Fotomontage einer Stadtszene.

HORIZONT STATT STEINE

Als Landschaftsarchitektin möchte Andrea Gebhard dazu beitragen, dass unsere Städte lebenswerter und klimagerechter werden und engagiert sich auch berufspolitisch für die Städte der Zukunft.

Text Antoinette Schmelter-Kaiser

Schwarz-Weiß-Porträt von Andrea Gebhard,

Andrea Gebhard leitete die Abteilung Grünplanung der Stadt München, war Geschäftsführerin der BUGA 2005, ist heute Partnerin bei mahl gebhard konzepte, seit 2021 Präsidentin der Bundesarchitektenkammer sowie Mitglied in diversen Gremien.

„Vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstrasse“: Dieser Spagat, den Kurt Tucholsky in seinem Gedicht „Das Ideal“ beschreibt, ist in überspitzter Form der Inbegriff hoher Lebensqualität für Andrea Gebhard: „Von Wohnen über Arbeiten, Einkaufen und Bildungseinrichtungen bis hin zu Erholung, Begegnungsmöglichkeiten und Kultur sollten verschiedenste Bereiche in einem überschaubaren Radius vorhanden sein. Und so alles bieten, was man in unterschiedlichsten Lebenssituationen und Altersstufen braucht“, so ihre Wunschvorstellung.

SCHNELL VOM MARKTPLATZ INS GRÜNE

Dieser geschickten Verschränkung kommt ihrer Ansicht nach Dinkelsbühl sehr nahe: eine mittelfränkische Kleinstadt, aus der Andrea Gebhards Familie stammt. „Meine Großmutter wohnte mittendrin am Marktplatz, war aber in wenigen Minuten im Grünen an der Wörnitz“, erzählt die 1956 Geborene.

In anderen Dimensionen erlebte sie diese Kombination aus urbanem und Freizeit-Angebot in München, wo sie aufwuchs und später den perfekten Standort zum Leben und Arbeiten in Neuhausen fand: einem lebendigen Altbau-Viertel, das mit dem Schlosspark Nymphenburg von einer 80 Hektar großen Natur-Oase mit Seen, Bächen, Kanälen, jahrhundertealtem Baumbestand und weiten Wiesen profitiert.

VERBINDUNG VON ÖKOLOGIE UND ÄSTHETIK

Diese persönliche Prägung hinterlässt bis heute ihre Spuren in Projekten, denen sich Andrea Gebhard beruflich widmet: Mit ihrem Mann Johannes Mahl-Gebhard als Partner leitet sie das Büro Mahl Gebhard Konzepte. 40 Mitarbeitern kreisen dort „sehr breit aufgestellt“ um Landschaftsarchitektur, Landschaftsplanung, Umweltökologie, Stadtplanung, Architektur und Urban Design.

Mit einem Aufgabenspektrum vom Inklusionsspielplatz bis zur Planung kompletter Ortsmitten und Stadtquartiere wird „nach neuen räumlichen Aussagen, kulturellen Eigenarten und gestalterischen Perspektiven“ gesucht.

Ziel dabei ist es, sich „an den unterschiedlichen Bedürfnissen“ zu orientieren und die Chance zu ergreifen „Ökologie und Ästhetik zukunftsweisend zu verbinden.“

NACHHALTIGE ENTWICKLUNG

Vorausschauendes Denken ist für Andrea Gebhard schon lange Selbstverständlichkeit. „1972 haben wir im Biologie-Unterricht über den ersten Bericht des Club of Rome ‚Die Grenzen des Wachstums‘ gesprochen“, blickt sie zurück. „In meiner Studienzeit wurde in unserer WG viel über dieses Thema diskutiert, in den ersten Bio-Läden eingekauft, an Anti-Atomkraft-Demos teilgenommen.“

Folgerichtig ging es für sie nach ersten Anstellungen in zwei Architekturbüros im Planungsreferat der Stadt München weiter: Dort wurde Andrea Gebhard Leiterin der Abteilung Grünplanung und erreichte, dass zu jedem Bauantrag ein Freiflächenkonzept eingereicht werden musste.

2000 übernahm sie die Geschäftsführung der Bundesgartenschau, die unter dem Motto „Nachhaltige Entwicklung eines Stadtteils“ stand und 2005 im neu angelegten Landschaftspark Riem stattfand.

GEGENSTEUERN AN EINEM KIPPPUNKT

Für diese Fokussierung wurde Andrea Gebhardt damals nicht nur gelobt, sondern auch kritisiert. Insgesamt hätten Ökologie und Nachhaltigkeit aber ab Anfang der 2000er Jahre mehr und mehr Relevanz bekommen, so ihr Resümee. Heute komme an diesen Themen niemand mehr vorbei, weil die Auswirkungen des Klimawandels an einem „kritischen Kipppunkt“ und die Notwendigkeit des Gegensteuerns entsprechend groß seien.

Gelingen könne das auch mit klimagerechter (Landschafts-)Architektur, die in dicht besiedelten Gebieten mit begrünten Fassaden oder Dächern und möglichst vielen Bäumen dafür sorgt, dass in den Städten der Zukunft Wasser besser versickern, verdunsten und zu einer Absenkung der Temperaturen beitragen kann.

Notwendig findet Andrea Gebhard auch Mobilitätsstrukturen mit einem Vorrang für den öffentlichen Personennahverkehr und Fahrradfahrer. Und durchdachte Nachverdichtung statt einer fortschreitenden Zersiedelung mit hohem Flächenverbrauch.

