Roboter Garmi.

Geriatronik soll den Menschen dienen

„GARMI“ heißt ein Roboter, der uns in Zukunft helfen soll, auch im Alter selbstbestimmt zu leben. Ein Gespräch mit seinem Erfinder Prof. Haddadin über Geriatronik und ein Bericht über unsere Chancen.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Wohnen mit hilfreicher Technik
  • Geriatronik statt Pflegenotstand
  • Das „living lab“ von TU München und LongLeif

Film-Interview: Gerd Giesler, Text: Karen Cop

Prof. Dr. Sami Haddadin ist Direktor des Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) und Inhaber des Lehrstuhls für Robotik und Systemintelligenz (RSI) an der Technischen Universität München.

Zuerst die gute Nachricht: Laut Meldung des Bundesministeriums für Gesundheit ist die Lebenserwartung bei Geburt in den letzten 60 Jahren um 12 Jahre gestiegen. Die schlechte: Anfang 2021 waren etwa 4,6 Millionen Menschen pflegebedürftig. Der Pflegnotstand ist Gegenwart und wird wachsen, wenn die „Babyboomer“ älter werden. Dabei hat keine Generation je zuvor so selbstbestimmt gelebt wie diese.

Selbstbestimmt sein statt ins Pflegeheim

Einer der Babyboomer ist Viktor Wohlmannstetter, 63 Jahre alt, Experte in Sachen Planung von Gesundheitseinrichtungen. Für ihn ist der Wunsch, auch im Alter selbstbestimmt zu leben, Beruf und Herzensangelegenheit: „Die meisten Menschen sehen das Pflegeheim nicht als Traumoption, sie wollen zuhause bleiben“, sagt der Geschäftsführer von LongLeif GaPa gGmbH. Also solcher hat er den „Teufelskreis“, in den viele Seniorinnen und Senioren geraten, sehr genau im Blick.
Eine von LongLeif beauftragte Studie bei 4.000 Befragten in Garmisch-Partenkirchen machte deren Probleme deutlich: „Mobilitätseinschränkungen, Vereinsamung, Abgehängt-sein, wenn man bei der Digitalisierung nicht mitkommt“, um mit Wohlmannstetter nur ein paar Beispiele zu nennen.
Auch das Gesundheitssystem stößt immer öfter an seine Grenzen, während die Menschen älter werden.

„Modellkommune“ Garmisch-Partenkirchen

Garmisch-Partenkirchen hat schon heute einen Altersdurchschnitt wie Deutschland in zehn Jahren. Aber der Landkreis ist nicht nur deshalb Modellkommune. Günter und Ingeborg Leifheit gründeten 1985 eine Stiftung mit der Auflage, das Vermögen von 57 Millionen Euro für Projekte einzusetzen, die dem Wohle der Garmisch-Partenkirchener Seniorinnen und Senioren dienen und die Lebensqualität für ältere und pflegebedürftige Menschen auf verschiedensten Ebenen fördern soll – „jetzt und in der Zukunft.“

Schon seit einigen Jahren bietet LongLeif deshalb die Wohnberatung LIVING PLUS und zeigt in einer Musterwohnung vor Ort, was technisch bereits möglich ist, wenn Bewegungseinschränkungen den Alltag beschwerlich machen oder gar in den Rollstuhl zwingen. In der Musterwohnung können Regale nach unten fahren und Herdplatten hoch und vieles mehr. Modernste Technik für 100.000 Euro ist hier zu erleben. Viktor Wohlmannstetter: „Wir haben ein elektronisch hochstellbares Aufstehbett in ein Standard-Bettgestell eingebaut, aber auch einfache technische Geräte werden gerade erprobt, z.B. ein kleines, über Infrarot gesteuertes Wägelchen, das hinter Ihnen herfährt und transportiert, was Sie brauchen.“

  • Viktor Wohlmannstetter
    Viktor Wohlmannstetter, Geschäftsführer der LongLeif GAPA
  • Zimmer einer modernen Pflegeeinrichtung.

GARMI, der feinfühlige Roboterassistent

Einfach nennt er es im Vergleich zu „GARMI“, dem sanften Roboterassistenten mit der gefühlvollen Hand oder „intelligentem Tastsinn“, wie Professor Dr. Sami Haddadin seine bahnbrechende Entwicklung nennt. GARMI stoppt mit einer Nadel Millimeter vor einem Luftballon und übt ansonsten ganz praktisch in der Musterwohnung dem „Menschen zu dienen“, wie Viktor Wohlmannstetter Günter Leifheit zitiert. Der Assistenzroboter wird Menschen mit Demenz und verschiedenen anderen gesundheitlichen Einschränkungen treffen und lernen, ihnen so zu helfen, dass sie möglichst lange zuhause leben können.
GARMI kann sie bedienen, ihnen den Puls messen und im Notfall einen Arzt rufen.

Er trägt schon jetzt einen Gürtel mit vielen hilfreichen Werkzeugen und kann sogar Schach spielen. Außerdem wird der robotische Assistent Pflegekräfte entlasten, z.B mit seinen nimmermüden, starken Armen, damit diese wieder Zeit haben, ihre eigentlichen zwischenmenschlichen Aufgaben zu erfüllen. Und vieles mehr, zunehmend mehr.

Die TU München ist mit dem Leuchtturmprojekt Geriatronik https://geriatronics.mirmi.tum.de/de/geriatronik/im Forschungszentrum in Garmisch-Partenkirchen aktiv; das Thema Pflegenotstand trifft hier bereits seit 2018 auf innovative Robotik und künstliche Intelligenz (KI); seitdem ist der Forscher Direktor des neu gegründeten Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) der TUM.

