weisse Federn

DIE ARROGANZ-FALLE

Das Grimmsche Märchen „Die drei Federn“ zeigt, weshalb es besser ist, sich selbst zu erkunden, anstatt andere zu demütigen.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Mobbing
  • Die Folgen von Arroganz
  • Innere Stärke

Text Irmela Neu

Schwarz-Weiß-Bild von Prof. Dr. Irmela Neu.

Prof. Dr. Irmela Neu lehrt Interkulturelle Kommu­nikation in Spanien und Lateinamerika an der Hochschule München für angewandte Wissenschaften (HM), gibt Seminare zur empathischen Kommu­nikation, ist Autorin und studierte Politologin.

Ungleichheit als Ausgangslage

Das Märchen „Die drei Federn“ beginnt mit einer sehr klaren Feststellung, was das ungleiche Ansehen und die Zuschreibung von Eigenschaften dreier königlicher Brüder angeht:

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne, davon waren zwei klug und gescheit, aber der dritte sprach nicht viel, war einfältig und hieß nur der Dummling.“

Als nun der König sein Ende kommen sah, wurde die Frage dringlich, wer von seinen drei Söhnen sein Erbe antreten sollte.

Um keinen Streit unter ihnen entstehen zu lassen, gab er allen folgende Aufgabe zur Prüfung: „‘Zieht aus und wer mir den feinsten Teppich bringt, der soll nach meinem Tod König sein.‘“ Anschließend führte er sie vor sein Schloss, blies drei Federn in die Luft und forderte seine Söhne auf, dem Flug der Federn zu folgen.

Eine flog in Richtung Osten, die andere gen Westen, und die dritte fiel alsbald auf die Erde fast zu ihren Füßen.

Die beiden älteren Brüder folgten dem längeren Flug der Federn. Der eine zog nach Osten, der andere nach Westen, so dass dem jüngsten Bruder nichts anderes übrigblieb, als bei der Feder zu verweilen, die in seiner unmittelbaren Nähe zu Boden gefallen war. Er hatte nicht nur in dieser Hinsicht das Nachsehen; seine Brüder verspotteten ihn auch noch ganz gehörig, bevor sie in Richtung ihrer Federn davoneilten.

Da saß er nun also, der immer schon benachteiligte „Dummling“.
Seine Brüder, die ihn von jeher mit Verachtung gestraft hatten, gaben ihm nicht die geringste Chance, diese vom König auferlegte Prüfung zu bestehen. Im Gegenteil: sie waren sich ihrer Überlegenheit absolut sicher.
Sie sollten ihr blaues Wunder erleben. Doch wie? Was geschah?

Das Märchen die "Drei Federn"

Emotionale Offenheit als Gegenpol der Arroganz

Während unsere zwei als „klug“ geltenden Königssöhne siegesgewiss von dannen zogen, verfiel unserem der Verachtung preisgegebenen dritter und jüngster Sohn der Traurigkeit. Sie hielt indes nicht lange an. Er entdeckte nämlich gleich neben der in seinem Umfeld liegenden Feder eine Falltüre. Er öffnete sie und stieg die Stufen hinab. Was ihm dort zuteil wurde, hätte er sich nie erträumen lassen.

Das Hinabsteigen hat eine symbolische Dimension. Er befand sich in seinem eigenen Inneren, denn die Feder hatte ihn dahin geführt, in seinem ureigenen Bereich zu bleiben.
Fern der diskriminierenden Umgebung begegnete er nun – sich selbst.
Zunächst war er traurig, das hatte ihm sein Inneres geöffnet; er befand sich im Zustand der Zuwendung nach innen in einem Gefühl der Hilflosigkeit, fürchtete, verloren zu sein.

In diesem Gemütszustand begab er sich also in den geschützten Innenraum, der von außen unsichtbar und mit Erde umhüllt war. Er traf auf eine Türe, klopfte an und hörte eine Stimme, die laut einen Spruch von sich gab, auf den hin sich die Türe öffnete.

Heraus trat eine Kröte, eine Mutter Kröte mit lauter kleinen Krötlein. Sie fragte nach seinem Begehren, das er auch frank und frei äußerte:
„‘Ich hätte gerne den schönsten und feinsten Teppich.‘“

Es folgte ein weiterer Zauberspruch, der sich vom ersten jedoch nur in der letzten Zeile unterschied. Mutter Kröte ließ „die große Schachtel“ bringen.
Was befand sich darin?

