Satellit über der Erde

Das Internet der Tiere

Martin Wikelski gilt als Pionier für das Internet der Tiere. Aus dem Orbit folgt er 25.000 Tieren in entlegene Winkel der Erde, um Katastrophen präziser vorherzusagen. In der digitalen Vernetzung scheint das Uralt-Wissen der Tiere dem Menschen überlegen.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Tierische Intelligenz
  • Schwarmverhalten
  • Warnungen wilder Tiere

Text Gerd Giesler

Prof. Dr. Martin Wikelski

Prof. Dr. Martin Wikelski ist Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Professor an der Universität Konstanz sowie Leiter von ICARUS, dem internationalen Projekt zur Erforschung und Analyse von Tierwanderungen via Satellit.

Was haben Hummeln, Ziegen, Störche, Schweine, Flughunde, Graugänse, Wale und Schmetterlinge gemeinsam? Sie alle gehören zum Internet der Tiere — sofern sie kleine Sender tragen. Damit sind sie Teil des globalen Netzwerks, das alle möglichen Informationen über Verhaltensweisen von Tieren via Satellit sammelt, diese Daten mittels KI blitzschnell auswertet und an die teilnehmenden Institute von ICARUS übermittelt.

Icarus Nano Tag

ICARUS steht für „International Cooperation for Animal Research Using Space“.

Während Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz, Hans Hass oder Irenäus Eibl-Eibesfeldt noch auf den Sichtkontakt der Tiere angewiesen waren und analoge Studien betrieben, wertet Martin Wikelski als Leiter von ICARUS komplexe Daten seiner besenderten Schützlinge direkt am heimischen Bildschirm aus. Wikelski ist zudem Professor an der Universität Konstanz und Direktor am dortigen Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.
Sein Spezialgebiet ist allerdings die Erforschung der globalen Wanderung von Zugvögeln, Reptilien, Säugetieren und Insekten. Vor allem das Schwarmverhalten der Tiere und ihre kollektive Intelligenz haben es ihm angetan.

Vogel mit Sender

PROJEKT ICARUS – TIERBEOBACHTUNG VIA SATELLIT

In ländlicher Umgebung bei München aufgewachsen, hatte Martin Wikelski schon als kleiner Junge einen Traum. Der Instinkt und die Schlauheit von Tieren auf dem Bauernhof faszinierten ihn. Und er wollte dem Wissen der Tiere auf die Schliche kommen. Die Idee, mittels Satellitenübertragung unzähligen Tieren aus dem Orbit in jeden Winkel der Erde zu folgen, kam dem Verhaltensbiologen vor mehr als 20 Jahren. Seitdem ist er besessen von der Idee. Aus ICARUS wurde für ihn ein Lebenswerk.

Nicht nur, dass die Digitalisierung in den Wissenschaften immer weiter voranschreitet. Als einer der ersten Forscher machte sich Wikelski die Intelligenz von Tieren zunutze, verknüpft sie seitdem mit weltweiten Computersystemen und kooperierte sowohl mit der internationalen Raumstation ISS als auch mit kleinen Hi-Tec-Start-Ups.
Viele Jahre hielt man den heute 57-jährigen für verrückt: Tiere mit hochkomplexen Sendern auszustatten und aus dem Orbit beobachten? Was sollten die Tierdaten liefern, was nicht durch menschengemachte Technik viel einfacher zu erfassen ist? Doch dann unterstützte das Deutsche Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) die Pläne.

Wie die meisten seiner Tiere ist Martin Wikelski ständig unterwegs. Unser Interview findet daher in einer Terminlücke nach Geschäftsmeetings in den USA und vor dem Flug nach Namibia statt, wo es um das Tracking von Wilderei in einem Jagdgebiet östlich von Windhuk geht.

Wanderung von Tieren

DER SECHSTE SINN DER TIERE

Ihre Forschung basiert auf der Annahme, dass Tiere einen sechsten Sinn haben, mit dem sie bevorstehende Veränderungen in ihrer Umwelt bereits wahrnehmen und darauf reagieren, bevor diese eintreten. Diese Fähigkeit ist allerdings bis heute nicht wissenschaftlich belegt.

Ich glaube durchaus, dass Tiere einen sechsten Sinn besitzen. Um ihn wissenschaftlich zu belegen, braucht es allerdings aufwändige Versuchsreihen und bislang gab es keine Möglichkeit, dafür Gelder zu beantragen. Bei Spürhunden der Zollfahndung können wir uns ja auch nicht erklären, wie die das machen, wenn sie jemanden aus der Masse herausziehen.

