metamoderne Bewusstseinsentwicklung

Das ist metamodern!

Die metamoderne Bewusstseinsentwicklung scheint das menschliche Pendant zur digitalen Revolution zu sein, schreibt unsere Autorin. Aber was meint sie damit? Und was macht metamoderne Charaktere aus?

Hier erfahren Sie mehr über

  • Menschliche Revolution
  • Neue Blickwinkel
  • Besondere Werte

Text Salome Fischer

Salome Fischer

Salome Fischer, Kommunikationspsychologin, begeistert sich für Sprache und Wahrnehmung und lebt ihre Leidenschaft für Persönlichkeitsentwicklung und deren Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen aus.

In der heutigen Zeit, in der die – westliche – Welt scheinbar von einer Krise zur nächsten taumelt, gibt es eine bemerkenswerte Entwicklung, die oft im Schatten der konventionellen Denkweisen und etablierten Begriffe verborgen bleibt. Dieses Phänomen wird als Metamoderne oder Metamodernismus bezeichnet und wurde erstmals von den niederländischen Kulturtheoretikern Timotheus Vermeulen und Robin van den Akker beschrieben.

Der Metamodernismus zeichnet sich durch eine spezielle Sensibilität aus, die als „informierte Naivität“ bezeichnet wird. Damit ist ein „pragmatischer Idealismus“ gemeint, der charakteristisch für die Reaktionen auf die Herausforderungen unserer Zeit ist.

Im Kern des Metamodernismus steht die Idee, dass die Welt in all ihren Facetten von sich scheinbar widersprechenden Polen durchzogen ist. Diese Polaritäten erstrecken sich über verschiedene, hypothetisch duale Bereiche, von Wissen und Fühlen bis hin zu Romantik und Effizienz. Metamoderne Menschen schätzen diese Vielschichtigkeit und sind bereit, zwischen diesen Polen zu schwingen oder zu oszillieren, um ein umfassenderes Verständnis der Welt zu erlangen – eine Metaperspektive.

Der Metamodernismus als Werte(r)evolution in Mensch und Gesellschaft

Von der pulsierenden Energie der Aufklärung bis hin zu den reflektierten Debatten der Postmoderne: Unsere Denkmodelle haben sich im Laufe der Zeit signifikant verändert. Wie alle Dinge in der Evolution bewegen wir uns weiter vorwärts, doch zunächst ein Blick zurück:

Das 17. Jahrhundert eröffnete uns das faszinierende Kapitel der modernen Philosophie, dass gleichzeitig den Ursprung der wissenschaftlichen Revolution darstellte. In dieser aufregenden Ära strahlten Namen wie Newton und Descartes in den Geschichtsbüchern. Eine mechanistische Weltsicht dominierte, in der Fortschritt als höchstes Ziel galt und die Wissenschaft unseren Weg wies. Der Glaube an die Wissenschaft, die Entwicklung und der Fortschritt prägten diese Zeit, ebenso wie die Idee einer meritokratischen Gesellschaftsordnung und die Überzeugung, dass die Menschheit die Natur aufgrund ihrer Vernunft neu erschaffen, sogar bezwingen könne.
Demokratie und der Fokus auf den Einzelnen waren ebenfalls Aspekte dieser modernen Zeitenströmung. Die Systemattraktoren, als Leitlinien für das Erzeugen von Wissen, schienen uns mitunter in ihren starren Mustern zu „versklaven“.

Frau hält ein Blatt in der Hand

Der Schatten des postmodernen Gegenpols

Doch wie bei allen leuchtenden Sternen am Himmel oder bei Attraktoren, die die neue Ordnung wieder ins Chaos stürzen können, trat der postmoderne Gegenpol auf die Bühne und warf seinen Schatten auf die einst unumstrittene Moderne. Die Postmoderne zeichnete sich durch ihre Fähigkeit aus zu hinterfragen, zu kritisieren und zu dekonstruieren. In dieser Ära, die geprägt war von der kritischen Infragestellung aller Kenntnisse und Wissenschaften, dem Misstrauen gegenüber allen großen Erzählungen über „Fortschritt“ sowie der Betonung von Symbolen und Kontexten, entstand eine ironische Distanz zu etablierten Narrativen.
Dabei unterstrich der Zeitgeist auch, wie Kulturen von der modernen Gesellschaft unterdrückt und zerstört wurden und deckte Ungerechtigkeiten in „demokratischen“ Gesellschaften auf.

