Ein Fisch hat sich in einem Fischernetz verfangen

NETZWERK GEGEN GEISTERNETZE

Geisternetze sind eine tödliche Gefahr für Meerestiere und Ökosystem. Ein Hamburger Paar holt sie aus dem Meer und macht daraus Schmuck mit Symbolkraft. Über eine Idee und eine Bewegung gegen den Untergang der Meere: Bracenet.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Plastikmüll in den Ozeanen
  • Ghost Diving und Healthy Seas
  • Armbänder und Tore aus Fischernetzen

Text Gerd Giesler

Benjamin Wenke und Madeleine von Hohenthal von Bracenet

Benjamin Wenke und Madeleine von Hohenthal gründeten 2018 Bracenet. Die Firma macht u.a. Schmuck aus Geisternetzen und vernetzt sich weltweit im Kampf gegen die Plastikflut.

Sie heißen Arktischer Ozean, Hawaii, Beringmeer oder Nordsee. Sie leuchten in karibischem Türkis-Weiß, geheimnisvollem Blau-Gelb oder stylischem Saffran-Gold. Gemeint sind Armbänder, Ohrringe, Schlüsselanhänger, ja sogar Taschen und Hundeleinen.

IN GEISTERNETZEN STERBEN WALE

Gefertigt werden sie aus Geisternetzen. Wie die Produktnamen schon vermuten lassen, finden sich diese in allen unseren Meeren. Allein einer der fünf großen Plastikstrudel, der „Great Pacific Garbage Patch“, ist 4,5-mal so groß wie Deutschland. Und was kaum einer weiß, 46 Prozent davon sind Geisternetze. Jedes Jahr gehen bis zu eine Million Fischernetze verloren oder werden absichtlich über Bord geworfen.
Als Geisternetze pflügen sie für Jahrhunderte durch unsere Ozeane und fischen immer weiter. Als Plastikmüll bedrohen sie Ökosysteme und Meerestiere. Unzählige Meerestiere, wie Wale, Delphine, Schildkröten und Fische erleiden so einen qualvollen Tod.

Die Meere gehen schier unter in dieser kaum gebremsten Plastikflut.

„Mit Bracenet bergen wir die verrotteten, oft tonnenschweren Netze und verleihen ihnen ein neues, nachhaltiges Leben. Wir reinigen und verarbeiten sie fair und lokal in Handarbeit in unserer kleinen Hamburger Manufaktur zu coolen aufmerksamkeitsstarken Schmuckstücken für den Alltag“, sagt Benjamin mit sanfter Stimme. „Mit dem Kauf eines Bracenet-Teils kann jeder seinen Beitrag zum Schutz der Meere leisten.“

Taucher arbeiten an einem Geisternetz

BRACENET WAR EINE URLAUBSIDEE

Als wir dieses Gespräch führen ist Benjamin gerade irgendwo auf hoher See vor den Gestaden Portugals auf einem Lastenschiff unterwegs. Dem stattlichen Hamburger mit dem Seemannsbart und den muskulösen Oberarmen nimmt man ab, dass er beim Bergen der Netze voll mitanpackt.
„Die Idee entstand 2015 auf einer Backpacker-Urlaubsreise nach Zanzibar. Dort haben Madelaine und ich erstmals die Bedrohung durch Geisternetze an den Stränden wie auch beim Tauchen aktiv wahrgenommen. Das ließ uns nicht los. Wir sind dem Problem sozusagen ins Netz gegangen.“

Damals war die Brisanz dieses Themas noch kaum bekannt, genauso wenig wie die Plastik-Müllstrudel in den Ozeanen.
„Als wir abends in unserer Unterkunft die Laptops aufklappten und im Netz recherchierten, gab es noch kaum Treffer auf Google. Wir wussten, dass etwas geschehen musste und dass wir nicht untätig bleiben konnten. Wir haben dann noch im Urlaub angefangen, so viele Netze wie möglich von den Stränden aufzusammeln.“
Die beiden sind zu den Fischmärkten gefahren, haben mit Fischern gesprochen und gelernt, dass die meisten Netzte nicht von lokalen Betreibern
stammen, sondern von großen Fangflotten, die ihre ausrangierten Trawlernetze im offenen Meer versenken.

DIE GEBURT VON BRACENET

„Andere sammelten Muscheln, wir Netze. Bei unseren Fundstücken waren wir immer wieder verblüfft, in wie vielen leuchtenden Farben die Netze aus dem Meer kamen. Unter Wasser sind Geisternetze eine brutale Gefahr, am Strand sehen sie eher bunt und harmlos aus. Irgendwann legten wir uns gegenseitig so ein Stück ums Handgelenk. Die Idee von Bracenet war geboren.“

Zurück in Hamburg wurde aus der Idee langsam ein Projekt. Madeleine und Benjamin versuchten aus den mitgebrachten Netzen erste Bänder zu fertigen und so entstand der Prototyp des Bracenets.

