Schatten eines Menschen

ALLEINSEIN IST NICHT EINSAMSEIN!

Der gesellschaftliche Zusammenhalt funktioniert nicht mehr, die Bürger vereinzeln. Was aber ist der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamsein? Eine Antwort.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Entscheidungsfreiheit
  • Alleinsein und Einsamkeit
  • Das Ministerium für Einsamkeit

Text Wolfgang Eckstein

Schwarz-weiß-Porträt von Wolfgang Eckstein

Wolfgang Eckstein ist 97 Jahre jung. Der Jurist war u.a. Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Bekleidungsindustrie, gründete den Verband deut­scher Mo­de­desig­ner, den Mo­de­kreis München und eine Stif­tung für die Modeindustrie. Für PURPOSE schreibt er exklusiv.

Im täglichen Sprachgebrauch wird immer wieder das Alleinsein mit Einsamsein nicht nur verwechselt, sondern als gleichartiger Gemütszustand beurteilt. Auch Literatur und Medien unterscheiden immer seltener. Das war nicht immer so. Vor zwei Jahrtausenden hat Aristoteles seine Erkenntnis über Einsamkeit so ausgedrückt: „Wer von Einsamkeit begeistert ist, ist entweder ein Tier oder ein Gott!“

Hermann Hesse hatte die gegenteilige Ansicht und sagte: „Einsamkeit ist Unabhängigkeit, ich hatte sie mir gewünscht und mir erworben in langen Jahren. Sie war kalt, o ja, sie war aber auch still, wunderbar still und groß wie der kalte stille Raum, in dem die Sterne sich drehen.“
Im Folgenden soll versucht werden herauszufinden, wo die Differenz zwischen Alleinsein und Einsamsein zu suchen ist.

ALLEINSEIN: FREIWILLIGE ENTSCHEIDUNG

Meine Definition ist die: Alleinsein ist eine freiwillige Entscheidung, die man zu jeder Stunde treffen kann, soweit es der Alltag zulässt. Eingeschränkt muss gesagt werden, dass viele Menschen unfreiwillig und dauerhaft allein sein müssen. In diesen Fällen gilt: allein sein zu müssen ist das Schwerste, und allein sein zu können das Schönste.
Interessant ist auch der Gedanke, dass es gerade noch erträglich ist, stets allein zu sein, aber nie allein sein zu dürfen unerträglich ist.

Ohne ein vorschnelles Urteil zu bilden, kann man sagen, dass das Alleinsein viel Positives einschließt. Ist man in der glücklichen Lage allein zu sein, kann man spontan entscheiden, was man tun oder lassen will. Hat man geplante Ziele vor Augen oder vielversprechende Ideen im Kopf, die man verwirklichen will, hilft dann, frei von jeder äußeren Beeinflussung, uneingeschränkte Konzentration. Man kann sich Fragen stellen und sie selbst beantworten. Manchmal muss man einfach allein sein, um sicher zu sein, dass man es überhaupt noch kann!

  • Viele Menschen mit erhobenen Armen
  • Einige Schafe stehen dicht gedrängt beieinander

DIE INNERE STIMME

Manche Menschen können noch nicht einmal in einem Zimmer allein und ruhig sein und ihre Gedanken sammeln. Dabei ist es doch mit das Schönste, bei sich zu sein. Man kann damit beginnen, sich selbst als ein Freund zu begegnen, denn dann verwandelt sich die Einsamkeit in Gemeinsamkeit.  In der Stille des Alleinseins ist die innere Stimme am lautesten wahrzunehmen. Es sind Stunden, in denen ohne jede Ablenkung eine Selbstbeobachtung möglich ist, aber auch Lösungen für das weitere Leben, zu einem finden. Somit gilt: Ein Mensch kann nur er selbst sein, solange er allein ist.

Leonardo da Vinci hat bereits gesagt: „und wenn du allein sein wirst, wirst du ganz dein sein.“

ALLEINSEINKÖNNEN

Es braucht also einen gewissen Mut, allein sein zu wollen. Besonders in unserer Zeit ist zu beobachten, dass vielen Menschen dieser Mut fehlt, weil sie glauben, dass sie sich dadurch auf dem Weg in eine Isolation befänden.

Freilich ist der heutige Alltag von vielen Stressfaktoren, die die Menschen vereinnahmen und ihnen kaum Zeit lassen für sinnvolle Überlegungen lassen, überlagert.  Aber schon vor langer Zeit sagte Arthur Schopenhauer: „All unser Übel kommt daher, dass wir nicht allein sein können.“

Es wird immer wieder vergessen, dass Alleinsein eine große Kraft in sich trägt, die sich entfaltet und bei neuen Ideen, Erkenntnissen und Entscheidungsfindungen vieles einfacher macht. Ist man z.B. in der erhofften Lage, das Alleinsein in freier, stiller, aber die Sinne belebender, kraftspendender Natur verbringen zu können, ist das eine weitere Bereicherung der Auszeit, ein Sich-Lösen von der Hektik des Tages. Dann schwingt die Seele mit und versetzt den Menschen in einen Zustand von Glück, das alles hinter sich lässt, was einengt.

UNFREIWILLIGE ENTSCHEIDUNG

Einsamsein hingegen heißt, dass alles, was das Herz glücklich macht, fehlt!

