Drei Windmühlen im Dämmerlicht.

DON QUIJOTE UND DAS EIGENE WELTBILD

Dieser Beitrag stellt Don Quijote und seinen Gegenpart Sancho Pansa als Vertreter zweier Lebensformen vor: Heldentum in einer Phantasiewelt und „Auf-dem-Boden-der-Tatsachen- bleiben“. Zu sich selbst finden ist der Königsweg aus dem Spannungsfeld.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Helden im Dauereinsatz
  • Spaß- und Müdigkeitsgesellschaft
  • Den eigenen Standpunkt

Text Irmela Neu

Schwarz-Weiß-Bild von Prof. Dr. Irmela Neu.

Prof. Dr. Irmela Neu lehrt Interkulturelle Kommu­nikation in Spanien und Lateinamerika an der Hochschule München für angewandte Wissenschaften (HM), gibt Seminare zur empathischen Kommu­nikation und ist Autorin.

Der Roman „Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quijote von la Mancha“ stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert, einer entscheidenden Umbruchphase in der Entwicklung der frühen industriellen Revolution.

Don Quijote lässt keine Gelegenheit aus, sich im Kampf mit allem, was sich bietet, als erfolgreicher Held selbst zu bestätigen. Er kämpft gegen die Windmühlen, die er für Feinde hält und greift jeden an, in dem er einen Gegner seiner Ideale und Vorbilder ausmacht. Dies hält er als Angehöriger des edlen Ritterstandes für seine Pflicht; darüber hinaus dienen ihm die Helden zahlreicher Abenteuerromane als seine Vorbilder, sozusagen eine Heerschar von „Influencern“, denen er nacheifert und auf die er immer wieder zurückgreift.

Im Namen von Mut, Ausdauer, Herstellen von Gerechtigkeit und heldenhafter Bewältigung von Widerständen feiert sich der Held stets aufs Neue selbst.

Sein Auftreten, seine Rede, seine Taten, das alles gereicht ihm in seinen Augen zum Erfolg, auch wenn er, sein Pferd Rosinante und sein Stallknecht Sancho Pansa mitsamt dessen Esel kläglich auf dem Boden oder sonstwo liegen.

Er verfügt über ein nie enden wollendes Repertoire von gelehrten Zitaten, poetischen Verklärungen und vor allem von Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen im Außen, die ihm immer wieder bestätigen: Ich bin der Größte. Er lebt so sehr in der von ihm geschaffenen Welt, dass er für jegliche Einwände seines ihm untergebenen Begleiters Sancho Pansa völlig immun ist. Der heldenhafte Kampf ist der einzige Sinn, für den er brennt und lebt. Daraus entsteht eine Dynamik, die ihn völlig beherrscht.

  • Illustration von Don Quijote.
  • Wolke in Form eines Schlosses.

Don Quijote in uns

Die Lektüre des Romans zieht seine Leser ebenso in den Bann wie Don Quijote sich selbst. Es sei dennoch oder gerade deswegen ein nüchterner Blick auf den archetypischen Charakter des Titelhelden und seines Knappen Sancho Pansa gestattet, der auf seine Weise auch ein Held ist.

Don Quijote lebt ausschließlich in einer Traumwelt der konstruierten Wirklichkeit (Paul Watzlawick), die ihn immer tiefer in ihren Bann zieht. Dabei verliert er völlig jede Bodenhaftung, falls er sie jemals hatte. Größenwahn macht sich breit und kommt in seinen Reden wortgewaltig, in seinen Taten gewaltbereit zum Ausdruck. Die Dynamik dieses Zustandes vom immerwährenden Höhenflug hat ihre Entsprechung im psycho-physischen Zustand des ständigen Suchens nach möglichst häufigem „High Sein“. Dies dürfte den westlich orientierten Menschen unseres Jahrhunderts sehr bekannt vorkommen!

Die moderne Konsumgesellschaft hat sich mit den neuen Möglichkeiten von Angeboten dank Technik und Digitalisierung hin zur Abenteuer suchenden „Spaßgesellschaft“ transformiert, aber auch zur „Müdigkeitsgesellschaft“; beide betreffen alle Bereiche des Lebens. Es dominiert eine Verführung hin zum hormonschubbasierten Höhenflug. Dazu gehören die ständige Suche nach dem „anturnenden“ Kick ebenso wie die rastlose Suche nach ständigen beruflichen wie privaten Herausforderungen. Als Gegenpol hierzu macht sich eine Dauermüdigkeit bemerkbar, die oft mit Aufputschmitteln aller Art bekämpft wird.

