Großer Demonstrationszug von Klimaaktivisten.

„Klimaaktivisten sind die Popstars von heute“

Das Wort „Zeitzeuge“ findet Jim Rakete spröde. Aber er ist mit der Kamera seit 55 Jahren dabei: Als die 68er sich radikalisieren, als Portraitist von Polit-Größen und Dokumentarfilmer junger Klimaaktivisten. Wann ihn der Finger am Auslöser juckt, verrät er im Interview.

Interview Gerd Giesler

Schwarz-Weiß-Bild von Jim Rakete

Der Berliner Fotograf und Filmer Jim Rakete ist Nachkomme von Hugenotten. Für Talente aus Film und Musik bewies er wie für Zeitkritisches ein Händchen, z.B. „Wir sind viele“ über Menschen mit Behinderung oder „Now“ über Klimagerechtigkeit und die Generation Greta.

 

Als wir Jim Rakete um ein Interview bitten, kommt er gerade von einer Auftragsarbeit zurück. Er hat Vorstände fotografiert. Vorausgesetzt, das Thema gefällt, kann man ihn nämlich auch buchen. Das spült Geld in die Kasse und ermöglicht es ihm auch, nichtkommerzielle Projekte umzusetzen, auf die der 71-jährige nach wie vor neugierig ist, weil sie ihm am Herzen liegen und seinen ganzen Einsatz fordern.

„NOW“: SOLIDARISIERUNG OHNE ANBIEDERUNG

Das zeigt auch sein jüngstes Werk „Now – A Film for Climate Justice“, in dem er sein Kinoregie-Debut gibt. 2019 hatte die Anwältin und Drehbuchautorin Claudia Rinke nach einem Regieprofi für ihren Doku-Film gesucht und ihn in dem Veteran mit der Kamera auch gefunden. Alsbald, so erzählt Jim Rakete, fand er sich im Hier und Jetzt der ersten Demonstrationen von „Fridays for Future“ wieder. Und damit beginnt nun auch sein Werk „Now“.

Dieser Film ermöglicht auf seine frische, mitreißende Art Solidarisierung ohne Anbiederung. Damit er auch internationale Aufmerksamkeit erhält, läuft alles auf Englisch ab. Das Jahr 2019 wurde für die sechs jungen Klima-Talking Heads, die sich längst zu einer weltweiten Jugendbewegung formiert hatten, zum Jahr ihres Protests. Greta Thunberg brachte ihn lautstark skandierend auf den Punkt: „If you fail, we will never forgive you!“ Angesichts der zunehmenden Klimakatastrophen ist dieser Film aktueller denn je.
Und Jim Rakete hält die Kamera drauf, wie er das einst gelernt hat bei Rockstars von Hendrix bis Bowie.

Was war Ihr Ziel, als Sie diese Regiearbeit übernahmen?

„Betroffenheit ist es, was diese jungen Leute antreibt, weil sie sich einfach keine Zukunft auf diesem klimakrisen-gebeutelten Planeten mehr vorstellen können. Weil wir Ihnen die Zukunft stehlen.“

Die Chance, die Welt zu retten, hatte die Politik in den letzten 30 Jahren schlichtweg vertagt oder verschlafen. Es ist bis heute viel zu wenig passiert. Jim Raketes Meinung nach „müssen wir das Wort ‚Verzicht‘ wieder in den Mund nehmen“. Kein Erreichen der Klimaziele ohne Verzicht. Dabei geht es nicht nur um das eine Prozent, das durch weniger Flugbenzin eingespart werden könnte. Das Problem, das durch Co2 entsteht, ist deutlich größer, wie beispielsweise die Rodung des Regenwalds oder der Energieverbrauch der Server weltweit beweisen.

Doch vor dem „Now“ gab es in Jim Raketes Leben auch ein „Before“, über das wir ebenfalls mit ihm sprechen:

Warum sind Sie damals eigentlich Fotograf geworden?

Jim Rakete: „1967 war das wirklich eine Entscheidung, die Mut erforderte und von der mir jeder abriet. Ausschlaggebend war die 68er Bewegung und das, was sich im Film, in der Musik und in der Kunst abspielte. Meine Neugier war deutlich größer als meine Vernunft.“

FOTOS SIND LEBENSZEICHEN

Sie haben in mehr als einem halben Jahrhundert Personen, die für etwas ganz Besonderes stehen, nämlich Vertreter eines besonderen Lebensgefühls zu sein, fotografiert. Sei es die Protagonisten der aufkeimenden Studentenprotestbewegung der 68er, sei es die Dissidenten-Szene der Ex-DDR, sei es die Vertreter des Rock’n Roll, der Neuen Deutschen Welle, des internationalen Autorenfilm und zuletzt eben die jungen Aktivisten des Klimaschutzes. Steckt dahinter ein Muster oder Zufall? Sehen Sie sich als Zeitzeuge mit der Kamera?

