sie mehr über
- Kunst mit Legos
- Kunstvolle Vielfalt
- Künstlerische Wahrheit
Interview Hans Christian Meiser
Moritz Morbach experimentiert mit Materialien, Formen, Gegenständen und Silhouetten. Seine Kunst kennt von 3D-Bildern, Masken bis Skulpturen kein Genre, bewegt und platziert sich zwischen Pop-Art und Objektkunst, dekoriert, aber eckt an.
Herr Morbach, in der letzten Zeit wurden Sie vor allem als Künstler bekannt, der aus Legosteinen Kunstwerke schafft, die Bekanntes in neuem Licht, oder besser: in neuem Design präsentieren, wie z.B. den Parfümflakon Chanel No 5. Welcher Gedanke verbirgt sich dahinter?
Meine Werke, egal ob Collagen, Face Pieces oder Legowerke, sind oft inspiriert von der Modewelt. Ich finde Ikonen oder Klassiker spannend, wie beispielsweise den Chanel Flakon: Das Design ist zeitlos und spricht so viele Menschen an, egal wo sie leben oder wie alt sie sind. Auch Legosteine rufen bei jedem Emotionen hervor. Wir haben selbst damit gespielt, kennen es von Enkeln oder den eigenen Kindern.
So weckt auch der Chanel Flakon Erinnerungen bei mir. Meine Oma hatte immer ein kleines Fläschchen in ihrer Handtasche, nebst Bonbons. Deswegen gehört die Parfumflasche zu meiner Biografie – das reflektiere ich heute mit Legosteinen und dem Werk.
Es scheint, dass Sie – auch bei Ihren anderen Arbeiten – vom Design besonders angezogen sind, dieses aber vertiefen. Sie bringen es fort von der reinen Funktion und geben ihm eine neue Bedeutung. Wie reagieren Designer auf Ihre „Weiterentwicklung“?
Das stimmt! Inspiration finde ich überall – man muss sich nur die Zeit nehmen, um innezuhalten und das Jetzt wahrnehmen. Ich finde meine Ästhetik besonders in klaren Formen und Strukturen. Von anderen Designern habe ich bisher nur positives Feedback bekommen. Ich glaube, in der Welt der Kunst ist es ähnlich wie in vielen anderen Bereichen. Wenn man klar und offen damit umgeht, dann ist eine Interpretation von etwas, das bereits exisitiert, oder eine Hommage an einen Künstler das größte Lob. Ich fühle mich selbst sehr geehrt, wenn meine Werke Anklang finden und andere Künstler ihre eigene Version daraus machen.
Finden Sie die Objekte, die Sie verändern, eher zufällig oder haben Sie schon ein ganzes Arsenal an Dingen, denen Sie gewissermaßen neues Leben einhauchen wollen?
Ich kreiere eher spontan. Wenn ich etwas sehe, das mich motiviert, kreativ aktiv zu werden, dann nutze ich den Moment. Ich habe natürlich deutlich mehr Ideen als Zeit, diese ad hoc umzusetzen. Dazu nutze ich dann mein kleines schlaues Kreativbuch, um Ideen festzuhalten. Ich habe inzwischen eine umfangreiche Sammlung an Legosteinen. Die Steine selbst sind recycelt. Ich kaufe viel auf Flohmärkten und über Kleinanzeigen. Ich mag den Gedanken, dass die Steine schon in vielen Händen waren und Grundstein kreativer Ideen waren – sie erzählen Geschichten und ich führe diese weiter.
Das Großartige bei Leogosteinen ist die Beständigkeit. Wenn ich die Berge an Lego bekomme, dann sortiere ich im ersten Schritt nach Farbe und dann wird gewaschen, nicht zu heiß, damit die Farben schön kräftig bleiben. Ich habe ganz zu Anfang mit Setzkästen gearbeitet, in denen ich die Steine einer Farbfamilie nach Größe sortiert habe. Das habe ich inzwischen schon wieder eingestellt. Jetzt landen alle gewaschenen Steine einer Farbe in großen transparenten Boxen. Es macht total Spaß zu sehen, was für neue Steine in den Jahren auch dazu gekommen sind.
Sie schaffen aber auch aus ungewöhnlichen anderen Materialien besondere Stücke, die vor allem als Avantgardeschmuck für Frauen bezeichnet werden könnten. Wie ist hier der Entstehungsprozess – und: wer kann so etwas tragen?
Auch hier fokussiere ich mich auf die Form, spiele aber viel mit Größe und Proportionen. Den überdimensionalen Pappkarton fürs Gesicht beispielweise habe ich bewusst so groß gemacht. Im Kostümdesign auf der Bühne müssen Werke ja auch von weit hinten gut sichtbar sein, das war meine Motivation für dieses Werk.
Meine Designs sind nicht für den Alltag gemacht und auch nicht, um nur zu verschönern. Ich mag es, mit meinen Werken anzuecken und den Betrachter dazu anzuhalten, stehen zu bleiben und sich das Bild oder Werk noch mal genau anzugucken. Die Entstehung solcher Teile ist immer unterschiedlich, mal ist es ein Wunschthema meines Mannes (Fotograf), der für eine TUSH Strecke ein Thema vorgibt oder ein Lied, eine Begegnung oder die Natur.
