hausbau mit Stroh

Hausbau mit Strohballen und Lehmputz

Das „Haus des Jahres 2023“ sieht unspektakulär aus, hat aber besondere innere Werte: Strohballen sorgen für eine gute Dämmung und Ökobilanz. Als einfaches, natürliches Material werden sie immer beliebter – bei den Architekten von Atelier Kaiser Shen und anderswo.

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  • Thermische Hüllen
  • Das Paradehaus Hoinka
  • Bauen mit Strohballen und Lehmputz

Text Antoinette Schmelter-Kaiser

Florian Kaiser und Guobin Shen

Florian Kaiser hat Architektur studiert. Danach machte er sich 2017 mit Guobin Shen selbstständig. Ihr erster Erfolg war ein sieben Quadratmeter kleines „Mikrohofhaus“: ein bewusst provokantes Statement zum Thema, wie viel Raum zum Wohnen gebraucht wird.

Unkonventionelle Formsprache, außergewöhnliche Lage, spektakuläre Ausblicke: Das sind Alleinstellungsmerkmale, die man vom Gewinner eines Architekturwettbewerbs erwartet. Das Haus Hoinka kann mit nichts dergleichen aufwarten: Aufgeständert auf einem Sockel aus kreuzförmig stehenden Betonwänden ruht ein rechteckiges, erstes Obergeschoss. Das zweite liegt unter den Schrägen eines Satteldachs mit Überstand. Die Außenwände verkleiden vertikal angebrachte, helle Holzbretter.
Umgeben ist das unaufgeregte Ganze von Fachwerkhäusern aus dem 16. und 17. Jahrhundert sowie einer Dorfkirche im Zentrum der kleinen Gemeinde Pfaffenhofen bei Heilbronn.

EIN GEBÄUDE, DAS HOFFNUNG MACHT

Trotzdem wurde das Haus Hoinka vom Callwey Verlag zum Haus des Jahres 2023 gekürt und in einem Bildband über 50 „herausragende“ Eigenheime vorgestellt. Expertenjury-Mitglied Judith Lembke beschreibt den Preisträger in ihrer Laudatio als „ein Gebäude, das Hoffnung macht“, „nachhaltig und schön“ ist. Grund für ihr Lob sind besondere innere Werte. Denn sowohl für Boden als auch Decke, Wände und Dach wurden Strohballen in Kombination mit Lehmputz als thermische Hülle eingesetzt. Oder präziser erklärt: In eine Holzunterkonstruktion wurden Strohballen auf einer Dicke von 36,5 cm hineingepresst und Überstehendes mit der Heckenschere abgeschnitten. Darüber folgten mehrere Schichten Lehmputz als Schutz.

Haus Hoinka

MIT ABSICHT UNSPEKTAKULÄR

Das Haus Hoinka will nicht spektakulär sein“, erklärt Florian Kaiser. Und sein ehemaliger Kommilitone Guobin Shen, mit dem der 36-Jährige in Stuttgart ein gemeinsames Architekturbüro namens Atelier Kaiser Shen betreibt, ergänzt: „Unter der konventionellen Erscheinung weist das Gebäude im Detail zukunftsorientierte Ansätze auf. Ein Haus, dessen Charakter erst auf den zweiten Blick erkennbar ist.“ Streng genommen weist dieses „Musterhaus“ nicht nur nach vorne, sondern auch zurück: In Fachwerkhäusern wurde früher hölzerne Gefache mit einem Mix aus Lehm und Stroh gefüllt, schon Mitte des 19. Jahrhunderts wurden im US-amerikanischen Nebraska Strohballen zum Wandaufbau verwendet.

NACHWACHSENDE, NATÜRLICHE ROHSTOFFE

Von solchen Vorbildern ließen sich Florian Kaiser und Guobin Shen bei Recherchen quer durch die Baugeschichte inspirieren, nachdem 2018 ein Bauherr sie herangetreten war. „Ziel war es, ein Gebäude zu schaffen, das möglichst aus nachwachsenden, natürlichen Rohstoffen besteht, die sortenrein trennbar in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden können“, so das Duo.
Ideale Voraussetzung war, dass der Auftraggeber im Bereich Energieberatung und Gebäude-Zertifizierung tätig und folglich fachkundig ist. Außerdem ließ er laut Florian Kaiser „sehr viel Freiheit beim Entwurf“ und hatte ein „Riesen-Vertrauen“ in Sachen Gestaltung.

Entsprechend viel „Spaß“ machte die Arbeit – auch wenn Brainstormings und Abstimmungsrunden jede Menge „unbezahlte Überstunden“ bedeuteten. „Alle Beteiligten brauchten einen langen Atem“, bilanziert Florian Kaiser. „Aber der hat sich gelohnt.“ Und das nicht nur wegen der gewonnenen Architekturpreise.

  • Stroh als Werksstoff
  • Stroh - bauen mit nachwachsenden Rohstoffen

NEGATIVER ENERGIEBEDARF UND CO2-SPEICHER

Dank der dicken Strohballen-Dämmung plus Wärmepumpe und großflächiger Solarzellen zur Strom- und Warmwassererzeugung auf dem Dach erreicht Haus Hoinka den KfW-40-Plus-Effizienzhaus- und den Effizienzhaus-Plus-Standard, da es sowohl einen negativen Jahres-Primärenergiebedarf als auch einen negativen Jahres-Endenergiebilanz nachweisen kann. Zu der optimalen Ökobilanz trägt auch das im Holz und Stroh gespeicherte CO2 bei.

