Hirtenhund Tayo im Zwinger

Hunderettung – Der lange Weg ins Pfotenglück

In Ländern wie der Türkei, Griechenland, Spanien oder Rumänien enden Straßenhunde in Tötungsstationen oder vegetieren in Tierheimen dahin. Die Tierärztin Astrid Schubert durchbricht das Hunde-Elend und vermittelt gequälte Vierbeiner zur Hunderettung aus Transsylvanien, z.B. Hirtenhund Tayo.

Text Gerd Giesler

Bild von Tierärztin Astrid Schubert mit Hund.

Astrid Schubert ist auf Verhaltenstherapie spezialisierte Tierärztin mit angeschlossener Hundeschule Sirius in München. Sie arbeitet für Pfotenglück.org e.V., Tierschützern in Deutschland und Rumänien, um die Situation der Straßenhunde in Rumänien zu verbessern.

 

An diesem Samstag klingelt das Telefon um Punkt 3 Uhr morgens: „We will be there in one hour, please get ready“. Die Stimme von Fahrer David klingt osteuropäisch und routiniert. Er und sein Kollege sind am Freitag morgen in Cluj Napoca, dem ehemaligen Klausenburg, der zweitgrößten Stadt Rumäniens losgefahren und werden um 4 Uhr morgens an der Autobahnraststätte Vaterstätten bei München eintreffen.

Sie sind die Fahrer des langersehnten Tiertransporters, kurz „Trapo“ genannt. Mit an Bord: Tayo, Pepito, May und neun weitere rumänische Straßenhunde, die in Deutschland ein Zuhause finden werden. Für die meisten das erste Zuhause ihres Lebens.

IM TRAPO KOMMEN DIE HUNDE AUS RUMÄNIEN

Hellwach und klopfenden Herzens setzen wir uns hinter das Lenkrad, im Ohr noch Astrid’s letzte Whatsapp-Sprachnachricht: „Für einige von euch ist das der erste Tierschutz-Hund und die Übergabe am Trapo ist ja auch etwas unfassbar Aufregendes, aber es ist immer ein erfahrener Tierpfleger von uns dabei, der euch betreut und euch die offiziellen Papiere, wie Hundepass und Impfausweis aushändigt.“

Dr. Astrid Schubert ist Tierärztin. Sie leitet das Tiergesundheitszentrum München mit angeschlossener Hundeschule. Ihr Spezialgebiet ist die Verhaltenstherapie. Und ihr ehrenamtliches Engagement gilt dem Tierschutz mit Hunderettung: Hunden aus Rumänien, die Hilfe brauchen ihre Traumata zu überwinden um sich in den neuen Familien möglichst gut einzuleben.

Deshalb hat sie sich vor Jahren der Organisation Pfotenglück.org e.V. angeschlossen und investiert ihr berufliches Knowhow, aber auch Zeit und Energie in die Suche, um zwei Seiten glücklich zu machen.

TAYO? EIN AUSGEHUNGERTER RIESE KOMMT AN

An der Autobahnraststätte herrscht bereits um 3.45 Uhr reger Betrieb. Im Kegel einer Flutlichtlampe steht ein Kastenwagen umringt von einer kleinen Menschentraube. Hunde werden ausgeladen. Und plötzlich geht alles ganz schnell. Tayo? „Mein Gott ist der groß“, flüstert ein Umstehender und spricht aus, was wir denken.

Vor uns steht ein mit zwölf Monaten ausgewachsener weißbrauner Hirtenhund, Risthöhe 78 Zentimeter. Ein abgemagerter Riese in einer Duftwolke aus stechend riechendem Desinfektionsmittel, strubbelig und etwas wacklig auf den Beinen. Zwei bernsteinfarbene, große Hundeaugen blicken uns hilfesuchend an.

„Der braucht die Rückbank im Auto für sich allein“, denke ich. Aber bevor uns klar wird, dass sich unser Leben, unser Alltag mal gerade komplett geändert hat, kommt auf dem Handy schon wieder eine Sprachnachricht von Astrid: „Nach so einer langen Fahrt sind die Hunde ausgehungert und würden alles in sich hineinschlingen.

Für die meisten, war das die allererste Fahrt in einem Auto. Das fühlt sich für sie an wie ein Astronautenflug für uns. Das schlägt sich auf den Magen. Für die erste Mahlzeit empfehle ich daher Schonkost.“

ASTRIDS ERSTE HUNDE KAMEN AUS NEAPEL

Bei Astrid Schubert zieht sich Tierschutz wie ein roter Faden durchs Leben. „Schon als Kind sind sie mir quasi zugelaufen, vor allem die, die verletzt waren, die niemand haben wollte. Oder ich habe sie einfach aus übelster Haltung „geklaut“, weil sie dort gequält wurden. Nur kein Hund war dabei“, erinnert sie sich, „weil das meine Mutter nicht wollte.“

Doch noch bevor sie ihren Studienplatz für Tiermedizin bekam, brachte sie aus einem Tierschutzprojekt aus Neapel zwei Straßenhunde mit. Heute lebt sie mit ihren beiden Kindern, drei Hunden und vier Katzen bei München.

