Spielkarte Herz Dame

KREATIVE LÖSUNGEN MIT HERZ

Die „kluge Bauerntochter“ macht es uns vor: Für jede an sie gestellte Anforderung hat sie eine überraschende Lösung parat. Aus dem Märchen können wir lernen!

Hier erfahren Sie mehr über

  • Klugheit, die von Herzen kommt
  • In der Not geborene Kreativität
  • Zu erweichende Königsherzen

Text Irmela Neu

Schwarz-Weiß-Bild von Prof. Dr. Irmela Neu.

Prof. Dr. Irmela Neu lehrt Interkulturelle Kommu­nikation in Spanien und Lateinamerika an der Hochschule München für angewandte Wissenschaften (HM), gibt Seminare zur empathischen Kommu­nikation und ist Autorin.

Ein Herzenswunsch geht in Erfüllung

„Es war einmal,“ so beginnt das Märchen erwartungsgemäß, „ein armer Bauer, der hatte kein Land, nur eine Tochter“… und was für eine kluge Tochter, wie sich noch zeigen wird. „Wir sollten den Herrn König um ein Stückchen Rodland bitten“, schlägt sie eines Tages vor. Tatsächlich geht der König darauf ein und sie bekommen das Stück Ackerland.

Raus aus der Armut dank des Anbaus von Lebensmitteln!

„Rodland“ ist eine landwirtschaftliche Nutzfläche; es geht also nicht um Besitzvermehrung im abstrakten Sinn zur Vermehrung des Habenwollens oder gar um „Spekulation mit Land“, sondern um eine Verbesserung ihrer Ernährung.

So einfach ist und war das aber ganz und gar nicht. Nicht nur in der vorindustriellen Anbaukultur brauchte und brauchten die Bauern Wissen, Erfahrung und Tatkraft. Es galt, den Rhythmus der Gezeiten zu beachten, die Abfolge von Pflügen, Säen, Pflegen der Pflanzen und Ernte zu kennen – doch trotz allem Wissen kann es sein, dass eine Naturgewalt die ganze Arbeit wieder zunichte macht.

Der technische Begriff „landwirtschaftliche Nutzfläche“ verbirgt, wie viel Hingabe, Arbeit und Geduld nötig sind, der Erde ihre Schätze zu entlocken. Das geht überhaupt nur mit viel Verbundenheit aus dem Herzen zu „Mutter Erde“, wie die indigenen Kulturen noch heute sagen. Der König hat ihnen also so nebenbei und vielleicht aus einer Laune heraus, aber gewiss in Unkenntnis des Wertes für seine Untertanen, einen Herzenswunsch erfüllt.

Die Schattenseite der Schenkung

Der Bauer und seine Tochter machten sich also frohgemut an die Arbeit, die Erde der geschenkten Ackerfläche umzupflügen. Da entdeckten sie etwas, was ihr Leben von Grund auf verändern sollte: einen Mörser aus purem Gold.

„Hör“, sagte der Vater zu seiner Tochter, „weil unser Herr König so gnädig gewesen ist, so müssen wir ihm den Mörser dafür geben.“ Aus Ehrlichkeit, Ehr- und Gerechtigkeitsgefühl wollte er ihm den sehr wertvollen Fund überbringen. Seine Tochter riet ihm inständig davon ab. Sie hatte so eine Vorahnung, ja sogar Gewissheit. Sicher besaß sie eine besondere Gabe.

War es eine Intuition? Oder eine ungewöhnlich klare Sehergabe? Schwer zu beantworten. Doch, was sie ihrem Vater sagte, ist im Märchen verbürgt. Sie ahnte, ja wusste, um die Verbindung von Macht, Reichtum, Gier und Unterdrückung der Untertanen. Am Hof würde mitnichten die Ehrlichkeit belohnt werden, ganz im Gegenteil. „Vater, wenn wir den Mörser haben und haben den Stösel nicht, dann müssen wir auch den Stösel herbeischaffen, darum schweig liebe still.“

Ihr Einwand nutzte nichts. Ihr Vater nahm den Mörser, ging zum König und bat untertänigst „ob er ihn als eine Verehrung annehmen wollte.“ Das Schicksal nahm seinen verhängnisvollen Lauf.

Frau verhüllt ihr Gesicht mit einem floralen Schleier

Die Strafe des Königs

Natürlich hatte die Tochter recht – genau so kam es. Seine Ehrlichkeit wurde nicht nur nicht gesehen, sondern bestraft. Der König wollte nämlich sofort vom gutgläubigen Bauern wissen, wo denn bitteschön der Stösel sei? Die Beteuerung, diesen hätten sie nicht gefunden, nutzte ihm gar nichts. Er wurde ins Gefängnis gesteckt und sollte darin so lange bei karger Mahlzeit von Brot und Wasser bleiben, bis der Stösel gefunden sei.

