Ein Schwarm Vögel fliegt über den Himmel.

Wert-voller führen

Was heißt eine Führung mittels Wertschätzung und persönlichem Wertekatalog? Was bringt eine wertvolle Führung und wie funktioniert sie? Lernen Sie Ihre Werte kennen, zu vermitteln – und bei Bedarf zu verändern.

Text Christian Thiele

Schwarz-Weiß-Bild von Christian Thiele.

Christian Thiele beschäftigt sich als Coach, Trainer und Speaker mit Positiver Psychologie und Positive Leadership. Er gehört zum Trainerteam der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie. Weitere Infos? positiv-fuehren.com.

Jeder hat sie. Keiner kennt sie. Aber wenn es kritisch wird, kommt’s auf sie an: Mit den eigenen Werten ist es so ähnlich wie mit der Blutgruppe, gerade als Führungskraft. Denn wer weiß schon so genau, was Werte eigentlich sind – geschweige denn, welche Werte einem persönlich wichtig sind. Aber gerade wer ein flaues Unwohlsein mit dem Job empfindet, wer in Konfliktsituationen mehr aus der Fassung gerät als ihm recht ist – der sollte mal ruhig bei den eigenen Werten vorbeischauen.

Was genau unter Werten zu verstehen ist, was wert-volles Führen bringen kann, wie Sie die Ihnen wichtigen Werte mehr wert-schätzen können, bei sich und im Umgang mit anderen – darum geht es in diesem Beitrag.

WERTE SIND WIE FINGERABDRÜCKE

“Values are like fingerprints. Nobodies are the same but you leave them all over everything you do.” Dieser Spruch wird Elvis Presley zugeschrieben, und er trifft ganz gut das, was die Forschung über Werte herausgefunden hat: Werte sind etwas sehr individuelles und sehr stabiles, das häufig gar nicht so sehr an der Oberfläche zu Tage tritt.

Wir handeln, entscheiden und kommunizieren ohne starkes Bewusstsein für unsere Werte, tragen Autonomie, Fairness, Loyalität, Nachhaltigkeit, Zuverlässigkeit oder was auch immer an Prinzipien für Sie wichtig sein mag, in der Regel nicht laut und deutliche vor uns her.

Und doch sind Werte als Vorstellung dessen, was wir für richtig, wichtig aber auch nichtig halten, alles andere als bedeutungslos im Alltag. Wie Leitsterne liegen Werte den Weltanschauungen, Einstellungen und zumindest den Verhaltensabsichten zu Grunde, die Menschen haben. Und die vor allem dann starke Emotionen auslösen, wenn sie nicht entfaltet werden können.

Fragen Sie sich doch einmal: Für Ihre persönliche Vorstellung von einer guten Führungskraft, welche Werte sind Ihnen da wichtig? Welche davon können Sie in der Regel gut leben – und bei welchen müssen Sie Kompromisse machen? Welche Konflikte oder Schwierigkeiten in Ihrem Arbeitsumfeld, zum Beispiel in Change-Situationen, könnten vielleicht mit einem Werte-Konflikt erklärt werden – der zwar der Auseinandersetzung zu Grunde liegt, aber nie wirklich zur Sprache kommt?

Leistung versus Wohlwollen oder Sicherheit versus Lebendigkeit oder Tradition und Einklang mit Regeln versus Selbstbestimmung in Denken und Handeln: Das sind ganz typische Wertepole, zwischen denen Konflikte entstehen.

WOZU WERTE KENNEN, KOMMUNIZIEREN, MOBILISIEREN?

Der amerikanisch-israelische Sozialpsychologe Shalom Schwartz gilt als weltweit führender Experte auf dem Gebiet der Werte-Forschung und hat in etlichen Studien zehn Grundwerte ermittelt, die über unterschiedlichste Kulturen hinweg – in jeweils unterschiedlich starker Ausprägung – gelebt und gewertschätzt werden und starken Einfluss auf eine Reihe von Einstellungs- und Verhaltensmustern haben, wie zum Beispiel religiöse Anhängerschaft, Konsumentscheidungen oder Wahlverhalten.

  • Jemand hält einen Zettel hoch mit der Aufschrift: "Don't wait for leaders. Become them."
  • Eine Gruppe Menschen mit verschränkten Armen lächelt in die Kamera.

