„Digital und nachhaltig – das geht“
Jeder Klick am Computer verursacht Datenkommunikation und führt somit zu Energieverbrauch. Die Initiative „Think Digital Green“ ermöglicht es, den eigenen CO2-Fußabdruck durch digitale Medien zu erkennen und zu reduzieren.
Text Antoinette Schmelter-Kaiser
Nach dem Studium entwickelte Susanne Grohs-von Reichenbach bei einem Dax-Konzern die erste Umweltkampagne, arbeitete im sozialen Bereich sowie in einem digitalen Start-up. Seit 2019 ist sie freiberufliche Trainerin, Autorin und Digital Business Innovator.
In der Endphase ihres BWL- und Sprachen-Studiums an der Goethe-Universität in Frankfurt stand der erste PC auf ihrem Schreibtisch – eine „Kiste von geschätzt 15 Kilo“; 1997 kaufte Susanne Grohs-von Reichenbach ihr erstes Handy, das damals noch ein unhandlicher „Knochen“ war.
Die Benutzung beider Geräte empfand sie als „wahnsinnig kompliziert“, ließ sich aber auf die neue Herausforderung und deren Bewältigung ein. „Ich habe mich wie die meisten anderen in meiner Generation learning by doing in das Thema reingewurstelt“, blickt die heute 58-jährige Wahl-Münchnerin zurück.
Gewaltiger ökologischer Fußabdruck
Genau das tut sie seit 2017 erneut, indem sie sich intensiv mit den Chancen, aber auch den Folgen der längst selbstverständlichen Nutzung digitaler Medien beschäftigt. Zunächst stellte sie sich die Frage, wie sich Künstliche Intelligenz auf das Leben und Lieben von Menschen auswirkt, und schrieb darüber einen Roman.
Noch nachdenklicher machte sie ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung über die enorm gestiegene Zahl stromverschlingender Server weltweit, die teilweise als Parks in unwirtlichen Gegenden stehen und mit Trinkwasser gekühlt werden. Doch nicht nur durch sie ist der „ökologische Fußabdruck gewaltig“, so Susanne Grohs-von Reichenbach. „Jeder Klick eines Users verursacht Datenkommunikation und somit Energieverbrauch.“
Teil der Lösung sein
Um dieses „komplexe und intransparente System“ zu verstehen, begann sie zu forschen und Experten zu befragen. Das Ergebnis ihrer Recherchen: Pro Person und Jahr bedeutet digitaler Lebensstil durchschnittlich den Verbrauch von 0,85 Tonnen CO2. Zusammen mit den Mengen, die für Nahrung (1,75 Tonnen) und Alltagsmobilität (1,61 Tonnen) anfallen, bedeutet das mehr als das Doppelte dessen, was zum Erreichen des 1,5 °C Ziels, um die globale Erwärmung auszubremsen, nötig wäre.
„Ich wollte aber nicht nur das Problem analysieren, sondern ein Teil der Lösung sein“, erinnert sich Susanne Grohs-von Reichenbach an ihren Erkenntnisprozess vor vier Jahren. „Jeder hat die Freiheit, sich für eine Verhaltensänderung zu entscheiden. Mein Ziel war es, als passionierter Coach andere Menschen dazu auf unkomplizierte Weise im digitalen Raum zu befähigen.“
Riesiges Klimaschutz-Potenzial
Mittel zum Zweck ist seit 2019 ihre Initiative Think Digital Green. Um ein neues Bewusstsein für das „riesige Klimaschutz-Potenzial“ durch eine nachhaltigere Nutzung digitaler Medien zu schaffen, setzt die Initiative auf Workshops und interaktive Talk-Formate für Privatpersonen, Firmen und Organisationen.
Unterhaltsam vermitteln sie live oder online wichtige Wissensbausteine und effektive CO2-Einsparmöglichkeiten in acht Aktionsfeldern – von Suchanfragen im Internet über Social Media bis Streaming. Zum Veranschaulichen der jeweiligen Auswirkungen dienen drei fiktive Modellpersonen, die alle digitale Medien nutzen und unterschiedlich stark bereit sind, ihren Umgang mit ihnen zu modifizieren.
Verändern statt verzichten
„Verzichten muss keiner“, erklärt Susanne Grohs-von Reichenbach, die sich das anschauliche „Storytelling“ rund um Max, Karl und Nala ausgedacht hat. „Aber mit dem Anwenden einfacher Tipps können sie ihren CO2-Fußabdruck um bis zu eine Tonne verringern.“ Für diesen seien zu 94,6, Prozent Videoconferencing oder -streaming sowie der Kauf neuer Smartphones verantwortlich.
Entsprechend groß ist die CO2-Reduktion, wenn die Kamera bei Teams- oder Zoom-Sitzungen nur gezielt eingesetzt statt nonstop angelassen wird. Videos sollten über WLAN und mit niedriger Auflösung gestreamt werden. Für Handys, die meist nach zwei Jahren ausgetauscht werden, empfiehlt sich der Kauf generalüberholter Refurbed-Modelle und das Recyceln von Altgeräten.
Einfach anwendbarer Hebel
„Die Vorschläge sind so einleuchtend, dass bei unseren Sessions ein Viertel der Teilnehmer erste Sofort-Maßnahmen anwendet“, freut sich Susanne Grohs-von Reichenbach, die von zwei jungen Umweltingenieuren unterstützt wird. Julian Zöschinger und Gianluca Vasallo haben allerdings noch Vollzeitjobs und ihre eigene Initiative respira. Und auch Susanne Grohs-von Reichenbach muss zum Querfinanzieren von „Think Digital Green“ Geld als selbständige Trainerin und Digital Business Innovator verdienen.
„Unser ehrenamtlicher Rahmen ist beinahe ausgeschöpft“, stellt sie nach drei sehr arbeitsintensiven Jahren fest. Für die Zukunft hofft sie auf Förderer, um als Think Digital Green-Assistent eine App und einen Calculator zum Berechnen des CO2-Fußabdrucks durch digitale Medien entwickeln und finanzieren zu können. „Für Unternehmen ist das ein einfach anwendender Riesenhebel, um mehr Transparenz bei ihrem Datenkonsum zu bekommen und ihn zu verringern.
Digital und nachhaltig – das geht!“
Fotos: Think Digital Green, iStock