Model Fränzi

KUNKELS KÜNSTLERREISEN III: Fränzi, Ikone des Expressionismus

Mit dieser Reise folgen wir den Brücke-Künstlern Ernst Ludwig Kirchner, Hermann Max Pechstein und Erich Heckel in die Sommerfrische an die Moritzburger Teiche bei Dresden – und betrachten ihr Model Fränzi.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Freiheit in der Natur
  • Expressionismus
  • Kollektives künstlerisches Arbeiten

Text: Dr. Alexander Kunkel

Dr. Alexander Kunkel

Dr. Alexander Kunkel studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Literatur an der LMU München. 2012 gründete er den Kunsthandel KUNKEL FINE ART mit Schwerpunkt auf Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen des 19. bis 20. Jahrhunderts. Seit 2016 ist er Geschäftsführer der HIGHLIGHTS – Internationale Kunstmesse München.

Fränzi liegend, Fränzi rastend, Fränzi badend – kein Modell hat Ernst Ludwig Kirchner, Hermann Max Pechstein sowie Erich Heckel gleichermaßen inspiriert wie Lina Franziska Fehrmann, genannt Fränzi. Im Frühjahr 1909 wird das aus einfachen Verhältnissen stammende Mädchen in jungen Jahren vermutlich durch Kirchners Lebensgefährtin Doris Große in den Kreis der Brücke-Künstler eingeführt; bis 1911 ist sie Teil dieser bohèmehaften Gemeinschaft von Malern und Models.

Lina Franziska Fehrmann
Ernst Ludwig Kirchner, Porträt Fränzi Fehrmann 1910

Im gleichen Zeitraum schaffen Kirchner, Pechstein und Heckel eine Vielzahl von Holzschnitten, Zeichnungen, Aquarellen und Gemälden, die mit zu den wichtigsten Bildschöpfungen des deutschen Expressionismus zählen. Als Protagonistin sowie als Model unter Models erscheint darin immer wieder Fränzi.

Fränzi liegend
Ernst Ludwig Kirchner, Fränzi Liegend, 1910

Was die drei Künstler an dem überaus lebenslustigen Mädchen besonders fasziniert, ist ihre kindliche Unbefangenheit. Sie empfinden Fränzi als Inkarnation eines von den Konventionen und Zwängen ihrer Epoche freien Menschenbildes – ein Ideal, dem sie sowohl in ihrer als auch durch ihre Kunst Ausdruck zu verleihen suchen.

Was zu diesem Zeitpunkt keiner ahnt: Die von Fränzi ausgehende Inspiration wird die 1909 gemeinsam an den Moritzburger Teichen bei Dresden verbrachte Sommerfrische zu einem Schlüsselmoment in der Entwicklung der modernen Kunst werden lassen.

Auf in die Sommerfrische!

Die Zeit zwischen Mitte Juni und Ende Juli 1909 verbringen Kirchner, Pechstein und Heckel zusammen mit ihren Lebensgefährtinnen und Modellen an den inmitten von Wäldern gelegenen Moritzburger Teichen bei Dresden. Obgleich die sächsische Metropole nur einen Katzensprung entfernt ist, empfindet die Gruppe den weitgehend unberührten Landstrich sprichwörtlich als Paradies auf Erden.

Moritzburg wird für die Künstler der Brücke zum Synonym für Freiheit und Ungezwungenheit – ein Ort, an dem die Rückkehr zu einem natürlichen Leben möglich erscheint und sich der Mensch sowohl in Einklang mit seiner Umwelt als auch seinem Innersten befindet. Wen wundert es, dass sich die drei Künstlerfreunde unter diesen Voraussetzungen bevorzugt der Aktmalerei im Freien widmen?

Moritzburger Teiche
Die Moritzburger Teiche aus der Luft, zeitgenössische Fotografie

Wie im Rausch gemalt

Zu den schönsten und zugleich kühnsten Aquarellen, die Heckel im Sommer 1909 an den Moritzburger Teichen schaffen wird, zählt Fränzi mit Decke. Gleichermaßen besticht es durch seine leuchtende Farbigkeit wie seinen schmissigen Pinselduktus, der durch wenige Kreidestriche strukturiert wird.