Professor Hadddin im Interview und GARMI live:

Gerd Giesler hat Professor Haddadin in Garmisch-Partenkirchen befragt, was GARMI schon kann und derzeit dazulernt:

Der Campus, das Living Lab

„Alles, was mit Menschen interagiert, braucht ein Verständnis des Menschen.“ Sagt Professor Haddadin. Nicht nur sein Forschergeist gepaart mit Sinn für pragmatische Praxis und sympathische Menschlichkeit kann als einzigartiger Glücksfall bezeichnet werden, auch das Zusammentreffen all dieser Persönlichkeiten und Möglichkeiten auf einem großen Areal: Die LongLeif GaPa gGmbH plant gemeinsam mit der Technischen Universität München ein Campus-Gelände, das durch seine Verzahnung von Forschung, Lehre und Praxis ein deutschlandweit einzigartiges „Living Lab“ ist. Das Bahnhofsareal West für den LongLeif-Campus wurde bereits vor zwei Jahren gekauft.

Auf dem rund 30.000 Quadratmeter großen Gelände lernen Mensch und Technik miteinander zu leben und über den modernen Status quo hinaus zu wachsen. Mehrere hundert Wohnungen werden gebaut, die sowohl für Menschen wie Roboter barrierefrei sind. Aber es soll keine Forschungs-Konserve entstehen, kein abgelegenes Seniorendorf, sondern ein Ort mit Flaniermeile, Fuß- und Radwegen sowie Bildungs- und Forschungszentren. „Lebendig, nur barrierefrei!“ Betont Viktor Wohlmannstetter. Studierende und Pflegekräfte können auf dem neuen Campus den Umgang mit Roboter unterstützten Techniken ausprobieren und die Künstliche Intelligenz die Bedürfnisse der Menschen kennenlernen. Dafür werden „Reallabore entstehen, in denen Alltagssituationen, Friseurbesuch oder das Zuhause durchgespielt werden können. Es wird eine kontrollierte Umgebung, ein Angebot nicht nur für uns, sondern auch an externe Forscher.“ (Wohlmannstetter)

Zukunft zum Mitmachen und Anfassen

„Am Anfang haben viele Menschen ein wenig Angst, aber die Akzeptanz wächst, wenn man erlebt wie GARMI agiert; wie er mit Punkt und Strich zeigt: ‚ich hab’s verstanden‘ und beispielsweise ein Bier serviert.“ Der Mensch sei nunmal ein bequemes Wesen: „Wenn der Roboter Komfort bietet, wird er ihn einsetzen.“

Auch Staubsauger & Co. sind nichts anderes als robotisches Werkzeug des Menschen. Aus der ersten Waschmaschine wurden Milliarden. Das robotische Assistenzsystem könnte vervielfältigt werden, wenn die Künstliche Intelligenz einmal so ausgereift ist, dass sie für alle nutzbar ist und die Wirtschaft aktiv wird. „Ein Kind lernt Schritt für Schritt für sein Leben, aber ein erster Roboter für tausende andere, denn seine KI ist für alle Roboter nutzbar, die nach ihm hergestellt werden“, sagt Viktor Wohlmannstetter.
Prof. Haddadin drückt es so aus: „Systemintelligenz sorgt in den neuartigen KI-Algorithmen dafür, dass sie die Fähigkeiten ähnlich wie der Mensch in wenigen Schritten lernen. Ich sehe nahezu unendliche Möglichkeiten in diesen Technologien. Es liegt dann wieder an uns Menschen, sie auch zum Wohle aller richtig und verantwortungsbewusst einzusetzen.“

GARMI wird gestestet.
Von links nach rechts: Prof. Dr. Sami Haddadin, Prof. Thomas Hofmann, Präsidenten der Technischen Universität München und GARMI bei einem telemedizinischen Test. GARMI kann die Vitalfunktionen messen und Ärzte durch die telemedizinische Verbindung erste Hilfe leisten.

Einen Garmi, bitte!

Dass GARMI einmal verordnet wird wie eine Orthese oder ein Rollstuhl ist natürlich Zukunftsmusik. Bei dem Thema werden die Pflegekassen mitreden, und diese gilt es erst einmal zu überzeugen – so die Erfahrungen der LongLeif-Wohnberatung, wenn es darum geht, technische Hilfsmittel finanziert zu bekommen, die bereits heute gefördert werden können und sollten. Noch ist die moderne Technik teuer.
Aber vielleicht entwickelt sich GARMI auch zur Universalmaschine, die viele anderen einspart. Und aus dem Living Lab in Garmisch-Partenkirchen wird eine Modellkommune, deren Konzept sich weltweit hybride blühend weiterentwickelt und die Probleme älterer Menschen sowie den Pflegenotstand in tolle Aussichten auflöst.

Auf der Website von LongLeif wird der Campus „Keimzelle“ genannt. Viktor Wohlmannstetter führt seine Hoffnung für die Zukunft unserer älter werdenden Menschheit so aus: „Ich bin mir sicher, dass sie an viele Orte exportiert wird, wenn wir den Nutzen erkennen, ähnlich wie bei einem Kleinwagen.“
Ab Oktober wird es erste Gelegenheiten dafür geben, denn dann ist der nächste, gemeinsam von der TUM und LongLeif geplante Tag der offenen Tür geplant und auch Sie können GARMI kennenlernen.

Fotos: TUM / Kurt Bauer, Astrid Eckert, Philipp Guelland

 

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