Biodiversität auf Firmengelände

Mehr Biodiversität auf dem Gelände von Firmen

Von Feuchtbiotopen über Bienenvölker und Blühwiesen bis zu Nistkästen, Steinhaufen und Wildwuchs: Unternehmen können auf ihrem Gelände aktiv zu mehr biologischer Vielfalt beitragen. Das Projekt LIFE BooGI-BOP informiert, begleitet und vernetzt sie dabei und macht Biodiversität auf Firmengeländen zum Thema.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Abnehmende Artenvielfalt
  • Naturnahe Gestaltung
  • Förderungen wie „Grün statt Grau“ für mehr Biodiversität

Text Antoinette Schmelter-Kaiser

Dr. Thomas Schaefer

Dr. Thomas Schaefer beobachtete schon als 13-Jähriger, dass die Artenvielfalt abnimmt. Er studierte in Göttingen Biologie am ersten Lehrstuhl für Naturschutz. Beim Global Nature Fund ist er Leiter für Naturschutz und Living Lakes.

Was verbindet die Deutsche Bahn, den Sportausstatter Decathlon, den Möbelproduzenten Ikea Industry, den Schalungs-Spezialisten PERI und SOKA-BAU, einen Anbieter für Berufsausbildung und betriebliche Altersversorgung in der Baubranche?
Diese Unternehmen sind zwar in sehr unterschiedlichen Branchen tätig und vermarkten voneinander abweichende Produkte oder Dienstleistungen. In einem Bereich haben sie aber ein gemeinsames Anliegen: Sie bemühen sich um eine naturnahe, biodiversitätsorientierte Gestaltung ihrer Firmengelände, um der lokalen Fauna und Flora wichtige Lebensräume zu bieten.

BESONDERS GROSSER SCHWUND IN EUROPA

Diese werden aufgrund widriger Faktoren wie zunehmende Besiedelung und Bebauung, Umweltverschmutzung und Klimawandel immer mehr zur Mangelware. Laut International Panel for Biodiversity and Ecosystem Services könnten eine Million Arten in den nächsten Jahrzehnten verschwinden, wenn sich der Zustand der Ökosysteme weiter verschlechtert.

Weil in Europa als einem der stärksten zersiedelten Kontinente bis zu 80 Prozent der Fläche für Verkehrsinfrastruktur, land- und forstwirtschaftliche Produktion, Siedlungsflächen und Industriegebiete genutzt werden, ist hier der Schwund besonders groß. Gewillte Unternehmen können aber gegensteuern und in ihrem Umfeld bewusst zu mehr Biodiversität beitragen.

FEHLENDE REGELN FÜR GRÜNE GESTALTUNG UND BIODIVERSITÄT

„Je nach Standort und Bebauungsplan gibt es Auflagen, welcher Anteil von gewerblichen Grundstücken überbaut oder versiegelt werden darf, und was grün sein muss“, erklärt Dr. Thomas Schaefer vom Global Nature Fund, einer 1998 gründeten internationalen Stiftung für Natur-, Umwelt- und Tierschutz. „Wie dieses ‚Grün‘ gestaltet sein muss, ist nicht geregelt.“ Üblich seien Rasen, geschnittene Koniferen und Hecken aus nicht-einheimischen Gehölzen oder simples „Abstandsgrün“ für die Garantie-Distanz zum nächsten Gebäude – alles keine idealen Habitate für Insekten, Vögel oder andere Tiere.
Was Tiere zum Wohlfühlen brauchen, sind Lebensraumvielfalt mit Wildwuchs, Totholz, Steinhaufen und Blühwiesen.

  • Ökologisch sinnvolle Maßnahmen auf Firmengeländen
  • Boosting Green Infrastructure through Biodiversity-Oriented Design of Business Premises

KNOWHOW FÜR ÖKOLOGISCH SINNVOLLE MASSNAHMEN

Um Firmen den Unterschied bewusst zu machen und das notwendige Knowhow für ökologisch sinnvolle Maßnahmen zu vermitteln, ist der Global Nature Fund Teil des Teams von LIFE BooGI-BOP: Dieses Projekt mit dem vollständigen englischen Titel „Boosting Green Infrastructure through Biodiversity-Oriented Design of Business Premises“ fördert die naturnahe Gestaltung von Firmengeländen zum Schutz der biologischen Vielfalt als Teil grüner Infrastrukturen in Europa.
Getragen wird es seit Juli 2019 vom EU LIFE-Programm, dem Finanzierungsinstrument der Europäischen Union für Umwelt und Klimaschutz. Projektländer sind Deutschland, Österreich, die Slowakei und Spanien.