Unser armer Bauer ließ dort seinem Kummer freien Lauf und schrie eins ums andere Mal: „Ach, hätt ich auf meine Tochter gehört!“ Damit erregte er die Aufmerksamkeit und Neugierde am Hof. Der König wollte wissen, was es denn mit der dauernden Anrufung seiner Tochter auf sich hätte. Daraufhin teilte ihm der Bauer mit, was seine Tochter ihm mit welchen Worten geraten hatte.

„Habt ihr eine so kluge Tochter, so lasst sie einmal herkommen“, befahl er schließlich.

Das Blatt wendet sich – die Erfüllung der Rätselaufgabe

Ja, sie kam zum König. Dieser wollte ihre Klugheit einem Test unterziehen und dachte sich für sie ein vertracktes Rätsel aus. Sollte sie es lösen können, würde er nicht nur anordnen, ihren Vater aus dem Gefängnis zu entlassen, mehr noch: er würde sie auf der Stelle heiraten.

Beim Lesen der Aufgabe kommt sicher auch beim heutigen Leser Ratlosigkeit auf:
„Komm zu mir, nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, dann heirate ich dich.“
Die Lösung der klugen Bauerntochter ist so kreativ und ungewöhnlich, dass sie insgesamt zitiert sei:
„Da ging sie hin, zog sich aus splitternackend, da war sie nicht gekleidet, und nahm ein großes Fischgarn, und setze sich hinein und wickelte es ganz um sich herum, da war sie nicht nackend; und borgte einen Esel fürs Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, darin er sie fortschleppen musste und war das nicht geritten und nicht gefahren; der Esel musste sie aber in der Fahrgleise schleppen, so dass sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und das war nicht in dem Weg und nicht außer dem Wege.“
Ja, sie hatte die Aufgabe mit Bravour gelöst. Der Vater kam aus dem Gefängnis frei, sie heirateten, und ab sofort war sie die Frau Königin, Gemahlin des Königs, mit Verfügungsgewalt über seine Güter.

Der Ausgang eines Rechtsstreites

Nach ihrer Hochzeit lebten sie viele Jahre ohne weitere Vorkommnisse zusammen. Naja, vielleicht weniger zusammen als vielmehr nebeneinanderher. Dafür gibt das nachfolgende bedeutsame Ereignis ein handfestes Indiz. Doch eins ums andere. Zunächst wurde ihre Klugheit ein weiteres Mal auf die Probe gestellt.

Eines Tages fuhren Holzverkäufer vor dem Schloss vor; die einen taten das mit Karren, vor denen Ochsen gespannt waren, bei den anderen waren es Pferde. Da trug es sich zu, dass beim Pferdegespann ein Fohlen zur Welt kam, dass jedoch gleich zu den Ochsen lief und bei ihnen blieb. Es entbrannte ein Streit zwischen den Besitzern der Ochsenkarren einerseits und denen der Pferdekarren andererseits. Beide behaupteten, das neugeborene Fohlen sei rechtmäßig ihres.

Der Streit kam vor den König. Der verfügte, das Fohlen solle denen gehören, bei dem es Zuflucht gefunden habe. Das seien nun mal die Besitzer der Ochsenkarren. Basta. Da half kein Lamentieren von Seiten der Pferdehalter. In ihrer Not kamen sie auf einen anderen Gedanken. Sie hatten von der Klugheit der Königin gehört und hofften auf einen rettenden Rat. Den gewährte sie ihnen tatsächlich.

Dame und König auf einem Schachbrett

Die List der Königin

Ihr Rat bestand in der Ausübung einer List, die der Pferdehalter auch ausführte. Er solle die Urheberin nicht verraten, was er hoch und heilig versprach. Also: Als der König auf seiner allmorgendlichen Wachparade ausritt, stand der Bauer mitten auf dem Weg des Königs, und zwar mit einem Fischernetz. Er tat so, als würde er fischen und das Netz immer wieder ausleeren.

Was der närrische Mann da täte, wollte der König wissen und schickte einen Läufer zu ihm. „Ich fische“, bekam er zur Antwort. Natürlich wollte der Läufer wissen, „wie er denn fischen könne, es wäre ja kein Wasser da“.

Da gab der Pferdehalter – dem Rat der Königin gemäß – folgende denkwürdige Antwort: „So gut als zwei Ochsen können ein Füllen kriegen, so gut kann ich auch auf dem trockenen Platz fischen.“

Natürlich erregte diese kluge Antwort des armen Pferdehalters den Argwohn des Königs. Da er sein Geheimnis nicht preisgeben wollte, ließ er ihn auspeitschen. Der Geschundene gestand schließlich, er habe die List von der Frau Königin.

