Abstraktes Bild einer Frau im freien Fall vor violettem Hintergrund.

DIE BEDEUTUNG DER TRÄUME

Nacht für Nacht webt der Traum jenen kostbaren Stoff, den wir für ein erfülltes Leben brauchen. Was für ein Luxus! Unsere Autorin über die Bedeutung der Träume, warum sie wichtig sind und was sie uns sagen wollen.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Homöostase
  • Vom Überleben zum Leben
  • Werde, der du bist

Text Brigitte Berger

Paartherapeutin Brigitte Berger

Brigitte Berger ist Erziehungswissenschaftlerin und Paartherapeutin. Sie arbeitet mit Träumen und bietet als ehemalige Dozentin an der vormaligen Bayerischen Akademie für Gesundheit eine Ausbildung zur Traumarbeit für therapeutische Berufe an. Zudem ist sie Mitglied der Martin-Buber-Gesellschaft.

Es ist mir ein Rätsel wie es beim heutigen Kenntnisstand der Neurowissenschaften, der Medizin und der Psychologie immer noch möglich ist, zu glauben, Träume könnten die bedeutungslose Restaktivität eines in der Nacht unterbeschäftigten Gehirns sein.

Das Gleichgewicht halten

Der Neurowissenschaftler Antonio R. Damasio beschreibt eindrücklich, welcher Balanceakt in jedem Augenblick bis in die kleinste Zelle hinein geleistet werden muss, um am Leben zu bleiben: Nahrung finden und verarbeiten, Umwandlung in Treibstoff für den Körper, Abtransport von Abfallstoffen, Temperierung etc..
Dieses hochfeine Gleichgewicht, die physiologische Homöostase, wird in jedem Augenblick unserer Existenz geleistet, um unser Dasein zu sichern. Angesichts dieser faszinierenden Komplexität des Lebens, ist es eigentlich undenkbar zu meinen, nachts leiste sich das Gehirn einen Leerlauf.

Vom Überleben zum Leben

Freilich, die grundlegende physiologische Homöostase läuft unbewusst ab. Gott oder der Natur sei Dank! Sonst hätten wir noch mehr zu tun und müssten pausenlos blitzschnell Entscheidungen treffen – an Schlafen wäre da gar nicht zu denken! Die soziokulturelle Homöostase, die evolutionär erst wesentlich später ihre Entwicklung nahm, hat das Ziel der gemeinschaftlichen Homöostase-Leistung vom Überleben zum Leben erweitert. Ihr Ziel ist das Streben nach Wohlbefinden.
Meine These zur Bedeutung der Träume ist: Träume stehen im Dienst der soziokulturellen Homöostase und leisten ihren Beitrag dazu, dass wir uns körperlich und seelisch wohlfühlen.

Bedeutung der Träume und die Suche nach dem Besten in uns

Die rumänische Neurobiologin Hannah Monyer untersuchte das Schlafmuster von Mäusen und Ratten, nachdem diese sich tagsüber in einem neuen Raum zurechtfinden mussten. Eine solche Herausforderung löste bei den Tieren Traumphasen aus, die sich deutlich von den Tiefschlafphasen unterschieden, in denen das Gehirn das, was sich am Tag bewährt hat wie in einem „Replay“ verdichtet und im Gedächtnis abspeichert.

In den Traumphasen kreiert das Gehirn aus den bereits abgespeicherten Informationen aus Erfahrungen und Wissen neue Muster, um für die aktuelle Situation die bestmögliche Antwort zu kreieren. So erinnert uns der Traum nicht nur an die Ressourcen, mit denen wir ähnliche Herausforderungen in der Vergangenheit gut gemeistert haben, sondern er webt kreativ auch aus dem Brauchbaren etwas Neues, er findet ein Potenzial in uns.

Zweierlei ist festzuhalten: Der Traum reagiert auf ein Problem. Und, der Traum ist lösungsorientiert. Dabei zielt er auf Weiterentwicklung, die Erschließung neuer Denk- und Handlungsweisen.

Träume lassen uns zu uns selbst erwachen

Das Bestmögliche, nach dem der Traum sucht, bemisst sich dabei nicht an einer äußeren Norm, Bildern einer Gesellschaft über Aussehen, Ansehen, Leistung oder Fitness. Der Index, nach dem der Traum sucht, ist das größte Maß an Authentizität.
Statt immer höher, immer weiter, immer schneller, kann das bedeuten, dass der Traum uns rät, langsamer zu werden und weniger an uns herum zu optimieren und dafür näher bei uns zu sein und bei uns zu verweilen. Der Traum zielt darauf ab, dass wir über Angst und Scham hinaus- und in uns selbst hineinzuwachsen.
Werde, der du bist und kein anderer – das ist der Zuruf der Träume.