VON INFORMATION ÜBER BERATUNG BIS AUSTAUSCH

„Interessierte Unternehmen können einen Selbst-Check machen, sich informieren, beraten und begleiten lassen, um ihre Gelände fit für biologische Vielfalt zu machen“, erklärt Dr. Thomas Schaefer.
Für einen „systematischen Ansatz“ gibt es Schulungen für Garten- und Landschaftsbauer ebenso wie eine Publikation in Kooperation mit der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V.. In einem Netzwerk werden Anlaufstellen wie Dienstleister, Lieferanten, Kampagnen, aktive Kommunen, Umweltverbände und -Initiativen zusammengebracht. Für Austauschmöglichkeiten sorgte auch die zweitägige, hybride Konferenz „European Green Premises“ Mitte September 2022 mit über 100 Teilnehmenden.
„Wir haben noch kein Unternehmen getroffen, dem das Thema schnuppe war“, fasst Dr. Thomas Schaefer zusammen.

INSEKTENHOTELS, STREUOBSTWIESEN, WILDSTRÄUCHER

Bei Maßnahmen zur biodiversitätsorientierten Gestaltung ist die Bandbreite seiner Erfahrung nach groß – je nach Gelände und den finanziellen oder personellen Möglichkeiten im Unternehmen. „Jede einzelne ist wertvoll. Aber je mehr es sind, desto besser“, macht der promovierte Biologe klar.
Bei Ansorge Logistik in Singen seien Insektenhotels und Nistkästen für Vögeln oder Fledermäuse installiert, invasive Pflanzen entfernt, artenreiche Blühmischungen gesät, Bäume gepflanzt und Bienenvölker angesiedelt worden. Ein gelungenes Beispiel von Biodiversität auf einem Firmengelände.

Eine weitere Erfolgsgeschichte ist für Dr. Thomas Schaefer SOKA-Bau in Wiesbaden, wo fast 100 Prozent der offenen Fläche naturnah sind und dafür ein Feuchtbiotop, eine Streuobstwiese und eine Insekten- und Vogeltränke angelegt wurden, Wildsträucher und Stauden wachsen. Zusätzlich sind die Dächer der kompletten Liegenschaft und Teile der Fassaden begrünt.

Naturnahe Flächen bei SOKA-Bau in Wiesbaden

WICHTIGES KRITERIUM FÜR FACHKRÄFTE

Damit fühlen sich nicht nur Eichhörnchen, Bienen, Schmetterlinge, Gartenschläfer oder Marder wohl. Auch Mitarbeiter schätzen und nutzen die Außenanlagen rege. Als zusätzlicher Effekt sind im harten „Wettbewerb um Fachkräfte“ Nachhaltigkeit und eine ökologische Einstellung als Teil der sogenannten „Employer Value Propositions“ (Wertversprechen des Arbeitgebers) wichtige Kriterien und können bezüglich der Attraktivität des Unternehmen mitentscheidend sein, so der Bereichsleiter Personal und Zentrale Dienste Alexander Lapp-Thoma von SOKA-BAU bei der Konferenz „European Green Premises“.

ANREIZPROGRAMME WIE „GRÜN STATT GRAU“

Ende des Jahres läuft LIFE BooGI-BOP offiziell aus. Schutz und Förderung naturnaher Biodiversität auf Firmengeländen bleiben aber ein relevantes Thema.
„Teil des Projekts war die Schaffung von nationalen ‚Focal Points‘ als dauerhaften Ansprechpartnern“, erklärt Dr. Thomas Schaefer. „Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen wird die Zertifizierung von biodiversitätsorientierten Firmengeländen vorantreiben. Überdies gab und gibt es neben LIFE BooGI-BOP ähnliche Anreizprogramme und Förderungen wie ‚Grün statt grau‘ in Nordrhein-Westfalen oder ‚Unternehmen Natur‘ in Bayern.“

MOTIVIERENDE PROJEKTARBEIT

Ihn persönlich motiviert es, auch im Rahmen von LIFE BooGI-BOP „mehr als die Saat gesät“ zu haben. „Ausgestorbene Arten kommen zwar nicht mehr zurück“, bedauert er. „Aber für bedrohte Tiere und Pflanzen kann sich die Situation verbessern, wenn für sie günstigere Bedingungen geschaffen werden. Praxisbeispiele beweisen, dass bei Wildbienen, Schmetterlingen oder Laufkäfern die Zahl der Arten und Individuen in einem überschaubaren Zeitraum spürbar steigt.“
Was er sich in seinem Biologie-Studium gewünscht hat, ist für ihn mit LIFE BooGI-BOP und beim Global Nature Fund in Erfüllung gegangen: beruflich mehr für Ökologie und Naturschutz tun.

Fotos: LIFE BooGI-BOP, iStock

 

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