 Aber die Frage ist doch vielmehr, wofür können wir die Fähigkeiten der Tiere nutzen? Heute schon greifen wir ziemlich effizient ihr Wissen ab, um weltweit Katastrophen vorherzusagen. Die moderne Seismologie kann verlässlich erst wenige Sekunden vor dem Eintreten eines Erdbebens warnen. Tiere werden teilweise schon am Vorabend unruhig, bevor die Erde bebt.

Einfangen einer Giraffe

Wie fangen Sie diese Reaktionen ein?

Mit einer Art Fitnessarmband für Tiere. Diese Mini-Sensoren funktionieren wie ein GPS, erfassen die Körperbewegung, aus der wir Verhalten und Gesundheitszustand der Tiere ableiten, aber auch die Umgebungstemperatur und Luftfeuchte, bis hin zum Salzgehalt des Meeres. Und vor allem: Diese Daten erhalten wir in Echtzeit.

Moralisch gesehen hält Wikelski das Besendern für ethisch vertretbar:
Das Einzeltier wird kurz belastet, es wird damit aber auch geschützt.
Störche statten wir mit digitalen Ringen aus.
Eine ungewöhnlich große Verdichtung des Nimmersatt, beispielsweise in Äthiopien, könnte auf die nächste Population der Wanderheuschrecke hindeuten, bevor die Plage von den lokalen Bauern überhaupt erkannt wird.
Besenderte Fregattvögel, die ein seltsames Flugverhalten aufweisen, sind möglicherweise auf der Flucht vor einem heranziehenden Hurricane, was für internationale Wetterdienste eine wertvolle Information sein kann.
Das Flugmuster von Fledermäusen in Westafrika, kombiniert mit Blutproben, weist uns auf den Beginn einer neuen Ebola Epidemie hin. Schmetterlinge, die wir mit Microsendern bestücken geben Aufschluss über das Windverhalten und El Nino. Und wenn meine besenderten Ziegen am Ätna nervös werden, stehen neue Eruptionen an.

Vulkanausbruch und Ziege

Wikelskis ruhige Stimme wird fast ein wenig euphorisch:
Fast täglich werden wir mit neuen Dingen über diese Sender konfrontiert und lernen etwas, das wir bislang nicht gewusst haben.

Schon vor sieben Jahren verkündete die Max-Planck-Gesellschaft, dass die Tiere den Menschen über Vorgänge auf der Erde in einer nie dagewesenen Dimension informieren. Wissenschaftler sehen in den Sinnen der Tiere evolvierte intelligente Sensoren. Besonders faszinierend ist dabei die Vorstellung, welche Erkenntnisse die kollektive Intelligenz globaler Tierschwärme liefern könnten, wenn man sie mit Computersystemen vernetzt.

  • Vogelschwarm
  • Fischschwarm

PALMFLUGHUNDE BEUGEN VÖLKERWANDERUNG VOR

In der Tierwelt gibt es keine Irrtümer, die wie Fehlschaltungen zu Systemabstürzen führen. Die natürliche Intelligenz der Tiere entwickelte sich über Milliarden Jahre. Fehlerquellen hat die Evolution daher schon längst bereinigt. Deshalb sind algorithmische Systeme, die mit tierischer Intelligenz bespielt werden oft auch viel besser als reine künstliche Intelligenz.

Wie funktioniert Ihr Messsystem genau?

Wir lesen Tiere aus, die wiederum Informationen haben von ganz vielen kleineren Tieren, die wir gar nicht alle besendern können. Sie alle arbeiten für uns quasi als Ökosystem-Dienstleister. Da geht es zum Beispiel um Millionen von fruchtfressenden Palmflughunden (eidolon helvum), die sich jedes Jahr im Herbst im Kasanka-Nationalpark in Sambia treffen. Wir wissen nicht, woher sie kommen und wohin sie ziehen, aber sie gelten als die fleißigsten Gärtner Afrikas, weil sie in einer einzigen Nacht Millionen von Samen aus ihrem Gefieder verteilen und damit Bäume pflanzen.
Das ist in Konfliktzonen, wie im Südsahel von elementarer Bedeutung. Gibt es dort Bäume und Nahrungsquellen, dann gibt es weniger Konflikte, weniger Völkerwanderung etc.. Das zieht also einen ganzen Rattenschwanz an Konsequenzen hinter sich her und ihr Ausbleiben hätte ungeahnte Folgen für die Weltbevölkerung.
Die Palmflughunde übernehmen für uns also eine ganz wichtige Funktion. Der Mensch pflanzt Bäume längst nicht so effizient, wie die Tiere das können. Das wissen wir mittlerweile aus Studien. Mittlerweile nutzen wir auch verstärkt Kamerafallen, die mit Audio verbunden ganz neue Daten unserer mobilen Einheiten, sprich der Tiere, liefern.

