Flachlandgorilla

AUGE IN AUGE MIT GORILLAS UND LEDERSCHILDKRÖTEN

Gabun und São Tomé sind auf der touristischen Weltkarte ein weißer Fleck mitten in Äquatorial-Afrika. Doch darin liegt die Chance, den Weg wieder zum Ziel zu machen und Abenteuer zu erleben, die nachhaltig berühren.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Gorillatrekking im Loango Park
  • Schokolade aus São Tomé
  • Lederschildkröten

Text Gerd Giesler

Gerd Giesler

Gerd Giesler ist Kommunikationsprofi und Inhaber der Agentur Journal International The Home of Content sowie leidenschaftlicher Reporter und Autor, z.B. monatlich für PURPOSE.

Gastgeber Mathieu verzieht das Gesicht wie ein trauriger Clown: „Nein, sie sind leider noch nicht aufgetaucht.“
„Okay“,
denken wir uns, „wir haben ja noch zwei Tage.“ Aber am nächsten Tag und am übernächsten werden Matthieus Mundwinkel nur länger.

Wir sind im Ndola Luxury Camp, einem weltentrückten Ort. Dort, wo der tiefe, grüne Dschungel auf eine 100 Kilometer lange, entfesselte Lagunen-Strand-Wellen-Küste trifft. Mitten im afrikanischen Gabun ist der Loango Nationalpark ein mystisches, menschenleeres Habitat — Heimat der letzten großen Wildtiere. Waldelefanten kommen an den Strand, Hippos spielen in den Wellen, Lederschildkröten vergraben ihre Eier im Sand. Alles spielt sich vor unseren Augen ab. Nur Waka und seine Sippe sind spurlos verschwunden. Also fahren wir auf Abschiedstour mit Guide Fernando durch die Mangroven der Iguela Lagune, um stattdessen Vögel zu beobachten. Bis sein Handy klingelt.

Eigentlich sind Trips zu den frei lebenden Flachland-Gorillas die Hauptattraktion. Sie zu finden ist jedoch Glückssache.
Aber die Jungs vom Max-Planck-Institut Leipzig melden: Waka und seine Familie sind zurückgekommen. Fernando lässt den Motor aufheulen und das Boot düst quer über die Lagune zum Yatouga Forschungs-Campus. Hier im Wald lebt das Gorilla-Team vom Institut für evolutionäre Anthropologie.

GABUN – EIN VERKANNTES JUWEL

Gabun ist nach wie vor kein Touristenland. Trotz spektakulärer Nationalparks lebt es von Ölvorkommen und Erzen. Im Norden grenzt es an Kamerun und Äquatorialguinea und im Osten an die Republik Kongo. Durch das Land verläuft der Äquator. Intakte Straßen gibt es wenige. Man reist per Flugzeug oder Schiff. Große Teile sind von Regenwald bedeckt, der im Westen bis an das Meer reicht. 2002 hat Gabuns damaliger Präsident Omar Bongo beschlossen, auf einer Fläche von einem Zehntel des Landes, 13 Nationalparks zu errichten. Wegen des Erdölreichtums haben sich Holzindustrie und Palmölplantagen nicht so stark ausgebreitet wie im restlichen Zentralafrika, was den Erhalt des Primärwaldes begünstigt.

Flachlandgorilla beobachten

Sehnlich erwartet: Silberrücken „Waka“, 13 Jahre alt

Wildhüter im Loango Nationalpark mitten in Gabun

Waldelefanten kommen an den Strand

Der Regenwald reicht bis zum Strand

Wild, aber an Menschen gewöhnt: Gorilla-Weibchen mit Baby

Einsame Strände im Loango

Lebhaft und bunt: Port Gentil

Club Sogara in Port Gentil

Pongara-Lodge im einzigen Resort im Nationalpark

DAS NDOLA CAMP UND DIE GORILLAS

Gabun – ein verstecktes Juwel auf der touristischen Weltkarte? Das hat auch die gabunesische Entwicklungsgesellschaft Agatour erkannt. Mit dem Slogan „The Last Eden“ wirbt sie für einen maßvollen Ökotourismus – für Naturliebhaber, die es sich leisten können. Hotels und Transfers sind mangels touristischer Infrastruktur teuer. Und der Weg in den Loango ist weit.
Zunächst muss man von der Hauptstadt Libreville nach Port Gentil gelangen. Die von den Franzosen gegründete Hafenstadt ist, anders als ihr Name vermuten lässt, lebhaft und bunt. Wer nicht mit dem Flugzeug reist, sondern sich lieber unter Einheimische auf die Fährpassage begibt, so wie damals der Arzt und Philosoph Albert Schweitzer, sollte zumindest Französisch sprechen.

Ticketreservierung per Internet? Fehlanzeige. Fahrplan? Pi mal Daumen. Und wenn das Schiff schon abgelegt hat? „Pas de problème, chers visiteurs“, morgen fährt das nächste. So ist Gabun. Reisen durch Afrika wie vor 50 Jahren.