Wichtig, richtig, nichtig: Grundwerte nach Schwartz

Shalom Schwartz, der führende Forscher auf dem Gebiet, sieht Werte als persönliche, recht stabile Standards zur Bewertung des eigenen und fremden Handelns, die über wünschenswerte und weniger wünschenswerte Ziele Auskunft geben und immer mit unseren Emotionen verbunden sind. Laut seinen Forschungen hat jeder Mensch ein nach Wichtigkeit gereihtes System von Prioritäten, die sich in folgenden Kulturübergreifend nachgewiesenen Werten darstellen:

Schematische Übersicht der Grundwerte nach Schwartz.

Universalismus, Humanismus, Konformität, Tradition, Sicherheit, Macht, Leistung, Hedonismus, Stimulation, Selbstbestimmung. Die Werte, die in diesem Kreismodell nahe beieinander liegen, sind einander ähnlich – die auf gegenüberliegenden Seiten geraten häufiger in Konflikt zueinander. Jeder Mensch und jede (nationale oder Organisations-)Kultur verfügt über alle dieser zehn Werte – nur in unterschiedlicher Priorisierung.

DIE EIGENEN PRINZIPIEN ERMITTELN

Es ist, auch dazu hat Schwartz an vielen Studien mitgewirkt, durchaus wert-voll, die eigenen Prinzipien und Normen zu ermitteln – etwa über validierte Testverfahren – und ausleben zu können. Wer sein Handeln mit den eigenen Werten weitgehend in Passung zu bringen vermag, die oder der

  • erreicht mit höherer Wahrscheinlichkeit eigene Ziele
  • berichtet über höheres Wohlbefinden
  • ist weniger anfällig für Stressbelastung
  • leidet seltener an chronischen Schmerz-, Angst- oder depressiven Erkrankungen.

Unser emotionaler Hund in uns wedelt manchmal mit dem rationalen Schwanz und nicht anders herum, so bringt es der Arzt und Psychologe Jonathan Haidt auf den Punkt.

Weil besonders in Situationen der Ungewissheit und des Umbruches der Blick häufig nach oben geht und sich Menschen in Krisenzeiten besonders an ihren Vorbildern, Führungskräften und anderen Autoritäten ausrichten, sollten Sie Werte durchaus wertschätzen – die eigenen, die Ihrer Mitarbeiter und die der Organisation.
Aber wie?

WIE SIE WERT-VOLLER FÜHREN KÖNNEN

Hier einige Anregungen, um Werte in Ihrem Führungshandeln bewusster entfalten zu können:

Eigene Werte ermitteln und hierarchisieren: Wie mit sich selbst oder mit den Mitarbeitenden in einen guten Dialog über Werte treten? Fragen wie die folgenden könnten dabei helfen, den eigenen Werten auf die Spur zu kommen:

  • Wieso habe ich mal den Job aufgenommen, den ich jetzt ausübe?
  • Was daran ist mir besonders wichtig und macht mir besonders Freude?
  • Woran merke ich, dass ich gute Arbeit geleistet habe?
  • Welche Devise, welcher Leitsatz prägt mein Tun (und Sein)?
  • Mich kann man absolut auf die Palme bringen, indem man…

Sie könnten daraus, wenn Sie mögen, auch die wichtigsten fünf oder sieben Werte auflisten und eventuell sogar nach Rang ordnen – und zwar am besten in den Begrifflichkeiten, die für Sie oder den/die MitarbeiterIn am besten passen. Für Coaches, die sich intensiv mit Positiver Psychologie befassen, ist das eine gängige Intervention.

Die deutsche Wertekommission übrigens befragt jährlich rund 500 gehobene Führungskräfte und fragt bei ihnen die wichtigsten Werte ab. 2020 lagen die fünf Prinzipien „Vertrauen“, „Verantwortung“, „Respekt“, „Integrität“,„Nachhaltigkeit“ und „Mut“ vorne. Welche dieser Werte sind für Sie besonders – nun ja: wertvoll? Und was heißen diese für Sie konkret?