„Es waren die Personen, die Geschichte und Kultur vorantrieben. Sie haben mich immer interessiert. Der Begriff ‚Zeitzeuge‘ fühlt sich etwas spröde an – war das nicht eine Art Hoffnung? Für mich sind Fotos Lebenszeichen und keine Grabsteine.
Ein Maler kann sich für sein Werk beliebig viel Zeit nehmen. Bei einer Fotografie stellen sich die Dinge anders dar. Ob es sich um eine dreißigstel oder tausendstel Sekunde handelt – das Foto ist sozusagen der Beweis dessen, was exakt in dieser Zeitspanne geschehen ist.“

  • Zwei jugendliche mit Mikro auf der Bühne.
  • Greta Greta Thunberg auf der Bühne vor großer Videoleinwand.

DIE KAMERA ALS MARYLIN’S BEST FRIEND

Was ist für Sie der richtige Augenblick, der Augenblick, in dem Ihr Finger den Auslöser betätigt?
„Ganz klar verdichtet die Fotografie einen Moment. Kein Bild sagt, was zur selben Zeit auf der Seite der Kamera geschah, kein Bild weiß, was zuvor oder danach passierte. Ein Foto ist ein Bruchteil und übrigens auch nur deshalb so wirksam. Im kollektiven Gedächtnis altern Filme oft schneller als Fotos. Gibt es den decisive Moment eigentlich wirklich? Ich fürchte, der ist eine Fiktion. Schick drei Fotografen zum selben Ereignis und du bekommst drei decisive Moments.“

Wie hätten Sie James Dean oder Marylin Monroe abgelichtet? Arbeitet nicht der Fotograf mit am Mythos der Stars, in dem seine Fotos sich unauslöschlich in unser Hirn einbrennen?
„Interessant, dass Sie ausgerechnet diese beiden Namen nennen. Dean hatte in seinen Anfängerjahren fast manisch seine Wirkung auf Kameras ausprobiert – übrigens meistens so, dass er sie ignorierte. Bei der Monroe war es genau umgekehrt – sie schien fast alles für die Kamera zu machen. Mich fasziniert, dass beide größeres Vertrauen in Kameras hatten, als in die Menschen, die sie umgaben.“

JIM RAKETE UND DIE WILDEN 68ER

Am Abend des 2.Juni 1967 gelang dem Pressefotografen Ludwig Binder die Aufnahme des durch eine Polizistenkugel schwerst verletzten Benno Ohnesorg. Wie erlebten Sie diese Situation damals als Jugendlicher und wie stehen Sie zu diesem Foto heute?
„Ich hatte zu der Zeit keinen Schimmer, dass Binder dieses Bild gemacht hatte. Ihn lernte ich erst einige Wochen später kennen, als ich mich bei ihm vorstellte. Denn eigentlich fotografierte er sehr viel Theater, Jazz, Filmschauspieler oder Konzerte. Jeden Nachmittag nach der Schule fuhr ich ins Fotoatelier in der Friedrichstraße und schnitt Negative in die Ordner, kochte Kaffee, holte Kohlen aus dem Keller.

Es war eine Frage der Zeit, dass ich dann auch mal Rockkonzerte für ihn fotografierte. Er war ein Workoholic, aber der Tag hatte ja nur 24 Stunden. Ganz klar war es dieses Bild, das die 68er Bewegung in Fahrt brachte (Anm. d. Red: es radikalisierte die Studentenbewegung, insbesondere die Journalistin Ulrike Meinhof und schuf den Brutkasten für den linksgerichteten Terror der RAF). Die Tatsache, dass ein Berliner Kriminalpolizist, ein Beamter, einen friedlich demonstrierenden Studenten von hinten erschossen hatte und dafür nicht einmal verurteilt wurde, schockierte jeden.

Übrigens spielten diese Aufnahmen auch im Prozess gegen den Schützen Karl-Heinz Kurras eine Rolle, weil der unzerschnittene Negativstreifen den zeitlichen Ablauf der Ereignisse zu rekonstruieren half.
Und ich? Ich machte mir eine mentale Notiz, was ein Bild zu bewegen vermochte. Sicherlich spielte das eine Rolle dabei, dass ich weiter knipste.“

DIE KREUZBERGER SZENE-SCHMIEDE

Wieso arbeiten Sie am liebsten analog und fotografieren Schwarz-weiß?
„Weil das die purste Form ist und weil sie ein Original hervorbringt: das Negativ.“

Wenn man an Nina Hagen denkt, sieht man das Plattencover des Debütalbums von 1977, eine schwarz-weiße Frontalaufnahme der jungen Nina, die Sie mit Wattebausch und Lasurfarbe rötlich eingefärbt haben. Was hatten Sie sich eigentlich dabei gedacht?
„Das Bild war als Demo gedacht. Mein Grafiker war auf Jamaica, also habe ich das selbst gemacht. Bei der Plattenfirma CBS sagten dann alle: das ist es, wir lassen es so. Ein paar Jahre lang war mir das peinlich, aber das ist nun 44 Jahre her. Übrigens war das die erste Fotosession, die ich in meinem noch völlig unfertigen Studio in Kreuzberg machte.“