Es kam ein ganz besonders schönes und einmaliges Webgebilde, ein Teppich heraus; er war so „schön und so fein, wie oben auf der Erde keiner konnte gewebt werden.“

Unser „Dummling“ bedankte sich bei Mutter Kröte und begab sich mit dem herrlichen Teppich wieder auf die Oberwelt. Er war der Kröte begegnet, symbolisch gesehen der weiblichen Form des Frosches.
Nun war er kein Frosch mehr! Vielmehr der Besitzer eines wundervollen Teppichs.

Damit hatte er die Prüfungsaufgabe seines Vaters, des Königs, erfüllt. Hat er sie damit auch bestanden? Das war noch unklar, denn er war ja noch der Konkurrenz mit seinen zwei Brüdern ausgesetzt. Was hatten denn die zwei, ach so klugen Brüder zur Lösung der Aufgabe zu bieten? Nun, wir werden sehen.

Ein König vor dem Sonnenuntergang

Arroganz als Selbstüberschätzung

Die beiden älteren Brüder waren über jeden Zweifel erhaben, denn ihre Siegesgewissheit entstammte dem Gefühl der grenzenlosen Überlegenheit gegenüber ihrem jüngsten Bruder. Er war ja in ihren Augen schon immer ein unfähiger Taugenichts. Wie, bitte schön, sollte dieser Versager die anspruchsvolle Prüfungsaufgabe bestehen? Eine Lachnummer. Sie waren vollständig von der Überzeugung durchdrungen, dass er verzagt mit leeren Händen dahergeschlichen kommen würde. Ihr Triumph war ihnen sicher!

Warum sollten sie sich also überhaupt eine wie auch immer geartete Mühe geben, der Prüfungsaufgabe gerecht zu werden? Sie hatten ja ohnedies schon gewonnen! Warum sich anstrengen, wenn es auch so ging? Gänzlich überflüssig! Folgerichtig nahmen sie „dem erstbesten Schäferweib“, dem sie begegneten, „die groben Tücher vom Leib und trugen sie dem König heim.“

Gleichzeitig kam ihr jüngster Bruder mit dem feinen, wunderschönen Teppich zum König und legte ihm diesen vor. Er hatte die Aufgabe ernst genommen. Seine beiden Brüder hingegen nicht; denn ihre Ausrichtung orientierte sich ausschließlich an ihrem vernichtenden Urteil über ihren Bruder, kein bisschen an der Aufgabe selbst. Deshalb lieferten sie ein Ergebnis ab, das ihre Verachtung für den Bruder bezeugte.

Beim Anblick des bildschönen Teppichs, den ihm sein jüngster Sohn vorgelegt hatte, staunte der verblüffte König nicht schlecht. Der Gewinner stand fest: „Wenn es dem Recht nach gehen soll, so gehört dem Jüngsten das Königreich.‘“

So weit, so fair, denn der Gewinner der Prüfung war eindeutig er. Alles klar! Alles klar? Nein, ganz und gar nicht.

Seine älteren Brüder bearbeiteten nämlich unerbittlich den König. Er solle doch unbedingt noch eine weitere Prüfung auferlegen, nach der das Erbe der königlichen Nachfolge feststehen sollte. Erst der Sieger der zweiten Prüfung solle König in der Nachfolge des jetzigen werden. So ein Obertrottel wie ihr jüngster Bruder könne doch unmöglich König werden! Das galt es um jeden Preis zu verhindern! Der König gab ihrem Drängen schließlich nach.

Ein Frosch sitzt auf einem Teich

Arroganz als Verlust der Lernfähigkeit

Der König verkündete die zweite Prüfungsaufgabe, die da lautete: „Der soll das Königreich erben, der mir den schönsten Ring bringt.“ Neues Spiel, neues Glück! Nehmen die beiden von sich selbst überzeugten Brüder die Chance zu einer Veränderung ihres Verhaltens wahr? Würde der jüngste Bruder erneut als Sieger hervorgehen oder gab es eine ganz andere Entwicklung? Wir werden sehen.

