KUNKELS KÜNSTLERREISEN II: HENRI MATISSE

In der zweiten Folge der Reihe „Kunkels Künstlerreisen“ begleiten wir den Grafiker, Zeichner, Maler und Bildhauer Henri Matisse, der zu den Schlüsselfiguren der Moderne zählt, obwohl er zu Beginn seiner Laufbahn als enfant terrible galt.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Die Suche nach Harmonie
  • Fauvismus
  • Atelier Côte d‘Azur

Text: Dr. Alexander Kunkel

Dr. Alexander Kunkel

Dr. Alexander Kunkel studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Literatur an der LMU München. 2012 gründete er den Kunsthandel KUNKEL FINE ART mit Schwerpunkt auf Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen des 19. bis 20. Jahrhunderts. Seit 2016 ist er Geschäftsführer der HIGHLIGHTS – Internationale Kunstmesse München.

Henri Matisse (1869-1954), Fille Assise, 1947
Henri Matisse (1869-1954), Fille Assise, 1947

Henri Matisse: Protagonist der Moderne

Wie kaum ein anderer Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht Matisse für die Idee, das Wesen der Kunst durch die Mittel von Harmonie und Ästhetik zur Anschauung zu bringen. Die in seinem südfranzösischen Atelier entstandene Zeichnung Fille Assise ist hierfür ein charakteristisches Beispiel.
Aber beginnen wir in Paris, im Herbst 1905: eine Gruppe junger Maler sorgt mit stark buntfarbigen Gemälden auf dem Salon d’Automne für Aufsehen.
Ihr radikal mit der Tradition brechendes Kunstverständnis löst bei den meisten Besuchern Unverständnis, ja Empörung aus. Die Kritik bezeichnet sie gar als „wilde Tiere“, wodurch der Skandal perfekt ist. Der Fauvismus ist geboren und damit eine der wegweisenden Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der Bewegung steht Henri Matisse. Mehr noch als seine Mitstreiter André Derain und Maurice Vlaminck wird er die Entwicklung der modernen Kunst prägen.

Henri Matisse, La Danse, 1909, Eremitage St. Petersburg
Henri Matisse, La Danse, 1909, Eremitage St. Petersburg

Im Licht des Südens

Wenige Jahre später bricht der Erste Weltkrieg aus. Er lähmt nicht nur das Pariser Kunstleben, sondern wirkt sich auch bedrohlich auf Matisse und seine Familie aus. Die Suche nach einem Gegen- und Ruhepol führt ihn, den gesundheitlich angeschlagenen Künstler, wie so viele andere vor und nach ihm an die Côte d’Azur, wo er ab 1916 vorwiegend leben wird. Inspiriert von der mediterranen Schönheit sowie dem Licht des Südens gewinnt die kontemplative, nach Harmonie strebende Seite seiner Kunst an Bedeutung. Dies schlägt sich in einer veränderten Malweise sowie der Konzentration auf bestimmte Motivgruppen nieder: immer mehr bevorzugt Matisse Stillleben, Interieurs und Figurenstücke. Das Sujet der Frau im Atelier vereint all jene Elemente in sich. Es wird zum Markenzeichen des reifen Matisse.

Henri Matisse, La Table Noire, 1919, Privatsammlung
Henri Matisse, La Table Noire, 1919, Privatsammlung

Das Atelier als Ausdruck der eigenen Kunst

Auch an der Côte d’Azur zieht Matisse aufgrund von persönlichen wie zeitgeschichtlichen Umständen noch mehrere Male um. Ein Moment der Kontinuität ist für ihn die Gestaltung seines Ateliers. Auf Reisen erwirbt der passionierte Sammler kostbare kunstgewerbliche Gegenstände wie orientalische Kacheln, Textilien und Möbelstücke, die er in seinem heimischen Umfeld zu malerisch-dekorativen Ensembles arrangiert. Für Matisse sind sie ein ständiger Quell der Inspiration, Spiegel der eigenen Persönlichkeit sowie Ausdruck seines Strebens nach Kunst.

Henri Cartier-Bresson, Henri Matisse in seinem Atelier in Vence, 1951

Vom Interieur zum Bild

Ein typisches Beispiel für Matisses Schaffen ist in diesem Zusammenhang eine in Vence bei Nizza entstandene Werkgruppe aus dem Jahr 1947, die in dem Gemälde Jeune Fille en Vert dans un Intérieur Rouge kulminiert. Da der Künstler krankheitsbedingt die meiste Zeit das Haus nicht verlassen konnte, arbeitete er noch intensiver als zuvor mit den Objekten in seinem Atelier. Er komponierte sie zusammen mit exotischen Früchten oder üppigen Pflanzen, die er im Inneren als Ersatz für seinen mediterranen Garten kultivierte. Die durch das Fenster sichtbaren Palmen, der elegant geschwungene Tisch, der großblättrige dunkle Farn und selbst dessen gepunkteter Übertopf sind konstante Elemente der Serie.

Henri Matisse, Jeune Fille en Vert dans un Intérieur Rouge, 1947, Hiroshima Museum of Art
Henri Matisse, Jeune Fille en Vert dans un Intérieur Rouge, 1947, Hiroshima Museum of Art

Zeichnung und Gemälde

Typisch für Matisses Arbeitsweise ist die Vorbereitung des Gemäldes durch das Medium der Zeichnung. Die mit Bleistift bzw. Tusche ausgeführten Werke stehen autonom neben dem Ölbild, was sich sowohl auf den Grad der Ausführung als auch die Tatsache zurückführen lässt, dass der Künstler sie signiert und datiert hat.

Henri Matisse, Fille assise à table, 1947, Privatsammlung
Henri Matisse, Fille assise à table, 1947, Privatsammlung

In unserer Zeichnung verbindet Matisse in virtuos geschwungenen Bleistiftlinien die Bildelemente zu einer harmonischen Komposition. Damit erzeugt er eine Bildtiefe und Perspektive, die in dem späteren Gemälde fehlt. Einerseits reflektiert Fille assise à table die auf den Innenraum limitierten Lebens- und Arbeitsbedingungen des Künstlers, andererseits sprüht die lebendige Komposition aus Stillleben, Interieur sowie Fensterausblick vor élan vital. Dass Matisse diese Serie besonders am Herzen lag, veranschaulicht nicht zuletzt eine nach Fertigstellung des Gemäldes angefertigte Fotografie, welche das Werk inmitten seines Entstehungsortes zeigt und damit einen doppelten Einblick in das Ambiente sowie die Arbeitsweise des Künstlers zulässt.

Willy Maywald: Matisses Atelier in Vence, 1947
Willy Maywald: Matisses Atelier in Vence, 1947

Entdecken Sie weitere Werke der Klassischen Moderne in der Galerie KUNKEL FINE ART:

Prinzregentenstraße 71
81675 München
+49 89 21869034
info@kunkelfineart.de

Fotos: Kunkel FIne Art / Henri Matisse, Unsplash / Ereynoso

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