LAURENTS ART, DIE WELT ZU SEHEN
Nicht nur Basel und New York, auch Neubeuern ist Treffpunkt internationaler Kunstsammler. Denn dort lebt ein ganz besonderer Künstler: ein dreijähriger Junge, für dessen Werke sechsstellige Summen geboten werden. Ist er ein kleiner Picasso?
Hier erfahren Sie mehr über
- Das dreijährige Wunderkind
- Die Kunstwelt
- Social Media
Text Gerd Giesler
Gerd Giesler ist Kommunikationsprofi und Inhaber der Agentur Journal International The Home of Content sowie leidenschaftlicher Reporter und Autor, z.B. monatlich für PURPOSE.
Es ist eine Vernissage der besonderen Art. Laute DJ-Musik wummert aus einer Scheune. Davor parkt quer und ungeniert ein RTL-Auto. Es duftet nach Steaks vom Grill. 300 geladene Gäste werden erwartet. Am Einlass ein Blick auf die Liste, dann gibt es ein Band ums Handgelenk. „Laurents Art“ steht darauf.
In der zweigeschossigen Scheune sind Kachelöfen platziert wie Kunstobjekte, aber heute nicht das Objekt der Begierde. Vielmehr geht es um die großflächigen Aquarelle, die dazwischen an den Wänden hängen. Sie tragen Namen wie: „People“, „The Fingers“ und „Seahorse“. Davor sammeln sich leere Bierflaschen und ein Weinglas mit Lippenstiftrand. Grüppchen palavern, eine Dame in Highheels, eine andere im Dirndlgewand, ein Herr mit Gamsbart am Hut. Man spricht gepflegt bayrisch, aber auch englisch.
Unter der Treppe stehen Goodie-Bags der Sponsoren bereit, mit Dinzler-Kaffee, einer Tasse aus Gmundner Porzellan, einem Farbtöpfchen von Relius und einem Minigemälde vom Künstler höchstpersönlich. Eine junge Frau gestikuliert vor der Kamera, Kinder wuseln skandierend herum.
Unter ihnen ein dreijähriger Junge mit schwarzen Fingernägeln und blonder Wuschelmähne. Schelmisch schleckt er mit der Zunge über seine Lippen und schneidet Grimassen.
In der rechten Hand hält er einen Dino ganz fest. Wie der denn heißt, frage ich ihn. Der Kleine schaut mich wortlos an und rennt weiter. Von dem Rummel um ihn bekommt er wohl nicht viel mit.
LAURENT SCHWARZ – EIN PICASSO IN WINDELN?
„Laurents Begabung war uns anfangs nicht aufgefallen. Es begann letztes Jahr im November, in einem kleinen Familienhotel. Dort gab es für Kinder einen Malraum mit Farben und Kreide, da wollte er den ganzen Urlaub nicht mehr raus“, erzählt Vater Philipp Schwarz, der in vierter Generation nach traditionellen Handwerksmethoden und neuerdings modernster Technik, Öfen im Ort baut.
„Wie wir mit dem Ganzen umgehen, werde ich oft gefragt“, fügt Mutter Lisa Schwarz hinzu und zuckt mit den Achseln. „Das kann ich überhaupt nicht beantworten. Der Laurent ist erst drei Jahre alt und wenn der mal keinen Bock mehr hat, ja, dann ist es halt so.“
Kurze Unterbrechung des Gesprächs. Das RTL-Aufnahmeteam will sich verabschieden. Eine Minute später ist Lisa zurück. „Geld ist nicht alles“, sagt sie. „Wir sind nicht reich, aber uns geht es gut. Hier im Dorf zählt im Leben noch Ehrlichkeit, Anstand, Loyalität und Freundlichkeit. Ich grüße alle Leute, die mir begegnen. Und der Laurent tut das auch.“
Für die Eltern ist es noch immer unbegreiflich, was da geschieht. Zuhause setzte sich der Maldrang des kleinen Künstlers fort. Und weil Platz da war, bekam Laurent eben ein eigenes kleines Atelier. Manchmal steht er in Windeln um sechs Uhr morgens vor dem Elternbett und sagt: „Mama, malen!“
BIS ZU 325.000 DOLLAR FÜR EIN BILD VON LAURENT
Dann schleichen die beiden hinauf ins Atelier, wo großformatige Leinwände stehen, Farbroller, Pinsel und Töpfe mit Acrylfarben. Möglichst bunt mag es Laurent. Rot, Gelb, Türkis, Grün, wie sein Dino. Dinos und Elefanten sind auch seine Lieblingsmotive. „Ich setze mich dann hinten auf einen Stuhl. Der Laurent will nur, dass ich dabei bin“, sagt Lisa, die diese besonderen Momente mit ihrem Erstgeborenen genießt und plötzlich ganz feuchte Augen bekommt.