Im Vergleich zu einem Doppelhaus-Neubau gleicher Größe aus Beton oder Ziegel und mit klassischer Dämmung konnten 95 Prozent an CO2 eingespart werden“, sagt Florian Kaiser stolz.
Das verwendete Stroh ist laut ihm nicht nur klimafreundlich, sondern auch schnell, günstig und regional verfügbar.

ERWORBENES WISSEN MIT KOLLEGEN TEILEN

Kein Wunder, dass fast täglich interessierte Kollegen anrufen, mit denen er sein Knowhow in Sachen Strohballenbau gerne teilt. „Wir selbst mussten uns an das Thema rantasten und durchwursteln“, erklärt Florian Kaiser. „Informationen haben wir auch auf der Internetseite des Fachverbands gefunden.“ Dieser kurz FASBA genannte Verein wurde 2002 im Ökodorf Siebenlinden in Sachsen-Anhalt gegründet – dem Ort mit der höchsten Strohballenhaus-Dichte Deutschlands. 2008 wurde er dann in das Ökozentrum Verden nahe Bremen verlegt, das laut Selbstverständnis „die Möglichkeit bietet, alternative und ökologische Formen des eigenen und gemeinsamen Wirkens zu leben und Ideen und Initiativen daraus nach außen zu tragen.“

GUTE WÄRME- UND SCHALLDÄMMEIGENSCHAFTEN

Mittlerweile haben wir circa 220 Mitglieder – Planer, Produzenten, ausführende Handwerker und andere am Strohballenbau Interessierte, die sich bei uns informieren und vernetzen“, freut sich FASBA-Sprecherin Adina Lange, die gelernte Zimmerin und auf Strohballenbau spezialisiert ist. Dass Stroh als Baumaterial immer mehr Zuspruch findet, liege an seinen guten Wärme- und Schalldämmeigenschaften. Außerdem sei es – wie Lehm – aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit diffusionsoffen und sorge so für ein angenehmes Raumklima.

Punkten kann es außerdem durch seine leichte Verfügbarkeit, denn es kommt laut FASBA „vom Acker nebenan“ und fällt als Nebenprodukt bei der Ernte von Getreide wie Weizen, Roggen, Dinkel oder Triticale an.

KEINE GEFAHR DURCH FEUER ODER SCHÄDLINGE

Für die Weiterverarbeitung zu Ballen muss Baustroh trocken, unbeschädigt und möglichst lang sein; kräftige Pressen bringen es von Klein- bis zu Jumbo-Ballen in Form. Dabei werden die Halme so fest zusammengepresst, dass das Material als normalentflammbar, also nicht gefährlicher als andere Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen gilt. Wird es beim Einbau und in der Nutzung vor Feuchtigkeit geschützt, besteht kein Schimmelrisiko. Von Mäusen droht keine Gefahr, weil es im Stroh an Nahrung mangelt.

Als Dämmmaterial für Neubauten hat sich Stroh etabliert. Bei Sanierungen hat es unserer Ansicht noch viel Potenzial“, meint Adina Lange. „Bei konstruktiven Maßnahmen, also als tragendem Element, sind Strohballen im Kommen.“ Diese wachsende Beliebtheit motiviert Firmen, sich auf Stroh zu fokussieren und unter anderem mit ihm gefüllte Wand- und Deckenelemente vorzufertigen.

Baustroh als Dämmmmaterial

NEUER EINSATZ DES LOWTECH-MATERIALS

Auf diese Möglichkeit setzt auch Florian Kaiser beim nächsten Strohballenbau-Auftrag seines Büros. „Stroh an sich ist günstig, das händische Einbringen und das Verputzen mit Lehm aber aufwändig und durch ein hohes Maß an Manpower etwas teurer“, so seine Erfahrung mit Haus Hoinka. Für ein Ensemble aus vier Gebäuden à fünf Etagen wurde die Planung entsprechend angepasst. Im Rahmen des IBA‘27-Vorhabens „Leben in der Vorstadt Schorndorf“ soll das Projekt 43 Wohneinheiten in ökologischer Bauweise beheimaten. Zur Optimierung der Baukosten sollen ganze Wände vorgefertigt werden. Stroh als „Lowtech-Material“ wird wie im Haus Hoinka wieder eine wichtige Rolle spielen.
Außerdem sollen – ebenfalls wie in Pfaffenhofen – „Möglichkeitsräume“ entstehen. Sie sind von starkem Gemeinsinn geprägt und von einer jungen Baugenossenschaft flexibel organisierbar – passend zum Credo von Atelier Kaiser Shen, absichtlich „unfertige Häuser“ zu bauen. „Nutzungseinheiten können in einem kontinuierlichen Prozess wachsen und schrumpfen“, so Florian Kaiser. Und spätere Veränderungen sind nicht etwa unerwünscht, sondern werden als Bereicherung für die Architektur empfunden.

Fotos: Atelier Kaiser Shen, Callwey, Benno Heller, Brigida Gonzalez, Patrick Schneider

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