Mit Design das Morgen gestalten
Von radikal über utopisch bis nachhaltig: Design besitzt für Maria Cristina Didero die Kraft, die Gesellschaft zum Positiven zu verändern. Als Kuratorin kreist sie um innovative Ideen.
Hier erfahren Sie mehr über
- Maria Cristina Didero
- Die Ausstellung „Ask Me If I Believe in The Future“
- Die Kraft von Design
Text Antoinette Schmelter-Kaiser
Maria Cristina Didero hat Geisteswissenschaften studiert und sich auf das Thema Design fokussiert. Mittlerweile ist die Italienerin als international gefragte Kuratorin von Ausstellungen und Projekten, Beraterin und Autorin tätig.
Seit Anfang 2020 hat die Corona-Pandemie das Leben rund um den Globus in seinen Grundfesten erschüttert. Die Auswirkungen des Klimawandels machen sich von Überschwemmungen über Hitzewellen bis zu verheerenden Stürmen immer drastischer bemerkbar. Der Ukraine-Krieg zwingt Millionen von Menschen dazu, aus ihrer Heimat zu flüchten. Auf die Frage, ob sie an die Zukunft glauben, antwortet das venezianische Designstudio Zaven dennoch mit der Gegenfrage „Warum nicht?“
Für Maria Cristina Didero, die selbst in Bologna geboren wurde, in Rimini aufwuchs und heute in Mailand lebt, beschreibt das eine Denkweise, die ihrer Ansicht nach typisch italienisch ist:
„Wir sind von Natur aus optimistisch und neigen nicht dazu, uns ständig Sorgen zu machen“.
Zukunftsvisionen als Installation
In der neuesten von ihr kuratierten Ausstellung namens „Ask Me If I Believe in The Future“, die vom 1. Juli bis 23. Oktober 2022 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe http://www.mkg-hamburg.de zu sehen ist, gibt sie Zaven Gelegenheit, gestalterische Zukunftsvisionen und -Erwartungen in Form einer Installation zu zeigen: einer Lampe, die Licht ins Dunkel bringt; Gefäßen, um Speisen und Getränke aufzubewahren; einem Mantel, der wärmt und schützt; einem Stuhl zum Sitzen und Ausruhen – archetypischen Objekte, die auch in der Zukunft essentiell wichtig sein werden und in Zusammenarbeit mit lokalen Experten entstanden sind.
Denn für Zaven sind Kooperation und inspirierender Wissenstransfer Leitmotiv ihrer Arbeitsweise.
Eine Frage, verschiedene Antworten
Weil Maria Cristina Didero unterschiedliche und idealerweise „gegensätzliche“ Standpunkte interessieren, hat sie drei weitere Teilnehmer aus anderen Ländern und mit eigenen Ansätzen eingeladen:
„Mit zwei davon habe ich bereits zusammengearbeitet, ein weiterer ist mir im Vorfeld aufgefallen“, begründet sie ihre Auswahl. „Mit allen habe ich ein Brainstorming gemacht und Ideen diskutiert. Die finale Umsetzung wurde aber nicht von mir beeinflusst. Insofern hatte jeder Carte Blanche, um sich zu verwirklichen.“
Mit den „ganz verschiedenen Antworten“ auf ihre theoretische Fragestellung ist Maria Cristina Didero „sehr glücklich“. Der gemeinsame Tenor sei noch mehr als von ihr erwartet „total positiv“.
Einheit von Mensch, Tier und Natur
Das griechische, multidisziplinäre Designstudio Objects of Common Interest thematisiert das Bedürfnis nach Nähe und Gemeinschaft mit aufblasbaren Objekten, mit denen Besucher interagieren und den Raum erfahren können.
Der israelische Designer Erez Nevi Pana erforscht durch die Erkundung von Materialien Naturphänomene und Umweltprozesse. In der Hamburger Ausstellung lädt er dazu ein, die Erde wie ein Astronaut aus der Distanz zu sehen und sie als einen Ort zu begreifen, auf den man immer zurückkehren und dort die Einheit von Mensch, Tier und Natur erleben kann.