Woher kam der Wunsch, sich auch ehrenamtlich dem Tierwohl und der Hunderettung zu verschreiben?

Astrid Schubert: „Weil wir hier in einer vom Wohlstand gesegneten Region leben und ich auf Reisen sah, wie Tiere anderswo leben. Es gibt Länder, da sucht man vergeblich nach einem Tierarzt für Hunde und Katzen. Den gibt es dann eher für Ziegen und Kamele. Aber für Hunde und Katzen würde niemand auch nur einen Cent ausgeben. Und wenn du einmal das Leid von Tieren gesehen hast und du bist vor Ort, dann geht das viral in dir und du musst etwas tun weil du infiziert bist.“

Astrid Schubert hat im Rahmen ihrer Tierarztpraxis mit Pfotenglück.org einen Verein gefunden, der genau so tickt, wie sie sich das vorstellte. Sie nennt das „eine Handvoll Irre, die mit ihrem Irrsinn sehr strukturiert und mit Fachwissen im Tierschutz arbeiten.“ Ihr geht es vor allem um die Beseitigung des Grundübels. Also nicht nur um die Vermittlung von Straßenhunden nach Deutschland, sondern auch um die Durchführung von Kastrationsprogrammen und die intensive Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen vor Ort.

  • Hundetransporter mit offener Tür.
    Die Strassenhunde kommen im Trapo an.
  • Straßenhund Tayo und sein neues Herrchen.
    Liebe auf den ersten Blick: Hütehund Tayo und Autor Gerd Giesler

DER TRICK MIT ILLEGALEN WELPEN

Das Geschäft mit den Straßenhunden und vor allem den illegalen Welpen blüht. Wie lassen sich seriöse Vermittler bei der Hunderettung von schwarzen Schafen unterscheiden?

Astrid Schubert: „Zunächst einmal sollte der Anbieter ein in Deutschland eingetragener Verein sein. Dann müssen die Einfuhrbestimmungen eingehalten werden. Ein Hund ohne gültige Tollwut-Impfung kann gar nicht legal sein. Das gilt vor allem für Welpenhändler, die die Kleinen bereits im Alter von nur wenigen Wochen zum Verkauf anbieten, teils mit gefälschter Tollwutimpfung.“

In der Ära des Diktators Ceausescu wurde die Landbevölkerung in Plattenbauten der Großstädte zwangsumgesiedelt. Haus-und Hoftiere mussten aufgegeben werden und vermehrten sich unkontrolliert. Bis zu 67.000 Nachkommen sollen rechnerisch in nur sechs Jahren laut Peta auf einen einzigen, unkastrierten Hund kommen.

Die örtliche Organisation, mit der Pfotenglück.org kooperiert, heißt Arca lui Noe. Es ist ein privater Verein, der in Cluj auch ein Areal gepachtet und dort mit ehrenamtlichen Kräften ein privates Gehege erbaut hat. Zweimal täglich kommen freiwillige Helfer vorbei, um die Hunde zu betreuen und zu füttern.

RUMÄNISCHE STRASSENHUNDE SIND GUTMÜTIG

Und dann gibt es das städtische Tierheim der Stadt Cluj, die Ecarisaj, was so viel heißt wie Abdeckerei. Früher wurden die Hunde dort entweder gleich, oder nach einer bestimmten Frist, getötet. Von Hunderettung keine Spur.

Das ist zwar in der Universitätsstadt Cluj, in der man auch Tiermedizin studieren kann, nicht mehr so, „aber leider gibt es im Land noch genügend Tötungsstationen, die sich nicht über die Schulter sehen lassen wollen. Und das in einem Land, das in die EU strebt. Aber selbst in Cluj gibt es immer noch professionelle Hundefänger, die von der Stadt bezahlt werden und streunende Hunde teilweise mit der Drahtschlinge einfangen“, weiß Astrid Schubert zu berichten.

Heute sind dort bis zu 450 Hunde untergebracht und warten teilweise bis an ihr Lebensende auf Vermittlung. Anders als in deutschen Tierheimen sind die rumänischen Straßenhunde selten aggressiv.