Wieder blies der König die drei Federn vor dem Schloss in die Luft. Wie beim ersten Mal fiel die eine in den Osten, die andere in den Westen und die dritte direkt in ihre Nähe. Wieder zogen unsere beiden älteren Brüder in die Ferne. Unser jüngster Bruder folgte wie bei der ersten Prüfung der Feder ganz in seinem Umfeld. Wieder lag die Feder neben der Falltüre, die er nun schon kannte.

Er öffnete sie, stieg ins Erdreich hinab, traf auf Mutter Kröte und brachte sein Anliegen vor. Sie ließ sich, Sie wissen schon, die Schachtel bringen und siehe da: sie zog einen wunderschönen Ring heraus, „der glänzte von Edelsteinen und war so schön, dass ihn kein Goldschmied auf der Erde hätte machen können.“

Und seine älteren Brüder? Sind sie nach dem Erfolg des Jüngsten bei der ersten Prüfung in sich gegangen und haben ihr Verhalten verändert? Mitnichten. Siegessicher von vorneherein wie beim ersten Mal! Sie lachten über ihren vermeintlich so minderbemittelten Bruder. Auch dieses Mal gaben sie sich nicht die allergeringste Mühe bei der Erfüllung ihrer Aufgabe. Wieder hielten sie es für gänzlich überflüssig und für Zeitverschwendung, sich auch nur den Anflug einer Bemühung zu geben. Ihrem Bruder fühlten sie sich einfach nach wie vor haushoch überlegen.

Folgerichtig und wie beim ersten Mal taten sie das, was sich des Wegs so ergab. Sie schlugen „einem alten Wagenring die Nägel aus“ und überbrachten sie ihrem Vater, dem König. Damit hielten sie die zweite Prüfungsaufgabe für gelöst. Die Verachtung dem jüngsten Bruder gegenüber in materialisierter Form!

Tja, oh Schreck, dieser bestand auch die zweite Prüfung mit Bravour. Sein einmalig schöner Ring war außerhalb jeglicher Konkurrenz. Damit ging er als Sieger auch der zweiten Prüfung hervor. „Ihm gehört das Königreich“ gab der König als Schlussfolgerung daraus bekannt.

Die beiden älteren Brüder waren nicht nur dagegen, sie waren entsetzt. Auf keinen Fall den Dummbeutel, den jüngsten Bruder als König! Sie setzten ihrem königlichen Vater so lange übel zu, bis dieser noch eine Prüfungsaufgabe stellte; deren erfolgreiche Bewältigung sollte darüber – diesmal endgültig – entscheiden, wer sein Erbe antreten würde.

Die dritte Prüfungsaufgabe besagte, dass derjenige König werden solle, „der die schönste Frau heimbrächte.“ Was dann geschah, können Sie sich sicher schon denken. Doch es gibt auch eine Überraschung.

Ring mit Brilliant

Wut als Folge von Arroganz

Die dritte Prüfung erfolgte nach dem gleichen Verfahren wie die beiden ersten Prüfungen. Wie bei den beiden vorigen fielen die drei Federn in die schon bekannten verschiedenen Richtungen. Der dritte Sohn stieg wieder in das Innere des Erdreiches, die beiden Älteren folgten den weiter wegfliegenden Federn.

Sie haben nicht das mindeste dazu gelernt. Ebenso siegesgewiss wie bei den beiden vorangegangenen Malen gaben sie sich keinerlei Mühe, die Aufgabe zu lösen. Nach wie vor orientierten sie sich an ihrer Überlegenheit gegenüber dem Jüngeren, nicht an der eigentlichen Aufgabe. Sie würden sicher gewinnen, diesmal ganz sicher! Woher sollte der Lebensverlierer denn eine schöne Frau herzaubern? Klarer Fall: das Königreich war ihres!
Also schnappten sie sich die erstbesten „Bauernweiber“, die ihren Weg kreuzten, und nahmen sie mit zum König.