Die Deutsche Carolien Niebling beschäftigt sich als „Food Futurist“ mit Lebensmitteln, die wie Algen noch nicht auf unserem Speiseplan stehen. In Form von Makrofotografien, die auf Textil gedruckt sind, oder als Reliefs werden diese ästhetisch ansprechend auf Keramiktellern präsentiert.
Ein optimistischer Wunsch für alle
Noch weiter geht Maria Cristina Didero als kuratorische Leiterin der Messe Design Miami/Basel 2022, die zwischen Mitte Juni und Anfang Dezember in drei Ausgaben je fünf Tage lang in Basel, Paris und Miami stattfindet. Als roten Faden hat sie „The Golden Age“ im Sinne eines „utopischen Paradieses“ und „Gegenentwurfs zur Realität“ gewählt, „die wir in absehbarer Zeit erreichen wollen und auf die wir hinarbeiten sollten.
Das ‚Goldene Zeitalter‘ ist ein Ausdruck unserer kollektiven inneren Kraft, eine Erinnerung daran, unseren Verstand zu nutzen, um Schwierigkeiten zu überwinden und ein neues Gefühl der Harmonie zu erleben, mit mehr Respekt für die Menschen und unseren Planeten. Es ist ein optimistischer Wunsch für alle.“
Um die Welt zu verbessern, muss nach Ansicht von Maria Cristina Didero „jeder etwas tun– egal ob Wissenschaft, Technik oder kreative Kräfte wie Designer“.
Begegnung mit den Menschen hinter den Objekten
Zu diesem Credo passt, dass sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, Anfang Juni im Begleitprogramm des diesjährigen Salone del Mobile in Mailand einen heterogenen Mix an Gästen mit unterschiedlichen Hintergründen bei einem inspirierenden Talk zusammenzubringen. Beim Ermöglichen von Begegnungen ist Maria Cristina Didero in ihrem Element. Denn an Design interessieren sie weniger die finalen Objekte als die Menschen, die sie entwerfen und anfertigen. Deren Antrieb, Arbeitsprozess und Geisteshaltung möchte sie erforschen, statt an der Oberfläche der Dinge zu bleiben.
Ihr Faible für gründliche Recherchen entwickelte Didero schon während ihres geisteswissenschaftlichen Studiums an der Universität Bologna. Durch ihre Arbeit für das renommierte Vitra Design Museum erschloss sie sich ein neues Wissensgebiet, das sie mit jeder neuen Entdeckung und mit jedem neuem Projekt mehr faszinierte.
Steile Karriere als Quereinsteigerin
Bis heute hat die Quereinsteigerin eine steile Karriere gemacht: Weltweit konnte sie mit einem untrüglichen Gespür für Innovation wichtige Ausstellungen für Museen, Institutionen und Unternehmen kuratieren. 2017 schrieb sie ein Buch und drehte einen Dokumentarfilm über das italienische „Radical Design“, eine einflussreiche Avantgardebewegung in den 1960er und 1970er Jahren.
Von 2018 bis 2020 war sie die Editor at Large des ICON Design Magazins. 2022 gipfelt ihre Multitasking-Herausforderung mit den parallelen Vorbereitungen der Ausstellung in Hamburg, des Talks in Mailand und des „The Golden Age“-Schwerpunkts für die Messen Design Miami/Basel 2022. Dazu addiert sich ihre Aufgabe als Mutter von Zwillingsmädchen, die im Sommer 2021 zur Welt kamen.
Ungebremster Elan trotz Schlafdefizit
„Momentan durchlebe ich Schlafentzug“, räumt Maria Cristina Didero ein. In ihrem Elan kann sie das aber nicht bremsen. Als Antriebsmotor dient ihr die Überzeugung, dass Design „die Kraft hat, die Gesellschaft zum Positiven zu verändern. Es kann Pläne und Projekte für das machen, was später passiert. Wir müssen nicht darüber nachdenken, welche die Zukunft des Designs sein wird, sondern darüber, wie wir unsere Zukunft gestalten können.“
Fotos: Luke Evans, Stefano Ferroni, Dor Kedmi, Mathijs Labadie, Objects of Common Interest