Auch tiefgehende Themen, die politisch aufrühren, wie beispielweise das Tragen einer Burka, habe ich mir zum Vorbild genommen und ein Werk geschaffen, welches alles zeigt, was die Burka eigentlich verdecken soll. Dabei ging es mir nicht in erster Linie um das Setzen eines Zeichens, sondern um das Aufzeigen von Gegensätzen. Die Kunst ermöglicht es mir, mich auch sensiblen Themen spielerisch zu nähern.
Man könnte über Ihre Kunst auch sagen, das wären einfach nur Dekoobjekte – was aber nicht stimmt. Wie würden Sie sie selbst bezeichnen?
Ich glaube, Showstopper beschreibt es ganz gut. Man geht an den Werken vorbei, hält inne und geht zurück, um sie noch mal genauer zu betrachten. Es fesselt, weckt eine Emotion und man muss einfach genauer hingucken. Kunst ist der Begriff für das, was der Käufer kauft, es kann Deko sein, es kann Inspiration sein, es kann Kunst sein, es ist das, was der Käufer in dem Werk sieht.
Verändern Sie die Wirklichkeit, indem Sie aus dem, was Sie (vor)finden, etwas Neues schaffen, oder fügen Sie ihr ein weiteres Stück Wirklichkeit hinzu, indem dann aus beiden etwas Neues entsteht?
Ich glaube, das liegt mehr im Auge des Betrachters – Jeder hat seine eigene Geschichte und Erinnerungen. Was für den einen neu ist, mag für einen anderen gängig sein.
Sie bezeichnen sich selbst als „Visual Artist“. Aber ist das nicht letztlich ein jeder Künstler? Oder was unterscheidet Sie von anderen?
Per definitionem schon, da wäre ich dann als „Artist“ noch universeller unterwegs. Ich habe bisher keine passendere Beschreibung gefunden. Ich tue mich eh schwer damit, Dingen einen Namen zu geben bzw. sie in Schubladen zu stecken. Besonders im Bereich der Kunst sind den Möglichkeiten kaum Grenzen gesetzt. Ich bin ja nicht nur auf einen Bereich eingeschränkt, sondern entwickle mich stetig weiter. Vielleicht passt der Begriff „Visual Artist“ deswegen so gut. Ich arbeite mit meiner Vision an etwas Visuellem und das in einem künstlerischen Kontext. Was ich kreiere, ist direkt sichtbar.
Ihre Kunstwerke sind nicht nur schön, sondern auch verstörend, und sie erfordern ein Sicheinlassen auf den Gegenstand der Betrachtung. Was entdeckt man bei längerer Betrachtung in Ihren Werken?
Die Liebe zum Detail und Handwerk. Ich habe sehr viel Respekt vor Menschen, die ein Handwerk meistern. Für mich ist es nach wie vor spannend zu sehen, wenn ein Goldschmied Rohmaterialien zu einem Kunstwerk zusammenführt, wenn ein Tischler aus Stücken von Holz eine Schatulle entstehen lässt usw..
Den Prozess, Materialien zu etwas Neuem zu verarbeiten, finde ich enorm spannend. Neben den handwerklichen Fähigkeiten, die ich mitbringe und mir autodidaktisch beibringe, bin ich ein geduldiger, detailverliebter Mensch. Ich kann mich Stunden in Details verlieren. Deshalb muss ich auch von Zeit zu Zeit Abstand von meinen Werken nehmen und alles aus einer gewissen Entfernung betrachten. Da kommt wohl auch das „Sicheinlassen“ her – ich muss es selbst auch tun. Wenn man meinen Werken Betrachtung schenkt, entdeckt man sehr viel.
Welches ist für Sie der Bezug Wahrheit – Kunst? Oder, um es anders auszudrücken: Gibt es etwas, das beides miteinander verbindet?
Die Kunst gibt einem die Möglichkeit, die Wahrheit oder die eigene Interpretation dessen sehr subjektiv auszudrücken. Selbst wenn ein Künstler ein Stillleben malt und dies fotorealistisch tut, selbst dann ist es ja nicht die Wahrheit, sondern nur eine Interpretation der Realität. Meine Sichtweise ist immer individuell und dadurch verändert sich die Abbildung der Wahrheit – vielleicht kann man sogar so weit gehen und sagen, dass es in der Kunst keine Wahrheit, bzw. allgemeingütige Wahrheit gibt.
Kunst ist die tiefste eigene innere Wahrheit des Künstlers. Ich kann durch meine Kreativität meinen Gefühlen Ausdruck verleihen. Schön ist es immer, wenn meine Kunst bei anderen Anklang findet und sich so meine innere Wahrheit mit der des Betrachters verbindet. Meine Sichtweise wird also zu einem Teil der Wahrheit des Betrachters.
Fotos: Moritz Morbach