4 Standorte auf der Weltkugel

Mehr als 25.000 Tiere liefern Daten ins All

Um die Daten der Tiere verlässlich aus jedem Winkel der Erde abzugreifen, ist eine Antenne im All unerlässlich. 2019 war durch die Zusammenarbeit mit der russischen Weltraumbehörde und der Installation dieser Antenne auf der internationalen Raumstation, dem größten künstlichen Satelliten im Erdorbit, das ICARUS Projekt auf dem nächsten Level angelangt. Mehr als 25.000 besenderte Tiere funkten ihre Signale ins All. Diese wurden von der Raumstation gebündelt und an die ICARUS Movebank übertragen. Doch der russische Einmarsch in die Ukraine beendete diese Kooperation jäh. Seitdem war Martin Wikelski und sein Team auf der Suche nach Lösungen.

Prof. Dr. Wikelski: Wir stiegen auf Kleinsatelliten um und das funktioniert. Anstelle einer 200 Kilo schweren Antenne haben wir ein System entwickelt, das in ein 10 x 10 Zentimeter großes Kästchen passt und damit in den modernen Micro-Satelliten Platz findet, die heute kaum größer sind als ein Aktenkoffer.  

Durch die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und den Seranis Satelliten sowie mit Elon Musks SpaceX und dem Münchner Raumfahrtunternehmen Talos, das sich auf IOT Wildlife Tracking spezialisiert hat, kann ICARUS wieder weltweit agieren und ist besser aufgestellt denn je.

Martin Wikelski ist sich sicher:
Nur so können wir verlässlich analysieren wie Biodiversität zusammenhängt und sich verbreitet. Mit Snapshot USA läuft eine Kooperation um internetbasierte Daten großer Tierherden in den USA zu sammeln und auszuwerten. Wir klicken uns verschiedene Informationspakete zusammen. Das können meine zehn Ziegen am Ätna, die Kühe vom Nachbarn und die Schlangen zwischen Catania und Messina sein. Diese ausgewählten mobilen Einheiten senden viertelstündlich an unsere Movebank.
In der Move App kann ich Daten unter bestimmten Gesichtspunkten filtern und wenn ein Schwellenwert erreicht ist, bekomme ich eine SMS aufs Handy. Dadurch, das wir das demokratisieren, ist das für die NASA mit ihrem Erdbeobachtungssystem EOS genauso interessant wie für die Weinbauern am Ätna, die ihre Reben auf den fruchtbaren Lavafeldern pflanzen.
Über die Animal Tracker App des Max-Planck-Instituts kann jeder von diesem globalen System profitieren.

Schmetterling

DAS INTERNET DER TIERE HAT VIEL POTENTIAL

Wir wissen seit Alexander von Humboldt das alles mit allem zusammenhängt. Dass der Flügelschlag eines Schmetterlings auf der anderen Seite des Planeten ein Erdbeben auslösen kann, so wie der sinnlose Ukraine-Krieg nicht nur ein Land zerstört, sondern auch Hungersnöte in Afrika verursacht. Was verstehen Sie in letzter Konsequenz unter dem Internet der Tiere?

Die Zusammenschaltung intelligenter tierischer Sensoren ist erst der Anfang. Die einzelne Information mag nicht so aussagekräftig sein, aber die Vernetzung aller verfügbaren Daten schafft ein präzises Vorhersagetool. Ich sehe das ähnlich wie bei Google Traffic. Die wirklich spannenden Erkenntnisse sind eigentlich die, die wir jetzt noch gar nicht erahnen können, weil die noch nicht in unserem Mindset sind.

Abgesehen von der Nutzung der Daten, um lineare Ereignisse auf unserem Erdball präzise vorherzusagen, weil wir das über Jahrmillionen gewachsene Wissen der Tiere nutzen, gepaart mit der Schwarmintelligenz und künstlicher Intelligenz, steuern wir nicht auf eine Revolution des Bio-Wissens zu?

Der Forscher zögert keine Sekunden:
Ich bringe da immer gerne das Beispiel vom Wachhund. Niemand würde ihm etwas tun, weil er ein Familienmitglied ist und eine bestimmte Rolle übernimmt, die sonst keiner übernehmen kann. So ist es mit den Wildtieren auch. Wir werden künftig noch stärker auf sie aufpassen müssen, wir werden lernen müssen, besser auf sie zu hören, weil wir auf sie angewiesen sind, um zu überleben.
Wir müssen Fragen an sie stellen, die wir bislang nicht zu fragen wagten. Das Internet der Tiere gibt uns konkret die Möglichkeit dazu. Permanent verlieren wir Biodiversität.

Schätzungsweise 130 Arten sterben täglich aus, bevor wir überhaupt verstehen, was sie uns sagen wollten.

Fotos: Fiona Wikelski, iStock, Unsplash /Aarn Giri, Peter Neumann, Pascal Van De Vendel, James Wainscoat

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