Cello spielend gegen den Klimawandel
Tanja Tetzlaff kombiniert für ihren Film „Suites4nature“ Musik von Bach mit Bildern dramatischer Umweltveränderungen. So möchte die Cellistin die Natur um Verzeihung bitten.
Text Antoinette Schmelter-Kaiser
Tanja Tetzlaff begann mit vier Jahren, Cello zu spielen. Seit ihrem Studium trat sie mit vielen bekannten Orchestern als Solistin auf. Besonders liebt sie Kammermusik sowie grenzübergreifende Konzertformate.
Vögel zwitschern. Wind rauscht in den Blättern hoher Buchen. Die Sonne malt Muster aus Licht und Schatten auf den Waldboden. Dazu erklingt eine Suite von Johann Sebastian Bach – intoniert auf einem Guadagnini-Cello von 1776, das Tanja Tetzlaff hingabevoll spielt, während sie auf einem Baumstamm inmitten einer Lichtung sitzt.
Publikum ist bei ihrer Darbietung absichtlich nicht dabei. Denn mit ihrer Musik möchte die 48-Jährige die Natur „um Verzeihung bitten“ für das, was Menschen ihr seit Jahrzehnten antun und unübersehbar zur „allergrößten Bedrohung“ der Welt führt – dem Klimawandel.
Drehen an veränderten Orten
Um auf seine „bestürzende Auswirkungen“ aufmerksam zu machen, hat Tanja Tetzlaff mit einem Team von ApolloFilm, einer auf Dokumentationen und Reportagen spezialisierten Produktionsfirma, bislang in der Nähe von Berlin einen Trailer für ihr Projekt „Suites4nature“ https://suites4nature.org gedreht. In den kommenden Monaten wird sie an weiteren Orten Szenen aufnehmen, die „dramatische Veränderungen“ zeigen: Trockenheit, Überschwemmungen, todkranke Wälder.
Erste Recherche-Reisen in den Harz sowie zum Rhone- und Aletschgletscher haben ihr vor Augen geführt, „was alles nicht in Ordnung ist“, Interviews mit Experten von Klimaschützern bis zu Meeresbiologen wichtiges Hintergrundwissen vermittelt.
Klassik-Liebhaber aufrütteln
„Bedrückend und berückend“ zugleich soll die Kombination aus bewegten Bildern sowie Bachs Suiten 4 bis 6 und modernen Stücken von Thorsten Encke sein. Encke hat sie eigens für Tanja Tetzlaff komponiert. Sie werden schließlich auf Spielfilmlänge zusammengeschnitten und ab April 2023 u.a. im Kino zu sehen sein. Zielpublikum sind Klassik-Liebhaber, die die Cellistin „aufrütteln“ möchte, genauso wie junge, umweltbewusste Leute, die sie „an Kultur heranführen“ will.
Ermöglicht hat ihr dieses „tolle Wagnis und Experiment“ das erstmalig verliehene Glenn Gould Bach Fellowship der Stadt Weimar, für das sie sich im Herbst 2020 beworben und im April 2021 den Zuschlag bekommen hat.
Zeitgemäßer Zugang zu Bach
„Bedingung war, die Werke Bachs und des Barock in den Mittelpunkt ebenso zeitgemäßer wie innovativer Aufnahme-Projekte zu stellen“, erklärt Tanja Tetzlaff. Spiele sie Bach, sehe sie generell Natur und ihre verschiedenen Zustände vor sich. Für sie habe es bei einem „Doppelzugang“ aus seiner Musik und Umweltzerstörung „Klick gemacht“.
Ihr Exposé reichte sie zunächst schriftlich ein und stellte es dann auf Englisch via Zoom einer Jury vor. Trotz jahrzehntelanger Bühnen-Erfahrung war sie dabei „wahnsinnig auf-geregt“, weil ihr als Begleiter ihr vertrautes Instrument fehlte. Tatsächlich ausgewählt zu werden, war für sie eine unerwartete Überraschung.
Film-Vorbereitung unter Volldampf
100.000 Euro stehen ihr nun zur Verfügung, um „Suites4nature“ innerhalb von zwei Jahren zu realisieren. „Das ist viel Geld“, sagt Tanja Tetzlaff. „Aber wenn wir einen hochwertigen Film mit einem professionellen Team und guten Equipment drehen wollen, ist diese Summe schnell wieder ausgegeben.“
Nach Verzögerungen aufgrund von Corona arbeitet sie jetzt gemeinsam mit ApolloFilm „unter Volldampf“ daran, ihr Vorhaben schrittweise an den passenden Orten und zu den jeweils idealen Zeitpunkten zu realisieren.
Impressionen und Zwischenergebnisse von ihrem „spannenden Weg“ werden auf ihrer Internetseite tanjatetzlaff.com veröffentlicht.
Bewusst leben, Energie sparen
So intensiv wie momentan hat sich Tanja Tetzlaff nie zuvor mit dem Thema Klimawandel auseinandergesetzt. Sensibilisiert wurde sie aber schon durch ihre Eltern, denen „Natur ganz wichtig war“. Nachdenklich wurde sie in der Schule, als es im Unterricht um den Treibhauseffekt ging.
Im Lauf ihrer Karriere als Cellistin quälte sie sich mehr und mehr mit dem Zwiespalt, hauptberuflich „schöne Musik zu machen“, während „die Menschen gleichzeitig alles zerstören, was unsere Lebensgrundlage ist.“
Als Gegenreaktion kompensiert sie daher bei unvermeidbaren Flugreisen zu Auftritten die CO2-Menge, nutzt ansonsten die Bahn oder Car-Sharing, weil sie kein Auto besitzt, und versucht mit ihren drei Kindern und ihrem Mann, in ihrem Haus in Bremen Energie zu sparen und Plastik zu vermeiden.
Den Wandel mitgestalten
Beruflich nimmt sie zusätzlich von „Suites4nature“ weitere Möglichkeit wahr, sich für den Klima- und Umweltschutz zu engagieren – zum Beispiel mit dem Orchester des Wandels. Als Zusammenschluss von Mitgliedern deutscher Berufsorchester möchte es seit 2020 „den Wandel zu einer nachhaltig lebenden Gesellschaft mitgestalten und damit unseren Planeten als lebenswerten Ort für die nachfolgenden Generationen bewahren.“
Dazu gehören die Orientierung an einem Leitfaden für Nachhaltigkeit im Konzertbetrieb oder Benefizkonzerte wie „Sciene meets Tanja Tetzlaff“. Bei ihm berichteten führende Wissenschaftler des Alfred Wegener Instituts, das zu in den Polarregionen und Ozeanen der mittleren und hohen Breiten forscht, Ende November in Bremen über ihre Arbeit; die-se Beiträge ergänzte und vertiefte Tanja Tetzlaffs musikalischer Part.
Ganz neue Erfahrung in der Natur
„Musik geht direkt in die Seele“, weiß sie aus Erfahrung. „Sie kann viel bewirken, wenn man beim Zuhören nicht nur abschaltet und sich wegträumt.“
Ihr persönlich habe Musik durch ihr ganzes Leben geholfen. Cellospielen sei für sie trotz intensivem Üben und Proben nie eine Qual, sondern sehr erfüllend. Es bei den Vorbereitungen für „Suites4nature“ zwischen Bäumen oder auf Gletschern zu tun, war für sie eine ganz neue Erfahrung und „wahnsinnig beglückend“, so Tanja Tetzlaff.
„Ohne Publikum fällt der Druck der Perfektion weg. Außerdem tut es gut, der Natur etwas zurück zu geben und bei ihr Abbitte zu leisten.“
Fotos: Stephan Aubé