„Wir haben da schon eine besondere Bande, der Laurent und ich“, erzählt sie ganz leise. „Da steht er dann da, hoch konzentriert und das sieht so zuckersüß aus, wenn er mit dem Farbroller immer und immer wieder Farbe auf die Leinwand klatscht, ausrollt und mit dem Pinsel in die einzelnen Schichten kratzt.“
„Kinder sind die wahren Anarchisten … Sie berechnen nicht, was sie tun“, hat schon Herbert Grönemeyer gesungen. Liegt darin die Authentizität, das Geniale, mit der ein Dreijähriger den Pinsel führt?
„People“ war eines seiner ersten Gemälde, geschaffen mit zweidreiviertel Jahren. Ein Aha-Effekt für die Eltern. Denn aus der abstrakten Farborgie zeichneten sich ganz deutlich drei Gestalten, die dem Bild eine fast unheimliche Suggestivkraft verleihen. „People ist unser absolutes Lieblingsbild. Dafür gibt es mehr als 50.000 Anfragen, unfassbar! Und für „Fingers“ kam kürzlich ein Gebot von 325.000 Dollar.“
Beide Werke sind nicht verkäuflich. Es könnte ja sein, dass Laurent später einmal fragt: „Was habt ihr mit meinen Bildern gemacht? Warum habt ihr alle verkauft?“
LAURENT SCHWARZ: DANK SOCIAL MEDIA ZUM KUNSTSTAR
Lisas Instagram-Account brachte den Stein ins Rollen. „Die Tanten und Onkel im Landkreis, aber auch die Verwandtschaft in der Schweiz, wollten immer mehr sehen von unserem Laurent und dann habe ich die Bilder einfach in den Kanal gestellt und Laurents.Art.de. genannt.“
Irgendwann rief die Bildzeitung an und wollte Laurent portraitieren. „Wir waren mächtig stolz.“ Die Geschichte sollte am 29. Mai erscheinen.
„Ich bin ganz früh zum Bäcker geradelt, um Semmeln zu holen und eine der ersten Ausgaben zu ergattern“, erinnert sich Philip, der damals fast vom Sattel fiel, denn die Bildzeitung hatte seinen Sohn auf die Titelseite genommen. „Beim Frühstück rief schon London an. Tags darauf titelte die Times: „The pint-size Picasso“.
Kritiker werfen den Eltern vor, den Hype um Laurent mit Blick auf die internationale Kunstszene ganz bewusst geschürt zu haben und genau zu wissen, wie man die Social-Media-Maschine zu füttern hat. Denn um der Oma beim digitalen Kaffeeklatsch Laurents neueste Bilder vorzuführen, bedarf es weder der englischen Sprache, noch eines öffentlichen Accounts, noch eines professionellen User Involvements á la: „What can you see in my second picture?“ und: „Tell me about your experiences.“
„Ich werde von vielen Leuten angesprochen, mei, du bist ja ein Marketing-Profi“, erbost sich Lisa. „Dabei bin ich nie in auf Social Media aktiv gewesen. War es der Spiegel, die Süddeutsche oder die Zeit, die mir gesagt haben: du hättest den Kanal ja auch auf privat schalten können. Ich habe das nicht gewusst. Ich bin da wie die Jungfrau zum Kind gekommen.“
WUNDERKINDER WIE MOZART UND MIKAIL
Mozart komponierte sein erstes Klavierstück mit fünf, die erste Oper mit elf Jahren. Kleine Genies gab es schon immer, auch in der Literatur. Ist Laurent also ein Wunderkind? Der Duden definiert es so: „Das Wunderkind besitzt außergewöhnliche geistige oder künstlerische Fähigkeiten, die eben ein Wunder darstellen.“
Malende Wunderkinder gab es immer wieder. Laurents Geschichte weist erstaunliche Parallelen zur Karriere des Kölner Jungen Mikail Akar auf. Große Strahleaugen, lange, dunkle Haare, farbverkrustete Bluejeans. Rechts den Pinsel schwingend, links ein pinkfarbenes Stofftier in der Hand. So rührte 2019 der damals Sechsjährige die internationale Kunstwelt. Seine Vorbilder: Basquiat, Richter, Pollock. Mikails Bilder erzielen Höchstpreise. Auch hier war von Anfang an ein Instagram Account im Spiel. Von anfänglich 40.000 Followern stieg die Fangemeinde bis heute auf 1,1 Millionen an.
