My brain has too many tabs open

DIGITAL DETOX: WIE SIE IHREN DIGITALEN PURPOSE FINDEN

Zeit ist Leben – womit aber verbringen wir unsere Lebenszeit? Haben wir eine Bestimmung? Warum digitales Entgiften für die Antwort so wichtig ist.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Ihr Gehirn
  • Digitale Demenz
  • Digital Detox

Text Daniela Otto

Schwarz-Weiß-Portrait von Dr. Daniela Otto.

Dr. Daniela Otto ist Literaturwissenschaftlerin, Expertin für Digital Detox und Buchautorin zum Thema. Als Vorstand der Florian Holsboer Foundation setzt sie sich für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen ein. Mehr über mentale Gesundheit im Podcast „Alles nur im Kopf“.

DREI TAGE IN DER WOCHE

Womit verbringen wir unsere Zeit, um uns an die DNA von Purpose heranzutasten – sinnvoll? „What’s your purpose in life?“ ist eine vor allem bei jungen, Kalifornia-affinen Menschen beliebte Frage. Wir können das frei übersetzen mit: „Was ist deine Bestimmung?“ oder „Was gibt deinem Leben Sinn?“ Lassen Sie mich diese Frage an das digitale Zeitalter mit all seiner Problematik anpassen und fragen:
„Sind wir wirklich auf der Welt, um unser Leben am Handy zu verbringen?“

Gewiss antworten Sie innerlich entrüstet mit einem entschiedenen Nein. Schauen wir freilich auf die Zahlen, tun wir genau das: unsere Lebenszeit vor Bildschirmen verbringen. Die wöchentliche Bildschirmzeit liegt im Schnitt bei 70 Stunden – das sind fast drei Tage. Alleine am Smartphone sind die Menschen inzwischen knapp vier Stunden. Jeden Tag aufs Neue. All das aber „macht etwas mit uns“, wie man heute im jugendlichen Jargon sagt.
Die Folgeschäden dieses digitalen Exzesses sind so gravierend, dass ich mir extreme Sorgen um unsere körperliche und seelische Gesundheit, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, unsere Kultur sowie unsere Bildung mache.

Digital Detox

VERÄNDERUNGEN IM GEHIRN

Denn: Unser Gehirn verändert sich, wenn wir online sind. Verändert sich unser Gehirn, verändert sich alles. Unser Gehirn ist die Krone der Schöpfung und der Sitz unserer Persönlichkeit. Was aber verändert sich genau?

1. Unser Gehirn ist neuroplastisch, d.h. unsere fast 90 Milliarden Nervenzellen sind nicht fest verdrahtet, sondern passen sich immer wieder an die aktuellen Erfordernisse an. Wer ständig online klickt und liket und scrollt und wischt, bringt seinem Gehirn vor allem eines bei: ständig hin- und herzuspringen. Wir verlieren unsere Aufmerksamkeitsfähigkeit, Konzentrationsstörungen nehmen zu, unsere Leistungsfähigkeit nimmt ab.
Zudem verlieren wir dadurch Glück: Die Flow-Theorie besagt, dass wir mindestens 15 Minuten brauchen, um in einen Zustand der Tiefenkonzentration zu kommen. Dann gehen wir ganz in einer Tätigkeit auf, vergessen die Zeit um uns herum, sind im Flow. Und das macht glücklich! Wenn aber alle zwei Minuten eine E-Mail eintrudelt, kommen wir erst gar nicht in einen solchen Schaffensrausch.

2. Unser Gehirn erlernt ein Suchtverhalten. Social Media ist die Droge unserer Zeit: Millionen von Menschen jagen dem nächsten „Kick“ hinterher. Dieser erfolgt in Form von Klicks und Likes, die in unserem Gehirn das Glückshormon Dopamin freisetzen. Wir werden eine zunehmend narzisstische Gesellschaft.

3. Wir verlieren unsere Empathiefähigkeit. Auch Mitgefühl entsteht im Gehirn, durch die sogenannten Spiegelneurone, dank derer wir die Emotionen des anderen in uns selbst nachempfinden können. Dafür müssen wir uns aber ganz auf das Gegenüber einlassen – ein Smartphone auf dem Tisch ist das Gegenteil davon.