Der jüngste hingegen brachte eine zauberhaft schöne, feingliedrige junge Frau heim – Sie ahnen schon, wer dies bewerkstelligt hatte! Nun, auch das Ergebnis der dritten Prüfung ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Er ging eindeutig als Sieger hervor; der König gab deshalb vereinbarungsgemäß bekannt: „Dem jüngsten gehört das Reich nach meinem Tod.“

Da platzten die beiden älteren vor Wut. Sie protestierten lauthals und bearbeiteten ausgiebig den König: „‘Wir können nicht zulassen, dass der Dummling König wird.‘“ Außer sich stellten diesmal sie eine Forderung. Es war eine heimtückische List. Die Frauen sollten durch einen Ring springen. Sie waren sich völlig sicher, dass ihre kräftigen, muskulösen Bäuerinnen den Test bestehen würden. Die zarte Schöne hingegen würde sich „totspringen“. Damit hätten sie gewonnen.

So gefordert, so getan. Was dann passierte, widersprach nicht nur ihren Erwartungen; es brachte sie endgültig zum Schweigen. Ihre Bäuerinnen sprangen nämlich so plump und ungeschickt durch den Ring, dass sie hinfielen und „ihre groben Arme und Beine entzweibrachen.“

Das „schöne Fräulein“ hingegen „sprang so leicht hindurch wie ein Reh.“ Damit waren sie am Ende ihres Lateins. Jeglicher Protest und Widerspruch hörte auf. Also erhielt der jüngste Bruder, der so genannte. „Dummling“ nach dem Tod des Vaters die Krone „und hat lange in Weisheit geherrscht.“ Mit diesen Worten endet das Märchen.

Frau mit langem Kleid

Innere Stärke als Gegenpol von Arroganz

Das Märchen führt uns anschaulich vor Augen, dass Arroganz blind macht. Sie erschafft eine unauflösbare Hierarchisierung mit einem klaren Feindbild. Die festgefahrene, innere Überzeugung wird zur Leitschnur von Handlungen – in diesem Fall zur einseitigen Orientierung am nicht hinterfragten Feindbild. Sie ist so dominierend, dass sie Lernchancen und Lernfähigkeiten blockiert. Reale Gegebenheiten werden ignoriert.

Aus Chancen werden Fallstricke, die sich selbst immer enger zuschnüren. Realitätsverweigerung pur! Die notorische Selbstüberhöhung macht blind für Veränderungen, Dynamiken und Entwicklungen. Das Sprichwort bringt es auf den Punkt: „Hochmut kommt vor dem Fall!“.

Die eigene, vermeintlich sichere Überlegenheit unterliegt weder einem Zweifel noch der genauen Beobachtung. Sie wird als gleichsam naturgegeben unhinterfragt angenommen. Das gilt insbesondere für die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Feindbildes. Dies gibt es auch noch in unserer heutigen Zeit: Typisch Mobbing! Und auch in der Politik steht dies auf der Tagesordnung.

Das fest zementierte Weltbild und die eigene Überhöhung bei gleichzeitiger Erniedrigung von anderen ist das Ergebnis von Steuerungen im Außen. Mehr noch: wer von sich selbst abgeschnitten ist, folgt Einstellungen und Verhaltensweisen, die gruppendynamisch vorgegeben sind.

Umgekehrt macht es die Verbindung zu sich selbst möglich, offen zu sein für: bewusste, eigene Erfahrungen, Veränderungen, Überprüfungen, Wahrnehmungen von dem, was ist. Offenheit und ein verlässlicher Zugang zu mir selbst sind die Voraussetzung dafür. Dann entlarvt sich mein Gefühl der Überlegenheit als ein Konstrukt zur Abgrenzung von mir tollem Hecht und den leider ziemlich blöden anderen. Welch ein Hirngespinst!

Tief durchatmen, immer wieder die Adlerposition einnehmen und von der Warte des Überblicks aus Ereignisse, Situationen, Emotionen und Selbstinszenierungen wahrnehmen. Der Abstieg ins eigene Reich der Befindlichkeiten und der Flug des Überblicks auf der Erd-Himmelachse geben dann die Weite der horizontalen Ost-West-Richtung frei. Das schafft innere Stärke! Sie beruht auf der Grundlage von Beobachtung und feiner Wahrnehmung. In der Kohärenz mit unserem Verstand spielt unser Herz dabei eine besondere Rolle.

Erkunden Sie es selbst; viel Freude dabei!

Fotos: Adobe Stock, iStock

 

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