
DIE STRASSE DER WÜSTENELEFANTEN
Nambias Wüstenelefanten zählen zu den anpassungsfähigsten Wildtieren überhaupt. Kilometerweit riechen sie Wasser. Der Kampf um die Quelle macht sie zwangsläufig zu Rivalen der Menschen. Rachel Harris und ihre Organisation EHRA zeigen, dass beide voneinander lernen können.
Hier erfahren Sie mehr über
- Den Schutz von Elefanten
- Naturschutz-Tourismus
- Ugab in Namibia
Text Milena Sovric und Gerd Giesler

Die Gynäkologin Dr. Milena Sovric hat viel in Afrika gearbeitet und geforscht, u.a. in Gabun über Malariasterblichkeit bei Kindern. Gerd Giesler ist erfahrener Journalist und Autor. Das Paar verbindet die Passion für Namibia.
Fast immer ist der Ugab knochentrocken. So trocken, dass man mit dem Jeep die 450 Kilometer von Otjiwarongo, wo er entspringt, bis zu seiner Mündung am Südatlantik fahren könnte, wären da nicht das viele Geröll und der tiefe Sand.
Doch wenn der Ugab zur Regenzeit Wasser führt, dann ist er ein wilder, unberechenbarer Strom, der alles mitreißt, was sich ihm in den Weg stellt.
Hermann, unser Guide, spricht den Namen bedächtig, fast respektvoll aus: „Uchab“. Das klingt kehlig und rau, wie ein schottischer Whiskey. Hermanns Gesicht ist fast so zerfurcht wie der Ugab selbst. Er lebt mit dem Fluss und mit den Wüstenelefanten in einer Art Symbiose. Denn der Ugab ist ihr Revier. Selbst in Zeiten von anhaltender Dürre und Nahrungsknappheit ziehen die Wurzeln der Bäume am Ufersaum noch die letzten Tropfen Grundwasser und sorgen für wohlschmeckende, grüne Blätter und das letzte bisschen Schatten in Namibias großer Wüste.

MIT DEN EHRA WILDHÜTERN UNTERWEGS
45 Grad Hitze. Wir sind seit Stunden im Flussbett unterwegs. Auf der Suche nach „Mama Africa“, einer Familie von 12 Wüstenelefanten, der größten im Erongo-Gebiet, folgen wir den Fußspuren im Sand. Milena am Steuer unseres Allrad-Pick-ups, Fährtenleser Hermann als Beifahrer und Rachel und ich auf den hinteren Plätzen.
Ausgangspunkt für unsere kleine Patrouillen-Fahrt ist das EHRA Eco-Baumhaus-Camp, das sich an eine Flussbiegung des Ugab schmiegt. EHRA steht für „Elephant Human Relation Aid“, eine großartige Idee zum Schutz der Wüstenelefanten vor den Einheimischen und andersherum.
Erdacht und umgesetzt hatte sie 2003 ein gewisser Johannes in Swakopmund. Rachel kam aus London als Reiseleiterin eines Charity-Treks für Capital Radio. Das Motto der Gruppenreise „Raus aus der Komfortzone, rein ins Abenteuer“ nahm sie selbst wohl wörtlich. Sie verliebte sich in die Wüste, in die Elefanten, in Johannes und die Idee Wohltätiges in die Wildnis zu bringen.
Dabei hatte sie nach einem Master in Brighton Marketing im Sinn. Doch das Schicksal meinte es anders. Mancher Traum platzte, aber EHRA blieb sie treu, auch ohne Johannes.
Milena sichtet sie zuerst: Im Schatten einer mächtigen Dornakazie rastet die Elefantenfamilie. Weil ihre Fußsohlen größer sind als die der anderen afrikanischen Elefanten, sinken sie nicht so leicht im Sand ein. Auch zierlicher, schlanker und fitter sind sie, weil sie für ihre Nahrung oft Rekordstrecken zurücklegen müssen und dabei bis zu fünf Tage auf Wasser verzichten können.
Während im Nachbarland Botswana selbst Herden mit 300 Tieren nicht selten sind, bewegen sich Namibias Wüstenelefanten in kleinen Gruppen, angeführt von einer Matriarchin. Die Bullen halten sich bis auf die Paarungszeit im Abseits. Weltweit gibt es nur noch rund 600 Wüstenelefanten, die meisten in Mali und in der Erongo-Region zu Füßen des kahlen Brandberges.
WÜSTENELEFANTEN UND FEMALE LEADERSHIP
„Super schön“, flüstert Rachel. „Super“ ist eines von Rachels Lieblingsworten. Sie spricht es betont britisch aus. Mit ihrer lockigen Pagenfrisur erinnert sie mehr an die frühe Jil Sander als an eine Wildhüterin. „Faszinierende Tiere“, sagt sie weiter und lässt keinen ihrer Schützlinge aus den Augen. „Sie sind so durchdacht in allem, was sie machen. So vieles können wir von ihnen lernen.“
Alle Elefanten tragen Namen. Angefangen von Mathilda, der sanften Matriarchin von Mama Afrika, der Mutter von Joy, dem jüngsten überlebendem Kalb im Ugab River, bis hin zu Ben mit dem Satelliten-Ortungshalsband, das wir letztes Jahr zusammen mit Freunden gestiftet hatten.