Ein Blick in die Lebenswelt der „Schönen und Reichen“ zeigt uns, dass viele ebenso wie unser Held in der Spirale der Selbstverherrlichung gefangen sind. Ebenso ist der Weg einiger erfolgreicher Manager hiervon gezeichnet. Wenn von einem solchen z.B. erwartet wird, dass er mehrere Tage und Nächte in einem Stück durcharbeitet, dann wird die Klassifizierung „one, two, three nighter“ zum Ritterschlag für weiteren heldenhaften Aufstieg. Don Quijote lässt grüßen!

Sancho Pansa – der Gegenpol mit Bodenhaftung

Während Don Quijote völlig abgehoben ist, repräsentiert sein Stallknecht, der Bauer Sancho Pansa die Verwurzelung im Bodenständigen. Er sieht die Realität so, wie sie ist; Windmühlen sind keine Riesen, schon gar keine Feinde. Er warnt immer wieder vor den närrischen, ja grausamen Taten seines „Herrn und Gebieters“, der vor Angriffen auf Mensch und Tier nicht zurückschreckt.

Schließlich wird ihm klar, dass „sein Herr ein Dummkopf ist“. Auf seine Weise ist er schlagfertig und gewitzt und geht trotz der negativen Einschätzung seines Herren immer wieder auf diesen ein. In seiner Kunst der Anpassung ist auch er ein Held. Aus der Rolle des Mahners, Dieners, Mitbetroffenen und gelegentlichen Retters aus misslichen Situationen kommt er nicht heraus. Er verkörpert das Realitäts- gegenüber dem Heldenprinzip.

Don Quijote und Sancho Pansa bilden zwei Gegensatzpole; sie ziehen zwar gemeinsam als Ritter und Knecht miteinander los, doch leben sie in zwei getrennten Welten. Don Quijote vertritt seine Ideale im Denken, Reden und in seinen Taten, Sancho Pansa ist in der nüchternen Betrachtung der Realität verankert. In einem sind sie sich gleich: sie sind fest im Griff ihrer Weltsicht.

Beide führen uns die Abgründe und Grenzen, doch auch den Reiz und die Verführung ihrer Lebensweisen vor; der eine im heroischen Heldentum und Tatendrang um jeden Preis, der andere in der Rolle des Mahners, Schadenbegrenzers und treuen Weggefährten.

Bergpanorama mit einem Wanderer.

Zu sich finden

Don Quijote fordert dazu auf, uns anzuschauen, von welchen verinnerlichten Normen im Außen wir uns bestimmen lassen, was also unser innerer Don Quijote mit uns anstellt. Sancho Pansa wiederum mahnt, uns klarzumachen, welche Gegebenheiten unser Leben bestimmen, denen wir Rechnung tragen sollten. Zugespitzt formuliert:

Wie können wir uns im Gefahrenfeld von Überaktivität und „Belassen, was ist“ so bewegen, dass wir uns wohlfühlen? Wie setzen wir Mut, Ausdauer Kreativität in der Verbindung der beiden Pole ein?

Die Antwort ist klar: indem wir immer wieder einen Abstand zu uns herstellen. Im Wort „Ab-Stand“ ist bildlich das enthalten, was wir brauchen, um zur Gelassenheit zu finden. In Phasen des Innehaltens sollen wir den eigenen Stand-Punkt wie aus dem Blick eines Adlers aufscheinen lassen, tief durchatmen, immer wieder, und das Bild auf uns wirken lassen. Bei längerem Aus- als Einatmen kommen wir zur Ruhe, so dass sich Antworten auf die Frage nach den Prioritäten in unserem Leben melden. Darüber hinaus entsteht Klarheit, wenn wir unser Herz befrage.

Kleine Veränderungen, große Wirkung

„Hand aufs Herz!“ heißt es nicht umsonst im wörtlichen wie übertragenen Sinn. Dabei stellt sich heraus, dass es vor Freude hüpft, wenn die Erfahrung von Verbundenheit Raum im eigenen Leben einnimmt. Dazu gehören die Verbindung mit mir selbst, Sein in der Natur, Genießen von Kunst, freudiges Zusammensein im Freundeskreis, Offenheit für Neues. Kleine Veränderungen in der bewussten Alltagsgestaltung haben eine große Wirkung.

Achtsamkeit gegenüber dem, was wir gerade tun, verändert unsere Wahrnehmung. Uns wird dann klar, wie wir unsere Kreativität entfalten können. Daraus entstehen Ziele und Visionen, die den Vorgaben im Außen Rechnung tragen, ohne sich von ihnen vereinnahmen zu lassen. Die Gestaltung des Wechselspiels von Innen und Außen wird zum Spiel; Don Quijote und Sancho Pansa fordern uns auf, es immer wieder aufs Neue kreativ zu formen.

Fotos: iStock, Unsplash / cdoncel

 

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