ANTI-DDR: VON WOLF BIERMANN BIS NINA HAGEN

Wurde der Entschluss, junge Musiker wie Nina Hagen, Spliff oder die Ärzte als Manager und Promoter zu begleiten aus der Idee geboren, dass Sie mit der Kamera schon festhielten, wie die Musiker sich fühlten? Haben Sie das Image des New Wave durch Ihre Fotografie sogar mitgeprägt?
„Hm, nein. Ich wollte eher, dass sie ihre wohlverdiente Chance bekamen. Denn das war damals noch keine ausgemachte Sache, nicht einmal bei solch einem Phänomen wie der Nina Hagen Band. An jenem Tag, als wir bei CBS über das Cover entschieden, schrieb jeder von uns die Zahl auf einen Zettel, wie hoch er die Plattenverkäufe einschätzte. Die höchste Zahl war glaube ich zwanzigtausend. Und dann wurden es Millionen.

Natürlich spielten Images eine immense Rolle für alle Bands. Vom Plattencover bis zum Pressefoto. Wir haben eine ganze Szene gegründet durch die Tatsache, dass wir alles in meiner Fabriketage ausheckten.“

Kinoplakat eines Films von Jim Rakete

40 JAHRE MÄNNERFREUNDSCHAFT

Gibt es so etwas wie eine Konkurrenz um das bessere Foto? Ihr Kollege und Freund Peter Lindbergh war ja auch von der Schwarz-weiß-Fotografie besessen. 1988 hatte er Linda Evangelista, Christie Turlington und Tatjana Patiz in weiße Hemden gesteckt und herumalbernd am Strand von Santa Monica fotografiert.
Sie dagegen fotografierten Linda Evangelista ganz in Schwarz mit extrem ausdrucksstarkem Blick. Es scheint fast so, als rissen sich renommierte Fotografen wie Meisel, Teller und Lagerfeld um die Topmodels.

„Alle außer Peter vielleicht. Als ich ihn kennenlernte, drehte sich die Geschichte gerade um. Da wollten alle Models mit ihm arbeiten, weil er ein ungeheurer Trendsetter war. Die Mädchen in den weißen Shirts, das war die Truppe außergewöhnlicher Models, die er immer und immer wieder zur Model-Avantgarde definiert hatte (Anm. d. Red.: als „Super-Models“). Später haben wir mal einen Film in New York gemacht, bei dem sie alle mitspielten – ich habe tatsächlich eine Kamera gemacht, aber ich hätte auch Kaffee gekocht, oder sonst was, denn das war Peter. Einfach der Beste.“

ZWISCHEN FAKE UND WIRKLICHKEIT

Sie haben Politiker wie Gerhard Schröder mit Hund Holly beim Gassi gehen abgelichtet oder Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, den sie seit vielen Jahren gut kennen.
Letzterer hat über Sie einmal gesagt: „Jim Rakete ist kein Fotograf von Politikern aber ein sehr politischer Fotograf. Sehen Sie das auch so?

„Zu gerne würde ich jetzt höflich widersprechen. Kann ich aber leider nicht – ich bin wirklich engagiert.“

Und wie empfindet ein engagierter Fotograf wie Sie die Arbeit mit der Kamera heute? Finde Sie, dass Fotografie heute noch die Wahrheit abbildet?
„Da sprechen Sie wirklich ein dickes Problem an. Zwei Generationen Photoshop und schon traut man den Fotos die Wirklichkeit kaum noch zu.“

Politische Wirklichkeit abzubilden war Jim Rakete immer wichtig, das zieht sich wie ein Filmstreifen durch sein Leben. Und so wie er mit seinen Bildern einst Nina Hagen öffentlichkeitswirksam formte, versucht er heute den jungen Klimaaktivisten von „Now“ eine Stimme zu geben.

Für Rakete, der 1968 zur Zeit der Studentenunruhen die Schule schmiss, um Fotograf zu werden ist „Now“ mehr als politischer Ungehorsam. Es ist auch der ganz persönliche Versuch der Wiedergutmachung für das jahrelange, manchmal unnötige Hin-und-Herjetten von Kreuzberg nach L.A.

So schließt sich für ihn der Kreis. Der Student Benno Ohnesorg (welch ein Name im Sinne der Vorbestimmtheit) musste seinen Widerstand mit dem Leben bezahlen. Wenn wir nicht auf Greta Thunberg und ihre Mitstreiter hören, wird die Welt mit noch viel größeren Problemen als jenen, die wir bisher kennenlernen mussten, konfrontiert sein.
Ob man über diese dann noch Filme machen kann, ist fraglich.

Fotos: W-film / Starhaus Produktionen, Katrin Kutter

 

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