Im Zentrum der Komposition erscheint das offensichtlich vergnügt auf einer Wiese liegende Mädchen. Sein aufgerichteter Oberkörper wird durch Orangetöne in stark vereinfachter Manier andeutet; das in denselben Farben angedeutete Gesicht ist durch wenige Striche näher ausgearbeitet. Sparsam setzt der Künstler schwarze Tusche ein, um einerseits Fränzis rote Haarschleife zu kennzeichnen und andererseits ihr zitronengelbes Handtuch von der Umgebung abzugrenzen. Einen weiteren markanten Farbakzent setzt Heckel mit der ihre Beine umhüllenden rot-blau gestreiften Decke.

Es wirkt, als sei das Mädchen erst vor kurzem dem erfrischenden Nass entstiegen, um sich nun in der Sonne aufzuwärmen.

Auch die räumliche Situation gibt Heckel in rhythmisch gesetzten Pinselstrichen wieder. In kräftigen Grüntönen erscheint das Gras an der Uferböschung, tiefe Brauntöne deuten eine Erdpartie an, auf der Fränzis Handtuch ausgebreitet ist. Den Ausblick auf das dahinterliegende Wasser skizziert der Künstler mit einem schwungvollen Pinselstrich.

In diesem gestisch-zupackenden Akt des Malens, der an Begriffe aus der Musik wie Rhythmik und Vibrato denken lässt, teilt sich nicht nur Heckels meisterhafte, gleichsam mit der akademischen Tradition brechende Handhabung der Aquarelltechnik mit, sondern auch die Einlösung des von den Brücke-Künstlern gestellten Anspruchs, das Erleben des Augenblicks unmittelbar zum Ausdruck zu bringen. Die Tatsache, dass Heckel das Werk bis zu seinem Lebensende behielt und es erst später von seiner lebenslangen Partnerin Sidha Riha, genannt Siddi, mit Bleistift betitelt wurde, unterstreicht die Bedeutung, welche der Künstler ihm beigemessen hat.

Ernst Ludwig Kirchner Szene im Wald
Ernst Ludwig Kirchner, Szene im Wald, 1909/20, Städel Museum Frankfurt am Main

Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies

Das Sujet der Badenden, des nackten Menschen in der freien Natur, spielt innerhalb der Brücke eine zentrale Rolle – in ihm manifestieren sich die grundlegenden Züge ihrer Auffassung von Leben und Kunst, in der beides frei von Konventionen und Zwängen existiert. Bis zum Herbst 1911, als die Brücke Abschied von Dresden nehmen und sich in Berlin niederlassen wird, sind gemeinsame Badeaufenthalte und das kollektive Arbeiten an den Moritzburger Teichen eine Tradition, an der Heckel, Kirchner und Pechstein festhalten.

Oftmals werden Motive von allen drei Künstlern erfasst, jedoch auf individuelle Weise wiedergegeben. Einen Augenblick am bewaldeten Ufersaum etwa halten sowohl Heckel als auch Kirchner und Pechstein fest. Die ungezwungene Szene zeigt einen Moment des Rastens: Drei weibliche, größtenteils entkleidete Models ruhen auf ihren Handtüchern, teils liegend, teils sitzend.

Unter ihnen weilt eine vierte Person: es ist Fränzi, die, ohne es zu ahnen, zu einer Ikone des deutschen Expressionismus avancieren wird.

Entdecken Sie weitere Werke der Klassischen Moderne in der Galerie KUNKEL FINE ART:

Prinzregentenstraße 71
81675 München
+49 89 21869034
info@kunkelfineart.de

Fotos: Alamy / AlFA Visuals, The Picture Art Collection, Unsplash / Alexander Krivitskiy, KUNKEL FINE ART

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