„Ich bin oft in jeden Zwinger gegangen“, erzählt Astrid „und wurde entweder freudig begrüßt oder der Hund hat sich ängstlich in den hintersten Winkel verkrochen.“

Die Tierärztin hat da ihre eigene Theorie: „Wenn du in Rumänien einen Hund hast, der wirklich ungewollt zubeißt, dann hat der keine Daseinsberechtigung. Dadurch entstand schon unter Ceausescu eine Art Genpool. Die meisten der rumänischen Hunde sind einfach nur lieb“.

DER IDEALE HUND UND DIE GLÜCKLICHEN

Der Name Tayo kommt aus dem Afrikanischen und bedeutet soviel wie „der Glückliche“. Ein Attribut, das nach einem halben Jahr im neuen Zuhause nicht nur auf den Hund, sondern durchaus auch auf seine Besitzer angewandt werden darf. Darüber hinaus ist es ein guter Rufname, auf den Tayo mittlerweile selbst freilaufend gut hört, sofern er will.

Überhaupt legt er als Herdenschutzhund ein sehr sonniges Gemüt an den Tag. Er ist stolz, bellt fast nie, ist beschützend, hingebungsvoll verschmust und liebt es während längerer Teams-Konferenzen seines Herrchens zum Bettvorleger zu mutieren. Im Gelände und auf Wanderungen erweist er sich dagegen als ausdauernder sportlicher Begleiter. Ein ziemlich idealer Hund also – den in Rumänien keiner haben wollte?

DIE HUNDEFÄNGER SUCHEN AUF FACEBOOK

Ein Facebook-Post „wem gehört der Hund?“ , von einem besorgten Anwohner aus einem Vorort von Cluj ins Netz gestellt zeigt – so haben es die Helfer von Arca rekonstruiert – einen völlig erschöpften Tayo, der tagelang durch Vorstadt-Siedlungen zog. Die Aktion rief aber nur die Hundefänger auf den Plan und brachte den freundlichen Tayo in die Verwahrung.

Hirtenhund Tayo beim Bergwandern mit Herrchen.

MEHR ALS 200 HUNDE PRO JAHR VERMITTELT

Über 200 Hunde hat Pfotenglück.org allein im Jahr 2019 vermittelt. Nur zwei Rückläufe hatte Astrid Schubert in all den Jahren. Das aber auch nur, weil die Bewerber in Bezug auf ihre Lebensumstände nicht ganz bei der Wahrheit geblieben waren.

„Ein noch nicht voll verarbeitetes Burnout ist keine gute Voraussetzung, einen erziehungsintensiven Hund aus dem Tierschutz zu adoptieren.“

Astrid Schubert legt großen Wert darauf, dass Interessenten bei ihrer Selbstauskunft ihre Wohn- und Lebenssituation ganz offen darlegen. Nur so ist sie in der Lage herauszufinden, wer zu wem passt. Andererseits informiert sie auch ehrlich über Risiken oder Schattenseiten, die sie bei der Inspektion der Hunde sehr zielsicher aufspürt.

VOR ALLEM WELPEN SIND GEFRAGT

Bewerbungen in denen steht: „Wir hätten gern einen Welpen, der stubenrein, gut erzogen und Auto-tauglich ist, der auch mal ein paar Stunden allein sein kann, ohne die Wohnung zu zerlegen“ legt sie lieber beiseite, weil die ihr zeigen „dass diese Leute überhaupt nicht verstanden haben, was Tierschutz bedeutet. Dass diese Hunde noch einen Nachholbedarf haben und dass man einige Dinge mit ihnen erst erarbeiten muss, weil sie es nie gelernt haben!“

Für die Vermittler vom Pfotenglück.org gibt es wenig, das die Freude des Moments übertrifft, wenn eine Hunderettung gelingt und ein Hund in sein neues Zuhause einziehen darf.

Bei Tayo war Astrid zu Beginn skeptisch: „Wir hatten ja null Information zur Vorgeschichte des Tieres und aufgrund seiner Größe war es wichtig, Jemanden zu finden, der dem Hund gewachsen ist. Dass das so gut geklappt hat, macht mich glücklich, denn anders als bei possierlichen Welpen, gibt man ausgewachsenen Hunden meist keine zweite Chance.“

Mit Ihrer eigenen Fortbildungsveranstaltung SIRIUS Seminare bietet die Tierärztin für Verhaltenstherapie Astrid Schubert für Besitzer von Pflege- bzw. Adoptivhunden, aber auch für Interessierte, die beruflich viel mit Hunden arbeiten, an drei Wochenenden einen Grundkurs zum Hundetrainer und Verhaltensberater an. Wann und wo die nächsten Kurse stattfinden, sehen Sie auf der Website von SIRIUS

Fotos: Milena Sovric und Astrid Schubert

 

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