PSYCHISCHE STÖRUNGEN

Ich kann Ihnen nicht sagen, wie gefährlich, ja lebensgefährlich, diese Entwicklungen sind. Psychische Erkrankungen nehmen vor allem bei jungen Menschen zu, die sich im echten Leben nicht mehr zurechtfinden, keine Konflikte mehr lösen können, sondern sich ins Internet flüchten, sich permanent ablenken müssen, dort aber aufgrund Vergleiche mit anderen – Stichwort Facebook-Depression – noch unglücklicher werden.

Weltweit lebt schätzungsweise jeder siebte junge Mensch zwischen zehn und 19 Jahren (13 Prozent) mit einer diagnostizierten psychischen Störung. Das entspricht 166 Millionen Jugendlichen. Weltweit nehmen sich jedes Jahr schätzungsweise 45.800 junge Menschen zwischen zehn und 19 Jahren das Leben – ein junger Mensch alle elf Minuten. Natürlich ist das Internet daran nicht alleine schuld – aber ein Faktor, den wir dennoch nicht übersehen dürfen. Facebook gibt es seit 2004.

In den USA sind seit 2007 psychische Probleme und auch Suizide um 60 Prozent angestiegen.

  • Mann greift nach seinem Wecker
  • Gehirn mit ein und ausgehenden bunten Fäden

DIGITALE DEMENZ

Die digitale Demenz trifft schon Kinder: In der vierten Klasse können nur noch 37 Prozent der Schüler lesen. Es gibt zudem ganz neue Krankheitsbilder, von der Textangst über die E-Mail-Apnoe bis hin zur Snapchat-Dysmorphophobie.
Es ist daher gut und wichtig und richtig, dass wir uns mit diesem Thema befassen und uns klar machen: So wie jetzt kann es nicht weiter gehen. Wir brauchen eine digitale Entgiftung, die ja vor allem eines meint: Die Dosis macht das Gift. Wir müssen zurückfinden zum richtigen Maß.

DIGITAL DETOX

Digital Detox heißt nicht, dass Sie nicht mehr online sein sollen – sondern dass Sie bewusst online sind. Und genau genommen ist es genau das: ein neues Bewusstsein. Und Bewusstsein beginnt mit einer einzigen kleinen Frage: Warum? Digital Detox kann unser Leben verändern, es wird Ihr Leben verändern, wenn Sie ab jetzt immer, wenn Sie den Impuls verspüren, Ihr Handy in die Hand zu nehmen, einen Atemzug innehalten und sich fragen:
Warum gehe ich jetzt online? Was ist mein „digitaler Purpose“?

Damit ist schon sehr viel gewonnen, denn meist ist der Griff zum Handy nichts als eine Übersprungshandlung und wir verlernen, auf unser wahres Bedürfnis dahinter zu hören – wir entfremden uns von uns selbst und von anderen.

Ich freue mich, dass Sie jetzt gerade einen guten Grund haben, um online zu sein, dass Sie sich auf der Website des Purpose-Magazins von anregenden Gedanken inspirieren lassen wollen. Und so möchte ich Ihnen zum Schluss noch ein paar meiner Lieblingstipps mit auf den Weg geben:

  • Kaufen Sie sich einen normalen Wecker und schalten Sie nachts das Handy aus! Das hat schon viele Leben verändert.
  • Vermeiden Sie Multitasking. Konzentrieren Sie sich auf eine Tätigkeit und machen Sie eins nach dem andern. Im digitalen Joballtag kann das so aussehen, dass Sie Ihre E-Mails nicht ständig, sondern stündlich checken. Dass Sie sich selbst im Kalender eine Flow-Zeit als Termin einstellen, in der Sie niemand stört.
  • Denken Sie, bevor Sie googeln – und lassen Sie uns hier auf dieser Plattform weiter gemeinsam denken.

Dieser Beitrag wurde in leicht abgewandelter Form im Rahmen des Purpose Denker-Dialogs vorgetragen. Hier finden Sie eine kurze Zusammenfassung.

Fotos: iStock, Unsplash / That´s Her Business

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