FLACHLANDGORILLAS IN GABUN

Die Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut erforschen das Sozialverhalten, die Ernährung und die Populationsdynamik der Flachlandgorillas. Teamleiter Kevin erklärt, wie wir uns zu verhalten haben, wenn wir später auf die Gorillas treffen und stellt uns die Gruppe vor: Waka, das 13 Jahre alte Männchen, die beiden Weibchen Evoande und Owgely sowie die Jungtiere. Kevin und zwei einheimische Fährtenleser werden unsere Expedition begleiten. Die Gorillas im Loango Park sind zwar wild, haben jedoch ihre natürliche Angst vor dem Menschen verloren und gelernt, ihn als neutrales Wesen in ihrer Umgebung zu akzeptieren.

Zunächst fährt uns Kevin mit dem Boot zu einer kleinen Bucht, dann geht es zu Fuß über quer liegende Baumstämme und irgendwann stecken wir bis zu den Oberschenkeln im Morast. Doch wir haben Glück und bereits nach einer Stunde stoßen wir auf die Gorilla-Familie. Kevin weist uns an, den Mundschutz zu tragen. Schon eine für uns harmlose Infektion kann für einen Gorilla tödlich sein.

Andachtsvoll verbringen wir eine volle Stunde mit der Affenfamilie, bestaunen das Baby und die weiblichen Familienmitglieder, bis der Silberrücken Waka sich erhebt und zum Aufbruch bläst. Sich im Vorbeihangeln noch süße Baumfrüchte als Wegzehrung mitnehmend, verschwinden die Gorillas im Schilf. Was zurück bleibt? Ein überwältigendes Gefühl grenzenloser Freude und Dankbarkeit.

Gorillas erwidern, anders als Schimpansen, den menschlichen Blick. Und es ist so, als berühren sie die Herzen.

SãO TOMÉ, DIE PLANTAGEN-INSEL

Eine Woche später sitzen wir in der Schokoladenmanufaktur von Claudio Corallo auf der portugiesischen Urwaldinsel São Tomé, eine Flugstunde von Gabun entfernt bei zartbitteren Schokotörtchen. Nach der anstrengenden Safari in Gabun ist etwas Laissez-faire angesagt. Auf São Tomé und der Inselschwester Principe herrscht ein anderes Zeitgefühl als in Gabuns Hauptstadt Libreville. Die Lebensart ist unkompliziert. „Leve leve“ – einfach langsam, heißt die Losung.

Claudio Corallo machte einst auf Principe einen genialen Fund. Er entdeckte hocharomatische Kakaopflanzen, direkte Abkömmlinge des Ur-Kakaos, den die portugiesischen Eroberer um 1820 von Brasilien nach Afrika brachten und verarbeitet sie seitdem auf São Tomé zu köstlicher Schokolade.

Das portugiesische Inselchen hat viele Schokoladenseiten: Angefangen bei der üppigen Vegetation, nebelverhangenen Bergen, vulkanischen Felsnadeln bis hin zu schwarzen und weißen Bilderbuchstränden. Zwei Komforthotels besitzt die Insel, aber schöner wohnt es sich in den inseltypischen Rocas oder urigen Privatunterkünften.

Einbaumboot auf und namens São Tomé

Die Küste von São Tomé

Steilküste beim Fischlokal Mirà d’Oro

Ein Fischer aus São Tomé

Haarkunst

Feine Schokolade aus der Manufaktur von Claudio Corallo

GOURMET POUSADA MIT JAO CARLOS SILVA

Als die Portugiesen 1470 am Tag des heiligen Thomas auf der nach ihm benannten Insel landeten, bauten sie Landsitze in höher gelegenen Regionen. Von hier aus überwachten sie die Sklaven, die auf den Kakao-Zuckerrohr und Kaffee-Plantagen schufteten.

Längst hat die Natur das unrühmliche Erbe mit Urwald zugedeckt, aber ein paar dieser Rocas haben sich in die heutige Zeit hinübergerettet. Eine davon hat der portugiesische Promi-Koch Jao Carlos Silva zu einer romantischen Gourmet-Pousada umgebaut, zu der alle Inselurlauber pilgern. Die hübsche Auffahrt zur Roca Sao Jao ist bereits vormittags übersät von Autos und Menschen.

Am Ende erwartet uns eine herrschaftliche Farm mit Pension, Kunstausstellung und einem Verschlag, in dem Tauben, Gänse und Enten gehalten werden. Ob die alle auf den Tellern der Gäste landen? Jedenfalls bereiten flinke Hände auf der Restaurant-Terrasse unzählige Tellerchen mit Vorspeisen zu, ganz so, als erwarte man eine Busladung zum Lunch.

