Salon mit Blick in die Privatbibliothek

KOSMOS DER MODEN: DIE VON PARISH KOSTÜMBIBLIOTHEK

Eine Spezialbibliothek nahe Schloss Nymphenburg sammelt Bilder der Moden aus allen Zeiten und Ländern. Thema ist die ganze Spanne der Bekleidung zwischen Zweck und Luxus.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Bekleidung
  • Kulturgeschichte
  • Jugendstilarchitektur

Text Esther Sophia Sünderhauf

Dr. Esther Sophia Sünderhauf

Dr. Esther Sophia Sünderhauf ist seit 2014 Leiterin der Von Parish Kostümbibliothek. Sie studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Klassische Archäologie in Berlin, Zürich und London und war u.a. Postdoc-Stipendiatin der Max-Planck-Gesellschaft an der Bibliotheca Hertziana in Rom und Referentin des Präsidenten am Deutschen Historischen Museum in Berlin.

DIE VON PARISH KOSTÜMBIBLIOTHEK

Unweit vom Schloss Nymphenburg befindet sich die Von Parish Kostümbibliothek, eine Außenstelle des Münchner Stadtmuseums. Von den wenigen Spezialbibliotheken zum Thema Kostümgeschichte, die es weltweit gibt, ist sie eine der bedeutendsten. Ihre Sammlungen erschließen auf anschauliche Weise die Bekleidung aller Epochen von der Steinzeit bis heute und nahezu aller Länder der Erde.
Interessierte können sich hier über Web- und Färbetechniken der Kelten ebenso informieren wie über die Gewänder der Inuit im 18. Jahrhundert, das Krönungsornat von Queen Victoria von 1838, einen Taucheranzug um 1900 oder Fußballshirts der 1930er Jahre und natürlich die neuesten Laufstegmodelle der Haute Couture-Schauen in Paris, Mailand oder New York. Ein Schatzhaus der Mode also und eine Enzyklopädie der Kulturgeschichte.

Fassade der Jugendstilvilla München
Fassade der 1901 errichteten Jugendstilvilla. Foto: Münchner Stadtmuseum, © Florian Holzherr

GROSSZAHLFORSCHUNG FÜR FRAGEN, DIE DAS INTERNET NICHT BEANTWORTEN KANN

Wer hierher kommt, hat oft ganz spezielle Fragen, etwa wenn Kostümbildner für Theater, Film und Fernsehen Details recherchieren müssen oder sich Designer für neue Kollektionen bei fernen Kulturen oder in früheren Epochen anregen lassen möchten. Häufig sind es Fragen, die das Internet nicht beantworten kann, gerade wenn es um Informationen aus authentischen historischen Quellen geht.

Auch um Entwicklungslinien der Kostümgeschichte oder den Einfluss ferner Kulturen auf die Mode Europas erkennen zu können, braucht es die Möglichkeit, Bilder ganz haptisch in Reihen zu legen und Vergleiche anzustellen oder einfach Zufallsfunde in den Tiefen des Bildarchivs, der sogen. Dokumentation, machen zu können.
Da hilft nur die „Grosszahlforschung“, wie die Stifterin der Kostümbibliothek, Hermine von Parish jun. (Rom 1907-1998 München), sie bezeichnete: 10.000 Bücher, 1.500 verschiedene Zeitschriftentitel in 2.000 Bänden und über 40.000 Einzelheften, 43.000 Grafiken und Handzeichnungen, 32.000 Fotografien und rund 1,5 Millionen Einzelblätter in der Dokumentation (Bildarchiv) – das sind die beeindruckenden Zahlen, welche die manische Sammelleidenschaft zum Ausdruck bringen, die die gleichnamigen Begründerinnen der Sammlung, Mutter und Tochter Hermine von Parish senior und junior, Zeit ihres Lebens antrieb.

Archivraum mit der Dokumentation Kostümbibliothek
Archivraum mit der Dokumentation, Foto: Münchner Stadtmuseum

FUNDGRUBE FÜR KOSTÜMBILDNER

Sie schufen in einem Jahrhundertwerk zwischen 1906 und 1998 eine Fundgrube für Kostümbildner, Designer, Kostümforscher, Kunsthistoriker oder Modejournalisten. Fast niemand geht hier wieder weg, ohne nicht begeistert und manchmal auch von der Fülle ‚erschlagen‘ zu sein. Der Bestand wird durch Ankäufe und Schenkungen weiter lebendig gehalten.