Die Bestrafung der klugen List der Königin

Der König war außer sich vor Wut, ließ seine Frau kommen und befahl: „Warum bist du so falsch zu mir, ich will dich nicht mehr zur Gemahlin. Geh wieder hin, woher du gekommen bist, in dein Bauernhäuschen.“

Viele Jahre Ehe – wie weggewischt! Da war er wieder, der König mit dem kalten Herzen, Repräsentant seines Standes und des Hofes, Herrscher über Recht und Unrecht, dem die kluge Bauerntochter einst zu Recht misstraute. Sein Status, die Etikette waren ihm wichtiger als seine Frau. Hiermit erhärtet sich das, was zunächst nur ein Verdacht war: Sie lebten, wie schon gesagt, bislang eher nebeneinanderher als miteinander. Wie sonst hätte er seine Frau mit einem Wimpernschlag dahin zurückschicken können, von wo sie herkam?

Die Königin also wieder Bauerntochter – oder? Wofür ist sie denn klug, wenn sie sich nicht einmal selbst retten kann?

Der Abschied vom König und ihre List

Ihre Klugheit ist also erneut gefragt. Sie wird wieder in ungewöhnlicher Weise aktiv. Tatsächlich geht sie in ihr altes Bauernhäuschen zurück … doch nicht alleine! Wie das? Durch eine List.

Sie wollte sich zum Abschied „das Liebste und Beste mitnehmen, was sie wüsste“. Er gewährte ihr diesen allerletzten Wunsch. Sie schickte sich an, Abschied zu nehmen. „Ja, lieber Mann, wenn du’s befiehlst, will ich es auch tun, sagte sie und fiel über ihn her und küsste ihn“. Raten Sie an dieser Stelle, worin ihre List bestand. War sie nur berechnend?

Sie lässt einen starken Schlaftrunk zubereiten, um mit ihm einen Abschiedstrunk zu zelebrieren. Der König trinkt ihn ganz aus, sie nippt nur daran. Er verfällt wie gewünscht in einen komatösen Schlaf. Mit Hilfe eines Bediensteten wickelt sie ihn in ein großes Tuch ein und lässt ihn in ihr Bauernhäuschen verfrachten. Dort schläft der König „Tag und Nacht in einem fort.“ Sie sind im alten Bauernhäuschen – zu zweit.

Zwei goldene Hände halten ein goldenes Herz

Wahre Liebe setzt sich durch

Als der König schließlich aufwachte und sich umsah, war er zutiefst erschrocken und rief nach einem Bediensteten. Niemand kam. Aufgebracht wollte er wissen, wo er denn sei? Nach einer Weile kam seine Frau ans Bett und sagte: „Lieber Herr König, Ihr habt mir befohlen, ich sollte das Liebste und Beste aus dem Schloss mitnehmen, nun hab ich nichts Besseres und Lieberes als Euch, da hab ich Euch mitgenommen.“

Die aus Liebe begangene List wirkte; es war mehr als eine List, es war ein Liebesbeweis! Der König weg von seiner gewohnten Umgebung seines Hofstaates, allein. Wohl zum ersten Mal in seiner Umgebung auf sich geworfen. Da nahm er die kluge Bauerntocher plötzlich nach seinem Erwachen aus dem Tiefschlaf als einen Menschen wahr – genauer, als seine ihm schon lange angetraute Ehefrau.

„Dem König stiegen die Tränen in die Augen“. Er war also zu Tränen gerührt, und das sicher zum ersten Mal in seinem von Etiketten eingeschnürten Leben. Sein Herz sprach aus ihm, als er zu seiner Frau sagte: „Liebe Frau, du sollst mein sein und ich dein.“ Er nahm sie wieder aufs königliche Schloss, wo sie erneut heirateten. Nun war es eine wahre Heirat in Liebe – eine Herzensheirat. Welch schöner Neustart!

Die Klugheit der Bauerntochter und Königin

Es lohnt sich, die Facetten dieser weiblichen Klugheit näher zu beleuchten.

Für jede der sie herausfordernden Situationen hat sie die entsprechende Lösung parat. Zunächst warnt sie hellsehend ihren Vater vor der Kaltherzigkeit des Königs, auch wenn er ihnen das Landstück überlassen hat. Dann löst sie das Prüfungsrätsel souverän. Schließlich verhilft sie dem armen Pferdehalter zu seinem Recht. Zu guter Letzt weiß sie das Herz des Königs in ein liebendes zu verwandeln. Sie hat sein Herz mit ihrer Liebe geöffnet.

Ist es Intuition? Hellsichtigkeit? Kombinationsgabe? Intelligenz? Schlauheit? Verbundenheit in Liebe? Wohl eine Mischung aus allem. So kann nur ein Mensch sein, der ganz in Harmonie mit sich und seiner Umgebung aus einem warmen Herzen heraus lebt. Dies setzt eine Kreativität frei, die es erlaubt, dass sich aus dem Reich der Möglichkeiten das jeweils Passende manifestiert.

Die kluge Bauerntochter macht es uns vor. Das Leben aus dem Herzen ist Humus für Kreativität. Sie wächst und blüht, wenn wir sie nähren.

Fotos: iStock, Unsplash / Mimipic Photography, Shirly Niv Marton, Marek Studzinski

 

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