„Keine zwei Wochen ist es her“, erzählt Rachel, „da standen Jäger vor Ben, das Gewehr schon im Anschlag.“
Die EHRA- Patrouille kam gerade noch rechtzeitig. „Ich habe per Handy den Boss der Jagdgesellschaft angerufen und gefragt, ob sie wirklich im Schutzgebiet auf Elefanten schießen wollen. Er hat sie dann zurückgepfiffen.“
Dass die Regierung den Ugab zum Schutzgebiet erklärt hat, ist ein Verdienst von EHRA. Und die bis zu 50 Kilogramm schweren Halsbänder, die vor allem die Elefantenbullen tragen, schützen die Wüstenelefanten vor Wilderern, Trophäenjägern und aufgebrachten Farmern.
Nur für Voortrekker, der Name heißt auf Afrikaans soviel wie „Pionier“, kam jede Hilfe zu spät. Der große, weise Wüstenelefant, das Symbol von EHRA (Anmerkung der Redaktion: Sein Foto sehen Sie ganz oben), wurde am 25. Juni 2019 erschossen, nachdem das Ministerium für Umwelt und Tourismus ihn zuvor zum Problem-Elefanten erklärt hatte.
„Das Abschussrecht“, so munkelt man, „bekam für viel Geld ein chinesischer Diplomat.“ So wurde Voortrekker auf tragische Weise zur Legende.
EHRA – FREIWILLIGENARBEIT IN NAMIBIA
Milena hatte vor über zehn Jahren bei EHRA volontiert, wie mittlerweile über 4000 Freiwillige weltweit, und war begeistert von dem Projekt. Der Kontakt zu Rachel riss nie ab, jetzt war es an der Zeit wiederzukommen und zu sehen, wie EHRA Teil eines neuen, weltweiten Naturschutz-Tourismus geworden ist.
EHRA hat sich verändert. Das wunderschöne Baumhaus im Basecamp, eine Hochebene unterm Blätterdach, wo die Neuankömmlinge ihren Schlafsack ausrollen, um unter den Sternen zu schlafen, gibt es zwar noch, auch die offene Küche und die Feuerstelle. Aber am Eingang thront jetzt weithin sichtbar eine halboffene Halle aus rötlichen Metallplatten: das Dokumentationszentrum, zu Ehren der Wüstenelfanten. Dazu gehört auch ein Souvenir-Shop und eine Cafeteria. Alles super-modern und minimalistisch. Metall. Holz und Steinkörbe als Trennwände.
Dort treffe ich auch auf zum ersten Mal auf Rachel. In einem flatternden, bunten Hosenanzug, die safarifarbene Trinkflasche in der Hand, wuselt sie mit einer Delegation vom WWF durchs Camp wie bei einer Pitch-Präsentation. Es geht um neue Fördermittel.
DER KONFLIKT MENSCH-WILDTIER UND GEGENSEITIGER SCHUTZ
Der Ugab war immer schon Elefantenland. Doch die Dickhäuter wurden gejagt und schließlich vertrieben. Jahrzehntelang blieben sie weg. Irgendwann wurde der Ugab zu einer Straße der Sehnsucht, führte die Elefanten zurück in ihr angestammtes Gebiet. Dort waren sie plötzlich nicht mehr allein. Menschen lebten hier als Hirten mit ihren Schafen, in neu entstandenen Dörfern und auf abgelegenen Farmen. Außerdem gab es Brunnen, deren von Windrädern betriebene Pumpen das Wasser an die Oberfläche holten und in große Reservoires füllten.
Für Elefanten, die Wasser kilometerweit riechen, war es ein Leichtes an das kostbare Nass zu kommen. Sie zerstörten die Anlagen und der Konflikt Mensch-Wildtier war entfacht. „Das war die Geburtsstunde von EHRA als Organisation“, erzählt Rachel am Campfeuer, während die Sonne blutrot am afrikanischen Horizont untergeht. „Johannes hatte die Idee mit den freiwilligen Helfern, die eine Woche Schutzwälle um die Brunnen der Dörfer bauen und eine weitere Woche mit uns auf Elefanten-Patrouille fahren, um Namibia von einer ganz anderen Seite kennenzulernen.