EINEN WERTEKATALOG ERSTELLEN

Werte festhalten und kommunizieren: „Wir erstellen jetzt mal unseren Wertekatalog“ oder „Wir brauchen endlich ein Mission Statement“ oder „Die Agentur Müllermeierhuber hilft uns jetzt bei der Ermittlung unseres Company Purpose“: In vielen Teams, Abteilungen, Firmen wir zu unterschiedlichsten Anlässen ein irgendwie geartetes Werte-Statement erstellt, zum Beispiel

  • bei Fusionen
  • wenn es in Change-Projekten hakt
  • bei einem Führungswechsel
  • in Krisensituationen

Forscher des renommierten MIT haben vergangenes Jahr eine große Studie unter 700 Unternehmen vorgelegt, von denen über 80 Prozent ihre Firmenwerte auf der eigenen Website publiziert haben. Drei von vier US-amerikanischen CEOs haben dieser Studie zufolge in Interviews mit großen Wirtschaftsmagazinen auf ihre Firmenwerte verwiesen – egal, ob sie danach gefragt wurden oder nicht.

Die meisten untersuchten Firmen schreiben sich zwischen drei und sieben Unternehmenswerte auf die Fahnen, zu den am meisten genannten Werten zählen „Integrität“, „Kollaboration“, „Kundenorientierung“, „Respekt“ und „Innovation“.

In einem Wald steht eine große Skulptur aus zwei farbigen Pfeilen, einer zeigt nach oben, der andere nach unten.

DIE ZWEI TYPISCHEN GEFAHREN

Gleichzeitig wurde allerdings – anhand der systematisch ausgewerteten Mitarbeiterbeurteilungen über ein Karriereportal – festgestellt: Die schicken Werte von der Website scheinen sich nicht ganz so schick im unternehmerischen Alltagshandeln zu zeigen.

Das sind nämlich die zwei typischen Gefahren an „mission statements“, „Führungsprinzipien“, „Unternehmensleitbildern“, etc.:

  • entweder sind sie zu generisch, zu allgemein, zu wolkig und damit schwer in konkrete Handlungsempfehlungen umzusetzen;
  • oder sie sind eher präzise und konkret, werden aber – aus Sicht der Mitarbeitenden – zu häufig nicht vorgelebt. Oder beides zusammen.

Versuchen Sie daher, in Ihrer Führungsverantwortung möglichst klarzumachen und vorzuleben, was denn „Respekt“, „Verantwortung“, „Nachhaltigkeit“ oder welche Werte es auch immer sein mögen, konkret heißen. Zeigen Sie, wie Sie diese Prinzipien in Entscheidungs- oder Abwägungssituationen zumindest einfließen lassen. Und lassen Sie Ihre Mitarbeiter durch möglichst konkrete Beispiele wissen, welche Form von werteorientiertem Verhalten Sie erwarten, welche Sie tolerieren – und welche Sie nicht akzeptieren.

ZWISCHEN WUNSCH UND WIRKLICHKEIT

Wertekonflikte transparent machen: Im Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Anforderungen von unten und Freiräumen oder Vorgaben von oben, können Sie als Führungskraft nie alle Werte, die Ihnen eigentlich wichtig sind, voll ausleben.

Es gilt permanent, Spannungsverhältnisse zwischen inneren und äußeren Anforderungen auszubalancieren, ständig abzuwägen zwischen Klarheit und Beteiligung, zwischen Effizienz und Fairness, zwischen ökologisch Wünschenswertem und betriebsökonomisch Wirtschaftlichem – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Wie gehen Sie mit solchen äußeren und inneren Werte-Konflikten um? Machen Sie diese gelegentlich sichtbar, im Sinne von „ich würde ja auch gern…“ oder „eigentlich wäre es mir an der Stelle auch wichtig, dass wir…“?

Wenn Sie derartige Wertekonflikte transparent machen, ohne wiederum die Loyalität zu Ihrer eigenen Führung oder zum Gesamtunternehmen zu beeinträchtigen – eigentlich wieder ein eigener Wertekonflikt an sich –, dann machen Sie sich möglicherweise als Person ein Stück nahbarer. Sie machen Ihre Werte, die Ihrer Mitarbeiter und die des Unternehmens fass- und erlebbarer. Und das wäre doch einmal bedenkens-wert, oder?

Viel Freude und Erfolg dabei!

Fotos: iStock, Unsplash / Rob Walsh, Susan Q Yin

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