Eichhörnchen sitzt auf einem Geländer

TIERISCHE NACHBARN

Wildtiere waren meist vor uns da – bis wir Menschen sie verdrängten. Dabei nützen sie uns auch in den Städten. Welche Rolle spielen diese nicht domestizierten Nachbarn im Ökosystem City? Die Antwort gibt Animal-Aided Design.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Artenschutz in Ballungsräumen
  • Tierisch gute Stadtplanung
  • Neue Immobilienprojekte

Text Gerd Giesler

Dr. Wolfgang Weisser

Dr. Wolfgang Weisser ist Biologe und Professor für terrestrische Ökologie an der TUM, Dr.-Ing. Thomas E. Hauck Professor für Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung an der TU Wien, mit Dr. Susann Ahn. Zusammen sind sie Animal-Aided Design.

Täglich verschwinden mehr als 30 Arten von diesem Planeten. Biotop und Artenschutz sind unerlässlich, um Biodiversität und einen funktionalen Naturhaushalt zu gewährleisten. Dafür gibt es im Naturschutz strenge Regeln. Man sperrt Bundesstraßen für Krötenwanderungen, aber in den urbanen Habitaten fallen Wildtiere in der Stadt zumeist durchs Raster.

Wolfgang Weisser ist Biologe und Professor für terrestrische Ökologie an der TUM. Seit Jahren widmet er sich intensiv forschend dem Phänomen der systematischen Verdrängung von Tieren aus unseren Städten. Im Wesentlichen geht es ihm um die Bereiche, in denen wir keine Methoden haben, wie man in Ballungsräumen mit Tieren in der Stadt umgehen kann, außer durch Verbote.

Wenn überhaupt, wird der Artenschutz herbeizitiert, wenn man sich eine Handhabe gegen unliebsame Baumaßnahmen erhofft. So wurde das Vorkommen des geschützten Juchtenkäfers als Argument gegen den Bahnhof „Stuttgart 21“ angeführt und die Fledermausart Kleine Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros) sollte die Dresdner Elbbrücke verhindern.

Igel in der Stadt

TIERE FINDEN IM STÄDTEBAU NICHT STATT

„Wenn wir Naturerfahrung und Interaktion mit Tieren wollen, dann dort, wo wir wohnen, und nicht nur am Wochenende, wenn wir in den Nationalpark fahren!“ Mahnt Prof. Weisser. Doch als Vermittler zwischen Mensch und Tier kommt der Artenschutz in zersiedelten Gebieten nicht zum Einsatz. „Tiere finden im modernen Städtebau faktisch nicht statt“ lautet das Ergebnis seiner Analyse. Das liegt am tierfeindlichen Gestalten von Planern und Architekten. Tiere finden keine Brutplätze mehr. Wohin man blickt zugepflasterte Höfe und pflegeleichte Schotterplätze statt bunter Wiesen, Tujen-Hecken-Monotonie statt Beerenstrauch-Idylle.
„Wer da noch eine Amsel zwitschern hört, der darf sich bei seinem Nachbarn bedanken, der auf seinem Balkon die Voraussetzungen dafür schafft, dass die Vögel überhaupt noch kommen“. (Weisser) Denn das neugierige Herumhüpfen von Amsel, Drossel, Fink und Star wirkt sich wohltuend auf unser Empfinden aus. Genauso wie die im Kinderlied zitierten „alle meine Entchen“ auf dem Dorfteich. Zahlreiche Studien über den Einfluss von Tiererlebnissen auf die menschliche Gesundheit bestätigen das.

  • Sperling brütet in einer Häuserfassade
  • Vogel nistet unter einem Dach

DIE METHODE ANIMAL-AIDED DESIGN

2013 tat sich Weisser mit dem Landschaftsarchitekten und Professor für Freiraumplanung Thomas E. Hauck von der Universität Kassel zusammen, weil sie akuten Handlungsbedarf sahen. Das Stichwort heißt Animal-Aided Design, tierunterstütztes Entwerfen, kurz AAD genannt. „Im Kern ging es uns darum, eine Methodik zu entwickeln, Tiere nicht als lästige Zaungäste zu betrachten, sondern als gleichberechtigte Nutzer der Stadtkultur“, erklärt Wolfgang Weisser.