Die Anlässe, warum viele Menschen in eine Einsamkeit geraten, sind so vielfältig, dass sie an dieser Stelle nicht annähernd aufgezählt werden können. Arthur Schnitzler sagte einmal: „Kein Gespenst überfällt uns in vielfältigeren Verkleidungen als die Einsamkeit …“. 

Es sollen deshalb nun die Auswirkungen der Einsamkeit behandelt werden. Immanuel Kant sagte dazu: „Tiefe Einsamkeit ist erhaben, aber auf eine schreckliche Art.“

MIT-TEILUNG

Wie umfassend Einsamkeit im Leben ist, lässt sich daran erkennen, dass man alles auf der Welt besitzen kann und trotzdem ein einsamer Mensch ist. Dies ist die bitterste Art der Einsamkeit. Sie entsteht nicht dadurch, dass keine Menschen um einem sind, sondern dadurch, dass man ihnen die Dinge, die einem wichtig sind, nicht mitteilen kann.

Oswald Spengler hat das so erlebt: „Hätte ich Freunde gehabt, denen ich mich mitteilen konnte, ich wäre ich heute anders … Ich werde an den Folgen meiner Einsamkeit sterben“.  Man muss zugestehen, dass der Mensch ein soziales Wesen ist – wir sehen es an seiner Abneigung gegenüber der Einsamkeit sowie an seinem Wunsch nach Gesellschaft, über den Rahmen seiner Familie hinaus. Der spanische Dichter und Philosoph Mosche Ibn Esra erlebte offenbar einen besonderen Trost in seiner Einsamkeit und sagte: „Ein Buch ist ein Freund, der deine Fähigkeiten aufdeckt; er ist ein Licht in der Finsternis und ein Vergnügen in der Einsamkeit; es gibt und es nimmt nicht.“

DAS SOZIALE UMFELD

Man muss also nicht allein sein, um einsam zu sein. Auch Menschen, die uns umgeben, können uns einsam machen. Einsamkeit hat nicht unbedingt etwas mit Alleinsein zu tun. Einsam ist man sehr allein, aber am schlimmsten ist bekanntlich die Einsamkeit zu zwein, wie so manches Paar leidvoll erfahren musste und muss.

Der Mensch braucht ein soziales Umfeld mit möglichst vielen Kontakten, sonst verkrüppelt er in der Einsamkeit. Er ist kein Asket, der sich von allen alltäglichen Lebensformen fernhalten muss. Der gesunde Mensch muss, in seinem eigenen Interesse, Teil der Gesellschaft sein. Einsame Menschen verpassen wertvolle Erfahrungen, die aus Kontakten mit anderen Menschen entstehen. Schließlich kann ein dauerhafter Rückzug aus der Gesellschaft zu Erkrankungen der verschiedensten Art führen.

Deshalb ist anzuraten, jede Gelegenheit zu nutzen, um sich mit Gleichgesinnten zu treffen, Erfahrungen und Interessen auszutauschen oder einfach nur miteinander zu reden. Auch die neuen Kommunikationsmittel bieten viele Möglichkeiten, weltweit alle Entfernungen zu überbrücken.

Mit TV und Internet kann man sich sogar die Welt ins Haus holen. Vorrausetzung ist, seine Neugierde und das Selbstvertrauen zu bewahren. All das ist mit der Einsamkeit austauschbar und erzielt dadurch einen guten Handel. Die Einsamkeit kann aber auch eine gute Freundin sein, die uns glücklich macht, nämlich dann, wenn sie sich von uns trennt! Eine weitere Trösterin in der Einsamkeit kann bei vielen die Arbeit sein – so banal das auch klingen mag.

Honoré de Balzac meinte: „Die Einsamkeit ist eine schöne Sache, aber man braucht einen, der einem sagt, dass die Einsamkeit eine schöne Sache ist!“

Mensch steht vor dem Sonnenaufgang

FAZIT

Stellt man jetzt die beiden Betrachtungen von Alleinsein und Einsamkeit gegenüber, zeigt sich eindeutig, dass es sich um zwei völlig verschiedene Seinsweisen handelt, die differenziert beurteilt werden müssen.

Das Alleinsein beinhaltet in vollem Umfang positive Momente, bei der Einsamkeit ist ausschließlich das Gegenteil der Fall. In England ist das weitverbreitete Problem der Einsamkeit bei neun Millionen Einwohnern erkannt worden und so wurde 2018 ein „Ministerium für Einsamkeit“ (eigentlich müsste es ja „Ministerium gegen Einsamkeit“ heißen!) gegründet. Das erste und (bislang) einzige auf der Welt. Für (oder gegen) das Alleinsein hingegen wird es sicher niemals eine Institution geben, weil eine solche glücklicherweise – aus den oben angeführten Gründen – völlig überflüssig wäre!

Es steht zu hoffen, dass die Vereinzelung der Menschen in der Einsamkeit überwunden wird und wir zu einem liebe- und respektvollen Gemeinwesen zurückkehren, in dem jeder seinen Platz hat und seine Anerkennung findet.

Fotos: Unsplash / Amir Arabshahi, Christopher Burns, Ahmed Nishaath, Jordan Steranka

Sie möchten nichts mehr verpassen? Hier erhalten Sie spannende Nachrichten zu Finanzen und vielen weiteren Themen.