In München: Traummieten mit Zukunft
In Deutschland fehlen hunderttausende, bezahlbare Wohnungen. Prof. Florian Nagler und Stefan F. Höglmaier wollen radikal zeigen, wie einfach Bauen sein kann. In Münchens Bestlage soll ihr Projekt günstige Mieten zu 9,99 Euro pro m2 garantieren.
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- Euroboden Architekturkultur
- Einfaches Bauen
- Das günstige Miethaus in München
Text Gerd Giesler
Prof. Florian Nagler leitet seit 2001 mit Barbara Nagler das Büro Florian Nagler Architekten. Seit 2010 ist er Professor für Entwerfen und Konstruieren an der Technischen Universität München.
Florian Nagler ist ein besonnener Vordenker. Ihm geht es um Innovation durch Weglassen von allem, was sich in den letzten Jahrzehnten des Bauens nur mäßig bewährt hat. Für ihn beginnt das mit ganz simplen Überlegungen: ein dreigeschossiges Ultralight-Haus ohne Bewehrung oder ein Dämmbetonhaus ohne Stahl – das hat vor ihm selten einer gewagt. Auf einem ehemaligen Kasernengelände in Bad Aibling errichtete sein Büro drei gleiche Wohnhäuser: eines aus Holz, eines aus Ziegeln und eines aus Beton, um mit wissenschaftlichen Daten Parameter des Bauens vergleichbar zu machen.
Lebensraum neu zu denken ist auch Stefan F. Höglmaiers Leidenschaft. Dabei setzt der Nonkonformist auf nachhaltige Architektur um identitätsstarke Unikate co-kreativ neu zu schaffen. Heute zählt seine Firma Euroboden längst zu den führenden Entwicklern anspruchsvoller Immobilien, die er mit namhaften Architekten umsetzt, wie zum Beispiel die „Schatzlgasse“ in Berg am Starnberger See mit Wohnungen zu einem Verkaufspreis von über einer Million Euro.
VORZEIGEBAU FÜR MÜNCHEN
Kaum zu glauben aber wahr: mitten in Schwabing, wo Eltern nach wie vor ihre Sprösslinge im dicken SUV vom Kindergarten abholen, soll an der Heßstraße bis 2025 ein ESG-Leuchtturmprojekt entstehen. ESG – die drei Buchstaben stehen verheißungsvoll für Environment, Social und Governance – also salopp formuliert für zukunftsfähige Konzepte in den Bereichen Umweltverträglichkeit, sozialem Denken und selbstbestimmter Unternehmensführung.
SINGLES DOMINIEREN WOHNUNGSMARKT
Es wird in Deutschland nach wie vor in Betongold investiert, aber zu wenig im preisgedämpften Segment. Hohen Wohnungspreisen in attraktiven Großstadtlagen steht ein Leerstand von ca. zwei Millionen Wohnungen gegenüber – vor allem in strukturschwachen Gebieten. Hinzu kommt eine veränderte Wohnungsmarktstruktur. In Millionenstädten nehmen die Singlehaushalte zu. Beispiel Hamburg: hier werden mehr als die Hälfte aller Wohnungen von Alleinlebenden genutzt.
GÜNSTIGE MIETEN – EINFACH BAUEN
Das Münchner Objekt der Begierde wird eine Wohnanlage mit üppig begrüntem Innenhof werden, den Nagler liebevoll „Dschungel“ nennt. Um unter einer Miete von 10 Euro zu bleiben muss man günstiger als üblich bauen, was in Zeiten von Lieferengpässen, Fachkräftemangel und steigender Preise eine Herausforderung darstellt.
Als Quintessenz für das Gelingen des ambitionierten Projekts dient das Prinzip „Einfach Bauen“: zwei längliche Baukörper, ergänzt durch tiefe Laubengänge, verbunden mit Brücken, gebaut vor allem aus Holz in „Lowtech“ also ohne viel Technik. Damit Ressourcen und Geld beim Bauen eingespart wird, sind die 42 Wohnungen standardisiert und einfach gehalten, was so viel bedeutet wie polierter Estrich statt Eichenholzparkett oder Einheitsbad statt Whirlwanne und Versorgungsleitungen nur zwischen Küche und Bad.
Auch gemeinschaftlich nutzbarer Raum wie eine Pflege-WG, ein Fitnessraum und eine Dachterrasse mit Gemeinschaftsküche für gemütliches Beisammensein sollen in das Haus für München integriert werden. Strom wird eine Photovoltaik auf dem Dach liefern. Nachhaltigkeit und Effizienz sind oberstes Gebot. Nagler kann in die Heßstraße seine wissenschaftlichen Erkenntnisse aus seinen früheren Objekten mit der TU München einbringen.
PREISTREIBER CITY-GRUNDSTÜCKE
Stefan Höglmaier: „Hochpreisiges Bauen finde ich a priori nicht erstrebenswert. Ich möchte viel lieber gute Qualität zu vernünftigen Preisen realisieren. Angefangen haben wir vor Jahren im Münchner Glockenbachviertel mit 4.000 Euro der Quadratmeter, aber da waren die Grundstückspreise noch ganz andere. Aus Mangel an Citylagen sind es eben doch die exorbitant teuren Grundstücke, die verantwortlich sind, das alles so teuer wird.“
EXPERIMENT DER STADT MÜNCHEN
Das Haus für München an der Heßstraße macht dann auch die Stadt München möglich. Sie hatte das 2.120 Quadratmeter große Grundstück in einem „umgekehrten Bieterverfahren“ vergeben. Entscheidend war dabei, wer bei höchster Qualität den günstigsten Mietpreis bieten wird.
In Professor Nagler fand Stefan Höglmaier einen Architekten der glaubhaft für robustes, einfaches und damit kostengünstigeres Bauen steht, da er dem TU-Forschungskonzept „Einfach bauen“ folgt und danach bereits in Bad Aibling gebaut hat. Ein Konzept übrigens, das die Gesellschaft für nachhaltiges Bauen ausgezeichnet hat. Als Duo erhielten die beiden dann auch den Zuschlag von der Landeshauptstadt.
Nur, die Sache hat zwei Haken: erstens sucht Höglmaier noch nach einem Investor, der schließlich zum vertraglich festgelegten Preis auch der Vermieter wird und zweitens dürften sich viele in München bei dem günstigen Mietpreis unter 10 Euro vergeblich die Augen reiben. Leisten sollen sich das in erster Linie die können, die viel für die Gemeinschaft in der Stadt tun und sich München bald nicht mehr leisten können werden. Högelmaier und Nagler denken da in erster Linie an Krankenpfleger, Kindergärtnerinnen, Hebammen und Feuerwehrleute – Stützen der Gesellschaft, deren Arbeit aber nicht entsprechend entlohnt wird.
„Wir sind zuversichtlich, dass das Haus für München 2025 seiner Bestimmung übergeben werden kann“, glaubt Höglmaier fest. „Für viele Kommunen dürfte das eine Möglichkeit sein, mit der Immobilienwirtschaft zu kooperieren und Wohnbau in einem ganz anderen Mindset umzusetzen.“
Fotos: Euroboden, Johanna Nagller