Auf EU-Ebene wird die Notwendigkeit, Ökosystemleistungen in urbane Planung zu integrieren als Schaffung grüner Infrastruktur bezeichnet, der die gleiche Notwendigkeit eingeräumt wird wie der Verkehrserschließung oder Versorgung mit Energie.

„Leider gibt es auf nationaler Ebene nach wie vor keine Verfahren um Tiere in Bauvorhaben quasi als Stakeholder mit einzubinden“, ergänzt Thomas E. Hauck.
„Bei Planern wie Landschaftsarchitekten gibt es noch viel Klärungs-und Aufholbedarf. Und wir versuchen diese Lücke mit der Methode Animal-Aided Design zu schließen.“

Animal-Aided Design Experiment auf einem Münchner Dach
Dachexperiment in München

WIE MENSCH UND TIER ZUSAMMEN LEBEN KÖNNEN

In einem wissenschaftlichen Projekt haben Hauck und Weisser zunächst geprüft, für welche Tierarten und in welchen Phasen der Bauplanung eine Anwendung von AAD in der Stadt erfolgversprechend sein kann. Sie sind sich einig: „Die Stadtplanung unter dem Siegel AAD muss den Lebenszyklus der Tiere mit einbinden, ansonsten funktioniert das nicht. Ein Nistkasten wird vom Spatz nicht angenommen, wenn er in der Nähe keine Nahrung findet, um seine Jungen aufzuziehen und der Igel benötigt Rasenflächen, um nach Regenwürmern zu suchen.“

Viele Wohnungsbauunternehmen nehmen Naturschutz durchaus wichtig, auch wenn sie nicht viel für Tiere tun und es noch Vorbehalte gibt, wie beispielsweise die Verschmutzung der Fassaden durch Vogelkot.
Um die Umsetzbarkeit von AAD in der Praxis zu überprüfen, haben die Wissenschaftler zunächst zehn reale Projekte von Wohnbaugesellschaften in ganz Deutschland untersucht.

Lebensraum für Wildtiere in der Stadt
Lebenszyklus der Tiere
Wildtiere in der Stadt

IGELSCHUBLADE UND SPECHTLATERNE

Mit der GEWOFAG kam es dann 2015 zu einem ersten Pilotprojekt: Brantstraße München-Laim, sozialer Wohnungsbau, ein Nachverdichtungsprojekt, stark besiedelt, wenig Platz und im Bau schon weit fortgeschritten.
„Dennoch war die GEWOFAG sehr kooperativ und hat uns erlaubt, kleinere Maßnahmen wie Fassadennisthöhlen, Igelschubladen, Spechtlaterne und Fledermauskästen sowie eine Flachdach-Begrünung umzusetzen“. Vom Kostenaufwand war das überschaubar.

„Ein Kinderspielplatz oder ein Tiefgaragenstellplatz sind teurer. Das Kostenintensivste ist die Planarbeit. AAD will alles bereit stellen, was eine Tierart braucht, also Nahrungsquelle, Paarungsplatz, Nistplatz, Überwinterungsmöglichkeit. Dafür haben wir Artenportraits angelegt, die wir immer weiter verfeinern. Bei bis zu 50 Nationalitäten, die in der Brantstraße zusammenleben, haben wir überhaupt keine ablehnende Haltung erfahren. Die Kinder wussten, dass wir öfter kontrollieren kommen. Unter den Erwachsenen gab es nur wenige, die uns bei den Lokalterminen irgendetwas zu gesichteten Tieren erzählen konnten“, fährt Weisser fort.
Mittels Voice-Rekorder und Ultraschall soll, unter Einhaltung des Datenschutzes der Mieter, die neu zugezogene Fauna erfasst und ausgewertet werden.

  • Dr. Wolfgang Weisser
    Dr. Wolfgang Weisser
  • Dr.-Ing. Thomas E. Hauck
    Dr.-Ing. Thomas E. Hauck

BRANTSTRASSE VON TIEREN GUT ANGENOMMEN

„Abgesehen davon, dass uns mitten im laufenden Projekt die Fördermittel vorübergehend gestrichen wurden, waren die wichtigsten Learnings Kommunikationsprobleme. Einmal tauchte urplötzlich ein Gärtner auf und mähte die Dachwiese, in die sich gerade eine Unzahl an Insekten eingenistet hatte, streichholzkurz ab, ein anderes Mal stellten wir fest, daß der Totholz-Baum, der unserer Spechtlaterne den für die Tiere so nötigen Schatten spendete, gefällt war.“ Dennoch war der Pilot ein voller Erfolg“, resümiert Weisser vorsichtig. „Auch wenn die wissenschaftliche Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist. Die Vogelnistplätze sind alle besetzt, nur der Igel schläft jedes Mal anderswo.“