„Ein Symbol, ein Statement für den Protest am Handgelenk gegen die Geisternetze, gefertigt aus alten Netzen, das war für uns viel überzeugender, als nur mit Bildern, Videos und Dokus wachrütteln zu wollen. Das ist zu schnell aus dem Sinn. Da scrollen die Leute zu schnell weiter im Newsfeed auf den Social Media Kanälen. Und dann entgleitet das Thema.
Nein, ein Produkt aus den Fasern des Problems zu schaffen, das so langlebig ist, wie das Problem selbst, das täglich daran erinnert, erschien uns viel besser. Es ist ein Reminder am Handgelenk, der mich daran erinnert, dass der morgendliche „to go“-Plastikbecher beim Bäcker um die Ecke vielleicht doch nicht das Richtige ist.
Viele aus der Bracenet Community machen ähnliche Erfahrungen. Sie sagen, euer Bracenet ermahnt mich täglich, im eigenen Leben nachhaltiger zu werden. Aber die Armbänder sind natürlich auch ein Aufhänger für Gespräche. Bracenets fallen einfach auf, weil die Bänder sehr aufwändig verarbeitet sind im Vergleich zu anderen Armbändern.“

Bracenet Gründer schneidet Teile von einem Fischernetz

SCHÜTZE DIE MEERE, TRAG EIN STÜCK VOM NETZ

Anfangs kümmerte sich das Paar nebenbei um den Aufbau von Bracenet. Madeleine war bei der Werbeagentur BBDO fürs Art Buying zuständig, Benjamin arbeitete bei Bosch als Marketingleiter. „Wir waren eigentlich komplett ausgelastet mit unseren Jobs. Jede freie Minute steckten wir in unser Projekt um eine Homepage aufzubauen und die Mission voranzutreiben.“
Noch im selben Jahr gründeten sie ihre Firma. 2017 folgte der erste Großauftrag von der Telekom, ein voller Erfolg. Wenig später wagten Benjamin und Madeleine den Schritt, ihre Hauptjobs zu kündigen.
„Freunde und Familie hielten uns für total verrückt, aber wir sagten uns, wenn es auch nur ein Jahr funktioniert und wir unsere Lebenskosten eben so gering wie möglich halten, dann war es zumindest eine wunderbare Erfahrung.“ 2018 wurde Bracenet zur GmbH.
Bereut haben Madeleine und Benjamin diese Entscheidung bis heute nicht. Sie bauten das Projekt trotz Hürden und Wagnissen weiter und gründeten sogar eine Familie. Heute ist ihr Sohn Eden zwei Jahre alt und wahrscheinlich hätten sie den Schritt aus der Komfortzone eines Nine-to-Five-Jobs in die Ungewissheit mit ihm nicht so schnell gewagt.

VERNETZT MIT GHOST DIVING UND HEALTHY SEAS

Die beiden mussten sich sehr bald eingestehen, dass es keinen Sinn hat, zu zweit zu versuchen die Meere aufzuräumen. Deshalb haben wir uns Partner dazu geholt, die das Problem bei der Wurzel packen.
„Wir sind zu Ghost Diving und Healthy Seas, zwei NGO’s in den Niederlanden, gefahren und haben die Bracnets präsentiert. Da hat es gleich gefunkt“.
Die Netze aus dem Meer zu holen bringt Aufmerksamkeit. Aber das verpufft auch wieder. Menschen dazu zu bringen, die Netze am Körper zu tragen, schafft täglich Problembewusstsein.
Das Netzwerk war gegründet. Healthy Seas navigiert Bergungsmissionen mit den weltweit 200 ehrenamtlichen, speziell geschulten Tech-Tauchern von Ghost Diving. Sie lösen die Geisternetze von Wracks und Riffen in bis zu 50 Metern Tiefe und bringen sie an Land. Anschließend kommen die Netze zu Nofir, wo sie sortiert und umweltschonend nur mit Wasser gereinigt werden. Nofir sammelt ausgediente Netze außerdem direkt von Fischereien ein, damit sie gar nicht erst im Meer landen. Mittlerweile gibt es viele NGO-Quellen. Neben Nofir beziehen die Hamburger auch vom Ocean Voyages Institute, der Mare Foundation, dem WWF, Seashepards und der Charles Darwin Foundation Geisternetze für das „Upcyceln“, also dem Herstellen ganz neuer Produkte aus Altmaterial.

