Ein junger Mann springt durch die Wolken

HOCHMUT KOMMT VOR DEM FALL

Wer sich über andere erhebt, läuft Gefahr, vom hohen Ross zu fallen. Das zeigt uns das Grimmsche Märchen „Der Fuchs und die Katze“. Was Hochmut mit uns macht und welche Alternativen es heute gibt, lesen Sie in diesem Beitrag.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Selbstgefälligkeit
  • Selbstbewusstsein
  • Selbstverliebte Verblendung

Text Irmela Neu

Schwarz-Weiß-Bild von Prof. Dr. Irmela Neu.

Prof. Dr. Irmela Neu lehrt Interkulturelle Kommu­nikation in Spanien und Lateinamerika an der Hochschule München für angewandte Wissenschaften (HM), gibt Seminare zur empathischen Kommu­nikation und ist Autorin.

Die ungleiche Begegnung von Fuchs und Katze

Es trug sich zu, dass die Katze in einem Walde dem Fuchs begegnete“, so beginnt das Märchen. Da die Katze Ehrfurcht vor dem Fuchs und seinem guten Ruf als schlauer Zeitgenosse hatte, sprach sie ihn sehr freundlich an, indem sie sich nach seinem Wohlbefinden erkundigte. „Wie schlagt ihr euch durch in dieser teuren Zeit?“ wollte sie zudem wissen.

Der Fuchs, „des Hochmuts voll“ antwortete nicht gleich, sondern taxierte sie erst einmal verächtlich von Kopf bis Fuß, bis er geruhte, ihr eine Antwort zu geben. Die fiel dann gleich sehr heftig aus: „Du armseliger Bartputzer, du buntscheckiger Narr, du Hungerleider und Mäusejäger, was kommt dir in den Sinn? Du unterstehst dich, zu fragen, wie mirs gehe?

Welch ein Frontalangriff, den der Fuchs noch erweiterte. Er fragte nämlich die Katze, was sie denn, bitte schön, überhaupt gelernt habe? Mit diesem Überkübeln von Provokationen kanzelt er die Katze als ihm unterlegenen Nichtsnutz ab.

Die Dynamik des Hochmuts

Die Katze lässt sich nicht auf diese ihr vorgeknallten Beleidigungen ein, sondern antwortet „bescheidiglich“ und aufrichtig auf die höhnisch gemeinte Frage des Fuchses, über welche Kenntnisse und Fähigkeiten sie denn eigentlich verfüge: „Ich kenne nur eine einzige.

Das stachelt den Fuchs erst so richtig an. Er läuft zur Hochform auf, ihr seine haushohe Überlegenheit prahlerisch auszubreiten. Er sei nicht nur „Herr über hundert Künste“, nein, er habe „überdies noch einen Sack voll Liste“. Als Superheld stellt er sich dar, als er die Katze scheinempathisch entgegenkommend auffordert: „Du jammerst mich, komm mit, ich will dich lehren, wie man den Hunden entgeht“. Nun, soweit kommt es nicht.

Der Absturz und der Höhenflug

Sein selbstgefälliger Höhenflug findet ein jähes Ende – der Fuchs stürzt ab. Die Katze indes verschwindet in der Höhe. Wie das? Kaum, dass der Fuchs sein mitleidig großzügiges Angebot unterbreitet hat, kommt ein Jäger mit seinen vier Hunden des Wegs. Die Katze springt behende auf die höchsten Wipfel eines Baumes – und der ach so schlaue Fuchs? Nun ja, er gerät mir nichts dir nichts in die zupackenden Fänge der Jagdhunde. Da hilft es ihm auch nicht mehr, dass die Katze ihm vom Gipfel des Baumes zuruft: „Herr Fuchs, bindet den Sack auf.“ Diese Aufforderung in Anspielung auf die Prahlerei des Fuchses könnte eine gewisse leise Schadenfreude enthalten …

Wie geht das Märchen aus? Durch eine Feststellung der Katze. Sie ruft dem selbstverliebten Fuchs zu: „Ei Herr Fuchs, ihr bleibt mit euren hundert Künsten stecken. Hättet ihr heraufkriechen können wie ich, so wärs nicht um euer Leben geschehen.“ Dumm gelaufen für den Fuchs. Warum das so ist, dazu nachfolgende Überlegungen.