Dennoch: Inmitten dieser tiefgreifenden Analyse bleibt eine fesselnde Frage bestehen:
Wenn nichts mehr als absolut ‚wahr‘ betrachtet wird, welcher Maßstab bleibt dann für Geltung und Bedeutung?

Dieser Paradigmenwechsel zwang uns, die Systemattraktoren, die einst unsere Orientierung boten, in einem neuen Licht zu betrachten und sie in den Kontext einer komplexen, vielschichtigen Welt zu stellen.

Werte einer universellen Meta-Dimension

Betrachten wir die Dinge in einem neuen Licht, erkennen wir, dass es nicht möglich ist, sie durch dieselbe Brille zu sehen. Der postmoderne Relativismus zwang uns, uns alle auf einer Linie zwischen den Polen zu positionieren und führte zu komplexen, postmodernen Konstruktionen. Statt uns näher zu bringen und uns toleranter gegenüber Andersartigkeit zu machen (das lateinische Wort „Tolerare“ bedeutet „erdulden“ oder „aushalten“), hat er uns scheinbar weiter auseinandergetrieben.

Die metamoderne Haltung deutet darauf hin, dass es eine Verbindung gibt, die nicht rein rational und kognitiv erklärbar ist. Diese Verbindung vereint die vielfältigen Ausprägungen von X auf der Gerade, die die Dualität verbinden und erkennt diese als das an, was sie sind. Die Metamoderne beinhaltet eine Werteorientierung einer universellen Meta-Dimension: Das Gute, das Wahre, das Schöne.

Mann klettert an einer gelben Wand

Was nimmt das Männchen auf dem Dreifuß wahr?

Das Männchen, das das Pendel erklommen hat und die Metaperspektive erreicht hat, verkörpert ein tiefgreifendes, verändertes Denken und Verhalten im Kontext des Metamodernismus. Es ist geprägt von einem starken Fokus auf persönliche Entwicklung und emotionaler Intelligenz. Diese Entwicklung ermöglicht es ihm, seine individuelle Reife und soziale Kompetenz zu entfalten und bewusstere Entscheidungen zu treffen, die im Einklang mit dem Wohl der Gemeinschaft stehen, da das Gemeinwohl in der metamodernen Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist.

Gleichzeitig lebt das Männchen in einer Welt, die offen für spirituelle Erfahrungen und gleichzeitig im Hier und Jetzt verankert ist. Diese Balance zwischen Transzendenz und Immanenz ermöglicht es, tiefere Bedeutungen des Lebens zu erforschen, während gleichzeitig die täglichen Herausforderungen gemeistert werden.

In der metamodernen Welt schätzt es das dialektische Denken hoch. Es erlaubt, scheinbare Gegensätze zu vereinen und die Komplexität der heutigen globalen Herausforderungen anzugehen. Diese Denkweise fördert eine integrative Sichtweise, bei der verschiedene Disziplinen und Denkansätze zusammengeführt werden, um innovative Lösungen zu finden.

Schließlich ist das Männchen in dieser neuen Welt stark mit dem Bewusstseinswandel verbunden. Es ermutigt sich selbst und andere, ihr eigenes Bewusstsein zu erforschen und ein tieferes Verständnis von sich selbst und ihrer Umwelt zu entwickeln. Das Männchen ist sich klar, dass auch Mikrosysteme auf Makrosysteme wirken und die individuelle Bewusstseinsentwicklung von entscheidender Bedeutung für kollektive Transformation darstellt.

Im Folgenden beschreibe ich weitere Merkmale metamoderner Menschen:

Mensch hält drei Blätter vor eine Gesichtshälfte

Metamoderne Charaktere:

Integration von Polaritäten: Metamoderne Menschen schätzen die Fähigkeit, scheinbar gegensätzliche Ideen zu integrieren und sie in einem größeren Kontext zu sehen. Sie suchen nach Verbindungen zwischen der Moderne und der Postmoderne, um eine umfassendere Perspektive zu erreichen.

Fluide Identität: Anstatt sich strikt an vorgegebene Identitäten zu halten, sind metamoderne Menschen offen für das Verschieben und Neugestalten ihrer Identität basierend auf dem Kontext und ihrer Erfahrung.

Verantwortungsbewusstsein: Während die Postmoderne oft kritisch gegenüber Strukturen und Systemen ist, nimmt der Metamodernismus eine proaktive Haltung ein und betont die Verantwortung des Einzelnen, positive Veränderungen herbeizuführen.