SETE ONDAS – PALMEN STATT SONNENSCHIRME

Mit dem Mietwagen kurven wir die Steilküste entlang, vorbei an der anglikanischen Kirche und dem entzückenden Fischlokal Mirà d’Oro, das mit seiner Terrasse direkt über den Klippen klebt. Von hier zum „Boca de Inferno“, dem Teufelsschlund, einem natürlichen Felspool in tosender Brandung, ist es nur einen Katzensprung. Wir mieten uns bei Cécilia aus Lissabon ein. Im Dorf Nge d’ai ee hat sie in einem Bananenwäldchen einfache, aber gemütliche Tiny Houses zimmern lassen und unterstützt mit einem Teil der Einnahmen die Community. „Gente D’Aqui“ heißt ihr Hideaway, ein Ort voller Harmonie. Im Dorf selbst grüßen uns die Einheimischen mit einem „Bom Dia“ wie alte Bekannte. Kleine Ferkel laufen über den Dorfplatz und vor der Cantina beteiligen sich zahnlose Alte am neuesten Klatsch. Hier ist die Zeit wirklich stehen geblieben.

Schnell ist auch der Lieblingsstrand in einer sanften Bucht gefunden: Sete Ondas, die „7 Wellen“, sind nur wenige Kilometer entfernt. Statt Sonnenschirmen erwarten uns Palmen mit tiefhängenden Fächern, eine Hängematte und eine simple Cantina. Es gibt sogar kühles Bier. Unter der Woche ist kaum eine Menschenseele am Strand. Noch ist São Tomé touristisches Neuland.

Auch der schönste Insel-Traum geht einmal zu Ende und alle Wege führen zurück nach Libreville. Unseren vorvorletzten Abend verbringen wir in der Strandbar „La Voile Rouge“. Drei französische Expats ordern die dritte Runde Regab-Bier. Ein Schnulzensänger schmettert Edit Piafs „Milord“ in die wattige Meeresbrise. Eine afrikanische Familie brennt zu Ehren von Papas 60-stem ein Tischfeuerwerk ab. Direkt vor dem Eingang am Boulevard L’Indepandance türmt sich der Müll.
In unseren Gedanken wächst die Sehnsucht, ein letztes Mal die grandiosen Natur Gabuns auszukosten.

LEDERSCHILDKRÖTEN: DIE UNGLAUBLICHE REISE

Die Lösung heißt Pongara. Nur eine knappe Stunde per Boot von Libreville trennen uns von diesem Naturparadies. Der Pongara Nationalpark umfasst einen Großteil der Halbinsel Pointe Denis an der Südseite der Gabun-Mündung. Auf einer Fläche von fast 600 Quadratkilometern trifft man auf dichten Regenwald, Savannen und einen einsamen Küstenstreifen.

Die Pongara Lodge ist das einzige Resort im Park. 11 komfortable Stelzen-Chalets zwischen Waldrand und Meeressaum, ein Rundbau mit Restaurant und Bar und direktem Blick aufs Meer und Strand, soweit das Auge reicht. Jedes Jahr zwischen Mai und September ereignet sich hier ein grandioses Naturspektakel:
Hunderte von Lederschildkröten-Weibchen erinnern sich, dass sie hier das Licht der Welt erblickten und durchqueren Ozeane, um alle zwei bis drei Jahre ihre Eier an dem Strand zu vergraben, an dem sie selbst geschlüpft sind. Sie nutzen die großen Meeresströme und erkennen die Magnetfelder der Erde. So manövrieren sie bis zu 10.000 Kilometer weit, ohne vom richtigen Weg abzuweichen. Im Schutz der Nacht schleppen die größten Meeresschildkröten der Welt dann ihre bis zu 700 Kilo schweren Leiber an Land.

MOLAS LANGER SEUFZER

Mit Meeresbiologe Nestor von der Pongara Lodge brechen wir um Mitternacht – bewaffnet mit Rotlichtlampen – zu einem ungewöhnlichen Strandspaziergang auf. Bald werden wir fündig. In der Dunkelheit schält sich eine zwei Meter lange Schildkröte aus dem Wasser. Wir nennen sie Mola. Mit ihren Vorderflossen kämpft sie sich schwer atmend durch den Sand. Mit den hinteren Flossen schiebt sie den Körper nach — ein unglaublicher Kraftakt, der einen eisernen Willen voraussetzt. Erst als Mola den weichen, noch warmen Sand außerhalb des Gezeiten-Radius erreicht, bleibt sie liegen.

Uns bemerkt sie kaum. Stattdessen gräbt sie mit ihren hinteren Flippern ein tiefes Loch und bewirft uns dabei mit Sand. In das Loch lässt sie rund 30 Eier gleiten und deckt sie anschließend sorgfältig zu. Mit letzter Kraft schleppt sich Mola nach der Eiablage zurück ins Meer. Zum Abschied berühren wir vorsichtig ihren Panzer. Er fühlt sich warm und weich an. Überzogen von einer dünnen Lederhaut.

Mola hebt den Kopf. Für einen kurzen Augenblick schaut sie uns in die Augen. Wie bei den Gorillas im Loango läuft uns ein Schauer über den Rücken. Dann gleitet sie mit einem langgezogenen Seufzer zurück in die Fluten. Wieder muss sie die Tiefen der Ozeane durchpflügen auf ihrer einsamen, langen Reise. Nach zwei, drei Jahren wird sie nach Gabun zurückkehren und der Zyklus des Lebens wird sich wiederholen.

Fotos: Milena Sovric, istock

 

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