Mittlerweile ist die Nachfrage nach AAD landesweit so groß, dass die beiden Wissenschaftler unter Leitung von Thomas E. Hauck in Berlin als Ausgründung das Studio Animal-Aided Design an den Start brachten, mit bereits 15 Projekten, vom sozialen Wohnungsbau bis zum Stadtquartier.

Mensch hält Igel in der Hand

KEIN GREENWASHING MIT ANIMAL-AIDED DESIGN

Im neuen Google Standort in München, dem ehemaligen Paketzustellamt, bemüht sich der Internet-Riese um Nachhaltigkeit. Fassadenlichtplaner arbeiten hier Hand in Hand mit den AAD Landschaftsarchitekten, auch wenn der Platz, Lebensräume für Vögel mit einzubeziehen, eher begrenzt ist.
„Wir wenden hier die Methode AAD in Planungsprojekten auf städtebaulicher Quartierebene und auf Objektebene, also bei einzelnen konkreten Gebäuden an“, erklärt Prof. Hauck. „Wir arbeiten dabei sowohl mit Kommunen und Entwicklungsgesellschaften zusammen, als auch mit Investoren.“
Egal ob Animal-Aided Design dazu dient das Image eines Investorenprojekts zu verbessern oder kommunale Naturschutzziele umzusetzen – das Ergebnis muss stimmen. Gerade bei der Kombination von Bauen und Ökologie sieht Hauck die Gefahr von Greenwashing, das mittels Zertifizierung zur Qualitätssicherung unterbunden werden soll.

Animal-Aided Design

20 ZIELARTEN AUS DEM POOL FÜR OBERBILLWERDER

Schauplatz Oberbillwerder im Osten von Hamburg. Auf rund 125 Hektar entstehen rund 7.000 Wohnungen, 2 Schulen, 14 Kitas, 11 Mobility Hubs mit zentralen Garagen und Einkaufsmöglichkeiten, aber auch 28 Hektar öffentliche Grün-und Freizeitflächen. Hauck:
„Wir haben gemeinsam mit den Behörden und der IBA Hamburg einen Maßnahmenkatalog entwickelt und aus dem regionalen Artenpool, der ca. 1.800 Arten umfasst, jene 20 Zielarten ausgewählt, die in den Parkanlagen, in den Wasserstraßen aber auch an den Gebäuden berücksichtigt werden sollen. Entscheidend bei solchen Projekten ist, wie man die Lebenszyklen der Tiere in der zur Verfügung stehenden Fläche umsetzt. Das läuft nur über Funktionspläne, an die sich die Investoren zu halten haben.“

Ein weiteres ehrgeiziges Immobilienprojekt mit Tierintegration plant das österreichische Handelsunternehmen Signa, zu dem auch die Karstadt Holding, Oberpollinger in München und das KdW gehören. In Berlin Charlottenburg an der Spree entsteht mit Glance ein nachhaltig ausgerichteter Bürokomplex, in dem die Planung mit Animal-Aided Design auf die Bedürfnisse der ansässigen Tierwelt Rücksicht nimmt. Ziel ist es, ein Ökosystem entstehen zu lassen, das organisch weiter wachsen kann.

Es wäre doch wünschenswert, wenn hier auch Hase und Igel eine Chance haben und das Zwitschern des Rotkehlchens Anwohner und Besucher erfreut.

„Das alles geht nicht von heute auf morgen“, resümiert Hauck. „Auch wenn wir mit Animal-Aided Design nicht die Biodiversitätskrise lösen können, so ist die Methode doch ein wichtiger Beitrag, um im urbanen Raum das Zusammenwirken von Natur und Tier zu fördern und so einen Artenreichtum zu erhalten.“

Vielleicht lässt sich sogar der Wiedehopf wieder ansiedeln. Der ist dem modernen Citizen nämlich kaum noch vertraut.

Fotos: Animal Aided Design, IBA Hamburg, Marco Einfeldt, Jan Piecha, iStock, Unsplash / Nicole Narvaeth

 

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