Tiefe Reflexion: Metamoderne Menschen setzen sich intensiv mit ihrer Innenwelt auseinander und erkennen die Bedeutung von Selbstbewusstsein und Selbstwachstum.

Globaler Blickwinkel: In einer immer stärker vernetzten Welt schätzen metamoderne Menschen den globalen Kontext und erkennen, dass Aktionen lokal und global verknüpft sind.

Sinn und Zweck: Metamoderne Menschen suchen nach einem tieferen Sinn in ihrem Leben und streben danach, einen positiven Einfluss auf die Welt um sie herum zu haben.

Offenheit für Komplexität: Anstatt vor der Komplexität der heutigen Welt zurückzuschrecken, umarmen metamoderne Menschen sie und suchen nach Wegen, sie zu navigieren.

Wertschätzung von Vielfalt: Es gibt eine tiefe Wertschätzung für Vielfalt in allen Formen – kulturell, intellektuell und mehr. Dies zeigt sich in einem Ansatz des aktiven Zuhörens und Lernens von unterschiedlichen Perspektiven.

Innovation und Kreativität: Angesichts der raschen Veränderungen in Technologie und Gesellschaft schätzen metamoderne Menschen Innovation und die Fähigkeit, kreativ auf Herausforderungen zu reagieren.

Ethik des Mitgefühls: Ein zentrales Merkmal des Metamodernismus ist das Mitgefühl – sowohl für den Einzelnen als auch für kollektive Gruppen. Es gibt ein Streben nach einer ethischeren und mitfühlenderen Welt.

Wie könnte sich eine metamoderne Makrosphäre, Gesellschaft, ausformen?

Eine solche Gesellschaft würde ständig auf der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Fortschritt und Erhaltung, zwischen individuellen Rechten und kollektivem Wohl sowie zwischen Tradition und Innovation sein.

Paar isst gemeinsam einen Apfel

Die intraindividuelle Entwicklung könnte sich wie folgt in Gesellschaftsebene zeigen:

Werte des metamodernen MenschenMerkmale einer metamodernen Gesellschaft
Integratives DenkenIntegrierte Strukturen: Mechanismen, die individuelle und kollektive Belange ausbalancieren.
Fließende IdentitätFluide Hierarchien: Netzwerkartige Strukturen, die sich an den Bedarf und Fähigkeiten anpassen.
Globales BewusstseinGlobale Zusammenarbeit: Verstärkte internationale Kooperation auf verschiedenen Ebenen
Lebenslanges LernenFokus auf Bildung: Betonung von kritischem Denken, emotionaler Intelligenz und interkultureller Kompetenz
UmweltbewusstseinNachhaltigkeit: Schutz der Umwelt durch innovative Technologien und Praktiken
 Tiefgreifende EmpathieEmpathie und Inklusivität: Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt in allen Formen
Offenheit für InnovationInnovation: Integration von Technologie und menschlicher Kreativität in allen Sektoren
VerantwortungsbewusstseinTransparenz und Verantwortung: Klare Entscheidungsprozesse und Mechanismen zur Rechenschaftspflicht
Sinn- und SpiritualitätssucheSinn und Spiritualität: Integration von tieferem Sinn im Alltag ohne dogmatische Glaubenssysteme
Ethik- und wertezentrierte AnsichtenWertezentrierte Politik: Entscheidungen basieren mehr auf ethischen Überlegungen und langfristigen Visionen

In einer metamodernen Gesellschaft, vergleichbar mit dem Männchen auf dem Pendel, das die Kontrolle über seine Schwingungen erlangt hat, würden wir eine Welt erleben, in der die Menschen bewusster zwischen verschiedenen Polen oszillieren und die Vielfalt der Erfahrungen schätzen. Eine Gesellschaft, die sich kontinuierlich weiterentwickelt und dabei die Balance zwischen Tradition und Innovation findet und dem Guten, Wahren und Schönen in den Diensten steht.

Die entscheidende Frage lautet: Wie können wir gemeinsam diese Fähigkeit zur bewussten Oszillation zwischen verschiedenen Perspektiven und Ideen fördern, um eine reichhaltigere und harmonischere Zukunft zu gestalten?

Fotos: Unsplash / Mert Guller, Kyle, Jorge Saavedra, Sabina Tone, Pat Whelen

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