Ein Mensch lässt sich rückwärts in einen See fallen

Vom Wesen des Hochmuts

Das Wort „Mut“ bezieht sich etymologisch betrachtet auf eine Stimmungslage, eine Befindlichkeit. Erst im Laufe der Entwicklung erhält es die uns heute bekannte Bedeutung.

„Hochmut“ wird zum Charaktermerkmal, wenn er sich nicht nur als einmaliges Phänomen zeigt, sondern zu einer ständigen Bereitschaft wird, sich als überlegen durchzusetzen. Ein „hochmütiger“ Mensch, der von sich eine hohe Meinung hat, hält sich für etwas Besseres und zeigt dies, wann immer es möglich ist. So demonstriert er seine vermeintlich haushohe Überlegenheit, wobei er auch zu heftigen Angriffen der Erniedrigung seines Gegenübers greift.

Grundlage seines Hochmuts kann seine natürliche Ausstattung wie Größe, Schönheit, Schlauheit sein oder der erworbene Status aufgrund von Reichtum mit entsprechendem gesellschaftlichem Status oder auch nur eines entsprechenden Ruhmes. Diese vermeintliche oder tatsächliche Besserstellung verführt zu Hochmut als Eigenleben, Angeberei und Besserwisserei. Die damit verbundene Herstellung einer Hierarchie hat Trennung bis hin zur Feindbildung zur Folge, die sich auf einen klaren Nenner bringen lässt – „Ich, das Genie, und die dummen, mir völlig unterlegenen Anderen, die mir niemals das Wasser reichen können.“

Das Leben in der Blase des Hochmuts ebnet die Bahn zu Narzissmus oder ist dessen Ausdruck.

Hochmut als Leben in der konstruierten Eigenwelt

Die Einstellung von sich als überragendes Wesen, die bekanntermaßen bis hin zur Behauptung führen kann, es gäbe einen „Homo Deus“, einen gottgleichen, ja überlegenen Menschentypus, bekommt den Charakter einer Gewissheit. Im Sinne der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ (Paul Watzlawick) wird jede Erfahrung als Bestätigung gedeutet.

Zudem umgibt sich ein hochmütiger Mensch nur noch mit seinesgleichen, was wiederum Klugschwätzer, Schmeichler und Hofschranzen anzieht, die nichts anderes als Beifall klatschen; dies wiederum verstärkt den Hochmut als Abgrenzung und Bestätigung, etwas Besseres zu sein.

Früher waren das die angepassten Claqueure am Königshof oder die Bediensteten, einschließlich Berater der Adelshäuser. Auch heute würden wir sicher ausgiebig fündig werden. Während einst Adelige ein hohes Ansehen in der Hierarchie als VIPs besaßen, verfügen heutzutage auch noch andere Gruppen über eine Autorität, die es früher nicht gab. Am Prinzip der überzeugten Selbstdarstellung, die zumindest öffentlich kaum hinterfragt wird, dürfte sich wenig geändert haben.

Zudem kann Hochmut Gemeinsamkeiten mit Ideologien aufweisen. Beide verbindet das Bestreben, Ziele ohne Korrektive „um der Sache willen“ durchsetzen zu wollen, koste es, was es wolle.

Umgang mit Wissen

Hochmut lädt zu der Annahme ein, über ein unfehlbares Wissen zu verfügen, das über jeden Zweifel erhaben ist.

Das kann erfolgreichen Erfahrungen in der Vergangenheit geschuldet sein oder einfach der (ideologiebehafteten) Einbildung in der Einseitigkeit. Fragen wie: Wozu nutzt mir mein Wissen? Wie setze ich es um? An welcher Stelle sollte ich meine (Selbst-) Einschätzung korrigieren? bleiben ausgeklammert.

Ehrlich beantwortet, würden sie am Selbstbild kratzen, und genau das verhindert der Hochmut. Er hält an den Vorstellungen von der eigenen Herrlichkeit fest, was durch Schwarmverhalten der Umwelt noch potenziert wird. Wissen wird zur Gewissheit.

Ist es möglich, aus diesem Hamsterrad herauszukommen? Die Antwort lautet eindeutig: ja, es ist möglich!