Die Geschichte, die hinter der Familie von Parish väterlicherseits und den Familien Marggraff und Spitzer mütterlicherseits steht, ist nicht minder spannend. Neigungen, Vorlieben und Interessen formieren sich meist in der Kindheit, geprägt durch Eltern und Großeltern. So auch hier. Hermine von Parish sen. fand als junges Mädchen auf dem Dachboden ihres Großvaters Rudolf Marggraff (Züllichau/Schlesien 1805-1880 Freiburg i.Br.) zwei Kammern voll mit Abbildungen zur Kostümgeschichte und sogen. Modekupfern.
Im Jahr 1840, als die Künstler Münchens einen Festzug zu Ehren Albrecht Dürers planten, baten sie ihn, den Kunsthistoriker und späteren Generalsekretär der Akademie der Bildenden Künste, die Bekleidung der Dürerzeit zu recherchieren. Das war die Initialzündung für die Begründung seiner Bildersammlung zur Kostümgeschichte, die Marggraff offenbar Zeit seines Lebens weiterverfolgte. Allerdings ging diese Sammlung fast komplett verloren.

Pierre Gatier, „Le Salon de M. Doucet“
Pierre Gatier, „Le Salon de M. Doucet“, Paris 1911, Radierung u. Aquatinta, erworben 2017 mit Hilfe der Von Parish Gesellschaft. Foto: Münchner Stadtmuseum

REICHTUM FÜR DIE MODE

Als Hermine sen. 1906 den reichen Edmund von Parish (Hamburg 1861-1916 München) heiratete, ermöglichte es ihr sein Geld, eine Sammlung wie die, die bei ihr als Kind einen solch bleibenden Eindruck hinterlassen und ihre Begeisterung für Mode entfacht hatte, durch Käufe in ganz Europa aufzubauen. Auf ihren zahlreichen Reisen, insbesondere in Frankreich, erwarb sie Modezeitschriften, Drucke und Zeichnungen und begann die Dokumentation anzulegen.

Der Reichtum der ursprünglich aus Schottland stammenden und im 18. Jahrhundert nach Hamburg eingewanderten Familie Parish, dem ein Großteil der Sammlung zu verdanken ist, stammte aus weltumspannenden Finanzgeschäften, welche die Parishs teils allein, teils zusammen mit den Bankhäusern Hope & Co, von Fries und Rothschild betrieben. Zu nennen sind hier vor allem die transatlantischen Beziehungen des Gründers der Hamburger Dynastie, des Kaufmanns John Parish (Leith/Schottland 1742-1829 Bath/England), Urgroßvater des Ehemannes von Hermine sen., und von dessen Sohn David Parish (Hamburg 1778-1826 Wien), der große Ländereien im Norden der USA besaß, wo der Ortsname Parishville noch an ihn erinnert.

Doch wie bei den Buddenbrooks währte auch in dieser Familie die Entwicklung von Aufstieg, Blüte und Verfall gerade einmal 150 Jahre. Bismarcks Diktum „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends.“ stimmt hier aber glücklicherweise nur zum Teil.

Hermine und Edmund von Parish
Hermine und Edmund von Parish, Studio Franz Grainer, München 1906. Foto: Münchner Stadtmuseum

DIE VON PARISH SCHULE FÜR FREIE UND ANGEWANDTE KUNST

Zwar war das große Vermögen zum Zeitpunkt des Todes von Edmund von Parish nahezu aufgebraucht, doch die in fünfter Generation geborene Hermine von Parish jun., die sich im Selbststudium die Kunst- und Kostümgeschichte aneignete, hat ihr Wissen in kulturelles Kapital zu verwandeln gewusst: Sie hat über Jahrzehnte die Sammlung weiter ausgebaut und die von Parish Schule für freie und angewandte Kunst in ihrem Haus in der Kemnatenstraße von 1946 bis 1973 betrieben.
Da sie keine Familie hatte, dieser Familienzweig somit ausstarb, hat sie ihre Sammlung samt Villa der Stadt München für das Münchner Stadtmuseum vermacht. Dies geschah bereits zu ihren Lebzeiten 1970. Sie wurde die erste Leiterin der Institution und konnte dank einer Leibrente, welche sie für ein benachbartes Gartengrundstück von der Stadt erhielt, die Sammlung im großen Stil und mit besonders kostbaren Stücken weiter ausbauen.