  • Luftaufnahme von der Parklandschaft des neun Stadtquartiers Baumkirchen-Mitte.
  • Park des neuen Münchner Stadtquartiers Baumkirchen-Mitte.

VERÄNDERUNG DURCH TEAMWORK

Andrea Gebhard hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur beruflich mit innovativen Ideen rund um die Städte der Zukunft eingebracht, sondern parallel auch berufspolitisch in zahlreichen Gremien engagiert. Unter anderem wurde sie 2007 als erste Frau zur Präsidentin des Bundes deutscher Landschaftsarchitekten gewählt.

Seit 2021 steht sie der Bundesarchitektenkammer vor, die die Interessen von fast 136.000 Architektinnen und Architekten aller Fachrichtungen vertritt. „Veränderung gelingt nur im Team. Gemeinsam können Menschen mehr bewegen“, so ihre Überzeugung. Das bedeutet für sie zwar, sich zwischen ihrem Büro und anderen verantwortungsvollen Posten aufzuteilen und viel unterwegs zu sein. Doch das empfindet Andrea Gebhard nicht als Belastung, sondern als „unglaubliche Bereicherung“ und „Horizonterweiterung“.

WAHR GEWORDENER TRAUM

Um weiter zu lernen, tauscht sie sich leidenschaftlich gerne aus, unternimmt mit ihrem Büro jedes Jahr eine Exkursion und fährt regelmäßig zur Architektur-Biennale nach Venedig. Denn die spiegelt wie ein Seismograph die wichtigsten Strömungen und stellte 2021 die Frage „Wie werden wir zusammenleben?“, die Andrea Gebhard faszinierend fand. „Es macht mir viel Mut zu sehen, was sich alles tut“, bilanziert sie. Selbst dazu beitragen zu können, findet sie „sehr erfüllend“.

Insgesamt ist für sie ein Traum wahr geworden: „Ich habe erst Geographie und Soziologie studiert. Dann las ich einen Artikel in einer Zeitschrift über eine Landschaftsarchitektin mit der Überschrift ‚Sie kämpft um jedes Stückchen Landschaft‘.“ Das imponierte Andrea Gebhard so, dass sie ihr Studienfach wechselte – und seither in der Landschaftsarchitektur bei wichtigen Entwicklungen mitbewegt.

PLATZ FÜR GESCHÜTZTE FLORA UND FAUNA

Beim preisgekrönten Stadtquartier Baumkirchen-Mitte im Münchner Osten beispielsweise, das ihr Büro mitplante, wurden auf einem ehemaligen Bahnbetriebswerk Raum für rund 1.300 Einwohnerinnen und Einwohner, Arbeitsplätze, Einzelhandel, Spielplätze und öffentliche Grünflächen neu geschaffen. Die Hälfte des 15 Hektar großen Geländes blieb als „Vorrangfläche“ bewusst unbebaut.

Stillgelegte Gleisanlagen, auf denen früher Lokomotiven und Güterwaggons rangierten, stehen seither unter Naturschutz und wurden zum Lebensraum für seltene Tierarten wie die Blauflügelige Ödlandschrecke oder Zauneidechse. Um Flora und Fauna nicht zu gefährden, führen Stege zum Spazierengehen hindurch: Aussichtsplattformen laden zum Ausruhen ein.

Fotomontage einer weiteren Stadtszene.

KONTRASTPROGRAMM ZUR STEINERNEN STADT

Auch auf dem Gelände der Bayernkaserne in München Freimann, das bis zu 15.000 Menschen Wohnraum bieten soll, soll als Kontrastprogramm zur „steinernen Stadt“ möglichst viel Grün integriert werden. Die Blockbebauung mit sieben Stockwerken und mehr sieht Innenhöfe mit Grünflächen, für die Hausgemeinschaft nutzbare Dachgärten, bepflanzte Fassaden und Grüngürtel in Norden und Süden vor.

Bei der Münchner Sonnenstraße möchte Andrea Gebhard mit ihrem Büro die Westseite in Richtung Altstadt zurückbauen, d.h. Autos auf deutlich weniger Fahrbahnen als bislang umlenken und dafür einen breiten Boulevard mit großzügigen, grünen Bereichen unter schattigen Bäumen schaffen, wo sich Menschen aufhalten oder begegnen und gefahrlos mit dem Fahrrad unterwegs sein können.

IMPULSGEBERIN MIT COURAGIERTER HALTUNG

In der Stadt dicht an dicht wohnen und arbeiten, während es Grün nur weiter draußen gibt: Das entspricht nicht dem Ideal von Andrea Gebhard. Für eine lebenswertere, klimagerechte Stadt und Landschaft möchte sie mit viel Zeit- und Energieeinssatz neue Impulse geben. Und das nicht selten gegen Widerstände.

„Dabei scheut sie auch konfliktreiche Themen nicht“, stellte die Jurybegründung der Stadt München fest, die Andrea Gebhard den Architekturpreis 2021 verliehen hat. „In Sachen Erhaltung nachhaltiger und zukunftsfähiger Landschaftsräume, in Fragen zur städtebaulich verträglichen Dichte oder zu Themen der Qualität des öffentlichen Raumes bezieht sie deutlich eine eigenständige, differenzierte und couragierte Haltung.“

Fotos: Laurence Chaperon, Marcus Hassler, Michael Sorkin, Sonja Weber

 

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