Die Einstellung zu mir selbst

Zunächst geht es um die Einsicht, dass mein Wissen immer unzulänglich ist. Es kann zu theoretisch sein, praktisch nicht 1:1 umsetzbar, nicht auf dem neuesten Stand etc.. Erst in der Zusammenarbeit mit einer Gemeinschaft entsteht ein Ganzes.

Voraussetzung dazu aber ist die Bereitschaft, mein Wissen mit anderen zu teilen; dazu braucht es freilich als Basis gegenseitiges Vertrauen mit Anerkennung und Respekt. Ich sehe mich also nicht mehr als den Nabel der Welt, sondern weiß, dass nur in der Kooperation Entwicklung, ja Überleben möglich ist.

Eng damit verbunden ist die Fähigkeit, eine Brücke von theoretischem Wissen und dessen praktischer Umsetzung zum richtigen Zeitpunkt zu bauen. „Kairos“, nannten die alten Griechen diese komplexe Fähigkeit; hierzu gehören noch vier besondere „Tugenden“.

Eine Katze beobachtet einen Fuchs

Die Tugend der Aufrichtigkeit als Authentizität

Schauen wir noch einmal ins Märchen. Auf die provozierende Frage des Fuchses, welche Kunst sie denn nun eigentlich beherrsche, antwortet die Katze ganz ehrlich: „Wenn die Hunde hinter mir her sind, so kann ich auf einen Baum springen und mich retten.“ Eine aufrichtige Antwort! Sie lässt sich eben nicht auf das Energiefeld des Fuchses ein; denn sonst würde sie mit Wut reagieren. Weit gefehlt! Sie bleibt ganz bei sich – authentisch durch und durch. Mit dieser Antwort zeigt sie, dass sie aus ihrem Repertoire das Richtige im richtigen Moment anzuwenden versteht und danach handelt.

Statt Interesse hierfür zu bekunden, bleibt der Fuchs in der Blase seines Hochmutes und kontert: „Ist das alles?“ Dann folgt der Gipfel der Angeberei: er verfüge über 100 Künste und – Sie wissen schon: „überdies noch einen Sack voll Liste.“ Er will der hierarchisch über der Katze stehende Lehrmeister sein. Ein Dialog, ein Austausch oder eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe lässt sich nicht mit dem Hochmut vereinbaren. Vielmehr entsteht potentiell ein Klima des Gegeneinanders.

Darauf lässt sich aber die Katze nicht ein. Sie bleibt bis zum Schluss authentisch – auch im Angesicht des jähen Absturzes des Fuchses. Sie bleibt einfach nur bei sich. Bravo! Sie beherrscht indes noch drei weitere Tugenden.

1. Die Tugend der Bescheidenheit als Voraussetzung für ein Miteinander

Diese Tugend steht in unserer heutigen Konkurrenzgesellschaft nicht wirklich sehr hoch im Kurs. Flotte Sprüche wie: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“ oder auch: „Tue Gutes und sprich darüber“ deuten darauf hin.

Gleichwohl ist sie für ein freundliches, aufeinander eingestimmtes Miteinander nötig. Es muss ja nicht gleich die sokratische Einstellung des „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ sein. Doch in Kombination mit der Überzeugung, dass Wissen nur im gegenseitigen Ergänzen zu Weiterentwicklung in jeder Hinsicht führt, entsteht der Freiraum für eine kreative Dynamik. Ich bin dann in der Lage, nicht meine eigene Herrlichkeit zu bejubeln, sondern mich auf meine Umwelt und die Ereignisse einzustellen.

Im Wort „Bescheidenheit“ ist „Scheidung“ enthalten, und das meint im umfassenden Sinn: mich von dem zu trennen, was im Augenblick nicht ansteht. Ich kann mich zurücknehmen, auf neue Situationen einstellen. Ein bescheidener Mensch ist zum Dialog fähig, doch auch zu Selbstbewusstsein. Er hat es nicht nötig, sich selbst für einmalig zu halten.

2. Selbstbewusstsein als Tugend

Die bei den alten Griechen so wichtige Aufforderung der Selbsterkenntnis als Voraussetzung für Selbstbewusstsein hat einen tieferen Sinn. Nur ein Mensch, der in der Lage ist, seine Stärken und Schwächen zu erkennen und sich mit anderen weiterzuentwickeln, kann in seiner Mitte sein.