Mut tut gut

Doch das erfordert Mut. Den Mut zur Wahrheit. Den Mut, sich selbst zu begegnen. Und den Mut, sich bedingungslos zu lieben. Ein Quäntchen Mut, das sich im Interesse an den nächtlichen Träumen äußert, ist der Türöffner für diese Reise zu sich selbst. Dann werden wir von den Träumen an die Hand genommen, diesen Mut Schritt für Schritt zu entwickeln. Träume sind Mutmacher und Wegfinder.

Das Geschenk des Lebens

Dazu ein Beispiel aus dem Traum einer Frau, die sich betroffen und entmutigt schlafen gelegt hatte. Die Bilder der abendlichen Nachrichtensendung im Fernsehen lagen schwer auf ihrer Seele. Sie träumte: Eine befreundete Yogalehrerin macht ihr ein Geschenk. Es ist ein Fotokalender. Zu ihrer Freude entdeckt sie Kalenderblätter, die einmal mit Bildern ihres Sohnes, dann mit Bildern ihrer Tochter gestaltet sind. Sie hängt den Kalender links auf Augenhöhe an ihren Schreibtisch. Die Freundin tritt hinzu und sagt ihr, sie solle sich nicht am Geschenkpapier, das über den Boden verteilt chaotisch herumliegt, stören.

Die Frau weiß, da waren noch andere Traumszenen zuvor, an die sie sich nicht erinnert. Dies sei der Schluss des Traumes gewesen, der sie wieder in ihre innere Balance gebracht habe. Der Lösungsweg des Traumes ist klar: um wieder zu dir selbst zurückzufinden – dies ist das erklärte Ziel des Yogas – bringe auf Augenhöhe, was dir im Leben das Liebste ist. Genauer noch: die linke Seite; das deutet auf den Gefühlsbereich hin. Der Schreibtisch entspricht dem Raum ihrer Kreativität. Das Schreiben, berichtet die Träumerin, sei ihr Lebenselixier. Die Ordnung ihrer Tage, der Kalender, so rät der Traum, solle von der Liebe geprägt sein. Die Ordnung der Liebe oben auf Augenhöhe, das fruchtbare Chaos unten am Boden.

Ein Chaos von Geschenkpapieren ist Zeugnis davon, dass die Träumerin, die Geschenke ihres Lebens angenommen hat, sie aus- und angepackt hat. Der Traum reicht der Träumerin das Gelingende ihres Lebens ins Bewusstsein, verbindet sie mit ihren Ressourcen. Und schließlich: Die Freundschaft spielt in diesem Traum eine Schlüsselrolle.

Hier und generell gilt: Alle Aspekte eines Traumes werden als Anteile der Persönlichkeit des Träumenden betrachtet. Sie spiegeln ein Selbstverhältnis. Die Freundschaft mit sich selbst öffnet den Blick für das Angesicht der Liebe.

  • Eine schwarz gekleidete Person liegt auf dem Bauch im tiefen Gras.
  • Abstraktes Bild eines vermummten Kopfes mit Schmetterlingen.

Träume machen uns lebendiger

Aus meiner zwanzigjährigen Erfahrung im Umgang mit Menschen und ihren Träumen, sei es im Bereich der Therapie oder der Ausbildung von Therapeuten, kann ich berichten: Menschen, die sich ihren Träumen zuwenden, werden lebendiger. Es kehren die Wünsche in ihr Leben zurück, ebenso das Leuchten und die Tränen in ihren Augen. Die immer gleichen Klippen, an denen ihre Wünsche Schiffbruch erleiden, können umfahren werden oder anders ausgedrückt: sie stehen sich weniger selbst im Wege.

Stattdessen beginnen sie, Freundschaft mit sich selbst zu schließen. Das Spektrum der Denk- und Verhaltensmöglichkeiten wird weiter. Der Ideenreichtum nimmt zu. Heiterkeit kann Raum einnehmen. Es darf auch gelegentlich über sich selbst herzlich gelacht werden. Menschen, die ihre nächtlichen Träume durchwandern, öffnen sich dafür, neue Erfahrungen mit sich selbst zu machen.

Im nächsten Beitrag beschäftige ich mich mit der Sprache der Träume. Träume sprechen ja selten Klartext. Träume sprechen in Bildern, und auch das hat einen evolutionären Sinn. Die Metaphern im Kontext des gesamten Traumtextes in die Bedeutung zu heben, die sie verdienen, anstatt sie zu interpretieren, das ist die hohe Kunst des Traumverstehens. Freuen Sie sich auf das, was da kommen mag, auch in Ihren Träumen …

Ein Mann hält sich die Hände vor die Augen, aus denen Blumen wachsen.

Fotos: Unsplash / Bruce Christianson, Sonia Dauer, Javardh, Sergey Vinogradov

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