Aus Geisternetzen werden Armbänder hergestellt

7 TONNEN GEISTERNETZ UPGECYCELT

Über Spenden aus den Erlösen der Bracenets trugen sie schon zu Beginn der Kooperation dazu bei, dass die Tauchteams neue Ausrüstungen und Boote kaufen konnten. Mittlerweile sind es mehrere hundert Taucher und Taucherinnen von Südkorea bis nach Neuseeland, die Geisternetzte weltweit bergen. Im sechsstelligen Bereich hat Bracenet bisher verkauft. Zwischen zwei und zehn Euro, je nach Produkt kommen dem Bergen von Geisternetzen zu Gute. „Allein die bisherigen Spenden von 140.000 Euro an Healthy Seas und Ghost Diving haben zur Bergung von über 585 Tonnen Geisternetzen beigetragen. Davon haben wir bereits 7 Tonnen zu wertigen, nachhaltig produzierten Stücken verarbeitet“, erzählt Benjamin stolz.

Anfangs war es hilfreich, dass Marketingwissen und bildhaftes Denken in das Projekt einflossen. Von dem damaligen Tagesgeschäft der beiden ist das Projekt nun doch weit entfernt.
„Wir haben versucht eine Marke aufzubauen und das mit Mund-zu-Mund-Propaganda voranzutreiben, einen Vertriebs- oder Mediaetat hatten wir nicht“, analysiert Benjamin. „Wenn wir bei Bosch damals ein neues Produkt fertig hatten, war die Frage immer, wie kriegen wir das in den Markt gepuscht? Bei uns war es dagegen immer eher pull statt push“.

Bracenet Armband grün
Bracenet Armband Orange
Bracenet Armband blau

DEMOKRATISIERUNG DER OZEANE

Heute ist das Hamburger Team auf 35 Leute angewachsen und die Aufgaben sind größer geworden. Es geht um die Demokratisierung des Meeresschutzes, um Prävention und Lobbyarbeit. Auf der Agenda stehen Gespräche mit Fischereibetrieben und Politikern um Gesetzesänderungen voranzutreiben damit die Ozeane außerhalb der 200 Meilen-Zone nicht mehr eine Outlaw-Zone bleiben und die größte Müllhalde der Welt obendrein.
„Durch die Presse erfuhren wir, dass einige Politiker unsere Bracenets tragen, wie Peter Altmeier. Da haben wir natürlich gesagt, lasst uns darüber reden, wie wir das Thema im Bundestag vorantreiben können.“
Bracenet engagiert sich auch in einem DIN-Normausschuss auf EU Ebene, der an einer verpflichtenden Materialänderung und Trackingsystemen arbeitet, damit man künftig Netze wiederfinden und zuordnen kann. Auch Netzauffangstationen und Container, wo Fischer ihre Altnetze einfach abgeben können, sind im Gespräch.

Zwei Menschen sitzen auf einem Berg an Geisternetzen

FUSSBALLTORE AUS GEISTERNETZEN

Für dieses Jahr steht ein regelrechter Vortragsmarathon auf dem Programm. An Schulen, Universitäten, auf Messen, wie der Boot und
Firmenevents, um zur Nachhaltigkeitsbildung der Gesellschaft beizutragen.
Aber auch die Wirtschaft und Vereine sind im Visier. Bracenet hat mit Werder Bremen Wege ausgearbeitet, um ihre Fanshops von Einwegplastik zu befreien,
mit Hamburg Energie eine Kampagne für Nachhaltigkeit entwickelt und steht im engen Austausch mit dem Fußballclub St. Pauli und Werder Bremen für die sogar Bundeliga-Tore mit upgecycelten Geisternetzten bestückt werden.
„Es ist schon ein erhebendes Gefühl, wenn so ein vollgepacktes Stadion mit 30.000 Fans zum ersten Mal hört, dass ihre Mannschaften in Tore aus Geisternetzen kicken werden.“
Besonders spannend empfinden Madeleine und Benjamin die Zielgruppe der Kinder, die sie in Kindergärten besuchen und für die Bracenet ein eigenes Kinderbuch herausgebracht hat.
„Es ist immer wieder interessant zu erleben, dass Kinder, die so an unser Projekt herangeführt werden, oft viel mehr darüber wissen als die Eltern, die sie dann zu Veranstaltungen mitbringen“.
Wird ihr Sohn Eden und die nächste Generation einmal in sauberen Gewässern schwimmen und Sandburgen an Stränden bauen, die nicht vermüllt sind? „Manchmal ist es ein Kampf gegen Windmühlen, dann wieder erleben wir wunderbare Aktionen, die viel bewegen. Was bleibt ist die Hoffnung das Ruder noch rumreißen zu können“, gibt Benjamin zu.
Bracenet jedenfalls hat sich von einer Idee zu einer Bewegung entwickelt. „Wir sind überwältigt, wie viele Menschen sich mit uns gegen die Geisternetze verbündet haben. Zufrieden sind wir aber erst, wenn Bracenet sich selbst abschaffen kann. Dann haben wir erreicht, wofür wir kämpfen.“

Fotos: Brancenet, iStock

 

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