Doch nach ihrem Tod 1998 fiel die Institution in einen Dornröschenschlaf. Die Räume im Erdgeschoss blieben genau so, wie die Stifterin sie hinterlassen hatte und der Staub der Zeit setzte sich fest. Nur wenige Insider kannten die Kostümbibliothek, es gab keine nennenswerten Veranstaltungen und keine Publikationen. Eine Fehlentscheidung war der 2006 erfolgte Verkauf des zum Parish-Erbe gehörenden Nachbargrundstücks, womit der Platz für ein heute so notwendiges Speichermagazin vertan war. 2007 gab es sogar Überlegungen, die Jugendstilvilla zu verkaufen, was glücklicherweise noch verhindert werden konnte. Denn was diese Sammlung so besonders und im Vergleich zu den anderen Kostümbibliotheken sogar einmalig macht, ist der seltene Umstand, dass sie noch immer im ehemaligen Wohnhaus der Sammlerinnen verwahrt wird.

Hermine von Parish
Die 80-jährige Hermine von Parish junior an ihrem Schreibtisch, 1987. Foto: @Wolfgang Pulfer

In der 1901 von der Münchner Baufirma Gebrüder Rank für den Komponisten Friedrich Wilhelm von Schirach errichteten Jugendstilvilla haben sich im Erdgeschoss die Gesellschaftsräume mit kompletter Einrichtung der Familie von Parish erhalten, die das Haus 1916 erwarb, aber erst 1936 bezog.
Bei der Sanierung der Innenräume 2019-2021 durch das Baureferat der Stadt München und in der Restaurierung erfahrene Handwerksfirmen konnte die Raumkunst aus der Zeit des Jugendstils unter vielen Farbanstrichen und Tapeten wieder hervorgeholt werden. Bei Beginn der Maßnahme war nicht zu erahnen, was für ein Juwel des Münchner Jugendstils zum Vorschein kommen würde. Auch bei der Wiedereinrichtung wurde durch moderaten Verzicht auf so manchen weniger qualitätvollen Einrichtungsgegenstand und durch sinnfällige Ensemblebildungen das, was immer schon da war, erst so richtig erfahrbar und schätzbar gemacht. Das Ergebnis ist so überzeugend, dass das Haus alle, die hierherkommen, in seinen Bann zieht. Im März 2023 erhielt das Projekt den Denkmalspreis der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.

Diele nach der Sanierung

Diele nach der Sanierung. Foto: Münchner Stadtmuseum, © Florian Holzherr

Salon mit Blick in die Privatbibliothek

Salon mit Blick in die Privatbibliothek. Foto: Münchner Stadtmuseum, © Florian Holzherr

Speisezimmer nach der Sanierung

Speisezimmer nach der Sanierung. Foto: Münchner Stadtmuseum, © Florian Holzherr

Jeder, der die Sammlungen der Von Parish Kostümbibliothek sieht, begreift rasch, dass diese eigens der Geschichte der Bekleidung und der Mode gewidmete Institution nicht bloß eine hochspezialisierte Fachbibliothek ist, sondern vielmehr einen bedeutenden Teil unserer Kulturgeschichte abbildet, der uns alle betrifft: Es geht um unsere „zweite Haut“.
Die Aufgabe des Hauses ist es, weiter zu sammeln, um den Bestand aktuell zu halten, das materielle Erbe für zukünftige Generationen zu bewahren, zu erschließen und zu vermitteln.
Eine so kleine Institution wie die Von Parish Kostümbibliothek lebt durch den Austausch mit ihren Besuchern, Nutzern, Stiftern und Schenkern und anderen Institutionen. Sie sind herzlich eingeladen, zu uns zu kommen und sich selbst ein Bild zu machen.

Führungen zur Besichtigung der Räume können hier gebucht werden: muenchner-stadtmuseum.de

Wer unsere Arbeit als förderndes Mitglied der Von Parish Gesellschaft (Vorsitz: Susanne Hermanski) unterstützen möchte, kann sich hier informieren: von-parish.de

Fotos: Georg Seitz (Portrait Sünderhauf), Florian Holzherr, Wolfgang Pulfer, Münchner Stadtmuseum

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