Der Vater hängte seinen Job an den Nagel, um den begabten Sprössling zu managen. Die Mutter beteuerte, dass er genauso gerne mit Lego spiele, wie er male. Mikail reiste von Kunstmesse zu Kunstmesse und durfte mit 10 Jahren sogar einen Rolls Royce bemalen. Homepage, Tik Tok und Co. wirkten von Anfang an wie ein Katalysator, Presse und TV-Auftritte taten ihr Übriges. Und ab einem gewissen Bekanntheitsgrad wird aus dem medial Gehypten ein Ausnahmetalent.
LAURENTS GESCHICHTE – EINE WIEDERHOLUNG?
Geht es wirklich noch um die Kunst, oder haben schon längst die sozialen Medien aus dem kurzen Überraschungsmoment, dem Hype, einen Trend gemacht?
Bei der Familie Schwarz sind seit dem Bericht in der Times über 100 Presseanfragen eingegangen und mehr als 100.000 Kaufgesuche. Und dennoch wird Laurent nicht anders behandelt, als seine kleinere Schwester Paulina. „Wir würden ihn auch nicht auf eine Bühne stellen“, meint Philipp. „Und Anfragen von Talentshows lehnen wir grundsätzlich ab.“
Doch Internet und die Presse haben für Reichweite und einen Bekanntheitsgrad weit über Deutschland hinaus gesorgt. Die lukrativsten Angebote kommen längst nicht mehr von deutschen Sammlern, sondern aus Dubai, Indien oder den USA.
PICASSO WOLLTE MALEN WIE EIN KIND
Was macht Kinderkunst so begehrlich in aller Welt? Pablo Picasso hat einmal gesagt: „Ich konnte schon früh zeichnen wie Raffael, aber ich habe ein Leben lang dazu gebraucht, wieder zeichnen zu lernen wie ein Kind.“
Vielleicht ist es die Sehnsucht nach der reinen, der unverdorbenen, der ungekünstelten Kunst? Bittet man Laurent um ein Autogramm, bekommt man den Farbabdruck seiner Hand. Der Künstler ist des Schreibens unkundig.
Für Lisa und Philipp kommt das Kunstverständnis ihres Sohnes von Innen und ist nicht angelernt oder gar von den Eltern gefördert. „Mama, fertig“, sagt Laurent, wenn ein Bild seiner Meinung nach vollendet ist. Und was die Kunstfans in einem Bild mit dem Titel „Who let the dogs out“ sehen, ist ihre Sache. Sie sind es doch, die in dem Dreijährigen, angefeuert durch das Internet, das Kunstgenie sehen, ja sich förmlich nach der Erfüllung des Wunders sehnen, nicht die Eltern.
Denen wird es allmählich fast zu viel. Mittlerweile hat sich das Finanzamt bei Familie Schwarz gemeldet. Und die Vormundschaftsbehörde. Der durch das Internet losgetretene Rummel um den kleinen Laurent kocht immer weiter hoch. Es ist wie bei Goethes Zauberlehrling: „Die ich rief, die Geister – werd ich nicht mehr los!“
Jetzt will die Familie erst einmal alles stehen und liegen lassen. Und abhauen, in den Urlaub. Irgendwohin, wo sie keiner kennt. „Am liebsten auf die Malediven“, seufzt Lisa. Ganz weit weg in ein Hotel am Strand. Aber ein Malzimmer muss es schon haben….
Fotos: Gerd Giesler, Lisa Schwarz