Das brachte uns die nötigen Einnahmen um Wildhüter anzustellen, Landcruiser und Ausrüstung zu kaufen und das Basecamp aufzubauen.“
„Anfangs“, erinnert sich Rachel, „gab es nur primitive Waschmöglichkeiten nach der staubigen Arbeit, aber abends saßen alle um einen Tisch. Volunteers und Guides erzählten sich Geschichten, wie man sie sich nur in Afrika erzählt. Das sind super magische Momente und eine großartige Erfahrung.“
EHRA UND DAS PEACE-PROJEKT
Das Leben mit Elefanten ist für viele Einheimische fremd. Sie haben völlig falsche Vorstellungen, tierische Angst und machen sich sogar in die Hosen, wenn ein Elefant auf sie zu kommt. „Deshalb haben wir vor 20 Jahren das Peace Projekt ins Leben gerufen“, erzählt die Hamburgerin Christine, die auch von EHRA nicht mehr loskam und heute das Bildungsprogramm leitet. Es geht um ganz praktische Alltagsbewältigung: Wie bringe ich meinem Hund bei, dass er keinen Elefanten anbellt? Woran erkennt man, dass ein Bulle verärgert ist? Wie tickt so ein Dickhäuter überhaupt? Erst mit der Zeit kann sich das Feindbild ändern und so etwas wie Mitgefühl entstehen.
„Eine Studentin hat sich abends immer in ihr Zelt verkrochen und auf dem Laptop Filme angeschaut“, erinnert sich Rachel. „Wir dachten, die hat null Bock auf das Camp. Dabei war das ihre Art, mit der Angst vor Elefanten umzugehen. Heute arbeitet sie im Tierschutz.“
WÜSTENELEFANTEN UND SPIRITUALITÄT
Wer glaubt, dass EHRA nur etwas für Studenten ist, die die Muckibude für den guten Zweck mit dem Steine schleppen in Namibia tauschen, irrt gewaltig. Die älteste Teilnehmerin war immerhin 87 Jahre alt und mittlerweile gibt es EHRA Camp Aufenthalte für ganze Familien, die in der Arbeitswoche in die Dörfer gehen und gemeinsam mit den Kindern Klassenzimmer bemalen.
Unser jüngster Clou ist das „Matriarch Adventure“. Rachels Augen blitzen auf. „Ein irres Programm nur für Frauen von Catherine Edsell. Sie ist eine super Frau, die Expeditionen und die Arbeit mit Wildtieren über alles liebt.“
Im 21. Jahrhundert geht es eben nicht um unentdeckte Territorien, sondern um unentdeckte Emotionen. Die Arbeit mit Mathilda und den anderen Leit-Elefantinnen von Mama Africa hat dabei einen hohen emotionalen Stellenwert. Wanderungen, Yoga Sessions und das Übernachten in freier Wildnis lösen Zivilisationsängste und geben innere Stärke.
Es fällt schwer vom Ugab Abschied zu nehmen. Von den wunderbaren Menschen, die im Basecamp für ein besseres Miteinander von Wildtieren und Einheimischen arbeiten und deren Mitstreiter man zumindest auf Zeit werden konnte. Das schafft auch eine ganz andere Verbindung zu den Wüstenelefanten, die man fast als Familienmitglieder adoptiert. Dieses Gefühl vermitteln kommerzielle Safaris nicht.
An unserem letzten Tag laufen wir „Big Matthias“ in die Arme. Der Wildhüter hat vor zehn Jahren Milena auf ihre erste Patrouille mitgenommen. Die Wiedersehensfreude ist groß. Kaum zu fassen, dass er immer noch bei EHRA ist. Big Matthias zuckt mit den Schultern. „Mein Zuhause sind der Ugab und die Elefanten“, sagt er und seine großen Augen nehmen einen ganz melancholischen Glanz an.

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN
EHRA Elephant Human Relation Aid
EHRA ist eine gemeinnützige Organisation, die 2003 gegründet wurde, um mit Aufklärungs-und Hilfsmaßnahmen (Freiwilligen-Arbeitsprogramme kombiniert mit Patrouillenfahrten zu den Wüstenelefanten) den Mensch-Wildtierkonflikt langfristig zu entschärfen und die Population an stark gefährdeten namibischen Wüstenelefanten im Damaraland zu tracken und zu schützen. Dazu zählen Wildhüter-und Reiseleiter-Ausbildung, Schulprojekte, Lobby-Arbeit, Spenden und persönliche Elefanten-Patenschaften.
Ziel ist es, ein friedvolles Zusammenleben zwischen Menschen und wildlebenden Elefanten zu ermöglichen. Einzigartig sind die Freiwilligenwochen, bei denen Menschen aus aller Welt in diese Pionierarbeit des Naturschutzes eintauchen können und bei der Errichtung von Schutzmauern mitarbeiten, um dörfliche Wassertanks vor den Elefanten zu schützen.
Der Preis von rund 1.100 Euro für ein die Teilnahme an einem 2-Wochen-Aufenthalt beinhaltet den Transfer von Swakopmund zum Eco-Basislager, Unterkunft, Verpflegung, Campingausrüstung. Eine Woche wird hart gearbeitet und eine Woche geht es auf Patrouillenfahrt zum Monitoring der Wüstenelefanten in landschaftlich reizvolle Gebiete Namibias, in die kaum ein Tourist kommt.
Es gibt auch Programme für Familien und Selbsterfahrungs-Reisen für Frauen, bei denen spirituelle Effekte bei der Arbeit mit den Elefanten einen besonderen Stellenwert einnehmen.
Fotos: Chris Pitot/EHRA (Header), Milena Sovric, Gerd Giesler