Kugeln in verschiedenen Farben und Größen.

VERTRAUEN IST …

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet“, sagt ein bekanntes Dichterwort. Gilt dies nur für die Liebe oder auch für’s Business? Hans Christian Meiser hat nachgeforscht.

Text Dr. Hans Christian Meiser

Portrait in Schwarz-Weiß von Hans Christian Meiser

Dr. Hans Christian Meiser ist Philosoph und Publizist, zudem Herausgeber und Chefredakteur von PURPOSE, dem Magazin für Sinnhaftigkeit. Dieses Thema zieht sich durch sein gesamtes Werk.

Es ist so viel auf der metaphorischen und lyrischen, auf der philosophischen und psychologischen Ebene über Vertrauen geschrieben und gesprochen worden, dass ich an dieser Stelle einmal die Lebenspraxis hinsichtlich des Vertrauens im Beruf und in der Liebe unter die Lupe nehmen möchte. Lateinisch heißt „vertrauen“ confidere, das stammt von cum videre und bedeutet „gemeinsam sehen.“ So weit so gut.

… gemeinsam in die Zukunft sehen?

Bei der Trauung, die ja ebenfalls mit Vertrauen zu tun hat, wird dieses gemeinsame Sehen sozusagen vorausgesetzt, sonst würden die Brautleute den Bund für’s Leben sicherlich nicht eingehen. Hier steht also die gemeinsame Vision, das Erreichen des gemeinsamen Zieles im Vordergrund.

Aber warum mahnt dann Friedrich Schiller: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet/Ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.“? Weil offenbar die Menschheitserfahrung lehrt, dass das „gemeinsame Sehen“ nicht ewig währt.

Manchen, die diese Worte jetzt lesen, wird dies ebenfalls widerfahren sein. Auch sie hatten mit einer großen Liebe eine gemeinsame Vision, die über die Jahre immer geringer wurde, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab – zumindest sah man ihn nicht. Oft hätte man gerne bis zum seligen Ende „gemeinsam gesehen“, aber daraus wurde nichts. Soll man deshalb aber nun nicht mehr vertrauen? Kommen wir später auf diese Frage zurück.

— gemeinsam gute Geschäfte machen?

Auch im beruflichen Leben geht es meist nicht ohne Vertrauen. Für jede Firma ist die gemeinsame Vision aus Leitung und Angestellten, freien Mitarbeitern und – unter Umständen – auch Investoren und/oder Aktionären ein absolutes Muss. Ohne ein Ziel, das sie ideell, finanziell oder gesellschaftspolitisch im großen Wettbewerb erreichen möchten, brauchen sie gar nicht anzufangen.

Auch hier haben wohl viele, die diese Zeilen in diesem Augenblick lesen, Federn gelassen. Zu groß war ihr Optimismus, ihr Idealismus, dass sich auf ihre Geschäftspartner verlassen könnten. Und so geschah es, dass sie vielleicht jeden Tag ein bisschen mehr entmündigt wurde, ohne dass sie es gemerkt hätten.

  • Illustration von zwei Händen, auf denen eine Figur balanciert.
  • Zwei Ringe liegen auf feuchtem Boden.

… sich rechtzeitig zu wehren?

Man nahm ihnen womöglich nicht das Geld weg, aber den Einfluss, da es keine Entscheidungskriterien gab, und so waren sie dabei, ihre Authentizität zu verlieren. Glücklich der, dem schlagartig bewusst wurde, wie sehr sein Vertrauen missbraucht worden war, und der sich begann mich zu wehren.

„Wir aber sind nicht von denen, die da weichen“, heißt es im Brief des Paulus an die Hebräer. Dies könnte zu seinem Leitsatz werden. Ein solches Geschehen hat aber leider großen Einfluss auf unsere Fähigkeit zu vertrauen. Denn fürderhin misstrauen wir und werden es bei geschäftlichen Angelegenheiten auch weiterhin tun – Idealismus hin oder her.

… den ureigenen Kräften zu vertrauen?

Aus beiden Gegebenheiten kann man lernen:

Erstens: Im Geschäftlichen ist es besser, nicht zu blindlings vertrauen, sondern immer wieder zu prüfen, ob die gemeinsame Vision noch vorhanden ist und ob man betrogen wird (auch wenn dieses Wort sehr hart ist, aber auch dessen Abstufungen sind und bleiben Betrug).

Dies fällt besonders schwer, weil man seinen Partnern ja unterstellt, dass sie einen hintergehen; aber letztlich ist es besser, als mit Scheuklappen herumzulaufen und darauf zu hoffen, dass alles gut geht. Sollte die Befürchtung wahr werden, dann muss man bereit sein zu kämpfen – und seinen ureigenen Kräften vertrauen. Jeder (Kampf)sportler weiß, dass er ohne Selbstvertrauen nicht gewinnen kann. Dies gilt für das Geschäftliche umso mehr.

Zwei Frauen bei einer gemeinschaftlichen Yogaübung.

Und was ist mit der Liebe?

Zweitens: In der Liebe möchte ich das Vertrauen hingegen nicht aufgeben. Denn was wäre eine Liebe, die voll von Skepsis ist? Und: Könnte eine solche Liebe überhaupt erwidert werden? Langfristig sicherlich nicht.

Soll die Liebe indes in einer Ehe münden, dann empfehle ich doch Schillers obiger Anregung zu folgen. Denn all die Scheidungen, all die Tränen und Schmerzen, die dabei bisher weltweit entstanden, wären überflüssig, hätten sich die Beteiligten rechtzeitig geprüft und wären nicht dem hormonellen Irresein unterlegen.

Mit klarem Verstand lässt es sich vielleicht nicht so schmachtvoll lieben wie mit einer rosaroten Brille vor den Augen des Herzens, doch bis ans Lebensende könnte diese gemeinsame Vision durchaus reichen, wenn beide Partner zunächst einmal sich selbst, und schließlich dem anderen vertrauen – freilich, nicht ohne seinem Lieben selbst immer wieder einen Check-up zu gönnen.

Ist es nicht sonderbar? Unseren Körper lassen wir immer wieder auf Krankheiten hin untersuchen, bei unserem Liebesleben aber meinen wir, es würde immer so bleiben, wie es begann.

Mein Fazit:

Im Berufs- und Geschäfts-, im politischen wie im gesellschaftlichen Leben gilt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Dieser Hinweis soll übrigens von Lenin stammen. Hätten ihm seine Anhänger lieber mal nicht vertraut, sondern ihn kontrolliert…

In der Liebe möchte ich das Zutrauen, die Gläubigkeit nicht missen, sondern – im Gegenteil – mich ihnen ganz und gar, und immer und überall hingeben. Ohne Vertrauen ist ein körperliches, geistiges und seelisches Verschmelzen nicht möglich. Geht die Liebe aber in ein Geschäftsmodell über (und leider ist die Ehe oft ein solches, wenngleich auch ein – zunächst zumindest – idealistisches), dann sollte man das Wissen des Friedrich Schiller anwenden.

Er selbst folgte übrigens seiner eigenen Devise und heiratete erst nach diversem Prüfen. Es heißt, er soll sehr glücklich gestorben sein.

Fotos: iStock, Unsplash / Zoriana Stakhniv, Rawan Yasser

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