Wer von beiden ist im Märchen selbstbewusst? Die Katze oder der Fuchs? Die Antwort ist klar: die Katze. Sie braucht nicht anzugeben, ist in der Lage, bescheiden zu sein, weil sie weiß, was sie kann. Sie hat ihr Wissen und ihr Können als geeignete Reaktion in einem bestimmten Augenblick zur Verfügung. Der hochnäsige Fuchs ist dagegen in der Enge seiner eigenen Glorie befangen und daher nicht in der Lage, die Verbindung von Wissensvorrat und Wirklichkeit herzustellen. Die Wirklichkeit hat keine Wirkung auf ihn. Der Hochmut steht dazwischen und verhindert nicht nur diese Verbindung, sondern auch die vom Ich zum Wir.

Selbstbewusstsein und Hochmut schließen einander aus. Der Hochmut schwebt im engen Raum der eigenen, selbst konstruierten, imaginierten höheren Sphären. Das Selbstbewusstsein ist in der Lage, mit dem Hier und Jetzt eine jeweils dynamische, flexible Verbindung einzugehen.

So entsteht ein Wir: das Leben und Ich. Ich, Wir im Leben – durch Selbstbewusstsein!

Unter Wasser liegt das Wrack eines Flugzeugs

Die Tugend der achtsamen Präsenz

Der Bezug zu dem, was um mich herum passiert, ergibt sich aus der Fähigkeit zur achtsamen Wahrnehmung. Dies setzt eine Offenheit gegenüber dem Innen und Außen voraus. Auf der einen Seite registriere ich Bewegungen, Zustände, Veränderungen im Außen; auf der anderen Seite bin ich in der Lage, die entsprechende Antwort darauf umzusetzen. Ich bin im Hier und Jetzt und weiß, dem adäquat zu begegnen.

Im Idealfall arbeiten Ahnung, Abruf von gespeichertem Wissen, Intuition und Bauchgefühl als Fähigkeit zum geeigneten Handeln eng zusammen. Ein durchaus komplexer Vorgang von kreativer Kombinationsgabe! Natürlich macht Übung den Meister. Genau beobachten, nicht gleich oder gar nicht bewerten, Zusammenhänge erkennen – all dies sind Bestandteile der achtsamen Präsenz.

Darüber hinaus bedarf es der Konzentration, dem Gegenteil von Ablenkung. Der moderne Mensch lebt in der ständigen Herausforderung vielfältiger Ablenkungen, die ihn von sich selbst wegführen. Eine klare Beobachtung dessen, was im Innen und Außen geschieht, wird dadurch erschwert. Nehmen wir es sportlich und trainieren die Tugenden – mit Leichtigkeit und Freude. Wann sind wir Fuchs, wann Katze? Wie hätte das Märchen ausgehen können, wenn es kein Märchen wäre und die beiden – Fuchs und Katze – zusammengearbeitet hätten?

Die Moral von der Geschicht …

Das kurze Märchen ist hochaktuell. Es macht uns deutlich, warum Hochmut vor dem Fall kommt, wie das Sprichwort weiß. Es ist die selbstverliebte Verblendung, die so weit gehen kann, andere als Nichts-nutze zu diskreditieren. Daraus entsteht ein Klima von Trennung und Streit. Ist jedoch die angegriffene Person selbstbewusst, geht sie auf die Angriffe gar nicht ein. Sie nimmt diese nicht persönlich, sondern bleibt ganz bei sich.

Provozierende (Schein-)Fragen werden entwaffnend ehrlich beantwortet, was beim Gegenüber die Spirale der Wut anheizt. Schließlich nehmen die Ereignisse überhand und beenden jäh das eigenwillige Geklapper des Hochmuts. Nur im Märchen? Oft genug auch im wahren Leben!

Doch es gibt eine gute Nachricht: wir können dem begegnen und zu einem freudvollen Miteinander beitragen. Alte Tugenden stellen sich für eine Renaissance zur Verfügung. Greifen Sie zu!

Fotos: iStock, Unsplash / Cesar la Rosa, Shane Rounce

 

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